'Mehr als die Erinnerung' - Seiten 267 - Ende

  • Über Weiß hätte ich, genau wie chiclana, tatsächlich gern mehr erfahren - ich bin da vielleicht etwas extrem, aber für mich ist es gerade bei Büchern mit so schweren Themen extrem wichtig, zu verstehen, wie jeder einzelne gehandelt hat. Das schränkt mich auch bei Krimis häufig stark ein, weil mir "Serienmörder weil böse" einfach zu wenig ist.

    Ja, das ist mir auch zu wenig, wenn Serienmörder einfach "böse" sind.


    Auch wenn ich nicht alles in die Romane schreiben kann, weil es sonst ggf. den Rahmen sprengen würde - Doktor Weiß war jemand, der von seinen Eltern nur Anerkennung für Leistung bekam - er fühlte sich oft hilflos und sehnte sich danach, etwas Besonderes zu sein. Und diese Hilflosigkeit wollte er mit Macht kompensieren. Als Psychiater hat er sich dann den Kranken überlegen gefühlt und wollte ein wenig Gott spielen - um seine eigenen Minderwertigkeitskomplexe zu überspielen. Er hat sich in den Rückblenden ja auch immer an Bernhard herangemacht, weil er eigentlich dessen Zuwendung wollte. Wolfgang war ihm da eher egal. Aber Bernhard hatte viel von dem, was Weiß selbst gern gehabt hätte. Eine intelligente Frau, eine gute Familie, einen Schwiegervater, der eine eigene Klinik betrieb. Dieses Gefühl hat Weiß dann nachher auch dazu gebracht, in Gut Mohlenberg unterzukommen. Und der Versuch, ausgerechnet Bernhard, der jetzt ja so schwer beeinträchtigt war, in seinem Sinne zu manipulieren, hat ihm eine sadistische Genugtuung gegeben. Allerdings war Bernhard am Ende trotz seiner Behinderung noch immer mental stärker. Er hat Weiß doppelt besiegt - geistig, weil es nicht so ganz mit der Manipulation klappte - und auch dadurch, dass Weiß nicht damit durchgekommen ist. Der Schuss, mit dem er Bernhard tötete, tötete Weiß ja im Grunde auch als Charakter. Weil Bernhard verantwortungsvoll mit seinem Pferd umgegangen ist, das von den Granatangriffen traumatisiert war und es nach Hause schickte, konnte es nur dazu kommen, dass das Pferd dann nach dem Schuss durchdrehte und Weiß den Schädel eingetreten hat. Somit hat Weiß geerntet, was er gesät hat - aber vorher leider sehr viel Unheil über andere Menschen gebracht, weil ihm Menschenleben nichts wert waren. Das waren nur Mittel zum Zweck. Er hat als narzisstisch missbrauchtes Kind, das die Eltern nicht um seiner selbst willen liebten, nie Empathie mit anderen gelernt. Bernhard hatte davon hingegen sehr viel und die steckte so tief in ihm, dass sie auch blieb, als er alles andere verloren hatte.

  • Danke, so etwas in der Art hatte ich mir auch vorgestellt.


    Und ja, das Schicksal, was du ihn am Ende erleiden lässt, war wirklich in mehrerer Hinsicht befriedigend, zum einen natürlich, weil es unerwartet kam (der Tritt durch Wotan), zum anderen, weil Bernhard so zwar den Roman nicht überlebt (im Gegensatz zu Weiß), aber trotzdem der Sieger ist.

  • Weiß wird das Brot essen müssen für das er da Korn gelegt hat. Was ich mich frage - sind wir heute wirklich so viel weiter? Wie viele Menschen sind heute noch der Ansicht, dass es einfach nicht gehe mit der Euthanasie aber eigentlich wäre es doch wenn es das noch gäbe für die Betroffenen eine Erleichterung und die armen Eltern. Allein der Gedanke an Sexualität und Down- Syndrom schreckt viele Menschen ab.

  • Ich wollte das Buch ja eigentlich in der Leserunde lesen, aber ich habe es in einem Rutsch in einem Tag ins einer halben Nacht gelesen und zunächst keine Möglichkeit gesehen mich darüber auszutauschen, weil mir manche Passagen sehr nahe gingen. Einer meiner Onkels und einer meiner Cousins sind unter den Nationalsozialisten „an Lungenentzündung“ verstorben. Sie waren in der Familiengeschichte immer die nicht erwähnten, nicht stattgefundenen Angehörigen. Erst als ich in der Lage war Originaldokumente einzusehen sprach dann der eine oder andere, aber erst fünfzig Jahre nach den Ereignissen.

  • Eben habe ich diese erschütternde Dokumentation angeschaut.

    Hier wird auch gezeigt, wie man Menschen dazu bringen kann, andere zu ermorden.

    Wie Rechtfertigungen vor sich selbst gefunden werden.

    Wie ein Gewöhnungseffekt eintreten kann.

    Wie die Menschen abstumpfen.

    Was Macht aus manchen macht.


    Manche Szenen sind unerträglich.

    Ganz normale Männer - Der "vergessene Holocaust" - ZDFmediathek

  • Ich habe das Buch gestern Abend auch beendet. Ich muss gestehen, das Ende war für mich echt hart und völlig überraschend, also ich habe wirklich nicht mit Bernhards Tod gerechnet und habe mich auch beim Zuklappen gefragt, musste das jetzt unbedingt sein.

    Ich fand es wirklich ein sehr gutes Buch, das angenehm zu lesen war: Geschichte sehr spannend, Thematik absolut interessant, angenehmer Schreibstil, Figurenzeichnung so, dass man sich reinversetzen konnte.

    Ich habe es wirklich gerne gelesen.

    Total schön und rund fand ich, dass das Buch mit den Worten "(...) ihr blieb mehr als die Erinnerung" endet.

    Schon auf S. 273 fielen mal die Worte "mehr als die Erinnerung".

    Wie kam der Titel, den ich wunderbar und absolut passend finde, zustande? Beim Schreiben oder war da vorher schon eine Tendenz in diese Richtung?

  • Das Thema der Polizeibataillone und der Verbrechen in Polen habe ich in Hafenschwester 3 u.a. als Thema.

  • Weiß wird das Brot essen müssen für das er da Korn gelegt hat. Was ich mich frage - sind wir heute wirklich so viel weiter? Wie viele Menschen sind heute noch der Ansicht, dass es einfach nicht gehe mit der Euthanasie aber eigentlich wäre es doch wenn es das noch gäbe für die Betroffenen eine Erleichterung und die armen Eltern. Allein der Gedanke an Sexualität und Down- Syndrom schreckt viele Menschen ab.

    Ja, deshalb war es mir auch so wichtig, die Sexualität reinzubringen und auch den massiven Verlust, den Friederike am Ende spürt. Oftmals wird einem mehr durch den Verlust bewusst, wie wertvoll jemand ist.

    Total schön und rund fand ich, dass das Buch mit den Worten "(...) ihr blieb mehr als die Erinnerung" endet.

    Schon auf S. 273 fielen mal die Worte "mehr als die Erinnerung".

    Wie kam der Titel, den ich wunderbar und absolut passend finde, zustande? Beim Schreiben oder war da vorher schon eine Tendenz in diese Richtung?

    Ja, das war schon der Arbeitstitel und ich probiere dann immer, die Titel auch mal an kleinen versteckten Stellen im Buch einzubauen. Freut mich sehr, dass dir das gefiel.

  • Ich habe übrigens in einem anderen Roman - Die verstummte Liebe - das Experiment gemacht, wie aus einer total liebenswerten, netten, sympathischen Frau eine verbitterte und ungerechte alte Frau wird. Das ist bei den meisten gut angekommen, aber einige Leserinnen fanden es blöd, dass die Heldin am Ende so unsympathisch geworden ist.

    Welches ist es? Mich interessiert das schon, weil ich Verwandtschaft habe, die total verbittert hat und ich das mal verstehen möchte oder einen Weg dorthin lesen möchte um zu verstehen.


  • Wie habt ihr Doktor Weiß erlebt und Viktor Brunner?


    Ja, Doktor Weiß war wirklich sehr sehr heftig in seinen Ansichten, jedoch absolut wegweisend.

    Hier fand ich ich auch den Verweis im Nachwort toll, dass 1920 das Buch von Binding und Hoche erschienen ist. Im Endeffekt sieht man, dass Grundlagen für Ansichten und Meinungen schon viel früher existierten, durch die Nazis dann fest verankert wurden.

    Aber man muss sich ja nur den ganzen Antisemitismus anschauen, der ist auch viel älter.

    Schlimm und erschreckend ist, dass man wieder mal sieht, wie die menschliche Natur sein kann, in Hinblick auf Macht und Machtausübung.

    Dass der Doktor auf Bernhards Frau neidisch ist, erkennt man schon bei diversen Gesprächen zwischen Weiß und Friedrike. Hier hatte ich immer die Vermutung, dass Weiß sich Friederike dahingehend mal nähert.

    Am Ende hatte er eigentlich sein gerechtes Ende und nun sollte er aufpassen, dass er nicht jemandem wie seinem vorherigen Ich begegnet.


    Viktor Brunner: Schrecklich, was ihm vom eigenen Vater angetan wird, vor allem noch die Katze, die zum Schlüsselreiz wird. Grauenhafte Szene. Bei der Beschreibung, wie er Juliane töten will, habe ich mir die Frage gestellt, war das Böse schon vorher in Viktor, das durch den Missbrauch dann zum Vorschein kam oder ist er durch Missbrauch so geworden? Er beschreibt ziemlich eingehend, dass er im Krieg nicht das Töten lernen musste, sondern genossen hat.


    Toll fand ich, wie über Bernhard nochmal auf den Punkt gebracht wird: "hatte sich im Gegensatz zu einem scheinbar geistig gesunden Mann wie Viktor nicht von Doktor Weiß manipulieren lassen".

    Und ja, Viktor Brunner, aber Doktor Weiß sind scheinbar äußerlich gesund, sind aber innerlich derart "krank" und kompensieren, indem sie über andere Macht ausüben.

    Also Viktor Brunner macht es ja ähnlich wie der Doktor.

  • Ja, das war schon der Arbeitstitel und ich probiere dann immer, die Titel auch mal an kleinen versteckten Stellen im Buch einzubauen. Freut mich sehr, dass dir das gefiel.

    Echt super! Schon von Anfang an den Titel so im Kopf und dann als roten Faden.

    Für mich war das so mit diesen Schlussworten eine absolut runde und stimmige Sache, sozusagen die ersten Worte, die ich vom Buch lese, waren auch die letzten.

  • Was ich mich frage - sind wir heute wirklich so viel weiter?

    Diese Frage habe ich mir auch beim Lesen sehr oft gestellt.

    Schon viele gesunde Menschen haben ein Problem, wenn eine Person krank wird und das eben nicht nur ein Schnupfen ist, sondern war gravierendes und sich dann als chronische Erkrankung herausstellt.

    Viele können mit der Auseinandersetzung von Krankheit und Tod nur schlecht bis gar nicht umgehen.

    Dahingehend fand ich die unbegrenzte Liebe von Friedrike Bernhard gegenüber sehr beeindruckend. Toll, wie sie weiter zu ihrem Mann hält und steht.

  • Welches ist es? Mich interessiert das schon, weil ich Verwandtschaft habe, die total verbittert hat und ich das mal verstehen möchte oder einen Weg dorthin lesen möchte um zu verstehen.

    Es heißt tatsächlich "Die verstummte Liebe", wie ich es in dem Posting schon hatte. Gehört zur Reihe der Leisen Helden - ist ein Seitenableger, den man entweder als erstes Buch (chronologisch) oder als letztes Buch lesen kann.

    Viktor Brunner: Schrecklich, was ihm vom eigenen Vater angetan wird, vor allem noch die Katze, die zum Schlüsselreiz wird. Grauenhafte Szene. Bei der Beschreibung, wie er Juliane töten will, habe ich mir die Frage gestellt, war das Böse schon vorher in Viktor, das durch den Missbrauch dann zum Vorschein kam oder ist er durch Missbrauch so geworden? Er beschreibt ziemlich eingehend, dass er im Krieg nicht das Töten lernen musste, sondern genossen hat.

    Viktors psychische Entwicklung wurde schon als Kind massiv geschädigt durch diesen Missbrauch. Es gibt kein Böses im Menschen von Geburt an, sondern es gibt nur Ereignisse, die dazu führen, dass Menschen bestimmte Abwehrstrategien entwickeln, um damit klar zu kommen. Manche fühlen sich dann einfach besser, wenn sie die Aggressionen, die sie selbst erleiden mussten und empfinden, dann an andere weiter geben können. Meist ist das aber nur eine kurze Entlastung. Wenn man es vom neutralen Standpunkt aus betrachtet, sind diese Verhaltensweisen Versuche der Psyche, wieder ins Gleichgewicht zu kommen. Nur bewerten wir sie moralisch als verwerflich, wenn sie dabei anderen schaden. Wenn Viktor nie von seinem Vater missbraucht worden wäre, hätte er vermutlich nicht diese Freude an der Gewalttätigkeit entwickelt.

    Dahingehend fand ich die unbegrenzte Liebe von Friedrike Bernhard gegenüber sehr beeindruckend. Toll, wie sie weiter zu ihrem Mann hält und steht.

    Wobei Bernhard es ihr aber auch leicht gemacht hat - er war ja im Umgang weiterhin liebenswert und verhältnismäßig pflegeleicht. Das hat ihr erlaubt, eher das Positive zu sehen, was ihr geblieben ist. Wenn er ständig bockig und quengelig oder gar aggressiv-distanzlos geworden wäre, hätte das sicher anders ausgesehen.

  • Es heißt tatsächlich "Die verstummte Liebe", wie ich es in dem Posting schon hatte. Gehört zur Reihe der Leisen Helden - ist ein Seitenableger, den man entweder als erstes Buch (chronologisch) oder als letztes Buch lesen kann.

    Ach, dann hab ich das nicht verstanden :bonk

    Ist notiert.

  • Was für ein Ende 8|


    Ich musste das Buch heute in der Früh unbedingt fertiglesen und - Gleitzeit sei Dank - bin ich dann erst mit einem späteren Bus in die Arbeit gefahren :lache


    Das Bernhard wirklich stirbt, war für mich nicht vorherzusehen. Danke MelanieM für deine zahlreichen Erläuterungen. Die machen das für mich dann wieder schlüssig.


    Das Ende kam mir ein bisschen zu plötzlich. Ich hätte mich darüber gefreut, mehr über die Manipulation von Viktor durch Herrn Dr. Weiß zu lesen. Für die Konsequenzen die sie hatte, war es mir etwas zu wenig um das schlüssig nachvollziehen zu können. Mir ist natürlich bewusst, dass das Auslösen von Schlüsselreizen sehr schnell sehr gravierende Handlungen nach sich ziehen kann, trotzdem wären mir ein paar Worte mehr dazu lieber gewesen. Auch ging es mir der Entwicklung von Juliane etwas zu rasch. Sie wandelt sich doch recht zügig von einer gebrochenen Persönlichkeit in eine selbstbewusste Frau. Ich bin gespannt ob wir sie in die Teil zwei wiedersehen und was dann aus ihr wird.


    Schade, dass wir am Ende von Walter kaum noch etwas mitbekommen, wo er doch eine zentrale Figur war.


    Alles in allem eine wunderbare Geschichte, die mich hat in eine andere Welt abtauchen lassen. Das war definitiv nicht mein letztes Buch von dir liebe MelanieM

  • Das Ende kam mir ein bisschen zu plötzlich. Ich hätte mich darüber gefreut, mehr über die Manipulation von Viktor durch Herrn Dr. Weiß zu lesen. Für die Konsequenzen die sie hatte, war es mir etwas zu wenig um das schlüssig nachvollziehen zu können. Mir ist natürlich bewusst, dass das Auslösen von Schlüsselreizen sehr schnell sehr gravierende Handlungen nach sich ziehen kann, trotzdem wären mir ein paar Worte mehr dazu lieber gewesen. Auch ging es mir der Entwicklung von Juliane etwas zu rasch. Sie wandelt sich doch recht zügig von einer gebrochenen Persönlichkeit in eine selbstbewusste Frau. Ich bin gespannt ob wir sie in die Teil zwei wiedersehen und was dann aus ihr wird.

    Das ist immer eine Gratwanderung - wenn der Höhepunkt erreicht ist, wie lässt man ausklingen? Ich habe mich entschieden, ganz bei Friederike und ihrer Trauer zu bleiben, die alles andere überdeckt. Ich hatte die Befürchtung, wenn ich nun, nach diesem Schock, noch zu viel erkläre, nimmt es den Gefühlen die Kraft. Zudem ist es ja auch für Friederike und ihre Freunde so, dass offene Fragen bleiben und sie vieles nicht erfahren, was es noch mal wieder deutlicher macht, wie viel sie verloren haben und wie schwer der Umgang damit wird.

    Von Walter (dann als Wolfgang) und Juliane wird man auch in den nächsten Bänden hören. Ich spoiler schon mal - weil das gleich auf den ersten Seiten in Band 2 geklärt wird - zwischen Band 1 und Band 2 haben Wolfgang und Juliane geheiratet ;-)


    Juliane war ja eigentlich schon immer auch eine selbstbewusste Frau und nicht nur das Opfer. Das wurde ja bei der Tanzveranstaltung in Hannover deutlich, als sie mit dem jungen Mann über Automobile etc. sprach. Aber sie litt ja unter diesem unerklärlichen Trauma der Verdrängung. Als die Verdrängung aufgelöst war, konnte sie das irgendwann in Worte fassen und sie hatte Friederike als Vorbild. Deshalb konnte sie Viktor an der Tür abweisen. Sie dissoziierte dann nicht mehr. Als Viktor sie umbringen wollte, geriet sie noch mal in so eine Schockstarre, allerdings diesmal bei vollem Bewusstsein, nicht wieder in der Dissoziation wie beim Missbrauch. Da hatte sie schon viel erreicht. Und natürlich war es ein Schock, als ihr Bruder dann tot war, aber gleichzeitig hatte sie ja gesehen, dass es Notwehr war und war auch erleichtert, dass Bernhard sie gerettet hat. Das hat sozusagen dem Heilungsprozess noch mal einen Schub gegeben. Sie konnte die hilflose Opferrolle abstreifen, weil sie noch relativ viele starke, gesunde Anteile hatte.

    Alles in allem eine wunderbare Geschichte, die mich hat in eine andere Welt abtauchen lassen. Das war definitiv nicht mein letztes Buch von dir liebe MelanieM

    Das freut mich sehr.

  • wow, was für ein Ende. Bernhards Tod hat mich auch sehr mitgenommen. Aber die Erläuterung passt. Wobei mir das Buch auch mit einem anderen Ende in Erinnerung geblieben wäre.

    Ich habe auch so ab der Mitte (gefühlt) vermutet, dass Bernhard sterben könnte. Hab es dann aber wieder beiseite geschoben, weil ich fand, dass das Buch eben NICHT wie andere ist und hier nicht der Mann sterben muss, um der Frau ein erfülltes Leben zu ermöglichen. Ich glaube, dieses Gefühl begann, als die beiden ihr Sexleben wieder aufgenommen haben. Ich hatte mich, ehrlich gesagt, total darauf eingestellt, im nächsten Roman wieder von dieser ungewöhnlichen Liebe/Ehe zu lesen. Mit Kindern und mit einem Bernhard, der durch seine Art, alles genau auf den Punkt zu bringen, eben anders ist, als andere männliche Sidekicks. Bin also die Fraktion, die schon mit seinem Überleben hätte leben können. Natürlich ist das nur einen Leserinnen-Meinung, denn die Entscheidung trifft die Autorin und die akzeptiere ich dann so. Das Dr. Weiß jetzt selber ein "Irrer" ist, finde ich keine besondere Genugtuung. Ich hätte ihn lieber im Vollbesitz seiner Fähigkeiten lebenslang im Gefängnis gesehen.



    Aber dieser Schockmoment war wichtig, auch wenn mir das Schreiben wahnsinnig schwer gefallen ist, weil ich Bernhard wirklich gern mag.

    Ich schreibe ja selber - nur für mich. Und ich weiß, was du meinst. Bei meinem ersten Werk habe ich nämlich auch den Hauptdarsteller "abgemurkst" und meine "Testleser" fanden das doof. :grin


    Ich fand alles schlüssig, nur Walter hatte mir am Ende zu wenig Präsenz. Er muss ja auch unter Bernhards Tod gelitten haben, er war ja schließlich sein Freund.

    Schlüssig fand ich es auch. Mir ging es fast etwas zu schnell. Und ja, deshalb hätte ich Walter gerne auch noch ein bisschen mehr in einem Gespräch mit Freedericke gehabt. Schön war, dass Juliane so gut aus dem ganzen Schlamassel rauskam und am Ende Friedericke bei ihrer Trauer helfen kann.


    Ist es denn wirklich möglich - also nach wissenschaftlicher Erkenntnis - einen anderen Menschen in so kurzer Zeit so zu triggern/zu beeinflussen, dass er einen anderen umbringen will. Das war so frappierend - und gut beschrieben - wie das bei Viktor geklappt hat.

    Hollundergrüße :wave



    :lesend


    Heumahd - Susanne Betz


    (Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin,

    daß er tun kann, was er will,

    sondern daß er nicht tun muß,

    was er nicht will - Jean Rousseau)

  • ich habe ja selbst mal an einer Hotline gearbeitet und da wurde auch erwartet, dass wir Probleme lösen. An vielen Hotlines wird das heute nicht erwartet, da soll das Problem nur aufgenommen werden, lösen soll es wer anders.

    Ich habe mit Hotlines durchaus positive Erfahrungen. Zuletzt beim Versuch, meiner Mutter einer neuen Drucker einzurichten. Ich hatte so was noch nie selber gemacht und hab mich ziemlich angestellt. Außerdem ist es technisch kniffelig gewesen - ohne Details. Aber die Hotline-Dame war so was von nett. Die hat sich wirklich ewig mit mir abgegeben. Sogar nochmal angerufen, nachdem ich auf ihre Empfehlung das Wlan ge-rebootet hatte. Wirklich sehr geduldig die Frau. :lache

    Hollundergrüße :wave



    :lesend


    Heumahd - Susanne Betz


    (Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin,

    daß er tun kann, was er will,

    sondern daß er nicht tun muß,

    was er nicht will - Jean Rousseau)

  • Um noch mal auf das eigentliche Thema der Leserunde zurückzukommen - wie gefiel euch denn der letzte Abschnitt abgesehen von Bernhards Tod?

    Wie habt ihr Doktor Weiß erlebt und Viktor Brunner?

    Viktor Brunner und seine Reaktionen fand ich sehr gut nachvollziehbar. Ich hätte mir vorstellen können, dass man auch aus der Sicht von Weiß noch etwas genauer auf diesen Prozess eingegangen wäre. Also z.B. dass er nochmal alles schriftlich festgehalten hat oder Gespräche mit Viktor nochmal genauer beschrieben. Es ging mir etwas schnell mit seiner Entscheidung, die ja doch ziemlich dramatisch ist. Nicht jeder Vergewaltiger will schließlich seine Schwester sofort umbringen. Aber spannend war es durch das hohe Tempo allemal.

    Hollundergrüße :wave



    :lesend


    Heumahd - Susanne Betz


    (Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin,

    daß er tun kann, was er will,

    sondern daß er nicht tun muß,

    was er nicht will - Jean Rousseau)

  • Viktors psychische Entwicklung wurde schon als Kind massiv geschädigt durch diesen Missbrauch. Es gibt kein Böses im Menschen von Geburt an, sondern es gibt nur Ereignisse, die dazu führen, dass Menschen bestimmte Abwehrstrategien entwickeln, um damit klar zu kommen. Manche fühlen sich dann einfach besser, wenn sie die Aggressionen, die sie selbst erleiden mussten und empfinden, dann an andere weiter geben können. Meist ist das aber nur eine kurze Entlastung. Wenn man es vom neutralen Standpunkt aus betrachtet, sind diese Verhaltensweisen Versuche der Psyche, wieder ins Gleichgewicht zu kommen. Nur bewerten wir sie moralisch als verwerflich, wenn sie dabei anderen schaden. Wenn Viktor nie von seinem Vater missbraucht worden wäre, hätte er vermutlich nicht diese Freude an der Gewalttätigkeit entwickelt.

    Aber man könnte die Reihe ja fortsetzen und fragen, was hat seinen Vater dazu gebracht, ihn zu missbrauchen. Wird da nicht wieder beim Täter entschuldigt, er konnte ja nicht anders, da er ja diese Erfahrung des Missbrauchs schon gemacht hat? Ist denn nicht jeder irgendwann für seine Handlungen verantwortlich, kann man immer alles mit der Vergangenheit entschuldigen? Dann wäre ja oft auch die Täter der Naziherrschaft mit irgendwelchen psychischen Schäden und Kindheitstraumen zu entschuldigen?