Was bleibt, wenn alles verschwindet - Hermien Stellmacher

  • 367 Seiten


    Kurzbeschreibung

    Beste Freundinnen seit über dreißig Jahren: Ruth und Susanne haben alles miteinander geteilt, doch nun wird ihre Freundschaft nicht mehr dieselbe sein. Susanne zeigt erste Anzeichen einer Demenz, die Gedächtnislücken und Aussetzer häufen sich, und sie spürt, dass ihr Leben ihr immer mehr entgleitet. Während Ruth, unterstützt von ihrem Mann und Freunden, alle Hebel in Bewegung setzt, damit es ihrer Freundin auch in Zukunft an nichts fehlen wird, quält die noch eine ganz andere Sorge: Es ist höchste Zeit, Ruth ein gut gehütetes Geheimnis zu offenbaren, das ihrer beider Leben seit langem schicksalhaft miteinander verknüpft. Doch dieses Geständnis könnte die Freundschaft für immer zerstören …


    Über die Autorin

    Hermien Stellmacher, geboren 1959, wuchs in Amsterdam auf. Im Alter von 15 Jahren zog sie nach Deutschland. Sie illustrierte zahlreiche Kinder- und Jugendbücher. Seit einigen Jahren schreibt sie hauptsächlich für Erwachsene, zum Teil unter dem Pseudonym Fanny Wagner. Wenn sie nicht gerade in der Provence weilt, lebt sie mit ihrem Mann und zwei Katern in einem kleinen Dorf in der Fränkischen Schweiz.


    Meine Meinung

    Ruth und Susanne sind seit Jahrzehnten sehr gut befreundet und verreisen gern gemeinsam. Bei einem dieser Wochenend-Trips fällt Ruth erstmal auf, dass Susanne ab und zu einzelne Begriffe nicht einfallen. Zuerst wischt sie diesen Gedanken beiseite, doch als sich die Vergesslichkeiten häufen, drängt sie Susanne zu einem Arzttermin, bei dem eine beginnende Demenz festgestellt wird.


    Die Geschichte wird abwechselnd aus Ruths und Susannes Sicht erzählt. Ich fand es sehr berührend, wie Susanne zwischen Normalität und Vergesslichkeit schwankt und in den normalen Momenten damit hadert, so verwirrt und vergesslich zu sein. Ebenso konnte ich Ruth gut nachfühlen, wie sie sich um ihre Freundin sorgt und gleichzeitig den vergangenen Zeiten nachtrauert.

    Es gibt ein dunkles Geheimnis in Susannes Vergangenheit, dass sie immer verschwiegen hat und nun versucht sie, ihre Geschichte für Ruth aufzuschreiben, solange sie das noch kann. Dieser Teil hätte von mir aus auch fehlen können, ich fand die Gegenwart auch so lesenswert genug.


    Unterstützung erhält Susanne auch von ihrem Nachbarn Johann, mit dem sie gern gemeinsam Filme schaut, was aber bald nicht mehr möglich ist, weil sie den Geschichten nicht mehr folgen kann.

    Johann ist ein hilfbereiter und freundlicher Mann, der sich auch gut mit Ruth und deren Mann versteht. Zum Ende hin wird plötzlich sein Schicksal mehrfach in Nebensätzen thematisiert, das fand ich völlig überflüssig.


    Susannes Sohn Paul und seine sehr anstrengende Frau wollen die Situation lange Zeit nicht wahrhaben, auch weil Susanne es lange gut versteht, ihre Vergesslichkeit zu verbergen oder zu überspielen. Und die beiden Enkel lieben die Oma einfach wie sie ist!


    Trotz des traurigen Themas gibt es auch viele heitere Momente und ich habe das Buch sehr gern gelesen.


    ASIN/ISBN: 3458681523

  • Hermien Stellmacher: Was bleibt, wenn alles verschwindet. Roman, Berlin 2021, Insel Verlag, ISBN 978-3-458-68152-6, Softcover, 364 Seiten, Format: 11,8 x 2,4 x 19,1 cm, Buch: EUR 10,95 (D), EUR 11,30 (A), Kindle: EUR 10,99.


    Vor drei Jahrzehnten haben sich die Kolleginnen Ruth Hagedorn (jetzt 62) und Susanne Bender (70, längst pensioniert) im Lehrerzimmer kennengelernt. Seitdem sind sie beste Freundinnen. Sie haben gemeinsame Interessen, einen ähnlich schrägen Humor und reden über fast alles. In stiller Übereinkunft sparen sie jedoch das Thema „Elternhaus“ aus. Beide haben keine guten Erinnerungen an ihre Herkunftsfamilie.


    Erste Anzeichen einer Demenz

    Bei Susanne daheim drehte sich alles um den kranken Vater. Sie selbst fand Zuflucht in einer WG und hatte eine vielversprechende Karriere vor sich, die nichts mit ihrem späteren Beruf als Lehrerin zu tun hatte. Davon ahnt Ruth nichts. Und es gibt noch etwas, das Susanne ihr aus nachvollziehbaren Gründen bisher verschwiegen hat. Doch jetzt hält die Pensionärin die Zeit für gekommen, reinen Tisch zu machen – solange sie es noch kann. Aufgrund ihrer familiären Vorgeschichte ist sie nämlich bestens vertraut mit den Symptomen beginnender Demenz. Genau diese Symptome bemerkt sie neuerdings an sich selbst.


    Lebensbeichte im Schulheft

    Weil sie sich nicht traut, ihrer Freundin ihre Geschichte von Angesicht zu Angesicht zu erzählen, schreibt sie ihre Lebensbeichte nieder. Nach und nach, wie ihre Kräfte es zulassen, füllt sie damit ein Schulheft, und wir Leser:innen haben bald eine vage Ahnung davon, wie die Schicksale der beiden Freundinnen miteinander verknüpft sein könnten.


    Parallel zu dieser allmählichen Enthüllung eines lange gehüteten Geheimnisses erleben wir hautnah Susannes geistigen Verfall mit. Das Schlimme ist, dass ihr selbst vollkommen klar ist, was mit ihr passiert. Es ist ihr bewusst, dass ihr Alltagsbegriffe nicht mehr einfallen, dass sie Erinnerungslücken hat und nicht weiß, was sie gesagt und getan hat oder was sie gerade tun wollte. Die Erinnerung an die Vergangenheit ist dagegen sehr lebendig.



    Verdrängung bringt nichts

    Anscheinend macht Ruth sich mehr Sorgen um ihre Freundin als deren Sohn es tut.


    Also übernimmt es Ruth zusammen mit ihrem Mann Gustav, sich um Susanne zu kümmern. Das ist eine schwere und anspruchsvolle Aufgabe, die ich mir nicht zutrauen würde. Die Eheleute Hagedorn haben meinen vollen Respekt für das, was sie für eine Freundin auf sich nehmen. Werden sie das auch weiterhin tun, wenn sie das Heft mit Susannes Lebenserinnerungen in die Hände bekommen?


    Berührend und beklemmend

    Wie die beiden Frauen seit Jahrzehnten füreinander einstehen, ist sehr berührend. Beklemmend ist es, mitzuerleben, wie die kluge, gebildete Susanne mehr und mehr ins Vergessen abdriftet. Als Leser:in ertappt man sich dabei, seinen eigenen Geisteszustand in Zweifel zu ziehen, wenn einem ein Wort nicht gleich (oder nicht in der richtigen Sprache) einfällt,


    Die einzigen, die unbefangen mit Susannes Veränderung umgehen, sind ihre kleinen Enkel. Die verstehen die Tragik dahinter noch nicht und finden es lustig, wenn Oma sich unberechenbar und unangepasst benimmt.


    Nahe an der Realität

    Auch wenn es in diesem Roman ein spannendes Geheimnis zu enthüllen gibt, man auch mal was zu lachen hat und der Schluss Zuversicht vermittelt – es ist keine leichte Lektüre. Deprimierend nahe an der Realität wird hier erzählt, was Demenz für Betroffene und Angehörige bedeutet. Man würde sich wünschen, dass jeder Mensch, den diese Krankheit trifft, so gute Freunde an seiner Seite hat wie Susanne. Im wahren Leben wird das wohl nicht immer der Fall sein.


    Manchmal hatte ich Schwierigkeiten, die Familiengeschichten der beiden Freundinnen auseinanderzuhalten, weil sie sich in ihrer Tristesse doch ähneln und weil sie einem so häppchenweise serviert werden. Ich habe mir schließlich Notizen gemacht. Aufgeben war keine Option! Ich wollte unbedingt wissen, wie Ruth auf die „Beichte“ ihrer Freundin reagiert – und ob Susannes Familie doch noch irgendwann aus dem Quark kommt und sich um die Mutter kümmert, oder ob sie das völlig ungerührt Fremden überlässt. Die haben schon Nerven, die Benders!


    Die Autorin

    Hermien Stellmacher, geboren 1959, wuchs in Amsterdam auf. Im Alter von 15 Jahren zog sie nach Deutschland. Sie illustrierte zahlreiche Kinder- und Jugendbücher. Seit einigen Jahren schreibt sie hauptsächlich für Erwachsene, zum Teil unter dem Pseudonym Fanny Wagner. Wenn sie nicht gerade in der Provence weilt, lebt sie mit ihrem Mann und zwei Katern in einem kleinen Dorf in der Fränkischen Schweiz.


    ASIN/ISBN: 3458681523

    Und was die Autofahrer denken,
    das würd’ die Marder furchtbar kränken.
    Ingo Baumgartner