Es sind Menschen
Viele Zeitgenossen gehen durch die Welt und nehmen die Menschen, die ihnen am Rande begegnen, wie eine sich fortwährend verändernde Kulisse eines ganz persönlichen Schauspiels wahr, und wenn eine Situation geendet hat, sind auch die Menschen schnell, manchmal sofort wieder vergessen, die dazugehörten, die darin also mitgespielt haben, und sei es nur als Nebenfiguren oder Statisten. Aber jede Person, der man begegnet, ist ein echter Mensch - mit einem ganzen, richtigen, unausweichlichen Leben, mit einem Schicksal und seinem persönlichen Glück und Unglück.
Isobel Markus hat ein Auge für diese Verknüpfung, sie sieht das Schicksal im Kleinen, und sie bringt uns diese Fähigkeit nahe. „Stadt der ausgefallenen Leuchtbuchstaben“ ist eine Sammlung von Dutzenden Miniaturen, szenischen Erlebnissen, mal nur ein paar Zeilen lang und dann wieder zwei, drei Buchseiten füllend, in denen Leute die Hauptrollen spielen, die sonst nicht einmal im Nachspann genannt werden. Die Autorin schaut, wo andere weggucken, sie lauscht, wo sich andere taubstellen, sie beobachtet - und mischt sich hin und wieder auch ein. Aber es sind nicht nur die Alltagsbegegnungen - die als „berliner szenen“ in der Tageszeitung „taz“ veröffentlicht wurden -, sondern auch das Leben mit ihrer kleinen Familie und ihren Freunden, von denen Isobel Markus plaudert, vom versandenden Fitnesskurs mit der besten Freundin oder der Bedeutung einer orangefarbenen Rettungsweste für ihre Kinder. Schauplätze sind Warteschlangen vor Drogeriemärkten, Supermarktkassen, Friedhöfe, Gehwege und Treppenhäuser, aber eine ganz wesentliche Rolle spielen die öffentlichen Verkehrsmittel. Wer Isobel Markus (unwissentlich) in U- oder S-Bahn begegnet, sollte damit rechnen, Hauptfigur eines erzählten Erlebnisses zu werden.
Und sie gießt diese Erlebnisse in herrliche kleine Anekdoten, die manchmal melancholisch, oft lustig, meistens sehr weise und insgesamt einfach zauberhaft sind. Sie zeichnet ein optimistisches Bild der großen Stadt und des Zusammenlebens darin, sie lebt aber auch einen Umgang vor, und sie schreibt einfach schön (und übrigens manchmal ein bisschen wie Anke Stelling). „Stadt der ausgefallenen Leuchtbuchstaben“ ist ein literarischer Setzkasten, ein Buch zum Drinschmökern, ein Geschenk für feine Menschen und gute Freunde. Oder an sich selbst.
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ASIN/ISBN: 3969820103 |