Wolkenkuckucksland - Anthony Doerr

  • Eine Geschichte, die verbindet

    Es gibt Bücher, in denen Geschichten Jahrhunderte ja Jahrtausende überdauern. Sie werden gehütet, behütet, bewahrt und beschützt. Sie spenden mit ihren Geschichten Trost und Hoffnung. Sie helfen schrecklichen Lebensumständen zu entfliehen und die eigene Wirklichkeit zu ertragen. Sie sähen Hoffnung, wo diese längst zu Grabe getragen ist. Sie entflammen ein Feuer der Sehnsucht in den Herzen der Leser und lassen, die Hoffnung sprießen und gedeihen.


    Eben jenem Wunder und die Macht der Bücher und welche Wirkung, diese auf Menschen zu verschiedenen Zeiten haben können, nimmt sich der Autor hier an. Durch die vielen Handlungsstränge, ist es allerdings Anfangs alles andere als leicht in diese Geschichte einzutauchen. Nicht zu letzt oder gerade weil der Autor so gefühlskalt und nüchtern schreibt.


    Die Handlung erstreckt sich über viele Jahrhunderte. Ein und das gleiche Buch taucht in verschiedenen Epochen unserer Weltgeschichte auf. Dieses Buch wird gelesen, vorgelesen, übersetzt, gerettet und wieder belebt. So viele Menschen sind daran beteiligt es nicht nur vor dem Verfall nein auch vor der Vernichtung und dem Vergessen zu retten. Als Leser taucht man mal für kurz oder für länger in die Verschiedenen Epochen ein und lernt nicht nur die Geschichte, die erzählt wird, sondern auch die der Figuren kennen.


    Die Vielzahl der Figuren ist Anfangs fast ein wenig viel für den Leser. Bis man sie sich alle so sortiert hat dauert es eine ganze Weile. Mit der Zeit bewegen sich die Erzählstränge und damit auch die Figuren auf einander zu und kreuzen ihre Lebenswege. Ganz ehrlich Anna und Omeir´s Geschichte war zwar interessant vor allem gegen Ende, aber war es zeitweise wirklich sehr mühsam sich durch ihre Abschnitte zu kämpfen. Andere Abschnitte von Zeno, Seemoure und Konstance habe ich dagegen regelrecht verschlungen. Womöglich liegt es auch einfach daran, dass mir die Zeitabschnitte, für die diese Figuren stehen, mir einfach ein wenig näher sind. Allerdings hätte ich mir ähnlich wie bei der Handlung auch etwas mehr Tiefe bei den Figuren gewünscht. Diese bereits nüchterne und gefühlskalte Erzählweise schlägt sich leider auch bei den Figuren nieder. Sich ihnen zu näheren, macht es dadurch nicht gerade einfacher.


    Fazit: Ein alles andere als einfaches Buch. Nicht nur das es sich über mehr als ein Jahrtausend erstreckt, bietet es auch Raum für viele Zeitepochen. Von der Antike über das Mittelalter, unsere Gegenwart und ein Ausblick auf eine mögliche Zukunft. Der gefühlskalte Erzählstil erschwert es Anfangs doch sehr in diese Geschichte einzutauchen. Doch irgendwann packt es einen und man kann das Buch nicht mehr aus der Hand legen. Da diese Geschichte doch sehr speziell ist und verschiedene Genres miteinander verbindet, ist durchaus für jeden Geschmack etwas dabei. Aber seit euch auch bewusst, dass es auch immer wieder Abschnitte geben wird, die euch so einiges abverlangen werden.

    :thumbup::thumbup::thumbup:

    ASIN/ISBN: 3406774318

    Edit: ISBN 13 gegen ISBN 20 ausgetauscht, damit das Cover angezeigt wird. Gruß Herr Palomar


  • Vielen Dank für deine mutmachende Rezi. Ich bin eine Weile um das Buch herumgeschlichen, habe es mir dann aber doch zu Weihnachten gewünscht. Deine Meinung bestätigt mich, dass es wohl die richtige Entscheidung war, auch wenn ich zum Lesen den richtigen Zeitpunkt abwarten werde.:thumbup:

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021

  • Vorsicht. Wer keine euphorischen Rezensionen mag, sollte jetzt zu lesen aufhören. Jetzt kommt nämlich eine.


    Ich kannte Anthony Doerr schon von anderen Büchern und war jedes mal beeindruckt von seinem wundervollen Erzählstil. In diesem Roman "Wolkenkuckucksland" hat er nun sein Können zu einer neuen Perfektion gebracht.

    Es fällt mir wirklich schwer Worte zu finden dafür, was das Buch beim Lesen mit mir gemacht hat.


    Die Geschichte spielt auf mehreren Zeitebenen und hat zusätzlich kleine Einschübe eines angeblich vor ca. 1800 Jahren geschriebenen, nur in Ausschnitten lesbar erhaltenen Büchleins des griechischen Dichters Antonios Diogenes. Dieser Diogenes Kodex erzählt von einem Mann, der unzufrieden mit seinem kleinen Leben ist und gerne ein Vogel wäre, um dann ins Wolkenkuckucksland zu fliegen, wo man aller Sorgen enthoben unendlich glücklich sein könnte.

    Die Darsteller sind anfangs meist Kinder, die aus unterschiedlichsten Gründen ein schweres Leben haben und ein bisschen Glück verdient hätten. Die Suche nach etwas Glück - dem kleinen privaten Wolkenkuckucksland - wird auf die ein oder andere Weise begleitet vom Diogenes Kodex.

    Da ist z.B. Anna, die im 15. Jahrhundert in Konstantinopel lebt und ein uraltes zerfleddertes Büchlein findet, in dem ein Mann nach dem Wolkenkuckucksland sucht.

    Oder Zeno, der 2020 mit einer Gruppe Schulkinder in einer Bibliothek ein Stück aufführen will, dass Wolkenkuckucksland heißt.

    Und Kontanze die Anfang des 22. Jahrhunderts in einem Raumschiff auf dem Weg zu einem neuen Planeten ist und in den Tiefen der künstlichen Bibliothek auf eine Erzählung über das Wolkenkuckucksland stößt.


    Alle diese Menschen haben ein Schicksal zu tragen. Alle haben einen schweren Weg vor sich. Den Lebensweg aber auch den inneren Weg zu sich und zu ihrem ganz persönlichen Glück. Dabei sind alle diese Leben miteinander verknüpft. Der Trick ist, dass man das anfangs zwar ahnt, aber die Zusammenhänge sich erst nach und nach aufdröseln. Durch die vielen verschiedenen Handlungsstränge hat man vielleicht die erste 50 Seiten Angst, dass man damit nicht zurecht kommen könnte. Aber weit gefehlt. Der Autor hat die Zügel fest in der Hand und führt den Leser sicher und zielstrebig voran. Durch die ständigen Wechsel wird die Spannung natürlich zusätzlich angezogen. Aber man sollte sich bemühen langsam zu lesen, einfach, weil das Buch an sich ein Fest ist. Der Weg ist das Ziel, sozusagen.


    Die Lyrik, die in Doerrs Sprache steckt, ist eindringlich und sanft zugleich. Warmherzig beleuchtet er seine Charakere, so dass man schnell eine große Empathie für sie entwickelt. Manches mal sind es zarte Andeutungen, manches mal wunderschöne Beschreibungen von Gedanken, Taten, Orten, die den Leser berühren. Die Emotionen, die er seine Darsteller erleben lässt, kommen hautnah an. Man fühlt mit Omeir, der um seine zwei starken Ochsen bangt, freut sich mit den Kindern in der Bibliothek an der Generalprobe für ihr Theaterstück, möchte mit Seymour weinen, als seiner Eule etwas zustößt. Obwohl die zahllosen kleinen und großen Dramen vielzählig und die Schicksale oft traurig sind, so ist es ein Buch, dass immer eine große Hoffnung und einen tiefen Optimismus ausstrahlt. Man spürt, dass das Glück der Einzelnen nahe ist und dass am Ende alles "gut" werden wird. Vielleicht ist es von außen nur ein kleines Glück. Aber das ist genauso gut, wie jedes andere.


    Das Buch ist eine geniale Komposition. Eine Vielzahl an Fäden laufen am Schluss wundervoll harmonisch zusammen und haben mich bis zur letzten Seite glücklich gemacht. Ein Jahreshighlight, ein Wolkenkuckucksland von einem Buch.


    12 von 10 Eulenpunkten :love:

    Hollundergrüße :wave



    :lesend


    Heumahd - Susanne Betz


    (Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin,

    daß er tun kann, was er will,

    sondern daß er nicht tun muß,

    was er nicht will - Jean Rousseau)

  • Meine Meinung


    Das ist ein großartiges, ungewöhnliches, nachdenklich machenden Buch, geschrieben in schönen, sanften und harten Worten.

    Ganz zu Anfang hatte ich etwas Schwierigkeiten mit den Sprüngen zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, bis sich nach und nach zwischen diesen drei Zeitebenen und den Menschen und deren Geschichten Querverbindungen bildeten, die ein Bild ergaben.

    "Wolkenkuckucksland" hatte für mich keine Längen, keine Szenen, die unwichtig oder nur füllendes Material waren. Ein sehr lesenswerter Roman!


    10 Eulenpunkte