Mein Lieblingstier heißt Winter – Ferdinand Schmalz

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  • S.Fischer-Verlag, 2021

    192 Seiten


    Kurzbeschreibung:

    Der Wiener Tiefkühlkostvertreter Franz Schlicht soll einem makabren Wunsch nachkommen. Sein Kunde Doktor Schauer ist fest entschlossen, sich zum Sterben in eine Tiefkühltruhe zu legen. Er beauftragt Franz Schlicht, den gefrorenen Körper auf eine Lichtung zu verfrachten. Zum vereinbarten Zeitpunkt ist die Tiefkühltruhe jedoch leer, und Schlicht begibt sich auf eine höchst ungewöhnliche Suche nach der gefrorenen Leiche. Dabei begegnet er der Tatortreinigerin Schimmelteufel, einem Ingenieur, der sich selbst eingemauert hat, und einem Ministerialrat, der Nazi-Weihnachtsschmuck sammelt. Ferdinand Schmalz nimmt uns in »Mein Lieblingstier heißt Winter« mit auf eine abgründige Tour quer durch die österreichische Gesellschaft, skurril, intelligent und mit großem Sprachwitz.


    Über den Autor:

    Ferdinand Schmalz, geboren 1985 in Graz, aufgewachsen in Admont, Obersteiermark, lebt und studiert Theaterwissenschaft und Philosophie in Wien. Am Schauspielhaus Wien und Schauspielhaus Düsseldorf war Schmalz als Regieassistent tätig. Er performt im freien Kollektiv mulde_17 und ist Mitbegründer des Festivals Plötzlichkeiten im Juni 2012 im Theater im Bahnhof Graz.


    Mein Eindruck.

    Dass dieses Buch auf die Longlist des Deutschen Buchpreises 2021 gekommen ist, hat mich überrascht, aber ich bin sehr damit einverstanden und immerhin war ein Kapitel aus dem Roman auch Gewinner des Ingeborg Bachmann-Preis.


    Mein Lieblingstier heißt Winter ist ein von einem besonderen, auffälligen Stil geprägter Roman.

    Erzählt wird so, als führe eine Kamera auf die geschilderte Szenerie ran.

    So entsteht präzise Bild für Bild.


    Schön das erste Kapitel ist brillant. Ein Putztrupp zwischen Plastikdinosauriern in einem Vergnügungspark. Was für ein Bild.

    Erzählt wird auch mit einer gehörigen Portion Ironie.


    Das Romanpersonal setzt sich aus Originalen zusammen:

    Franz Schlicht, der Tiefkühlfrostvertreter

    Die Schimmelteufel, die Chefin der Reingungsfirma ist.

    Doktor Schauer, der krebskrank den Freitod wählt, seine Tochter Astrid,

    der Ingenieur Huber, der Pathologe Tulp

    und der Feuerwerker Fabian


    Die Sprache des österreichischen Dramatikers und Schriftstellers Ferdinand Schmalz ist gesättigt, rythmisch und weckt mit vielen Sätzen ungewöhnliche Assoziationen beim Leser.

    Aber auch der Plot ist raffiniert, besitzt sogar Krimielement. Wichtiger sind aber die interessanten, abschweifenden Beschreibungen der Gedankenwelten der verschiedenen Figuren.


    Es spricht also viel für das Buch!



    ASIN/ISBN: 3103974000

  • Meine Meinung:

    Ein echt abgefahrenes Buch!

    Bei mir stand das Leseerlebnis eindeutig im Vordergrund während der Lektüre.

    Das Buch strotzt vor Übertreibungen, Andeutungen, Verbildlichungen. In dieser Hinsicht haut Ferdinand Schmalz echt einen raus.

    Schon allein die Idee, die Inszenierung eines Selbstmordes an den Anfang eines Buches zu stellen, ist grandios.

    Dr. Schauer ist nämlich wild entschlossen, seinem Leben ein Ende zu setzten. Inspiriert von einem Hirschen, der sich freiwillig von ihm erschießen ließ, möchte er ebenfalls auf jener besagten Lichtung sterben. Dazu benötigt er die Unterstützung seines Tiefkühlkost-Dealers Franz Schlicht. Schauer beabsichtigt, sich mittels dreier Schlaftabletten zu betäuben, sich dann in seine eigene Tiefkühltruhe zu legen und dort zu erfrieren. Schlicht soll dann einen Tag später den Transport der tiefgefrorenen Leiche mit seinem Kühlfahrzeug übernehmen. Dr. Schauers Familie soll nämlich beim Auffinden der Leiche geschont werden, weshalb ein sanftes Auftauen auf der Lichtung zum Programm gehört. Leichter geplant als getan. Als Schlicht besagte Transport durchführen will, ist die Leiche verschwunden. Jetzt beginnt eine ungeheuer komische Jagd nach der schaurigen Leiche. Dabei trete noch mehr Typen auf, deren Name schlichtweg Programm ist. Zum Beispiel die Inhaberin einer Reinigungsfirma Schimmelteufel oder der Politiker Kerninger, dessen heimliches Hobby es ist, Weihnachtsschmuck aus der Nazi-Zeit zu sammeln.

    „Mein Lieblingstier heißt Winter“ ist ein Buch, welches wirklich aus der breiten Masse der Veröffentlichungen heraussticht. Denn das Besondere ist, dass Schmalz sich einer Kunstsprache bedient, die meinem Empfinden nach dem Inhalt übergeordnet ist. Das ist also kein Buch zum Wegdämmern bei der Lektüre, sondern ich musste ganz bewusst lesen, um durch die Sprache auch den Inhalt zu erfassen. Ein Beispiel soll das verdeutlichen.

    „Und hätt, hätt er nicht hierher, hier in den Keller kommen sollen, der Schlicht. Und weiß es nicht, was ihn da getrieben, bestimmt nicht dieses bisschen Geld, das sich der Doktor Schauer angespart.

    (…) Wie ein Würfel rollt übern Kellerboden klackernd jetzt ein Zahn, um da in der Bratenlache zu verebben. (…) , dreht um sich, sieht unter akkurat gezupften Augenbrauen zwei leere blaue Augen. Und sacken weg, die blauen Augen mit dem Kopf.“ ( S.29)

    Ich hatte beim Lesen manchmal das Gefühl, dass diese ganz bewusst erschaffene Sprache zwischen mir und dem Buch steht. Wie eine durchsichtige Wand. Ich kam nie aus dieser überwachen Lesehaltung heraus, als würde ich mich beim Lesen selbst beobachten, ob ich auch ja alle Andeutungen verstehe und auch jedes sprachliche Bild begreife. Deshalb würde ich dieses Buch nur jemandem empfehlen, der Freude daran hat, während des Lesens auf eine Art Schnitzeljagd zu gehen, um ganz viele Hinweise und Querverweise, zum Beispiel auf die Bibel, zu entdecken.

    Endlich mal ein Buch, das zu Recht auf der Longlist des Deutschen Buchpreises 2021 stand, da es innovativ, experimentell und noch von einer morbiden Komik durchzogen ist. Mir hat das Lesen Spaß gemacht.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin