'Die Ungetrösteten' - Seiten 001 - 214

  • Ich muss gleich mal loswerden, was mir nach den ersten Kapiteln durch den Kopf schoss:


    Ich bin sofort an Kafka erinnert.


    Mr Ryder könnte eine Figur in einem Kafka-Roman sein, so wie er durch die Ereignisse getrieben wird, ohne dass er Einfluss darauf zu haben scheint. Er begegnet immer mehr Menschen, und scheint für alle genau der richtige Ansprechpartner zu sein, sich perfekt auf sie einstellen zu können. Ich habe inzwischen aufgegeben verstehen zu wollen, inwieweit er und die diversen Figuren sich wirklich vor ihrer Begegnung kannten. Er hat immer das richtige Wort, das Verständnis, so dass es schwer ist herauszufinden, wer und wie Ryder eigentlich ist.

    Momentan finde ich das ziemlich genial. Mal schauen, ob das anhält.

  • Ich bin jetzt ca. bei der Hälfte des ersten Abschnittes. Und ich weiß noch nicht so ganz genau, was ich von dem Buch halten soll. Auf jeden Fall liest es sich für mich sehr angenehm und flüssig, und ich lese das Buch auch richtig gerne.


    Vom Inhalt her habe ich es inzwischen aufgegeben, einen Sinn darin zu suchen. Ich nehme es jetzt einfach mal so hin wie es ist. Mr. Ryder trifft ständig auf Leute, die er eigentlich gar nicht kennt, und dann scheint es aber doch so, als ob er schon sein Leben lang mit ihnen verbunden wäre. Er selber hinterfrägt das Ganze auch gar nicht. Er nimmt das alles einfach so hin und versucht nur ständig, allen Leuten zu helfen und ihre Wünsche zu erfüllen.


    Der Hoteldiener Gustav hat mich zu Beginn des Buches ganz stark an den Butler Stevens aus "Was vom Tage übrig blieb" erinnert. Vor allem wie Gustav so erzählt, dass es um die Ehre der Hoteldiener geht, und das nur noch ganz wenige von dem alten Schlag übrig gebliegen sind, das klang genauso wie der Butler Stevens in dem anderen Buch von seinem Beruf redet. Und ich fand das als Einstig hier in das Buch so schön, ich kam mir vor, wie wenn ich einen alten Bekannten treffen würde.:)


    Interessant finde ich ja auch, dass ständig von dem traffen Zeitplan von Mr. Ryder geredet wird. Sein Zeitplan wäre so durchgetaktet und straff. Aber bisher merke ich überhaupt nichts von einem Zeitplan. Er ist ja ständig nur damit beschäftig, sich um die Angelegenheiten von anderen Leuten zu kümmern, denen er helfen möchte.


    Ich bin auf jeden Fall mal gespannt, was das Buch noch so bringt und wo es mich hinführt. Mir macht das Lesen bisher großen Spaß.

  • Ich muss gleich mal loswerden, was mir nach den ersten Kapiteln durch den Kopf schoss:


    Ich bin sofort an Kafka erinnert.

    Ich muss ja gestehen, ich habe von Kafka erst zwei Bücher gelesen: Die Verwandlung und Der Prozess. Und das war kurz nach meiner Schulzeit und ich kann mich nicht mehr so wahnsinnig gut daran erinnern. Aber ich habe mal vorsichtig ein paar Rezis zu "Die Ungetrösteten" angelesen und da wird das Buch auch dauernd mit Kafka verglichen.

    Ich weiß jetzt nicht so genau, ob es gut oder schlecht ist, dass ich diesen Vergleich nicht für mich selbst ziehen kann. Auf jeden Fall habe ich jetzt mal aufgegeben, einen tieferen Sinn in der Handlung zu suchen und nehme das Geschehen einfach mal so hin ohne groß was zu deuten. Vielleicht entgeht mir dadurch eine tiefere Bedeutung. Aber für mich passt es auf jeden Fall mal so.

  • Ich bin gerade mal bei Seite 46 angekommen und stelle fest, dass sich bei mir eine arge Beklemmung einstellt. Für mich fühlt es sich an, als sei der bedauernswerte Ryder in einem völlig falschen Film gelandelt und müsse für jemand anders auftreten.

    Die anderen Beteiligten sind absolut unverschämt und distanzlos. Dabei tun sie alle so, als wären sie soooo rücksichtsvoll.

    Und dann dieser Brodsky, der nie gestört werden darf. Ob keiner auf die Idee kommt, dass auch Ryder Vorbereitung braucht und nicht gestört werden darf?


    Vermutlich ist meine Beklemmung eine Parallele zu Kafka. Bei dessen Büchern habe ich die auch oft.

  • Für mich fühlt es sich an, als sei der bedauernswerte Ryder in einem völlig falschen Film gelandelt

    Ja diese Beschreibung von Dir trifft es genau. Es fühlt sich an, als wäre er im völlig falschen Film und als hätte er keine Ahnung, wie er da hingekommen ist und wie er da jemals wieder rauskommt.


    Ich bin gerade sehr von mir selber erstaunt, dass der Roman bei mir keine Beklemmungs-Gefühle auslöst. Ich lese ihn irgendwie aus einer großen Distanz, wie ein unbeteiligter Beobachter und finde die Erlebnisse von Mr. Ryder sehr interessant. Aber es berührt mich nicht so sehr, dass es bei mir eine bedrückte Stimmung auslösen würde.

  • Kafka habe ich überhaupt noch nicht gelesen, zumindest kann ich mich nicht daran erinnern ;). Da fehlt mir also auch die Vergleichsmöglichkeit. Ich habe die ersten drei Kapitel gelesen und fühlte mich an Murakamis "Hard-boild wonderland und das Ende der Welt erinnert", das wir letztes Jahr gemeinsam gelesen haben. Irgendwie tappen die Protagonisten da auch so plan- und ratlos rum und so kommt mir Mr Ryder auch vor, auch wenn es eine völlig andere Situation ist.


    ... und stelle fest, dass sich bei mir eine arge Beklemmung einstellt.

    Die Beklemmung habe ich auch. Vielleicht, weil ich das Gefühl (leider) kenne: alle möglichen Leute wollen irgendwas von einem, man hat das Gefühl, es allen rechtmachen zu müssen/wollen, aber eigentlich will man nur seine Ruhe. Das kann ich nachvollziehen. Ich hoffe mal, das wird besser, sonst kann ich das Buch ganz und gar nicht genießen.


    Außerdem versuche ich, nicht allzuviel zu interpretieren, weil ich sicher eh momentan nicht draufkomme, was das Ganze soll, aber das ist schwierig. Am befremdensten finde ich die Vertrautheit, mit der Sophie plötzlich mit ihm umgeht, warum nur?

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021

  • Ich finde es interessant, wie wir versuchen Vergleiche zu finden. Vermutlich, weil das Buch so abstrakt und distanziert ist. Kafka habe ich auch noch nicht gelesen, kann zu dem Vergleich daher nichts sagen. Murakami finde ich interessant, da wäre ich nie drauf gekommen, aber jetzt beim Lesen kann ich es nachvollziehen. Mir kamen beim Lesen direkt Parallelen zu Dürrenmatts Besuch der alten Dame. Denn auch da ist es eine Charakterstudie auf einen begrenzten Personenkreis - Dorf bzw Hotelpersonal und davon verwandt. Gut, mittlerweile ist ja auch ein alter Mitschüler aufgetaucht.


    Wo spielt das Buch eigentlich? Ich habe irgendwie Wien vorm Auge, auch wenn ich da noch nie war :grin Und die Stadt ja auch kleiner sein wird.

  • Ich finde es interessant, wie wir versuchen Vergleiche zu finden. Vermutlich, weil das Buch so abstrakt und distanziert ist. Kafka habe ich auch noch nicht gelesen, kann zu dem Vergleich daher nichts sagen. Murakami finde ich interessant, da wäre ich nie drauf gekommen, aber jetzt beim Lesen kann ich es nachvollziehen. Mir kamen beim Lesen direkt Parallelen zu Dürrenmatts Besuch der alten Dame. Denn auch da ist es eine Charakterstudie auf einen begrenzten Personenkreis - Dorf bzw Hotelpersonal und davon verwandt. Gut, mittlerweile ist ja auch ein alter Mitschüler aufgetaucht.


    Wo spielt das Buch eigentlich? Ich habe irgendwie Wien vorm Auge, auch wenn ich da noch nie war :grin Und die Stadt ja auch kleiner sein wird.

    Ich denke, dass dieses Suchen von Parallelen in unserer Natur liegt.:grin

    Wenn man viel gelesen hat, dann fällt einem manchmal so etwas ein.


    Zum Ort: keine Ahnung. Ich habe auch nichts gefunden oder es überlesen, aber in Kapitel 8 oder 9 gibt es einen Hinweis auf ein eingeladenes Orchester aus Stuttgart. So hatte ich das Geschehen irgendwie in Deutschland angesiedelt, aber Wien könnte für mein Gefühl auch passen.

  • Aber ich habe mal vorsichtig ein paar Rezis zu "Die Ungetrösteten" angelesen und da wird das Buch auch dauernd mit Kafka verglichen.

    Rezis hab ich bewusst keine gelesen. Hier bei der Eule geht es meist, aber sonst wird mir in Rezis zu viel gespoilert oder meine Gedanken in eine bestimmte Richtung gelenkt, die das Lesegefühl sonst vielleicht für mich gar nicht genommen hätte.

  • Die anderen Beteiligten sind absolut unverschämt und distanzlos. Dabei tun sie alle so, als wären sie soooo rücksichtsvoll.

    Und dann dieser Brodsky, der nie gestört werden darf. Ob keiner auf die Idee kommt, dass auch Ryder Vorbereitung braucht und nicht gestört werden darf?

    Ryder ist im ersten Kapitel noch der geschätzte Gast, der Unbekannte, aber schnell wird er vereinnahmt, auch für sehr persönliche Sachen, wie ein alter Bekannter.

    Dass er mit Gustavs Tochter sprechen soll, weil der selbst das seit Jahren nicht kann, fand ich am ungeheuerlichsten und erst recht das, was daraus entsteht.

    An der Stelle hab ich wirklich gezweifelt, ob er nicht doch bekannt in der Stadt ist...Wenn ich es recht verstehe, passt er sich aber nur gefällig perfekt an.


    Brodsky ist für mich noch so ein undurchsichtiges Thema, auch noch in Kapitel 10:gruebel

  • Ich glaube, dass der Handlungsort Wien in der Buchbeschreibung stand. Das Buch entwickelt in mir eine düstere Stimmung. Besonders der Heimweg von Ryder mit Sophie und Boris. Die dunklen Gassen sind mystisch und furchterregend. Boris scheint ein gesundheitliches Problem zu haben, da er manchmal sehr schwer atmet.

  • Ich glaube, dass der Handlungsort Wien in der Buchbeschreibung stand.

    Das könnte gut passen. Es könnte aber auch jede beliebige Stadt sein, so beliebig wie Ryder selbst.


    Was Boris betrifft, so entsteht doch der Eindruck, dass er Ryders Sohn ist, oder? Sophie spricht auch von einem Haus, dass sie endlich für sie gefunden hat und wo alles gut werden würde. Dabei entsteht am Anfang des Romans der Eindruck, dass er zum ersten Mal in dieser Stadt ist...:gruebel

    Gustav muss ihm Tochter und Enjelsohn sogar beschreiben, damit er sie auch findet.

    Aber wenn es so ist, dass Mr Ryder sich nur sofort an sein jeweiligen Gegenüber anpasst und das so perfekt als fülle er eine Lücke, die wie für ihn gemacht ist, wie kann es dann sein, dass ihn jeder ja eigentlich Fremde in sein Leben einbaut?

    Sehr seltsam...

  • Ich glaube, dass der Handlungsort Wien in der Buchbeschreibung stand.

    Zu Wien passt natürlich auch der pflichtbewusste Hoteldiener im Grande Hotel und das „ungarische Café“.


    Aber wenn es so ist, dass Mr Ryder sich nur sofort an sein jeweiligen Gegenüber anpasst und das so perfekt als fülle er eine Lücke, die wie für ihn gemacht ist, wie kann es dann sein, dass ihn jeder ja eigentlich Fremde in sein Leben einbaut?

    Das hast du schön beschrieben. An dem „Lückenfüller“ könnte was dran sein. :/

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021

  • Aber wenn es so ist, dass Mr Ryder sich nur sofort an sein jeweiligen Gegenüber anpasst und das so perfekt als fülle er eine Lücke, die wie für ihn gemacht ist, wie kann es dann sein, dass ihn jeder ja eigentlich Fremde in sein Leben einbaut?

    Sehr seltsam...

    Als hätte er vorübergehend das Gedächtnis verloren.


    Eigenartig finde ich auch, dass der am Anfang benannte eigentliche Zweck des Aufenthalts und der angeblich so straffe Terminplan völlig in den Hintergrund gerückt sind.


    Allzu lange darf ich nicht an einem Stück lesen. Ich habe den Eindruck, völlig die Realität zu verlieren.

  • Mittlerweile habe ich den Eindruck, dass Mr Ryder eigentlich Herr Twix ist, der in der ungenannten Stadt (nennen wir sie Wien ;)) zu Hause ist. Und wie Rumpelstilzchen gesagt hat, fehlt ihm die Vergangenheit und er sieht sich als Mr Ryder aus England. Und die Bewohner wollen ihm auf eine recht eigenwillige Art helfen, als ob sie nicht wüssten, wie sie mit seiner Amnesie umgehen sollen. Die Krönung ist natürlich Sofie.


    Sehr mysteriös alles.

  • Eigenartig finde ich auch, dass der am Anfang benannte eigentliche Zweck des Aufenthalts und der angeblich so straffe Terminplan völlig in den Hintergrund gerückt sind.

    Ja das stimmt. Die Frau Stratmann, der ja keine Fehler passieren, scheint heillos überfordert mit ihrem Starpianisten den Zeitplan abzustimmen, und straff kann er ja gar nicht sein bisher. Wobei Mr Ryder ja auch seinen Teil dazu beiträgt, indem er alles a nickt und doch nichts weiß.

  • Ich glaube, dass der Handlungsort Wien in der Buchbeschreibung stand.

    Ich habe nochmal geschaut, weder in der Inhaltsangabe noch auf dem Rückentext meiner Ausgabe stand der Name der Stadt, es wird nur auf ein Hotel verwiesen. Vielleicht habe ich wo anders etwas aufgeschnappt, aber aktiv habe ich auch nicht nach weiteren Infos gesucht. Lese-rina hat ja auch noch gute Indizien für Wien gefunden :)

    Das könnte gut passen. Es könnte aber auch jede beliebige Stadt sein, so beliebig wie Ryder selbst.

    Ich denke, die Stadt selber ist irrelevant und wird vermutlich auch nicht aufgelöst. Spannend ist aber, wie sich Bilder von der Stadt aufbauen, wie Ishiguro die Sprache und Klischees sowie Bilder benutzt, dass ich als Leser diese irrelevante Stadt benennen möchte - und das auch noch mit Wien, wo ich selber noch nie war und sie nur von Erzählungen und Bildern kenne.

  • Ja das stimmt. Die Frau Stratmann, der ja keine Fehler passieren, scheint heillos überfordert mit ihrem Starpianisten den Zeitplan abzustimmen, und straff kann er ja gar nicht sein bisher. Wobei Mr Ryder ja auch seinen Teil dazu beiträgt, indem er alles a nickt und doch nichts weiß.

    Ja, der straffe Zeitplan...auf den warte ich auch noch. Gefühlt baut Ryder Tag und Nacht kleine Gefälligkeiten für Leute ein und kommt nicht mal zum Schlafen.


    Was für eine Veranstaltung ist an diesem mysteriösen Sonntag? Inzwischen glaube ich nicht mehr, dass es nur ein Konzert ist.

    Ryder hat noch nicht 1x am Flügel gesessen, wo doch Berufsmusiker jeden Tag üben.