Laetitia Colombani – Das Mädchen mit dem Drachen

  • Kurzbeschreibung (Quelle: Verlagsseite)
    Eine Schule am Indischen Ozean - ein hoffnungsvoller Ort, der alles verändert
    Am Golf von Bengalen will Léna ihr Leben in Frankreich vergessen. Jeden Morgen beobachtet sie das indische Mädchen Lalita, das seinen Drachen fliegen lässt. Als Léna von einer Ozeanwelle fortgerissen wird, holt Lalita Hilfe bei Preeti, der furchtlosen Anführerin einer Selbstverteidigungsgruppe für junge Frauen. Léna überlebt und zusammen mit Preeti schmiedet sie einen Plan, der nicht nur Lalitas Leben grundlegend verändern wird.


    Autorin (Quelle: Verlagsseite)
    Laetitia Colombani wurde 1976 in Bordeaux geboren, sie ist Filmschauspielerin und Regisseurin. Ihr erster Roman »Der Zopf« stand wochenlang auf der SPIEGEL-Bestsellerliste und wird verfilmt. Für ihren zweiten Roman »Das Haus der Frauen« recherchierte Colombani im »Palais de la Femme« in Paris, einem Wohnheim für Frauen in Not. »Das Haus der Frauen« ist der erste Roman über Blanche Peyron, die 1926 unter widrigsten Umständen eines der ersten Frauenhäuser begründete. Die Idee für ihren dritten Roman »Das Mädchen mit dem Drachen« fand Laetitia Colombani in Indien, in einer Schule für Dalits. Laetitia Colombani lebt in Paris.


    Allgemeines
    Titel der Originalausgabe: „Le Cerf-volant“, ins Deutsche übersetzt von Claudia Marquardt
    Erschienen am 23. Februar 2022 im S. Fischer Verlag als HC mit 272 Seiten
    Gliederung: Prolog – Roman in drei Teilen mit nummerierten Kapiteln – Epilog
    Erzählung in der dritten Peron aus der Perspektive der Lehrerin Léna
    Handlungsort und -zeit: Tamil Nadu/ Indien, in der Gegenwart


    Inhalt
    Léna ist eine Lehrerin Anfang Vierzig, die seit zwanzig Jahren in ihrer Heimatstadt Nantes engagiert unterrichtet hat. Nachdem ein tragisches Ereignis ihr Leben komplett aus den Fugen gebracht hat, beschließt sie, für drei Monate nach Indien zu reisen, um sich körperlich und seelisch zu regenerieren.
    In Mahabalipuram fällt ihr am Strand ein zehnjähriges Mädchen auf, das dort täglich ganz allein mit seinem Drachen spielt. Angeregt durch die Begegnung mit dem Mädchen möchte sie mehr über das Leben der einheimischen Bevölkerung erfahren und lernt dabei auch die ca. zwanzigjährige Preeti kennen, eine junge Frau, die sich trotz ihres Analphabetentums als überaus starke und entschlossene Persönlichkeit erweist. Preeti führt eine Abteilung der „Roten Brigaden“ an, Zusammenschlüsse von jungen Frauen, die Selbstverteidigung trainieren, um sich gegen die in Indien weit verbreiteten sexuellen Übergriffe gegen Frauen wehren zu können.
    Je mehr Léna über das Leben der Dalit (Angehörige der untersten gesellschaftlichen Kaste Indiens), besonders der Mädchen und Frauen, erfährt, desto stärker wird ihre Entrüstung über deren von Unbildung, Diskriminierung, Ausbeutung und Unterdrückung geprägten Lebensweg. In ihr keimt der Wunsch, für diese Unterprivilegierten eine Schulbildung zu ermöglichen, damit sie eine Chance auf eine bessere Zukunft haben. Doch sie sieht sich erbitterten Widerständen von in traditionellen Denkmustern verhafteten Menschen gegenüber…


    Beurteilung
    „Das Mädchen mit dem Drachen“ gibt einen erschütternden Einblick in das Leben der Menschen, die der untersten Kaste der indischen Gesellschaft angehören und kaum eine Chance auf einen gesellschaftlichen Aufstieg haben. Viele von ihnen sind Analphabeten und bitterarm, da sie trotz harter Arbeit kaum genug zum (Über)leben verdienen. Auch die Kinder müssen mitarbeiten und dazuverdienen; offiziell herrscht zwar eine Schulpflicht, was aber in Dörfern fern der Metropolen ungestraft ignoriert wird. Besonders hart ist das Los der Mädchen; oft schon im Kindesalter sexuellen Übergriffen ausgesetzt, werden sie häufig schon als Zwölfjährige zwangsverheiratet, da jedes Mädchen, das man „losgeworden“ ist, eine Entlastung der kinderreichen Familien bedeutet.
    Die Protagonistin des Romans erkennt, dass es ohne Bildung keine Befreiung aus diesem Elend geben kann und sie versucht, eine Schule für die Kinder der Dalit zu etablieren. Die Autorin beschreibt sehr eindrücklich, welche Kämpfe dabei gegen Traditionen und Sturheit der Eltern- und Großelterngeneration der Schülerinnen zu führen sind.
    Die Schilderung der Gegebenheiten ist sehr plastisch und authentisch, wobei indische Begriffe mit Fußnoten erläutert werden. Die Geschichte ist trotz des überschaubaren Umfangs und des schnell lesbaren Sprachstils keine leichte Kost und sehr berührend, denn sie weckt beim Leser verschiedene Emotionen von Mitleid über Kummer bis zu grenzenlosem Zorn.


    Fazit
    Fesselnde und sehr berührende Lektüre, die lange im Gedächtnis haftet!

    9 Punkte

    ASIN/ISBN: 3103974906

  • Lénas Mann Francois wurde von einem Amoklaufenden Schüler erschossen und um ihre Trauer zu bewältigen reist sie nach Indien. Dort lernt sie am Strand Lalita mit ihrem Drachen kennen. Als Léna von einer Welle mitgerissen wird und fast ertrinkt, wird sie von Lalita und Preeti gerettet. Preeti ist Anführerin der Roten Brigaden, einer Mädchengruppe, die Selbstverteidigung trainiert und damit anderen Mädchen helfen möchte. Nach dem Krankenhausaufenthalt findet Léna Lalita in einem Lokal wieder und schenkt ihr zum Dank für die Rettung einen neuen Drachen. Sie freunden sich an und dies, obwohl Lalita seit dem Tod ihrer Mutter nicht mehr spricht. So lernt Lalita, die Analphabetin, einzelne Wörter zu schreiben. Preeti gesellt sich zu der kleinen Lerngemeinschaft, die im Laufe der Zeit immer größer wird. Auch Léna lernt viel von ihren Freundinnen, nämlich wie die Kastengesellschaft, vor allem die der niedrigsten Kaste, in Indien funktioniert und weshalb die Rote Brigade entstanden ist. Sie erhält Einblicke, die über das Touristenwissen weit hinausgehen und ihr wird klar, daß sie gerade bei ihren Freundinnen die Bildung voranbringen möchte. Es ist aber noch ein langer Weg dahin.



    Ich habe die beiden anderen Romane „Der Zopf“ und „Das Haus der Frauen“ bereits begeistert gelesen und wurde auch hier nicht enttäuscht. Die Autorin schreibt flüssig, eindrucksvoll, empathisch und bedrückend. Sie vermittelt dem Leser Einblicke in die indische Gesellschaft und verarbeitet in ihrem Roman vor allem die Nachteile der jungen Mädchen, weil sie als Frau geboren wurden und deshalb nichts wert sind. Sie beschreibt z. B. auch deren Angst vor der Zwangsheirat und der sexuellen Übergriffe. Mit Preeti hat sie eine mutige Rebellin und starke Figur vorgestellt, die versucht, sich nicht alles gefallen zu lassen, aber natürlich nicht immer mit Erfolg. Auch Lalita wurde detailliert charakterisiert und ich hatte genaue Vorstellungen sowohl von ihr als auch von der Atmosphäre des Strandes und ihres Lebens. Es war sehr schön das Entstehen dieser Freundschaft zwischen Léna, Lalita und Preeti zu erleben, jedoch kam mir das Ende und die Hoffnung auf die Zukunft dann fast zu schnell, das hätte ich gerne ausführlicher gelesen.


    Die Autorin hat ein bewegendes, berührendes und emotionales Buch geschrieben, das nach dem Ende noch lange nachhallt. Ich werde es sehr gerne weiter empfehlen.

  • Schon die früheren Romane De Zopf und Das Haus der Frauen von Laetitia Colombani habe ich geschätzt, obwohl die Autorin vom Feuilleton anscheinend mehr der Unterhaltungsliteratur zugerechnet wird.


    Sie schreibt ergreifend und trotz ernster Themen unterhaltsam. Frauen und Frauenrechte und Ungerechtigkeiten gegenüber Kindern stehen bei ihr im Mittelpunkt.

    Zwar ist es ein Blick von außen in ein geschlossenes System in Indien, aber die Themen sind immer noch relevant. Benachteiligungen durch das Kastensystem sind heute verboten, aber dennoch nicht verschwunden. Die Mentalität dazu lebt weiter. Auch die Kinderarbeit in Indien ist noch lebendig. Das gleiche gilt für Zwangsehen Minderjähriger.


    Colombani beschreibt Frauen aus Frankreich aber auch aus Indien, die sich dagegen engagieren und das ist wirklich wichtig und zu begrüßen. Ein einfacher Weg ist es offensichtlich nicht.

  • Meine Meinung zum Buch:


    Titel: Mit dem Drachenmädchen fing alles an...


    Da mir die ersten beiden Romane der Autorin so gut gefielen, kam ich nicht umhin auch diesen zu lesen. Optisch passt er schon mal perfekt zu den vorherigen. Er hat direkt einen Wiedererkennungswert.


    In der Geschichte geht es um Léna, die nach einem tragischen Schicksalsschlag Ablenkung in Indien sucht. Das Elend der armen Bevölkerung, allen voran den weiblichen Dalits, den Unberührbaren, nimmt sie sehr mit. Es kann doch nicht sein, dass man kein Recht auf eine Zukunft hat nur weil man als Mädchen geboren wird. Wird ihre Idee Früchte tragen oder wird man ihr zu viele Steine in den Weg legen?


    Anders als bei ihren anderen Büchern benötigte ich hier etwas länger Zeit zum Reinlesen, da es sich zu Beginn eher sachbuchartig für mich anfühlte.


    Die Szene als Lalita und Léna sich das erste Mal so richtig nah begegnen, da war ich dann voll drin und gefesselt.


    Die Autorin gibt wieder tiefe Einblicke in das Leben indischer Frauen und bei deren Rechtslosigkeit wird man als Westeuropäer einfach nur wütend über diese Ungerechtigkeit in deren Kultur, aber gleichzeitig weiß man auch all das was man selbst als Privilegien genießt noch viel mehr zu schätzen.


    Das Geheimnis um Léna, was mit ihr eigentlich nicht stimmt, bleibt sehr lange verborgen und die Offenbarung hat mich überrascht, denn ich habe mit etwas anderem gerechnet.


    Ganz toll fand ich, wie die jungen Menschen immer mehr Vertrauen zu Léna fassen und dass es eben nicht unbedingt immer eine gemeinsame Sprache braucht, um sich zu verstehen.


    Die Entwicklung von Preeti als Figur hat mir gefallen. Hatte ich anfangs noch enorm Angst vor ihr und dass durch ihre Gewalt was richtig Schlimmes passiert, so wird sie durch Lénas Hilfe doch deutlich zahmer.


    Fremde Begrifflichkeiten werden im Text mittels Fußnoten direkt erklärt, so dass man nicht zu einem Glossar blättern muss, was ich gut fand.


    Fazit: Berührend, unterhaltsam, mal etwas anderes. Nicht ganz so fesselnd wie ihre ersten Werke und dennoch lesenswert.


    Bewertung: 6/ 10 Eulenpunkten

  • Nach einem Schicksalschlag flüchtet sich die Lehrerin Léna nach Indien, sie muss Abstand gewinnen. Im Laufe ihres Aufenthaltes in einem kleinen Dorf wird sie auf ein Mädchen aufmerksam, das täglich mit seinem Drachen am Strand auftaucht. Eines Tages rettet das Mädchen Léna das Leben und sie lernen sich näher kennen. Bald ist Léna klar, das Mädchen sollte eine Schulausbildung bekommen. Léna stürzt sich in die Planung für eine Schule in dem kleinen Dorf, das auf die Beine zu stellen ist aber gar nicht so einfach, nicht nur mit den Behörden muss Léna kämpfen.


    In Indien waren die Leser:innen der Autorin schon einmal, in „Der Zopf“ lernten wir eine Mutter kennen, die für ihre kleine Tochter Lalita mehr wollte als das Leben einer Dalit, einer Unberührbaren, und sich mit ihr auf den Weg machte, um Lalita eine Schulbildung zu ermöglichen. Lalita treffen wir hier nun wieder, sie ist das Mädchen mit dem Drachen. In „Der Zopf“ hatte mich ihr Schicksal und das ihrer Mutter tief berührt. Laetitia Colombani nimmt die Kritik an Indiens Gesellschaft(ssystem) erneut auf. Dazu führt sie hier Preeti ein, eine junge Frau, die für Indiens Frauen und Mädchen kämpft, vor allem für die, die der Kaste der Dalit angehören. Sie leitet eine Einheit der Roten Brigade.


    Die Rote Brigade ist keine Erfindung der Autorin, sie gibt es wirklich. Ins Leben gerufen von Usha Vishwakarma, soll sie Mädchen und jungen Frauen Selbstbewusstsein bringen und sie lehren, sich selbst zu verteidigen, in einem Land, in dem es immer wieder Massenvergewaltigungen gibt, und nicht nur Dalit-Mädchen und -Frauen als weniger wert gelten und oft nicht geschützt werden, eine Notwendigkeit. Diesen Missstand zu benennen, ist ein wichtiger Ansatz des Romans.


    Leider, muss ich sagen, ist die Hintergrundgeschichte nur zum Teil tauglich dafür, den Léna ist oft zu sehr in ihrem eigenen Elend gefangen, und tendiert dazu, schnell aufzugeben. Preeti ist da ein ganz anderer Typ, allerdings oft zu impulsiv. Ein sehr ansprechender Charakter ist Kumar, ein junger Lehrer, der ebenfalls in Traditionen verstrickt ist.


    Für das Projekt Schule ist viel Geld nötig, das vielleicht tatsächlich von außen kommen musste. Eine andere Protagonistin hätte der Geschichte aber besser getan, eine, der man näher gekommen wäre. Ich frage mich auch, warum lange nicht eindeutig erzählt wird, was genau Léna nach Indien getrieben hat. Das ist unnötig und wirkt auf mich sehr aufgesetzt, zumal damit keinerlei Spannung erzeugt wird.


    Gegen Ende wird der Roman für mich etwas zu rührselig und regelrecht kitschig, und auch hier etwas zu aufgesetzt. Schade, am Ende fühlte ich mich fast eher genervt als berührt. Leider gibt es kein Nachwort, ich hätte gerne mehr über Intention, Recherche usw. der Autorin gelesen. Dafür gibt es innerhalb des Romans einige indische Begriffe, die in Fußnoten erklärt werden, was das Ganze authentischer macht.


    Eine sehr wichtige Thematik wird hier teilweise zu aufgesetzt und kitschig abgehandelt, so dass es mich letztlich weniger berührt hat, als erwartet. Besonders das Thema Rote Brigade war für mich neu, so dass ich doch noch etwas mitnehmen konnte. Während die Protagonistin mich nicht berühren konnte, haben das weitere Charaktere geschafft. Schön war auch das Wiedersehen mit Lalita.

  • Bleibt für mich weit hinter den Möglichkeiten zurück. Plot und Thema haben enorm viel Potential, welches hier leider an vielen Stellen fast schon verschenkt wird. Ich verstehe, wie schwierig es ist, ein so komplexes Thema in einem Roman zu verarbeiten, ohne allzu sehr auszuufern. Aber hier wurde leider immer nur an der Oberfläche gekratzt. Die harten und erschütternden Fakten wurden relativ nüchtern eingestreut. Das hat mich zwar auf einer rationalen Ebene erschüttern, nicht aber auf der emotionalen. Das ist das zentrale Problem, welches ich mit dem Buch habe: die ganze Geschichte ist zwar mitnehmend aufgebaut, sie berührt mich aber kaum. Ich habe nicht das Gefühl, eine der Hauptfiguren wirklich kennenlernen zu können. Zum Beispiel warum sie fast schon so besessen von Lalita ist. Ausgehend von den Beschreibungen in der Geschichte, erscheint Lena mir als überhebliche westliche Touristin mit einem extremen Helfersyndrom und naiven Vorstellungen, die dann notgedrungen auf dem Boden der Tatsachen landet. Ihr persönliches Schicksal hätte es für mich in der ganzen Kombination auch gar nicht gebraucht, es spielt insgesamt keine allzu große Rolle und wird nur zu einigen Gelegenheiten aus der Ecke geholt, wenn es der Dramatik zuträglich ist.


    Generell schafft es die Autorin in dem Buch für mich nicht, den Bogen von der Faktenlage zu einer emotionalen Tiefe in der Geschichte zu spannen. Sie will da für meinen Geschmack einfach zu viel auf zu wenigen Seiten.

    Das Ende ist mir persönlich dann auch zu rührselig und haarscharf dran am kritisierten Bollywood-Kitsch.

    Es ist da irgendwie nur ein schwacher Trost, dass das Buch leicht zu lesen ist, man doch recht schnell in die Geschichte reinkommt und eigentlich niemand mit dem an sich doch sehr schweren Thema überfordert wird. Mir persönlich reicht das an der Stelle leider nicht, ich hatte mir da deutlich mehr erhofft.