Hier kann zu den Seiten 267 - Ende (Kapitel 30 - Nachwort) geschrieben werden.
'Mehr als die Erinnerung' - Seiten 267 - Ende
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Ich bin am Ende des Buches angelangt und leider ist genau das eingetroffen, was ich so ab der Hälfte des Buches immer mehr befürchtet habe.
Sehr schade.
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Ich hoffe, du bist jetzt nicht so geschockt, dass du nichts weiter mehr dazu sagen kannst - mich würde vor allem interessieren, ab wann du das im 3. Abschnitt befürchtet hast.
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Ich hoffe, du bist jetzt nicht so geschockt, dass du nichts weiter mehr dazu sagen kannst - mich würde vor allem interessieren, ab wann du das im 3. Abschnitt befürchtet hast.
Doch, eigentlich schon.
Und irgendwie auch enttäuscht, sorry.
Das war so ungefähr ab dem Zeitpunkt als Bernhards Beschützerinstinkt immer wieder betont wurde. Und die große Liebe die Rieke für ihn empfindet. Ich meine, das fing schon im 3. Abschnitt an, kann es aber nicht mehr zu 100% sagen.
Da schlich sich bei mir der Gedanke ein, dass das nicht gut enden wird................
Das Ende macht mir gerade echt zu schaffen.......war es denn wirklich nötig, Bernhard sterben zu lassen?
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Aber so ist das nun mal........nicht jedes Buch endet so, wie man es sich wünscht.
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Das Ende macht mir gerade echt zu schaffen.......war es denn wirklich nötig, Bernhard sterben zu lassen?
Aber so ist das nun mal........nicht jedes Buch endet so, wie man es sich wünscht.
Ich antworte dir zu deinem Spoiler auch mal in einer Spoiler-Antwort.
Es war notwendig für den Roman, dass Bernhard stirbt. Denn die meisten Bücher, wo die Heldin sich um den verletzten Mann kümmert, enden damit, dass er stirbt und es dann für sie eine Befreiung ist. Sie kann sich nun der neuen Liebe zuwenden, ohne schuldig geworden zu sein, ihn verlassen zu haben.
Dadurch, dass Bernhard am Ende stirbt und eine riesige Lücke hinterlässt, dass sogar die Leserinnen massiv um ihn tauern - und ich habe das selbst mit Tränen in den Augen geschrieben - bleibt die Geschichte haften. Jeder Mensch ist wertvoll. Jedes Leben ist wertvoll.
Hätte Bernhard überlebt, wäre es ein zuckersüßes Happy-End geworden, aber das Buch wäre dann auch schnell vergessen und wie ein Märchen abgehakt. Die eigentliche Aussage - jeder Mensch ist wertvoll - wäre nicht so spürbar geworden.
Und deshalb musste Bernhard sterben und es musste sehr weh tun. Es musste ein Verlust sein, keine Befreiung. Weil das die Kernaussage dieses Buches ist.
Ich denke, deshalb hat es auch den Delia Literaturpreis bekommen.
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Vielen Dank für deine Erläuterungen, MelanieM
In Mehr als die Finsternis ist es dafür dann nicht mehr so traurig. Da kann man auch wieder mal lachen.
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Das Ende macht mir gerade echt zu schaffen.......war es denn wirklich nötig, Bernhard sterben zu lassen?
Ich antworte dir zu deinem Spoiler auch mal in einer Spoiler-Antwort.
Es war notwendig für den Roman, dass Bernhard stirbt. Denn die meisten Bücher, wo die Heldin sich um den verletzten Mann kümmert, enden damit, dass er stirbt und es dann für sie eine Befreiung ist. Sie kann sich nun der neuen Liebe zuwenden, ohne schuldig geworden zu sein, ihn verlassen zu haben.
Aber Rieke hatte ja eigentlich gar nie den Wunsch Bernhard zu verlassen......
Dadurch, dass Bernhard am Ende stirbt und eine riesige Lücke hinterlässt, dass sogar die Leserinnen massiv um ihn tauern - und ich habe das selbst mit Tränen in den Augen geschrieben - bleibt die Geschichte haften. Jeder Mensch ist wertvoll. Jedes Leben ist wertvoll.
Auf jeden Fall, aber für diese Erkenntnis "müsste" ein Mensch nicht sterben.........
Hätte Bernhard überlebt, wäre es ein zuckersüßes Happy-End geworden, aber das Buch wäre dann auch schnell vergessen und wie ein Märchen abgehakt. Die eigentliche Aussage - jeder Mensch ist wertvoll - wäre nicht so spürbar geworden.
Gut, es hätte dann nicht diesen Showdown gebraucht, bzw. mit ihm wäre es evtl. zuckersüß geworden.
Und deshalb musste Bernhard sterben und es musste sehr weh tun. Es musste ein Verlust sein, keine Befreiung. Weil das die Kernaussage dieses Buches ist.
Ja, für mich kommt das eher als "Ungerechtigkeit" rüber..........das sind jetzt so einfach meine spontanen Eindrücke nach dem Ende. Und ich denke, auch das ist für dich vielleicht interessant.
Ich denke, deshalb hat es auch den Delia Literaturpreis bekommen.
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Hab dir jetzt nochmal im Spoiler geantwortet.
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Vielen Dank. Ich antworte mal im Spoiler zurück:
Es war notwendig für den Roman, dass Bernhard stirbt. Denn die meisten Bücher, wo die Heldin sich um den verletzten Mann kümmert, enden damit, dass er stirbt und es dann für sie eine Befreiung ist. Sie kann sich nun der neuen Liebe zuwenden, ohne schuldig geworden zu sein, ihn verlassen zu haben.
Aber Rieke hatte ja eigentlich gar nie den Wunsch Bernhard zu verlassen......
Rieke hatte nie den Wunsch, Bernhard zu verlassen. Ich bezog das auf die klassischen Romane dieses Genres - die mit dem Tod als Befreiung enden - und dieses Klischee wollte ich absichtlich brechen.
Dadurch, dass Bernhard am Ende stirbt und eine riesige Lücke hinterlässt, dass sogar die Leserinnen massiv um ihn tauern - und ich habe das selbst mit Tränen in den Augen geschrieben - bleibt die Geschichte haften. Jeder Mensch ist wertvoll. Jedes Leben ist wertvoll.
Auf jeden Fall, aber für diese Erkenntnis "müsste" ein Mensch nicht sterben.........
Das Leben ist nun mal nicht gerecht. Aber Friederike lernt auch, das zu schätzen, was sie gewonnen hat. Bernhard ist nicht an seiner schweren Verletzung gestorben, er hat sich noch mal ins Leben gekämpft. Sie erwartet ein Kind von ihm. Es bleibt ihr dadurch Mehr als die Erinnerung - sie wächst an dem Schicksalsschlag am Ende, auch wenn sie trauert.
Hätte Bernhard überlebt, wäre es ein zuckersüßes Happy-End geworden, aber das Buch wäre dann auch schnell vergessen und wie ein Märchen abgehakt. Die eigentliche Aussage - jeder Mensch ist wertvoll - wäre nicht so spürbar geworden.
Gut, es hätte dann nicht diesen Showdown gebraucht, bzw. mit ihm wäre es evtl. zuckersüß geworden.
Der Showdown war insofern nötig, weil er noch mal zeigt, wie Doktor Weiß tickte - seine Abgebrühtheit und manche Dinge nicht bis zum Ende zu durchdenken. Außerdem hat Doktor Weiß ja auch seine Strafe bekommen, er wurde zu dem, was er immer am meisten verachtet und gefürchtet hat.
Und deshalb musste Bernhard sterben und es musste sehr weh tun. Es musste ein Verlust sein, keine Befreiung. Weil das die Kernaussage dieses Buches ist.
Ja, für mich kommt das eher als "Ungerechtigkeit" rüber..........das sind jetzt so einfach meine spontanen Eindrücke nach dem Ende. Und ich denke, auch das ist für dich vielleicht interessant.
Ja, das interessiert mich sehr. Und klar, es ist ungerecht und traurig. Aber das hier ist auch mein traurigstes Buch - alle anderen enden besser
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Hab dir jetzt nochmal im Spoiler geantwortet.
Ich habe hier übrigens noch mal ein Bonbon für dich - das ist aus dem Epilog von Mohlenberg 3, das noch nicht erschienen ist und an dem ich gerade schreibe. Vielleicht verschafft das ja ein wenig Genugtuung.
Sie erreichten das Zimmer, in dem der Patient Weiß seit bald zwanzig Jahren lebte. Nein, eigentlich nicht seit zwanzig Jahren, korrigierte sich der Stationsarzt im Geiste. Erst seit zwölf Jahren, seit dieser Trakt renoviert worden war.
Doktor Weiß saß an einem Tisch vor dem Fenster. Das Pflegepersonal achtete darauf, den alten Arzt stets ordentlich zu kleiden und zu frisieren, sodass er mit seinem gepflegten weißen Vollbart und der Brille wie Sigmund Freud persönlich wirkte. Allerdings passte seine Tätigkeit nicht zu seinem würdevollen Aussehen, denn er war damit beschäftigt, ein Bild mit Buntstiften zu malen. Bei flüchtigem Hinsehen erinnerte es an eine Kinderzeichnung, aber auf den zweiten Blick erkannte man die zwanghafte Akribie des Erwachsenen. Es war faszinierend, wie genau er die kleinen Figuren zeichnete. Ein letztes Relikt der geistigen Fähigkeiten, die er einst besessen hatte, denn seit dem Unfall konnte er nicht einmal mehr lesen oder gar schreiben.
„Ein sehr schönes Zimmer“, bemerkte der Sturmbannführer. „Sogar mit Vorhängen am Fenster. Haben Sie keine Angst, dass die Kranken sich daran strangulieren könnten?“
„Doktor Weiß war nie selbstmordgefährdet“, entgegnete der Stationsarzt.
Bei der Nennung seines Namens blickte Doktor Weiß von seinen Zeichnungen auf. Er hatte wieder einmal einen Bauernhof gemalt, mit vielen kleinen Menschen und Tieren. In der Mitte stand ein schwarzes Pferd.
„Sind Sie Soldat?“, fragte der Patient den Sturmbannführer gerade heraus und musterte dessen Uniform mit kindlich anmutender Neugier.
„So ist es“, bestätigte der SS-Mann und musterte Doktor Weiß mindestens ebenso interessiert. „Wissen Sie, welches Datum wir heute haben?“
„Dienstag“, lautete die Antwort.
„Und welchen Monat?“
„Dienstag“, wiederholte Doktor Weiß. Dann wandte er sich wieder seiner Zeichnung zu.
Der Stationsarzt sah den Sturmbannführer entschuldigend an. „Er verliert schnell das Interesse an Fremden. Er lebt in seiner eigenen Welt.“
„Seine eigene Welt?“, wiederholte der Sturmbannführer. „Ist es das, was er dort malt?“
„Er spricht nicht über seine Bilder. Ich habe es anfangs versucht, aber es ist unmöglich, mit ihm über sein Seelenleben in Kontakt zu kommen, um zu erkennen, wie viel seines Verstandes noch erhalten ist. Er sitzt den ganzen Tag hier und malt.“
„Und was tun Sie mit diesen Bildern?“
„Anfangs haben wir sie gesammelt. In den späten Zwanzigern gab es viel Interesse an der Kunst Geisteskranker. Man denke nur an die berühmte Prinzhorn-Sammlung. Inzwischen geben wir sie ins Altpapier, sobald er mit einem Bild fertig ist.“
Der Sturmbannführer ließ den Blick über die kahlen Wände des Patientenzimmers schweifen.
„Sie hätten sie auch an die Wand hängen und diesen Schmutz überdecken können.“ Er wies auf dunkle Abdrücke, die wohl von ungewaschenen Händen stammten.
„Das haben wir früher bei anderen Patienten zugelassen. Aber es gab oft Ärger, wenn die Bilder entfernt werden mussten, weil eine Zimmerverlegung anstand. Viele Patienten haben eine besondere Bindung zu ihren Werken. Es ist einfacher, sie gleich nach der Fertigstellung gegen ein neues leeres Blatt Papier auszutauschen.“
„So wird also kostbares Papier in diesen Zeiten verschwendet?“
Der Stationsarzt überlegte, was er darauf sagen sollte, doch der Sturmbannführer hatte sich bereits hinter Doktor Weiß gestellt und sah ihm über die Schulter. Der alte Arzt war gerade dabei, eine Frau in einem blauen Kostüm neben dem Pferd zu malen.
„Wer ist diese Frau?“
Doktor Weiß schwieg.
„Und das schwarze Pferd?“, fragte der Sturmbannführer unbeeindruckt weiter. „Ist das der berühmte Wotan?“
Der Stationsarzt wunderte sich, woher der SS-Mann den Namen des Pferdes kannte, das Weiß so schwer verletzt hatte. Aber noch viel auffälliger war die Reaktion des Patienten, der bei der Nennung dieses Namens unwillkürlich zusammenzuckte.
„Er ist es also“, sagte der Sturmbannführer. „Ich gehe davon aus, das hier ist Gut Mohlenberg?“
Doktor Weiß antwortete nicht, aber dem Stationsarzt fiel auf, dass Weiß‘ Hand kaum merklich zitterte, denn die nächsten Striche wurden unsauberer, passten nicht zu der Perfektion, die der Kranke sonst in seinen Bildern anstrebte.
„Sie haben längere Zeit auf Gut Mohlenberg als Arzt gearbeitet, Herr Doktor Weiß“, fuhr der Sturmbannführer fort. „Ich möchte gern mit Ihnen über Gut Mohlenberg sprechen.“
Weiß fuhr herum und starrte den Sturmbannführer mit weit aufgerissenen Augen an.
Der Stationsarzt fragte sich, warum der SS-Mann den Kranken ausgerechnet nach Gut Mohlenberg fragte. Die Einrichtung hatte ihre Zulassung als private Nervenklinik bereits 1934 zurückgegeben und war seither nur noch ein Gestüt, das für seine edlen Pferde landesweit bekannt war.
„Haben Sie mich nicht verstanden, Herr Doktor Weiß?“, wiederholte der Sturmbannführer streng. „Ich möchte mit Ihnen über Gut Mohlenberg und Ihre Zeit dort als Arzt sprechen.“
Im nächsten Moment schrie Doktor Weiß völlig unerwartet laut los, durchdringender und gellender als jede Sirene.
Hastig wich der Sturmbannführer zurück.
„Dem Mann ist wirklich nicht mehr zu helfen“, rief er verärgert. „Lassen Sie uns gehen.“
Der Stationsarzt räusperte sich verlegen, dann öffnete er dem Sturmbannführer die Tür und sie verließen das Patientenzimmer. Kaum hatten sie die Tür hinter sich geschlossen, verstummte Weiß‘ Geschrei, als wäre es durch das Klappen der Tür einfach ausgeschaltet worden.
„Es tut mir leid, dass Sie hier keine Antworten bekommen haben.“ Der Stationsarzt schob seine Brille mit dem Zeigefinger fester auf die Nase. „Aber wie ich Ihnen schon sagte, Doktor Weiß redet weder über seine Bilder noch über seine Vergangenheit.“
„Keine Sorge, das, was ich soeben erlebt habe, genügt mir. Sehen Sie zu, dass er morgen auf den Transport geschickt wird. Es ist wirklich schade um einen so klugen Kopf, aber wenn wir ehrlich sind, ist er bereits seit zwanzig Jahren eine geistig tote Ballastexistenz. Und es wird höchste Zeit, unser Land von all diesen lebensunwerten Kreaturen zu säubern, ganz gleich, wo sie sich vor unserem Zugriff verstecken.“
Dem Stationsarzt lief ein kalter Schauer über den Rücken …
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Ich habe hier übrigens noch mal ein Bonbon für dich - das ist aus dem Epilog von Mohlenberg 3, das noch nicht erschienen ist und an dem ich gerade schreibe. Vielleicht verschafft das ja ein wenig Genugtuung.
Sie erreichten das Zimmer, in dem der Patient Weiß seit bald zwanzig Jahren lebte. Nein, eigentlich nicht seit zwanzig Jahren, korrigierte sich der Stationsarzt im Geiste. Erst seit zwölf Jahren, seit dieser Trakt renoviert worden war.
Doktor Weiß saß an einem Tisch vor dem Fenster. Das Pflegepersonal achtete darauf, den alten Arzt stets ordentlich zu kleiden und zu frisieren, sodass er mit seinem gepflegten weißen Vollbart und der Brille wie Sigmund Freud persönlich wirkte. Allerdings passte seine Tätigkeit nicht zu seinem würdevollen Aussehen, denn er war damit beschäftigt, ein Bild mit Buntstiften zu malen. Bei flüchtigem Hinsehen erinnerte es an eine Kinderzeichnung, aber auf den zweiten Blick erkannte man die zwanghafte Akribie des Erwachsenen. Es war faszinierend, wie genau er die kleinen Figuren zeichnete. Ein letztes Relikt der geistigen Fähigkeiten, die er einst besessen hatte, denn seit dem Unfall konnte er nicht einmal mehr lesen oder gar schreiben.
„Ein sehr schönes Zimmer“, bemerkte der Sturmbannführer. „Sogar mit Vorhängen am Fenster. Haben Sie keine Angst, dass die Kranken sich daran strangulieren könnten?“
„Doktor Weiß war nie selbstmordgefährdet“, entgegnete der Stationsarzt.
Bei der Nennung seines Namens blickte Doktor Weiß von seinen Zeichnungen auf. Er hatte wieder einmal einen Bauernhof gemalt, mit vielen kleinen Menschen und Tieren. In der Mitte stand ein schwarzes Pferd.
„Sind Sie Soldat?“, fragte der Patient den Sturmbannführer gerade heraus und musterte dessen Uniform mit kindlich anmutender Neugier.
„So ist es“, bestätigte der SS-Mann und musterte Doktor Weiß mindestens ebenso interessiert. „Wissen Sie, welches Datum wir heute haben?“
„Dienstag“, lautete die Antwort.
„Und welchen Monat?“
„Dienstag“, wiederholte Doktor Weiß. Dann wandte er sich wieder seiner Zeichnung zu.
Der Stationsarzt sah den Sturmbannführer entschuldigend an. „Er verliert schnell das Interesse an Fremden. Er lebt in seiner eigenen Welt.“
„Seine eigene Welt?“, wiederholte der Sturmbannführer. „Ist es das, was er dort malt?“
„Er spricht nicht über seine Bilder. Ich habe es anfangs versucht, aber es ist unmöglich, mit ihm über sein Seelenleben in Kontakt zu kommen, um zu erkennen, wie viel seines Verstandes noch erhalten ist. Er sitzt den ganzen Tag hier und malt.“
„Und was tun Sie mit diesen Bildern?“
„Anfangs haben wir sie gesammelt. In den späten Zwanzigern gab es viel Interesse an der Kunst Geisteskranker. Man denke nur an die berühmte Prinzhorn-Sammlung. Inzwischen geben wir sie ins Altpapier, sobald er mit einem Bild fertig ist.“
Der Sturmbannführer ließ den Blick über die kahlen Wände des Patientenzimmers schweifen.
„Sie hätten sie auch an die Wand hängen und diesen Schmutz überdecken können.“ Er wies auf dunkle Abdrücke, die wohl von ungewaschenen Händen stammten.
„Das haben wir früher bei anderen Patienten zugelassen. Aber es gab oft Ärger, wenn die Bilder entfernt werden mussten, weil eine Zimmerverlegung anstand. Viele Patienten haben eine besondere Bindung zu ihren Werken. Es ist einfacher, sie gleich nach der Fertigstellung gegen ein neues leeres Blatt Papier auszutauschen.“
„So wird also kostbares Papier in diesen Zeiten verschwendet?“
Der Stationsarzt überlegte, was er darauf sagen sollte, doch der Sturmbannführer hatte sich bereits hinter Doktor Weiß gestellt und sah ihm über die Schulter. Der alte Arzt war gerade dabei, eine Frau in einem blauen Kostüm neben dem Pferd zu malen.
„Wer ist diese Frau?“
Doktor Weiß schwieg.
„Und das schwarze Pferd?“, fragte der Sturmbannführer unbeeindruckt weiter. „Ist das der berühmte Wotan?“
Der Stationsarzt wunderte sich, woher der SS-Mann den Namen des Pferdes kannte, das Weiß so schwer verletzt hatte. Aber noch viel auffälliger war die Reaktion des Patienten, der bei der Nennung dieses Namens unwillkürlich zusammenzuckte.
„Er ist es also“, sagte der Sturmbannführer. „Ich gehe davon aus, das hier ist Gut Mohlenberg?“
Doktor Weiß antwortete nicht, aber dem Stationsarzt fiel auf, dass Weiß‘ Hand kaum merklich zitterte, denn die nächsten Striche wurden unsauberer, passten nicht zu der Perfektion, die der Kranke sonst in seinen Bildern anstrebte.
„Sie haben längere Zeit auf Gut Mohlenberg als Arzt gearbeitet, Herr Doktor Weiß“, fuhr der Sturmbannführer fort. „Ich möchte gern mit Ihnen über Gut Mohlenberg sprechen.“
Weiß fuhr herum und starrte den Sturmbannführer mit weit aufgerissenen Augen an.
Der Stationsarzt fragte sich, warum der SS-Mann den Kranken ausgerechnet nach Gut Mohlenberg fragte. Die Einrichtung hatte ihre Zulassung als private Nervenklinik bereits 1934 zurückgegeben und war seither nur noch ein Gestüt, das für seine edlen Pferde landesweit bekannt war.
„Haben Sie mich nicht verstanden, Herr Doktor Weiß?“, wiederholte der Sturmbannführer streng. „Ich möchte mit Ihnen über Gut Mohlenberg und Ihre Zeit dort als Arzt sprechen.“
Im nächsten Moment schrie Doktor Weiß völlig unerwartet laut los, durchdringender und gellender als jede Sirene.
Hastig wich der Sturmbannführer zurück.
„Dem Mann ist wirklich nicht mehr zu helfen“, rief er verärgert. „Lassen Sie uns gehen.“
Der Stationsarzt räusperte sich verlegen, dann öffnete er dem Sturmbannführer die Tür und sie verließen das Patientenzimmer. Kaum hatten sie die Tür hinter sich geschlossen, verstummte Weiß‘ Geschrei, als wäre es durch das Klappen der Tür einfach ausgeschaltet worden.
„Es tut mir leid, dass Sie hier keine Antworten bekommen haben.“ Der Stationsarzt schob seine Brille mit dem Zeigefinger fester auf die Nase. „Aber wie ich Ihnen schon sagte, Doktor Weiß redet weder über seine Bilder noch über seine Vergangenheit.“
„Keine Sorge, das, was ich soeben erlebt habe, genügt mir. Sehen Sie zu, dass er morgen auf den Transport geschickt wird. Es ist wirklich schade um einen so klugen Kopf, aber wenn wir ehrlich sind, ist er bereits seit zwanzig Jahren eine geistig tote Ballastexistenz. Und es wird höchste Zeit, unser Land von all diesen lebensunwerten Kreaturen zu säubern, ganz gleich, wo sie sich vor unserem Zugriff verstecken.“
Dem Stationsarzt lief ein kalter Schauer über den Rücken …
Danke, ja gewissermaßen schon.
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Vielen Dank. Ich antworte mal im Spoiler zurück:
Es war notwendig für den Roman, dass Bernhard stirbt. Denn die meisten Bücher, wo die Heldin sich um den verletzten Mann kümmert, enden damit, dass er stirbt und es dann für sie eine Befreiung ist. Sie kann sich nun der neuen Liebe zuwenden, ohne schuldig geworden zu sein, ihn verlassen zu haben.
Aber Rieke hatte ja eigentlich gar nie den Wunsch Bernhard zu verlassen......
Rieke hatte nie den Wunsch, Bernhard zu verlassen. Ich bezog das auf die klassischen Romane dieses Genres - die mit dem Tod als Befreiung enden - und dieses Klischee wollte ich absichtlich brechen.
Dadurch, dass Bernhard am Ende stirbt und eine riesige Lücke hinterlässt, dass sogar die Leserinnen massiv um ihn tauern - und ich habe das selbst mit Tränen in den Augen geschrieben - bleibt die Geschichte haften. Jeder Mensch ist wertvoll. Jedes Leben ist wertvoll.
Auf jeden Fall, aber für diese Erkenntnis "müsste" ein Mensch nicht sterben.........
Das Leben ist nun mal nicht gerecht. Aber Friederike lernt auch, das zu schätzen, was sie gewonnen hat. Bernhard ist nicht an seiner schweren Verletzung gestorben, er hat sich noch mal ins Leben gekämpft. Sie erwartet ein Kind von ihm. Es bleibt ihr dadurch Mehr als die Erinnerung - sie wächst an dem Schicksalsschlag am Ende, auch wenn sie trauert.
Hätte Bernhard überlebt, wäre es ein zuckersüßes Happy-End geworden, aber das Buch wäre dann auch schnell vergessen und wie ein Märchen abgehakt. Die eigentliche Aussage - jeder Mensch ist wertvoll - wäre nicht so spürbar geworden.
Gut, es hätte dann nicht diesen Showdown gebraucht, bzw. mit ihm wäre es evtl. zuckersüß geworden.
Der Showdown war insofern nötig, weil er noch mal zeigt, wie Doktor Weiß tickte - seine Abgebrühtheit und manche Dinge nicht bis zum Ende zu durchdenken. Außerdem hat Doktor Weiß ja auch seine Strafe bekommen, er wurde zu dem, was er immer am meisten verachtet und gefürchtet hat.
Und deshalb musste Bernhard sterben und es musste sehr weh tun. Es musste ein Verlust sein, keine Befreiung. Weil das die Kernaussage dieses Buches ist.
Ja, für mich kommt das eher als "Ungerechtigkeit" rüber..........das sind jetzt so einfach meine spontanen Eindrücke nach dem Ende. Und ich denke, auch das ist für dich vielleicht interessant.
Ja, das interessiert mich sehr. Und klar, es ist ungerecht und traurig. Aber das hier ist auch mein traurigstes Buch - alle anderen enden besser
Vielen Dank. Es ist immer gut, die Beweggründe für etwas zu kennen.
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wow, was für ein Ende. Bernhards Tod hat mich auch sehr mitgenommen. Aber die Erläuterung passt. Wobei mir das Buch auch mit einem anderen Ende in Erinnerung geblieben wäre.
Julianes Entwicklung fand ich ganz toll und dass sie einen Platz auf Mohlenberg gefunden hat ist schön. So kann Friederike ihr Studium beenden und bekommt so auch Zeit zu trauern und in die Zukunft aufzubrechen, ohne Druck. Und vielleicht auch noch einmal die Liebe zu finden?Ich muss das ganze nochmal sacken lassen, ich bin jetzt regelrecht durch den letzten Abschnitt geflogen.
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Ich muss das ganze nochmal sacken lassen, ich bin jetzt regelrecht durch den letzten Abschnitt geflogen.
Und haben dich die Auflösungen zufriedengestellt?
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Ich bin auch furchtbar traurig über das Ende, aber ich verstehe die Erläuterungen und sehe sie auch ein, aber ich finde es trotzdem blöd
Im Grunde war es ja schon ab der Mitte klar, dass Doktor Weiß in irgend einer Art schuldig sein würde. Alledings wusste ich nicht wie, was das Buch so spannend gemacht hat. Ich muss noch ein wenig über das Ende nachdenken und schreibe dann morgen dazu mehr.
Ich freue mich, dass es so eine gesellige Leserunde mit vielen Beiträgen ist. Ich muss morgen auch noch alle Beiträge nachlesen, die ich heute verpasst habe. Ich konnte einfach nicht anders als immer weiter zu lesen und nur meinen Eindruck schreiben.
Das Buch habe ich dann direkt mal an mehrere Leute weiter empfohlen.
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Ich bin auch furchtbar traurig über das Ende, aber ich verstehe die Erläuterungen und sehe sie auch ein, aber ich finde es trotzdem blöd
Eine Testleserin hat regelrecht gefleht, dass ich Bernhard am Leben lassen solle, weil er bestimmt ein guter Vater geworden wäre. Ja, wäre er. Aber dieser Schockmoment war wichtig, auch wenn mir das Schreiben wahnsinnig schwer gefallen ist, weil ich Bernhard wirklich gern mag.
Ich freue mich, dass es so eine gesellige Leserunde mit vielen Beiträgen ist. Ich muss morgen auch noch alle Beiträge nachlesen, die ich heute verpasst habe. Ich konnte einfach nicht anders als immer weiter zu lesen und nur meinen Eindruck schreiben.
Ich finde diese Leserunde auch sehr schön und sehr lebendig.
Das Buch habe ich dann direkt mal an mehrere Leute weiter empfohlen.
Vielen Dank!
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Eine Testleserin hat regelrecht gefleht, dass ich Bernhard am Leben lassen solle, weil er bestimmt ein guter Vater geworden wäre. Ja, wäre er. Aber dieser Schockmoment war wichtig, auch wenn mir das Schreiben wahnsinnig schwer gefallen ist, weil ich Bernhard wirklich gern mag.
Ich finde diese Leserunde auch sehr schön und sehr lebendig.
Vielen Dank!
Ich muss ja gestehen, dass ich in dem Moment, als Weiß seine Pistole aus der Schreibtischschublade geholt hat wusste, dass dies den Tod von Bernhard bedeutet.
Ich habe dann bis zur Bestätigung nur noch quer gelesen und den Rest gar nicht mehr.
Ging einfach nicht mehr...............
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Eine Testleserin hat regelrecht gefleht, dass ich Bernhard am Leben lassen solle, weil er bestimmt ein guter Vater geworden wäre. Ja, wäre er. Aber dieser Schockmoment war wichtig, auch wenn mir das Schreiben wahnsinnig schwer gefallen ist, weil ich Bernhard wirklich gern mag.
Ich verstehe die Testleserin total gut. Ich hätte das nicht anders gemacht