Vladimir Nabokov - Die amerikanischen Jahre 1940 - 1977

  • Vladimir Nabokov, Die amerikanischen Jahre 1940 - 1977


    Exil



    Nabokov und seine Biographie

    Boyds Biographie hätte der Titel von Fields erster Biographie recht gut angestanden: Nabokov. His Life in Art. Das wäre von Beginn an ein Hinweis auf den maßgeblichen Schwerpunkt der Biographie gewesen.

    Auf Seite 912 kann man den Schlüssel für Boyds Schwerpunktsetzung in der Biographie finden.

    Nabokov schrieb im August 1972 in einem Brief an seinen ersten Biographen, mit dem er im Hader lag: „Die einzig vernünftige und künstlerische Art, die Geschichte eines Individuum von so trüber Art, wie ich es bin, zu schreiben, wäre es, seiner Entwicklung als Schriftsteller zu folgen, und zwar von seinem ersten undurchsichtigen Gedichten bis hin zu Durchsichtige Dinge.“


    „Immer wieder erklärte Nabokov, er sei nicht darauf aus, Autoren zu attackieren, sondern die literarische Kunst zu verteidigen und zu erweitern.“ S. 50

    Er verteidigte literarische Kunst nur wenn ER sie zu selbiger zuvor erhoben hatte. Anderenfalls war er schlau genug, um abzuschwächen, und legt so nebenher fest, dass er nicht meint, sondern meint zu wissen: „Ich empfinde für Literatur eine so tiefe Liebe und für schlechtere Literatur einen so bitteren Hass, dass meine Ausdrucksweise vielleicht etwas schroffer ist, als sie sein sollte.“ S.50

    Der Mann der Interwies nicht „in echt“ geben will oder kann, weiß was er sagt und hier benutzt er das vielleicht, um die Konventionen nicht zu sprengen. ER bräuchte das vielleicht bestimmt nicht.


    Mit N.s Zeit in Montreux beginnt Boyds Biographie zu ruckeln. Es werden nur noch gelegentlich biographische Fragmente in den Text eingeworfen. Die fragliche Faktenschwemme seiner Ortsveränderungen, hätte auch in Form eines Kursbuches niedergeschrieben werden können. Beide Varianten sind vermutlich gleich ermüdend.

    In Ergänzung hätte man eventuell noch N.s Terminplaner veröffentlichen können. Diejenigen, die für eine Auseinandersetzung mit seinem Werk Interesse zeigen, besteht immerhin noch ein Angebot, das kompensierend wirken kann. Die Spannungsbögen, die Boyd im ersten Band noch entwickelte, vernachlässigt er im zweiten Band zusehends. Sicherlich, N.s Leben wies zunehmend immer weniger Spannendes auf. Da ist dann der Autor gefragt und der sollte sich eben nicht angehalten fühlen, in den Modus Masse statt Klasse umzuschalten.


    Nabokov soll seine Frau Vera abgöttisch geliebt haben. Sie hat ihn zudem ein halbes Leben lang begleitet. In seiner Biographie findet sie sich lediglich als Nabokovs Schatten wieder. Und dass sie ein selten schöner und ausgesprochen kluger Schatten gewesen sein soll, ist in einer Biographie, wie ich finde, zweifelsfrei zu wenig.

    N.s Sohn, in immerhin einigen Sachverhalten nicht auf Papas Linie, erscheint auch nur gelegentlich als ein Fixpunkt, wie irgendeine Ferienhütte der Nabokovs. Alles ein bisschen dünn. Hier muss es doch Reibung gegeben haben, die N. als Mensch geprägt oder zumindest beeinflusst haben sollte.

    N.s “Prüfungen“ und „Tests“ anderer Personen, haben für mich einen leicht bitteren Beigeschmack. Geschehen sie doch nicht selten, aus einer Position des sich für den überlegenen Haltenden.


    Nabokov und sein Werk

    Wunderbar: Boyds Zitat in Bezug auf N.s Buch über Gogol: „Seine Verbundenheit hat nicht so sehr mit dem vielschichtigen Konglomerat des wirklichen Gogols zu tun, sondern mit dem Proto-Nabokov, den er aus diesem Material herausmeißeln kann.“ S.82

    Mir scheint es fast DEN Grundsatz für Nabokovs Schaffen auf den Punkt zu bringen.

    N.s Anmerkung zu seinem ersten und wohl zugleich letzten Interview, bei dem er frei gesprochen hatte: „… aber ich bin mir sicher, dass Sie verstehen, dass ich ja fast ausschließlich ein Schriftsteller bin und mein Stil alles ist, was ich habe.“ S. 757 Ich sehe darin übrigens keinerlei Koketterie, denn überspitzt formuliert: Kunst = Stil.


    Exkurs - Das Bastardzeichen

    Ich erwähnte zum ersten Band, dass ich Boyds Exkurse zu Nabokovs Werk zunehmend überflogen habe. In dem neuen Band habe ich es mal wieder versucht und den Text zum Roman „Das Bastardzeichen“ interessiert aufgegriffen. Auf Seite 164 erwischt mich Boyd dann wieder: „Das Bastardzeichen ist ein ambitioniertes Werk“ … „empfänglich für die Forderungen des Tages“ … „weniger gelungen als viele andere“ … „zu mager“

    Da war ich nun neugierig. . . Bestellt habe ich es dann trotzdem. Ein erstes Reinlesen war zugleich auch mein letztes. Die ersten Seiten waren nur für sich selbst geschrieben. Würden sie fehlen; der Erstleser würde es kaum bemerken. Durch seine Liebe zum Detail, verlangsamt N. den Fluss der Idee und Handlung. Für mich jedenfalls wird sie zu zähflüssig. All meine Mutmaßungen zu seinem Stil bekomme ich dort bestätigt. Ein Versuch war es wert. Ich kann mich des Eindruckes nicht erwehren, dass N. sein stilistisches Gezirkel etwas überstrapaziert hat. Sicherlich hohe Kunst, nur in Verbindung mit einer Thematik wie im Bastardzeichen; für meinen Geschmack eine gewagte Kombination. Rokoko lässt grüßen. Sollte ich also etwas „Gelungeneres“ testen?! Nein. Wie hätte gegebenenfalls Nabokov gesagt, it`s not my cup of tea. Ende Exkurs.


    Diese Sichtweisen (Boyd würde es gleich wieder pikiert Angriff nennen) waren wohl auch anderen vertraut.

    Nabokovs Stil mit einem wahrscheinlich zu ausgeprägtem Schwerpunkt auf Struktur und die zu starke Zurücksetzung des Inhalts, ist zudem auch nicht nur die Sicht von Rezensenten. Bereits in der Fakultät Cornell war diese Ansicht unter seinen „Kollegen“ weit verbreitet.


    Überdies eine anschauliche Stelle auf Seite 730. Dort findet man eine kleine Gegenüberstellung aus seinem russischen Werk „Der Späher“ und wie sie nach Nabokovs Übersetzung ins Englische aussah.

    Das sind zwei Welten! Die russische Variante sagt mir weitaus mehr zu. Man könnte fast meinen, dass er im Englischen etwas „aufgedreht“ hat, um sicher darzustellen, dass er auch seine „Nicht- Muttersprache“ ausgezeichnet beherrscht. Eine Art Kompensation für eine eigene innere Unsicherheit? Wer weiß.


    Eventuell mit einem Verweis auf sein Gedicht „The Softest of Tongues“ S. 64 vorstellbar. Ich empfand es nahezu ergreifend. Die lyrische Essenz einer Problematik, die ich mir in ihrer umfänglichen Brutalität kaum vorzustellen vermag.

    Nabokov: „Meine private Tragödie, die niemanden etwas angehen kann, ja niemanden etwas angehen sollte, besteht darin, dass ich mein natürliches Idiom aufgeben musste . . .“ S. 68

    Bewegend.


    Boyd und sein Nabokov

    Boyd scheint den Eindruck vermitteln zu wollen oder tatsächlich der Meinung zu sein, N. wäre ein unpolitischer Mensch gewesen.

    N. agitierte nicht, wie man es womöglich von jemandem mit solch einer Vita annehmen könnte.

    Dabei besaß er durchaus ein politisches Bewusstsein. Nur setzte er es eben nicht so vordergründig agitativ ein. „Bastardzeichen“ zum Beispiel als unpolitisch bezeichnen zu wollen, wäre gewagt.

    Der augenscheinlichste Hinweis, nein eigentlich Beleg, darauf ist möglicher Weise sein Telegramm an Präsidenten Johnson, in dem er u. a. dessen Flächenbombardierung Vietnams als „bewundernswerte Arbeit“ lobt. S. 758 An dieser Stelle hoffte ich, dass das Wesen N.s etwas Farbe annehmen würde. Leider nein. Diese zehn lapidar hingeworfenen Zeilen Boyds bleiben völlig losgelöst vom Text davor und danach im Buch hängen. Das war beim Lesen der Biographie ein sehr enttäuschender Moment für mich. Nicht vorrangig N.s Ansichten, sondern wegen der Unvermitteltheit dieser Zeilen.


    Boyds Universalschlüssel zur Erklärung Nabokovs elitärem Gehabe:

    „Aber in den sechziger und siebziger Jahren, als er für die literarische Welt einfach nur VN war, entschied er sich, der Persona Nabokov das Image eines Menschen zuzulegen, der unendlich von sich eingenommen war und häufig unendliche Verachtung für andere empfand.“ S. 694

    Jaja, vor Nabokovs „Entscheidung“ war er ja ganz anders unterwegs.

    Nabokov wäre von Boyd hier enttäuscht gewesen, denn dies ist nicht mehr als ein

    Allgemeinplatz in Form einer Floskel. Wenn ich es recht verstehe, dann hasste N. genau solches Zeugs.

    Für mich widerspricht eine solche „Erklärung“ zudem auch N.s Grundzügen. So wie sich Nabokov noch zu Zaren`s Zeiten mit dem Auto in der Schule hat vorfahren lassen, weil er meinte so sei es recht, so hat er es sein ganzes Leben eigentlich gehandhabt.

    Da wird dem Boyd die Rigorosität Nabokovs etwas zu haarsträubend und er schiebt dann solch ein Geschreibsel vor.


    Boyd fühlt sich ebenfalls angehalten, N.s wahres, eigentlich immer dem Menschen zugewandtes Gesicht zu beschwören, wie mit Zitaten N.s ala er konnte „die aufmerksamen und intelligenten Leute“ schätzen, „die mir Obst und Wein bringen oder meine Heizung und mein Radio reparieren.“

    Ob Boyd weiß was ein Snob ist?

    Das N. ein guter Gesprächspartner / Unterhalter gewesen ist und sich zu benehmen wusste, wird ebenso gern betont wiederholt, was mit Sicherheit auch an dem war. Die Kunst ist es doch nicht, Menschen, die in meinem Interesse agieren oder begreifen, unbefangen entgegenzukommen, sondern jedem einen gewissen Grundsatz an Respekt entgegenbringen zu können oder zumindest es zu versuchen.

    Solche Beispiele hätte Boyd auf den Tisch legen sollen und nicht seine Interpretationen, wenn jemand N. sich gegenüber vorteilhaft benahm, den sich N. zuvor „auserkoren“ hatte, seiner Gegenwart würdig zu sein.


    Boyd klettet sich öfters distanzlos und undifferenziert an N.s Meinungen und Einschätzungen. Mutet teilweise wie das Echo von N. an. Als Nabokov mit einer Puschkin-Übersetzung von Arndt unzufrieden war, kommt auch Boyd persönlich zu der Einschätzung, dass „ein weiterer Reimeschmied Puschkin verstümmelt hatte.“ S. 721


    Ende erster Teil

  • Teil II


    Gern nimmt sich Boyd auch Nabokovs despektierlicher Formulierungen an, wie man oben sehen kann oder zum Beispiel, als Boyd Rezensenten, die Nabokov nicht feierten, als „Schreiberlinge“ verunglimpft.

    Gegenteilige Meinungen zu N.s Ansichten, Arbeiten, Wahrnehmungen etc. klassifiziert Boyd in schöner Regelmäßigkeit als Attacke (wenn auch nur einmal mit genau diesem Wort.)


    N.s außerordentliche Fähigkeit zur genauen Beobachtung und dessen präzises Gedächtnis setzt Boyd immer in das Licht einer Leistung, die zu bewundern und eben auch als Leistung anzuerkennen wäre.

    Da will er für seinen N. wohl zu viel des Guten. Der hätte es sicherlich nicht gemocht, dass eine Fähigkeit bereits als Leistung zu Markte getragen wird. Dass er diese Fähigkeiten zu nutzen wusste, um seine Kunst zu vollbringen, stellt einen anderen Sachverhalt dar.

    Es hat eine geraume Weile gebraucht. Auf Seite 777 war es dann soweit, dass es mich leicht angeödet hat. Und nicht nur das, auch Boyds lobpreisende Tendenzen erregten zunehmend meinen Widerwillen.


    Exkurs - Nabokov und sein Dostojewski

    Ein Wort, das ich mag: ambivalent.

    Vielleicht ist es daneben die treffendste Entsprechung für N.s Verhältnis zu Dostojewski. In Folge sind einige gesammelte und von mir kommentierte Fragmente aufgeführt, die einen solchen Schluss nahelegen könnten.

    Das Interessanteste erscheint mir jedoch, in was diese Ambivalenz begründet ist.


    „Nabokov hielt (…) wenig von Dostojewskij, und er bestand darauf, dass er zu wenig Akademiker sei, um Bücher zu behandeln, die er nicht mochte.“ S. 486

    Er tat es indessen dennoch. Weshalb?


    „Wenn ein Autor seine belanglose und willkürliche philosophische Phantasie einer wehrlosen Person aufbürdet, die er eigens zu diesem Zweck erschaffen hat, bedürfte es einer Menge Talent, damit das Kunststück gelingt.“ S. 214

    So hat Dostojewski natürlich schlechte Karten, da all seine Personen personifizierte Ideen gewesen sind. Damit übertraf Dostojewski in gewisser Weiser sogar Belinskis Auffassung von der Aufgabe der Literatur.


    Will man manchen Einschätzungen folgen, die D.s „Aufzeichnungen aus dem Untergrund“ als

    Replik auf Tschernyschewskis „Was tun“ zu begreifen, kommt natürlich einiges von Nabokovs Vorwürfen zum Tragen. In N.s Ausschließlichkeit sollte man jedoch über solch ein Stück Literatur nicht den künstlerischen Bann aussprechen!

    In Anmerkungen zu einem Lenskij-Gedicht spricht N. von „Journalisten des Belinski-Dostojewski-Sidorow-Typs“.


    Von Dostojewski nimmt sich sowieso jeder als das was er mag.

    N. nahm ihn sich als Künstler vor. Und von dem was Kunst ist, hatte N. bekanntermaßen

    seine eigenen engen Maßstäbe, die er eben „Ordnung der Dinge“ betitelte:

    Dostojewski ist für N. bestenfalls “schlechte Kunst“ und die hat bei N. „keinen Platz in der

    Ordnung der Dinge.“ S. 172 Konkreter formuliert in Nabokovs Ordnung.


    N. spricht bereits von zweitklassigen Schriftstellern. Als Steigerung formuliert er in einer

    Vorlesung „und im Hintergrund schimmert auch noch der ärgste Dostojewski hindurch.“ S. 214


    Er nutzt Dostojewski als Pseudonym, für alles, was keinesfalls Kunst sein kann.

    Vielleicht liegt in Nabokovs egozentrischem Kunstbegriff die Ursache für meine unterstellte Ambivalenz: Als Künstler ist Dostojewski nicht von Belang. Als schriftstellerischen Handwerker achtet er ihn und erkennt Dostojewskis kompositorische Fähigkeiten hoch an.

    Den Missbrauch von Kunst / Literatur verabscheut N. geradezu. Moralische Wirkung von Kunst wolle Nabokov keinesfalls bestreiten. Bis zum „letzten Tintentropfen“ wolle er hingegen das „absichtsvolle Moralisieren“ bekämpfen, da es „jede Spur von Kunst abtötet“.

    S.90 „Die Kunst wurde zu oft in ein Werkzeug zur Verbreitung von Theorien – politischen wie moralischen – verkehrt, …“ S. 172

    Moralisch könnte N. jedoch vom Grundsatz her das ein oder andere von Dostojewskis

    Intentionen unterschreiben.Wenn es sich derart verhalten sollte, bliebe immerhin festzuhalten, dass Dostojewski N. durchaus erreicht hat, denn N. hat es nicht vermocht, Dostojewski mit Ignoranz zu strafen.

    Und dass er so etwas konnte, ist unbestritten.


    Neid als Triebfeder für die auszumachende Ambivalenz halte ich für ausgeschlossen.


    In seinen Vorlesungen zum Überblick über russische Literatur, wurde Dostojewski vonNabokov überhaupt nicht erwähnt. (Vgl. S. 469)


    Ein Mit-Professor der Slawischen Abteilung an Harvard nannte N.s Ansichten über D.schrullig. S. 461 Dostojewski war demnach öfters Gegenstand N.s, als man aufgrund seinerVorlesung meinen sollte.


    „Da er noch sechsundfünfzig Aufsätze über Dostojewski zu zensieren hatte…“ S. 181

    N. wollte von seinem Studenten auf keinen Fall Informationen nach dem Motto Was will uns der Dichter damit sagen. Alles, nur das nicht. So stellt sich die Frage, weshalb lässt er dann die Studenten einen Aufsatz über Dostojewski schreiben? Die Aufgabenstellung(en) würden mich mal interessieren.


    Weshalb ist Dostojewski klar benannter Gegenstand seiner Vorlesung?! Wenn N. was für Schrott erklärt hatte, dann hatte es auch keinen Platz in seiner Ordnung. Insofern räumt er Dostojewski, sollten seine Abfälligkeiten ernst gemeint gewesen sein, eigentlich zu viel Raum ein.


    N. soll Dostojewski, nach Boyd, „völlig abgetan“ haben. S. 720

    Das bisweilen allerdings mit einer Menge Arbeit und Interesse und nicht nur in einer Lebens-

    bzw. Schaffensphase. Seiten weiter gibt Boyd dann an, dass N. gleichfalls bezüglich Dostojewskis Werk gegenüberFreunden die Stärke der Bücher hervorgehoben haben soll. Diese Diskrepanz sehe ich in der Biographie nicht aufgelöst.


    Es fällt auf, dass sich Dostojewski durch die gesamte Biographie zieht und D. bei N. oft und bei verschiedensten Gegebenheiten auftaucht. Selbst als Begrüßung von Kollegen bzw.Bekannten: „Glauben Sie, dass irgendein ernstzunehmender Schriftsteller heute noch immer meint, dass Dostojewski schreiben konnte?“ S. 443


    N. kann / will Dostojewski nicht ausblenden:

    1917 schrieb N. auf der Krim sogar ein kleines Poem über Dostojewski

    1923 will N. Dostojewski mit Gleb Struve übersetzen

    1930 Vortrag N.s „Dostojewski ohne Dostojewski-itis“

    1932 im Werk Verzweiflung finden sich mehrere Bezüge zu Dostojewski

    Selbst im Titel sollte es einen Bezug geben - wurde dann aber verworfen

    1946 N. liest Dostojewski zum wiederholten Mal

    1947 Dostojewski lässt seine Studenten Aufsätze über Dostojewski schreiben

    1950 Im Rahmen seiner Lehrtätigkeit ist Dostojewski gleichberechtigter Teil neben Tolstoi, Puschkin, Turgenjew, Tschechow und Gogol (also Schriftstellern die er hoch schätzte)

    1951 will N. Dostojewskis Aufzeichnungen aus einem Kellerloch in den Lehrplan aufnehmen nannte es dabei für sich despektierlich Aufzeichnungen aus einem Mauseloch

    1953 ist Dostojewski wieder Teil des Lehrplans

    1964 schreibt er an Wilson: „Letzterer (Dostojewski) ist ein Drittklassiger Schriftsteller, und sein Ruhm ist mir unbegreiflich.“


    Fragen

    Weshalb steht N. auf den ausgesprochen lehrmeisterhaften Tolstoi?

    Er passt in N.s Vorstellung von Kunst. Und seine lehrmeisterhafte Umtriebigkeit durchzieht

    vermutlich eher Tolstois Leben als dessen Werk. Das wär ein Unterschied zu Dostojewski.


    Die Dostojewski-Vorlesung als Profilierungsmittel?

    Hatte er zu diesem Zeitpunkt es noch nötig, zu solchen Mitteln zu greifen. Kann man sich an der Uni eine solche Vorlesung als aussichtsreiche Methode vorstellen?

    War es N. vielleicht sogar ein tieferes inneres Bedürfnis, sich mal richtig über Dostojewski

    „auszukotzen“, weil er nicht von ihm loskam?

    Dostojewski-Exkurs Ende



    Stückwerk

    N. wies darauf hin, dass ein Leben im Hotel „von der Unannehmlichkeit privaten Besitztums enthebt“. Hier spricht er mir aus der Seele! Leider kann ich ihm nicht aus Erfahrung zustimmen. Aber könnte ich, täte ich es.


    Amüsante Bemerkung eines „Konkurrenten“ Nabokovs auf die Fürsprache pro Nabokov für einen Lehrstuhl und dass Nabokov ja ein wichtiger Schriftsteller wäre: „Selbst wenn man berücksichtigt, dass er ein wichtiger Schriftsteller ist, stellt sich doch die Frage, ob wir als nächstes einen Elefanten bitten, die Professur für Zoologie zu übernehmen.“ S. 461


    Das Polemisieren gegen Dostojewski in seinen Vorlesungen empfand ich recht erfrischend.

    N. konnte freilich auch schlichter. Über „Catch 22“ von Joseph Heller lässt er sich wie folgt aus: „Dieses Buch überflutet einen mit Kitsch, dialogischer Diarrhö, dem automatischen Ausstoß eines weitschweifigen Schreibmaschinenschreibers.“

    Da war ich kurz angeschlagen, da mich Catch 22 und alle weitere Bücher von Joseph Heller begeistern.

    Es wäre wissenswert, was er den von Kurt Schwitters & Co. gehalten hätte. Hat N. in seiner

    Herablassung diese Entwicklung etwa gar nicht wahr/ ernstgenommen?


    Überdies irgendwie generell vernachlässigt: Entwicklung N.s und seiner Kunst im Kontext

    gesellschaftlicher Verhältnisse und künstlerischer Strömungen und Entwicklungen.


    Fazit

    Im Klappentext des zweiten Bandes wird die Biographie eine „herausragende Biographie“ betitelt. Trotz meiner sinkenden Begeisterung beim Lesen (ab der zweiten Hälfte des zweiten Bands) und den obigen Nörgeleien kann ich diese Einschätzung in der Gesamtschau gelten lassen. Das Lesen war keine vertane Zeit.