Kirsten Boie - Heul doch nicht, du lebst ja noch

  • Klappentext

    Hamburg, Juni 1945: Die Stadt liegt in Trümmern. Mittendrin leben Traute, Hermann und Jakob. Der nennt sich allerdings Friedrich, denn niemand soll erfahren, dass er Jude ist. Als Hermann ihm dennoch auf die Spur kommt, will er nichts mehr mit Jakob zu tun haben. Schuld, Wahrheit, Angst und Wut sind die zentralen Themen dieses Buchs, dessen jugendliche Hauptfiguren durch die Schrecken des Krieges und der Naziherrschaft miteinander verbunden sind. Und für die es doch immer wieder Lichtblicke gibt.


    Über die Autorin

    Kirsten Boie ist eine der renommiertesten deutschen Kinder- und Jugendbuchautorinnen. Sie erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Sonderpreis des Deutschen Jugendliteraturpreises für ihr Gesamtwerk, das Bundesverdienstkreuz und die Hamburger Ehrenbürgerwürde.


    Mein persönliches Fazit

    Nur selten verirrt sich ein Jugendbuch in mein Bücherregal und es ist auch nicht der typische Lesestoff für mich. Im Buchladen gehe ich an dieser Abteilung auch immer vorbei. Aber manchmal gibt es doch das ein oder andere Exemplar, bei dem es mich sehr reizt. So wie bei diesem Buch. Allerdings trägt da Katharina Mahrenholtz vom NDR-Podacst eat read sleep eine kleine "Mitschuld". Denn das Buch wurde dort besprochen und sehr gelobt. Da war ich angefixt und wollte es unbedingt lesen.

    Und ich kann mich der begeisterten Meinung von Frau Mahrenholtz nur anschließen. Es ist ein fantastisches Jugendbuch.


    Erzählt werden die ersten Tage nach Kriegsende im zerstörten Hamburg aus der Sicht dreier Kinder. Sie stammen aus unterschiedlichen Verhältnissen und haben den Krieg und die Umstände daher auch unterschiedlich wahrgenommen. Aber es geht nicht nur um das hier und jetzt, sondern auch um das Gestern und das Morgen. Es ist ein kleiner Ausschnitt aus dem Alltag, der auf mich einen sehr intensiven und auch bedrückenden Eindruck gemacht hat. Vor allem Herrmann vermittelt einen guten Eindruck davon, mit welchem Weltbild die Kinder lange Zeit konfrontiert waren und wie fest die erlernten Ansichten sitzen.

    Der Schreibstil ist toll, einfühlsam und nicht überladen. Es vermittelt einen Eindruck dieser Zeit und lädt ein Fragen zu stellen, über die Thematik zu reden.

    Die Erklärungen am Ende des Buches finde ich sehr gut. Und auch ich als erwachsener Leser konnte noch etwas lernen bzw. musste ich etwas nachschlagen. Ich wusste zB nicht was ein Küchensofa ist und der Grünhöker sagte mir auch nichts. Lesen bildet also in jedem Fall :)


    ASIN/ISBN: 3751201637

  • Danke für die Rezension, das hört sich interessant an.


    Meine Oma hatte eine Riesenküche mit Küchensofa. Dort hat der Opa dann nach dem Sonntagsbraten immer ein Nickerchen gemacht. Leider kam er nicht aus dem Krieg zurück, so konnte ich ihn nie kennenlernen (und meine Mutter wuchs ohne Vater auf). :(

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

  • Meine Meinung zum Buch:


    Titel: Der Krieg ist vorbei und nun?


    Nachdem ich letztes Jahr "Dunkelnacht" mit großer Begeisterung gelesen habe und mich der Jugendroman zu Tränen rührte, war ich auf diesen hier mehr als gespannt.


    In der Geschichte geht es um Traute, Herrmann und Jakob, deren Kindheit nahezu nur aus Krieg bestand. Nun ist dieser vorbei. Doch was bedeutet das für ihr Leben? Wird nun alles schlagartig besser? Aber wie soll das gehen, wo doch ihre Heimatstadt Hamburg in Schutt und Asche liegt?


    Der Jugendroman bildet die Tage 22.06.1945 bis 29.06.1945 ab, also recht kurz nach der Kapitulation und wir begleiten die Kinder im steten Wechsel, denn zu Beginn der Geschichte kennen sich nicht gleich alle.


    Jedes Schicksal für sich ist sehr bewegend und dennoch hat mich am meisten Herrmann fasziniert und das nicht unbedingt aufgrund des verletzten Soldatenvaters, sondern weil er im Verlauf begreift, dass die Ideologie rein gar nichts gebracht hat, die ihm all die Jahre eingebläut worden ist. Wie er mit dieser Erkenntnis umgeht, das hat mich beeindruckt.


    Auch wenn die Geschichte nur gut 180 Seiten mit großer Schrift belegt, so lässt sich das nicht in einem Rutsch lesen, denn das Erzählte berührt und lässt einen immer wieder schlucken. Gerade in der aktuellen Zeit kann man die Schicksale von damals mit denen von heute vergleichen.


    Bei dem vorliegenden Buch sollte man sich meines Erachtens an die Altersangabe ab 14 Jahren halten, denn Jüngere könnten zum Einen Verständnisprobleme haben und zum Anderen zu sehr überrumpelt werden von der Härte der Geschichte.


    Begriffe und Ereignisse werden am Ende des Buches näher erläutert, was ich immer sehr hilfreich finde.


    Fazit: Ein enorm wichtiges Buch, was mit dafür sorgen wird, dass das Schreckliche von damals nie vergessen wird, auf dass dies nie wieder passieren mag. Ich habe es gern gelesen und empfehle es nur zu gern weiter.


    Bewertung: 10/ 10 Eulenpunkten

  • Heul doch nicht, du lebst ja noch


    Den Titel finde ich im Kontext gesehen unpassend, aber sonst ist der Jugendroman makellos gemacht.

    Das Kriegsende im Mai 1945 war natürlich ein Wechsel, der die Menschen auf verschiedene Weise erschütterte.

    Kirsten Boie nimmt Illusionen, daher ist es auch ein hartes Buch.

    Mich überzeugt das Konzept mit der Rollenanordnung der Kinder als Verfolgte, Mitläufer und möglicher Täter. Da sie wechselseitig in den Kapiteln betrachtet werden, erfährt man alle Perspektiven.


    Das Buch ist gut vergleichbar mit Kirsten Boies Erfolgsbuch Dunkelnacht und doch ist es auch ganz anders. Mir ist es nicht möglich zu sagen, welches Buch besser ist. Auf ihre Weise sind beide perfekt.

  • Ein Jugendbuch auch für Erwachsene


    Kirsten Boie beschreibt das Ende des 2. Weltkriegs in Hamburg aus der Sicht von drei Kindern/Jugendlichen.

    Und das auf eindringliche Art und Weise.

    Der Zeitraum in der Geschichte betrifft nur wenige Tage - aber diese verändern das Leben der Drei nachhaltig.

    Jede, jeder hat sein eigenes Schicksal mit dem er leben und fertig werden muss.

    Deutlich wird auch, dass sich das Leben von einem Tag zum anderen, von einer Stunde zur nächsten, komplett ändern kann.

    Die Beschreibungen sind eindrücklich und einprägsam.

    So wird z.B. aufgezeigt, welchen Wert, welche Rolle damals 1 Brot gespielt hat.

    Es stand für Leben und Tod - und heute wird ein Brot in den Müll geworfen, ohne groß einen Gedanken daran zu verschwenden.

    Dem Buch gelingt es auf wenigen Seiten ein Leben zu beschreiben, welches wir uns nicht mehr vorstellen können.

    Und von dem wir doch vielleicht gar nicht so weit entfernt sind.


    Mir wurde vielleicht ein paarmal zu viel böse geguckt oder geredet, aber das ist nur eine kleine Anmerkung.

    Insgesamt ein wichtiges Buch.

  • Hamburg, kurz nach Kriegsende. Das Leben normalisiert sich, soweit das nach diesem verheerenden Krieg möglich ist. Hamburg liegt in Schutt und Asche, es mangelt eigentlich an allem. Und auch für Traute, Herrmann und Jakob ist das Leben noch nicht wieder normal.


    Traute vermisst die Schule, will nicht immer allein sein und in der elterlichen Bäckerei helfen. Herrmann hadert mit seinem Schicksal, keine HJ mehr, wo alle zu ihm aufschauten, dafür den verbitterten Vater ohne Beine zu Hause. Und Jakob weiß nicht, wem er vertrauen kann, musste er sich doch die letzten Monate verstecken und hat niemanden gesprochen.


    Wir begleiten die drei abwechselnd durch ihren Alltag, wie sie aufeinandertreffen und erfahren wie sie denken. Man merkt gerade an ihnen wie viele Spuren die Erziehung der Nazis hinterlassen haben. Es dauert etwas, bis sie merken, dass nicht alles, was sie als Gewissheit gesehen haben, auch tatsächlich wahr war. Dass sie belogen wurden und die Briten nicht nur Falschinformationen verbreiten.


    Mir hat dieses Buch sehr gut gefallen. Die Entwicklung der drei Kinder ist toll gezeichnet, gerade bei Herrmann spürt man wie aus dem leichtgläubigen Kind ein denkender und hinterfragender Mensch wird. Aber auch Jakob und Traute verändern sich und werden spürbar erwachsener.


    Ich habe das Buch an einem Stück gelesen, bin eingetaucht in das kriegszerstörte Hamburg der unmittelbaren Nachkriegszeit. Zugeklappt habe ich es mit dem Wunsch, dass diese jungen Menschen es schaffen mögen sich ein gutes und selbst bestimmtes Leben aufzubauen.


    Von mir daher eine Leseempfehlung nicht nur für Jugendliche.