BAND I Biographie Brian Boyd - Vladimir Nabokov
Die Biographie glänzt mit recht eloquenten Formulierungen. Wie soll es auch anders sein, bei jemandem der Nabokovs gedrechselten Stil mag.
„Von der Neigung her hätte Russland am liebsten weitergeschlafen, sein Verstand und seine Muskeln dagegen strebten immer wieder zum Sprung nach vorn.“ (S. 72)
Eines von vielen schönen Bildern, die Boyd gebraucht. Ebenso bringt Boyd immer wieder anregende Wortkreationen in seinem Text unter, wie zum Beispiel „Verkleidungen machten die Winterzeit buntscheckiger.“
Trotz allem findet man in der Regel einen stringenten Text, der dicht am Thema ist und zugleich aber Kontexte ausführlich zur Geltung bringt. Er verliert sich nicht in mutmaßende und allzu vordergründige Bewunderung. Sie spricht emotional an und weiß zugleich immer nüchtern daherzukommen. Sie weist kontinuierlich Spannungsbögen auf, die aber nicht zu weit gespannt werden. Das Ziel zudem ein spannendes Buch zu schreiben ist augenscheinlich. Zum Glück wird jedoch auf eine überzeichnete Dramatisierung verzichtet. Recht ausgewogen.
Nach den besagten 400 Seiten trat dann jedoch zunehmend das ein, was ich am Anfang vermutete: ein sich verstärkender Fokus auf sein Werk.
Die Biographie trat nicht unerheblich in den Hintergrund und es entwickelte sich eine Art umfangreich kommentierte Bibliographie, bis dahin, dass sich ganze Kapitel ausschließlich den einzelnen Werken widmeten. Das kann oder muss nicht schlecht sein. Für jemanden, der von Nabokovs Werk jedoch noch nichts gelesen hat, wirkt es leicht irritierend, überladen. In der ersten Hälfte fanden sich ebenfalls Bezüge zum Schaffen (muss ja auch sein), jedoch in einem Maß, dass mir sehr zusagte. Sicherlich kann man diese zunehmende Fokusverschiebung als Anregungen zum Lesen von Nabokovs Werken begreifen. Schlicht formuliert: mir passten sie in ihrer Umfänglichkeit jedenfalls nicht in den Kram. Nachdem ich anfangs noch ganz diszipliniert alles gelesen habe, zeigte ich mich zunehmend ignorant und habe die Ausführungen zum Werk lediglich überflogen. Sie haben mich in keiner Weise für sein Werk eingenommen bzw. Neugier geweckt.
Weiterhin sind die Zwanziger Jahre Nabokovs in Deutschland recht unterbelichtet, insbesondere auch der Kontext, von der Emigrations-Enklave abgesehen, der zuvor immer ausführlich und plastisch geschildert wurde.
Überhaupt scheint sich Nabokov nach seiner Zeit in Russland zunehmend im „luftleeren Raum“ zu bewegen.
Im 13. Kapitel gibt der erste Satz eine recht genaue Beschreibung für das weitere Hauptaugenmerk der Biographie, auch über dieses Kapitel hinaus:
„Die wahre Geschichte von Nabokovs Kunst handelt davon, wie er seine formale und fiktionale Erfindungsgabe weiterentwickelte, um die von seiner Philosophie aufgeworfenen Probleme adäquat auszudrücken.“
Nabokov
Nabokovs Leben scheint sich mehrheitlich wie bei seinen Schmetterlingsraupen vollzogen zu haben. Abgeschirmt in einer Art Kokon. Teil der Welt, aber immer auf gewisse Weise, gleich in welchem Land, losgelöst. Emigrant halt – aber irgendwie noch etwas mehr.
Die Stufen seines Lebens werden akribisch chronologisch aufgefädelt – begleitet von seinem Werk. Was mir kaum begegnet oder ich vielleicht nicht recht erkennen konnte, ist die Entwicklung des Menschen Nabokov. Das Buch hat es nahezu überhaupt nicht vermocht, mir den Menschen Nabokov näherzubringen, gleich dem ob nun negativ oder positiv. Bis zum letzten Satz des ersten Bandes bleibt er für mich ein Neutrum. Als Mensch bleibt er mir fremd. Gerade weil Boyd meint, dass Nabokov nicht der aalglatte Schnösel ist, für den ihn wohl nicht Wenige gehalten haben, wäre es doch naheliegend gewesen, diesbezüglich einen Schwerpunkt in der Biographie zu setzen. Den kann ich leider nicht erkennen. Ich empfinde für Nabokov absolut nichts. Ich erfahre um die Umstände seines Lebens und seine Entwicklung als Künstler.
Unbesehen davon ist seine Odyssee schon eine außergewöhnliche und eben auch wieder nicht, wie die Situation der Emigranten-Zentren in Europa erkennen lassen.
Beziehungen zu seiner Frau oder seiner Mutter, werden bestenfalls angerissen. Thematisiert wohl kaum. Sehr schade. Für mich klafft dort eine erhebliche Lücke. Weiße Flecken treffen es wohl besser.
Und irgendwie wirkt Nabokovs unglaubliche Intelligenz auf mich etwas beängstigend bis hin zu verstörend.
Nabokov ist mir nach dem ersten Band schlichtweg ein Rätsel. Nicht mehr und nicht weniger. Meine Sympathien hat er nicht – aber auch nicht meinen Widerwillen.
Nabokovs Werk
Ist sicherlich sehr kleinkariert. Mir aber stieß es auf: Boyd usurpiert den Unbefangenen. Ist fragwürdig, denn wenn jemand befangen ist, ist es doch Boyd; was an sich ja vollkommen in Ordnung ist. Der Unbefangene, z. B. ich, fühle mich hier entgegen seinem Text-Erleben unzutreffend vor`s Loch geschoben.
Das Buch hat noch nicht angefangen und schon bin ich am Rumkritteln. Diese Wahrnehmung hätte ja nach dem weiteren Lesen verschwinden können. Tat es jedoch nicht. Das „Daraufbestehen“ Boyds, dass Navokov nicht so sehr in seinen Stil verliebt war, wie es durchaus anmuten kann, zieht sich subtil durch den gesamten ersten Band.
Hier behält er eine ähnliche Richtung bei.
„Weil sich seine stilistische Originalität so machtvoll offenbart, kommen manche zu dem Schluss, dass Nabokov lediglich Stil zu bieten habe.“ (S. 21)
Nach den reichlichen Zitaten des Bandes aus Nabokovs Werk, will ich nicht ausschließen, dass Boyd „richtig“ liegt. Mit seiner kontinuierlich zu findenden subtilen Feststellung, dass man nicht so sehr auf Nabokovs Stilfülle abstellen solle, drängt mich leicht dazu, Nabokov immer wieder mal gegen den Strich Boyds zu lesen.
Die zu lesenden Textstellen sind offensichtlich Belege für sein ausgeprägtes Sprachvermögen und die so oft angeführte dezidierte Beobachtungsgabe.
Mir sind die Textausschnitte zu verspielt. Man möchte fast meinen, dass er vom Lyrischen nur schlecht loskommt. Die Form kann man sicherlich bewundern. Sie ist dabei für nicht wenige ein formelles Hindernis. Ich erlebe seine Texte als zu gekünstelt. Und wenn er in seinen Novellen und Erzählungen dann eben tatsächlich Großes von sich gibt, werde ich wohl nicht in den Genuss kommen. Ist ja nicht verkehrt – eine schlichte Geschmacksfrage.
Etwas neugierig gemacht hat mich Die Gabe. Konkret das Entfalten eines Blumenstraußes von Geschichten, denen die Blüten fehlen und die erst im Schlusskonzert auf wundersame Weise erscheinen. Ein solcher Aufbau hat mich bereits einmal bei Tante Julia und der Kunstschreiber von Mario Vargas Llosa begeistert.
„Nabokovs Prosa war von Natur aus geschmeidig und elegant. (…) Aber eine hochentwickelte Empfindlichkeit passt nicht auf die Bühne.“
Hierin besteht für mich ein Kern, der mir den Weg zum Werk vermutlich versperren wird: „hochentwickelte Empfindlichkeit“ die durch Nabokov nicht wieder ins weltliches Bild gesetzt wird / werden kann. . . . oder eben auf die Bühne.
Stückwerk
„Nabokov macht die Probleme der Metaphysik wieder dringlich.“ S. 518
Effizienter ist ein Sachverhalt wohl kaum auf einen Punkt zu bringen.
„Für Nabokov irrte sich der gesunde Menschenverstand am meisten darin, dass er das Leben als einen Kampf um den Vorteil auffasste, als ein globales Monopolybrett.“ S. 476
Schön formuliert, aber nahezu eine Floskel, die man wohl fast jeden, wenn nicht Intellektuellem, so doch jedem Künstler anheften darf.
Der Titel eines Vortrages von Nabokov: „Dostojewski ohne Dostojewski-itis“ S. 587
Eventuell ein Hinweis darauf, dass Nobokov auch zu Zeiten, da die Notwendigkeit der Profilierung für ihn nicht so vordergründig bestand, bereits etwas angenervt war von dem Zirkus der in den zwanziger Jahren ja besonders intensiv um Dostojewski gemacht wurde, aber auch von Dostojewskis überzogene Theatralik. Den Vortragstitel (vermutlich auch dessen Inhalt) sehe ich mit den Texten Nobokovs Vorlesungen über Dostojewski auf einer Stufe stehen.
Fand ich hochinformativ:
„ . . . das russische Historische Archiv – jenen erstklassigen Hort an Emigrationsmaterial, den die sowjetischen Truppen später konfiszierten . . .„
Die Schönheit des oft angeführten Titels von Nabokovs Erinnerungen „Erinnerung, sprich“ wurde mir erst nach ca. 200 Seiten richtig bewusst. Inzwischen steht für mich fest, dass es keine Biographie mit einem schöneren und zugleich prägnanteren Titel wird geben können. Die Inkarnation eines lyrischen Imperativs.
Aber alles was sich unter diesem Titel verbirgt, wird sich mir wohl nicht offenbaren können. Ich werde es nicht lesen.
„Er wollte nicht seinen Reichtum zur Schau stellen, sondern weigerte sich nur, die Unterschiede zu vertuschen.“ S. 148
Ein in meinen Augen ein extrem angenehmer Wesenszug. Bis zum heutigen Tage findet solche Nüchternheit (mehr ist es ja nicht) gesellschaftlich keinen Anklang, geschweige denn Akzeptanz. Mit Armen muss man gemeinsam traurig sein und sie bedauern. Mit Reichen hingegen darf man sich nicht zusammen freuen und sie beneiden. Bigotterie vom Feinsten.
„Als Autor oder Übersetzer allerdings widmete er sich der russischen Literatur, wie er sie nicht einmal für seine geliebten Shakespeare oder Flaubert aufgebracht hätte.“ S. 53
Nimmt man Boyd beim Wort, könnte man für die Annahme einen Anhaltspunkt haben, dass Nabokovs Dostojewski-Verriss nicht nur die Projektionsfläche zur eigenen Profilierung gewesen ist. Er hätte es doch nie auf sich genommen, vermeintlich stillos und zudem Substanz vermissend, Dinge von sich zu geben. So jedenfalls derzeit ein Gedanke von mir – aber Band II und damit der entsprechende Kontext steht ja noch aus.
“Proletarier aller Länder, tretet auseinander. Die alten Bücher sind im Irrtum. An einem Sonntag wurde die Welt geschaffen.“ S. 145
Solche Knaller erwärmen mein Herz - nein - Geist. Sie sind soo schöön!
Fazit
Was mich für das Buch einnimmt, ist das Buch; nicht jedoch Nabokovs Vita, sein Werk oder seine Entwicklung als Schriftsteller.