Ritchie Girl, Andreas Pflüger

  • Schuld , Scham und Sühne


    Ritchie Girl

    Inhaltsangabe:


    Am Schluss stehen wir alle

    vor uns selbst

    Paula Bloom kehrt nach ihrer Ausbildung in Camp Ritchie, Maryland, als amerikanische Besatzungsoffizierin in ein zerstörtes und gebrochenes Deutschland zurück, das sie vor neun Jahren über Nacht verlassen hatte. Als Tochter eines amerikanischen Geschäftsmannes führte sie im Berlin der Nazizeit ein Leben im goldenen Käfig. Ein Leben, das eine Lüge war. Jetzt glaubt Paula, dass sie niemals vergeben kann. Nicht den Deutschen. Und nicht sich selbst.

    Während in Nürnberg über die Hauptkriegsverbrecher gerichtet wird, arbeitet man in einem Camp der U.S. Army nahe Frankfurt längst wieder mit Nazi-Tätern zusammen. Im Maschinenraum des Kalten Krieges haben Pragmatiker das Sagen, an deren Zynismus Paula verzweifelt. Hier trifft sie auf Johann Kupfer, einen österreichischen Juden, der den Amerikanern seine Dienste anbietet. Er behauptet, der größte Spion des Zweiten Weltkriegs gewesen zu sein. Paula soll herausfinden, ob das die Wahrheit ist. Doch wer die Wahrheit sucht, muss sie auch ertragen.


    Meine Meinung zum Autor und Buch

    Andreas Pflügers neuster Roman ist sehr schwer zu beschreiben, ein Buch das mir unter die Haut und oft an die Substanz ging, aber ich würde es sehr bereuen nicht gelesen zu haben. Kein Buch das man einfach verschlingt, ab und zu muss man innehalten. Er hat Fiktionen und wahre Tatsachen sehr gut mit einander verwoben. Es geht um deutsche Schuld und Aufarbeitung, sich der Vergangenheit zu stellen, auch wenn es weh tut. Er hat ein brillantes und großartiges Werk geschaffen, voller erzählerischer Wucht. Sein Schreibstil ist sehr klar, kraftvoll, mit einem Hauch Poesie und von der ersten bis zur letzten Seite mitreißend. Seine Figuren wirken sehr Authentisch, wie aus Fleisch und Blut. Auch deren Charaktere sind sehr gut herausgearbeitet. Man konnte sich in sie hinein fühlen, mit ihnen lachen, weinen, Scham empfinden und Hoffnung.


    Zum ersten mal erfuhr ich über dieses Camp Ritchie in Maryland, da wo Paula und andere Frauen zu Offizieren ausgebildet wurden, sie will nach Deutschland zurück kehren, um dort für die Amerikaner zu Arbeiten, als Dolmetscherin um bei den Verhören der Nazis dabei zusein um sie auszuhorchen. Sie hat als Kind in Berlin gelebt, ihr Vater war ein reicher Amerikaner , bei Ihnen in Berlin gingen die ganz großen ein und aus, mit denen er Geschäfte machte. Paulas Jahre spätere Flucht nach Amerika nach dem plötzlichen Tod ihres Vaters konnte ich nach vollziehen. Ich habe mit Paula mitgelitten, ihre innere Zerrissenheit gespürt, sie erkennt das ihr bisheriges Leben eine Lüge war, sie ist voller Schuld und Scham. Warum ist sie so bedrückt wenn sie an Georg denkt, ihre große Liebe, weshalb schweigt sie ihn Tod. Da ist Ihr Kamerad Sam ebenfalls in der Armee, er ist für mich ein Seelenverwandter von Paula, ihn mochte ich von Anfang an, auch er kaut an Schuldgefühlen. Sehr bewundert habe ich Paula für ihr Durchhaltevermögen, in Sachen Johann Kupfer alias Sieben, ganz besonders bei den Prozessen in Nürnberg und den Hinrichtungen, an der sie persönlich teilnahm. Viele berühmte historische Persönlichkeiten, begegnen uns, man bekam tiefe Einblicke, was so wirklich lief den wie wir heute wissen arbeiteten nicht nur die Amerikaner mit Nazigrößen zusammen, wenn sie für sie brauchbar waren, es war ein Wettkampf zwischen den Siegermächten.


    ASIN/ISBN: 3518430270

    (Edit:ISBN zur Verlinkung und Coverabbildung
    nachgetragen. Gruß Herr Palomar)

  • In Camp Ritchie war das Ausbildungslager der US-Armee. Hier wurden auch die Ritchie Boys ausgebildet. Es handelte sich um junge Deutsche – nicht nur Boys -, die gegen die Nazi-Diktatur arbeiten sollten. Auch Paula Bloom kehrt nach ihrer Ausbildung dort als Besatzungsoffizierin zurück nach Deutschland, dass sie vor Jahren Hals über Kopf verlassen hatte. In Nürnberg werden die Prozesse gegen Kriegsverbrecher geführt und die Amerikaner arbeiten pragmatisch mit den Deutschen zusammen, auch wenn diese nicht unbescholten sind. Paula wird auf den österreichischen Juden Johann Kupfer angesetzt, der behauptet, der größte Spion während des Zweiten Weltkrieges gewesen zu sein.

    Ich habe schon einige Bücher des Autors Andreas Pflüger gelesen und wollte auch diesen Roman unbedingt lesen. Es ist keine leichte Kost, die uns der Autor hier serviert.

    Paula Bloom ist eine sympathische junge Frau, die als Tochter einer deutschen Mutter und eines amerikanischen Geschäftsmannes in Berlin aufgewachsen ist. Nach ihrer Flucht in die USA stellte sie fest, dass ihr Leben eine einzige Lüge war. Sie ist innerlich zerrissen und empfindet Scham und Schuldgefühle. Mit diesen Gefühlen ist sie allerdings nicht alleine, auch ihr Kamerad Sam empfindet so. Paula sieht die verheerenden Auswirkungen des Krieges. Die pragmatische Art der Amerikaner mit der Aufarbeitung der Vergangenheit umzugehen, bringt Paula zur Verzweiflung. Niemand will gewusst haben, was geschehen ist. Keiner zeigt Reue und alle betrachten sich als Opfer. Paula kann den Deutschen nicht verzeihen, aber genauso wenig sich selbst, denn ihr Verhalten hat auch zu Verhaftung und Deportation geführt, ohne dass sie sich dessen bewusst war. Nun versucht sie ihre große Liebe und muss erkennen, dass sie sich auch in Georg getäuscht hatte.

    Vieles was hier geschildert wird, ist schwer zu ertragen. Trotzdem hat mich die Geschichte von Anfang an gepackt und ich konnte Paulas Gefühle gut nachvollziehen. Es ist ein Roman, der einen noch lange beschäftigt.

    Absolute Leseempfehlung!


    10/10

  • Darum geht's:

    Am Rande Berlins ist Paula Blohm in wohlhabenden Verhältnissen groß geworden und konnte dank ihres amerikanischen Vaters in die USA emigrieren. Nach dem Ende des 2. Weltkrieges kehrt sie als Teil der US-Streitkräfte nach Europa zurück und soll in einem Camp nahe Frankfurt Befragungen durchführen. Ihr Hauptaugenmerk liegt auf Johann Kupfer, der behauptet, einer der erfolgreichsten Spione zu sein, doch mal zweifelt, ob er es ist, der sich hinter dem Decknamen "Sieben" versteckt hat.


    So fand ich's:

    Paula kommt nicht unbelastet nach Deutschland zurück, denn ihr inzwischen verstorbener Vater, ein US-amerikanischer Geschäftsmann, hat auch mit Nazis gute Verbindungen gepflegt. Außerdem gibt es ihre erste Liebe Georg, den sie in Deutschland zurückgelassen hat und von dem sie nicht weiß, ob er noch lebt und wie es mit seinem moralischen Kompass aussieht. Paulas Vergangenheit und eigene Verstrickung mit Nazis vermischen sich mit ihrer Aufgabe im Camp, Johann Kupfers angebliche Spionagetätigkeit zu verifizieren und mit dem, was sie mit Besatzern, Überlebenden und Tätern erlebt.

    Die Zeit, in der dieses Buch spielt, ist hochinteressant. Denn diese Situation, die Aufarbeitung von Kriegsverbrechen, Doppelmoral, Geschäftemacherei und Moral, die weiße Fassade und das, was sich an Grautönen dahinter verbirgt, zynische oder hoffnungsfrohe Betrachtungen von ein und derselben Situation - das alles wiederholt sich in der Geschichte immer wieder und wieder. Und ich begrüße jede zusätzliche Sicht auf diese komplexen Verflechtungen, die man immer nur in Teilbereichen aufarbeiten und betrachten kann. Insofern ist "Ritchie Girl" absolut empfehlenswert.

    Allerdings muss ich gestehen, dass ich mit der Art, wie mir diese Erzählung präsentiert wurde, so meine Probleme hatte. Ich fand die Erzählweise oft zu abgehackt, bruchstückhaft und mit sehr vielen Informationen fast schon überfrachtet. Diese werden auch wie nebenbei fallen gelassen, als müsse man die Hintergründe kennen. Es wird nicht viel erklärt. Ich hatte den Eindruck, als würde ich als Außenstehende einem Gespräch zweier Insider lauschen. Man schlaglichterte sich so durch, bekam Facetten vorgesetzt, die einen glaubhaften Eindruck der Zeit vermitteln und eine passende Atmosphäre schaffen, die mich aber nicht mitreißen konnten. Durch die vielen Aspekte, die alle nicht vertieft wurden, blieb eine Distanz zur Erzählung, die ich nicht überbrücken konnte. Selbst Paula blieb mir lange fremd, bis ich so nach und nach ein bisschen mehr über sie und ihr Dilemma herausfand.

    Jede Menge berühmte Namen wurden platziert, als bestünde Paulas Welt nur aus Prominenten. Ich fühlte mich manchmal an Forest Gump erinnert, der sich in viele Ereignisse der Weltgeschichte hineinstolperte. Paula begegnete unter anderem Otto Dix, Marlene Dietrich, Graham Greene, Charlie Chaplin und so gut wie allen Nazigrößen und mir war das zu viel des Guten.

    Andreas Pflüger hat es geschafft, mit komprimierter Sprache eine dicht gepackte Geschichte zu erzählen, die einen zwingt, langsam zu lesen und doch verplaudern sich seine Figuren oft genug in handlungsarmen Passagen so, dass man sie am liebsten drängen würde, endlich auf den Punkt zu kommen. In einem gleichmäßig dahinplätschernden Strom von Blabla verstecken sich dramatische Schicksale und bittere Wahrheiten. Ich empfand das Buch als anstrengend, aber andererseits wird man dem schweren Thema mit leichter Kost auch nicht gerecht. Manchmal war mir das Buch gleichzeitig zu viel und zu wenig.

    Deshalb unterscheide ich zwischen dem, was thematisiert wird, was wichtig und von grundlegender Bedeutung ist und womit man sich unbedingt auseinandersetzen sollte. Und der Art und Weise, wie Pflüger erzählt, mit der ich mich schwergetan habe, die aber durchaus passend war, nur eben nicht für mich. Am Ende bleibt ein durchwachsener persönlicher Leseeindruck, der jedoch niemanden davon abhalten sollte, dem Buch eine echte Chance zu geben.

  • Wirklich ein sehr Anspruchsvoller Roman, er fordert einem beim Lesen…