Die Hebamme, von Edvard Hoem

  • Die Hebamme, von Edvard Hoem


    Cover:

    Die Farbe stimmt schon mal auf einen historischen Roman ein. Und das Bergmassiv des Fjords zeigt uns den Handlungsort.


    Inhalt:

    Wir begleiten das Leben der Marta Kristine Andersdatter Nesje, von 1800 bis 1877 (zu ihrem Tod). Von Beginn an eine starke und selbstbewusste Frau.

    Sie ging 1821 zu Fuß von der Westküste Norwegens 600 km nach Christiania, um eine anerkannte Hebamme zu werden.

    Das Leben hat ihr wahrlich nichts geschenkt.


    Meine Meinung:

    Der Autor erzählt hier den Lebensweg seiner Ururgroßmutter, anhand von vieler historischer Fakten nach. Doch vieles (so betont er selber) ist schriftstellerische Freiheit, weil es keine Aufzeichnungen oder überlieferte Geschichten gibt.

    Das Buch ist eine Mischung aus Roman und historischer Erzählung. Denn immer wieder sind nüchterne historische Fakten eingeflochten und wo und wann diese, wie, vermerkt wurden.

    Ein wunderbarer Schreibstil, auf der einen Seite sachlich und auf Grundlagen basierend, auf der anderen Seite poetisch und wunderbar eindrücklich erzählt, so dass die Stimmungen und Empfindungen sehr gut bei mir ankommen.


    Ein unglaublich bemerkenswertes Leben.

    Stina, wie die Hebamme genannt wurde, ist eine außergewöhnlich starke Frau, sie geht unbeirrbar ihren Weg, gegen und trotz aller Schwierigkeiten. Ein Leben voller Entbehrungen und Rückschlägen, wie wir es uns heute kaum vorstellen können. Einfach und hart und immer am Existenz-Minimum.

    Ein Überlebenskampf.

    Und doch ist Stina nie verbittert oder verzweifelt.


    Eine ganz wunderbare „Nebenfigur“, die für mich gar nicht so nebensächlich ist und die ich auch sehr bewundert habe, ist der Vater von Stina. Er ist seiner Zeit immer ein Stück voraus, beschwert sich nie, er packt einfach an und handelt.


    Wir lesen von einer großen Liebe (Stina + Hans), an der Stina nie zweifelt, die ihr aber aus meiner Leseransicht, mehr Sorgen und Kummer als Glück gebracht hat.


    Autor:

    Edvard Hoem, geboren 1949 in der Nähe von Molde, ist einer der führenden norwegischen Schriftsteller. Seit fünf Jahrzehnten veröffentlicht er Romane, Dramen, Gedichte und Übersetzungen. Er avancierte in den letzten Jahren mit seinen historischen Romanen zum Bestsellerautor.


    Mein Fazit:

    Ein unglaubliches Leben, das mich tief beeindruckt hat.

    Von mir 5 Sterne.

    ASIN/ISBN: 3825152367

    (Edit: ISBN zur Coverabbildung ausgetauscht. Gruß Herr Palomar)

  • Hebammen-Stina


    Die Hebamme, Roman von Edvard Hoem, EBook, 300 Seiten, erschienen im Verlag Urachhaus.

    Die Lebensgeschichte der Ururgroßmutter des Autors, Marta Kristina Andersdatter Nesje, die auf historischer Grundlage beruht. Ein Bild das Edvard Hoem hier gezeichnet hat, dass viel mehr beinhaltet als eine Biografie, es ist gleichzeitig ein Bild einer ganzen Epoche, einer Landschaft wild und rau und insbesondere eine Schilderung des Hebammenberufs, wie er vor 200 Jahren war.

    Das Werk besteht aus drei Teilen, die sich in 12 Kapitel gliedern, die mit Überschriften versehen sind, die zum Inhalt passen. Der Text enthält Fußnoten die im Anhang erklärt werden. Besondere fremdsprachliche Ausdrücke vor allem dänische und norwegische, sowie Bibelstellen, Gebete und Lieder erscheinen kursiv.
    Ich habe „Die Hebamme“ in einem Stück ausgelesen, so faszinierend und ergreifend fand ich den Roman, nüchtern erzählt und dennoch voller Poesie, die bildhaften Schilderungen der wilden Landschaft im norwegischen Fjord, das wilde Wetter, die majestätischen Berge, all das hatte ich bei der Lektüre vor Augen. Der raue Art der Menschen so tief charakterisiert und beschrieben, da ist jede Handlung authentisch.
    Auch das Berufsbild der Hebamme, im frühen 19. Jahrhundert ist so gut beschrieben, dass man jeden Handgriff oder den Stand der damaligen Medizin gut nachvollziehen kann. Besonders bemerkenswert fand ich die Tatsache, dass Marta Kristina, auch für die Pockenimpfung verantwortlich war, Parallelen zur aktuellen Pandemie-Impfung konnte ich immer wieder vorfinden.
    Meine Lieblingsperson, natürlich die Protagonistin, eine absolut bewundernswerte und starke Frau, die Zeit ihres Lebens über tausend Kindern ans Licht der Welt geholfen, dabei aber selbst 11 Kinder geboren hat. Schon früh und durch ein traumatisches Erlebnis hat sie sich entschlossen diesen Weg zu gehen. Einige wichtige Männer, darunter Pastor Stubben, der Dorfschuster ihr Vater, ihr Lehrer Dr. Wolf und natürlich Hans ihr Ehemann, haben sie auf ihren Weg gebracht und begleitet. Mit dem Ruderboot über den Fjord, auf den Weg zur Hebammenausbildung nach Christiania. Kein Hindernis zu groß konnte sie von ihrem Weg abbringen, dabei hat sie in ihrem Leben selbst viele Schicksalsschläge einstecken müssen.
    Hebamme - eine so bedeutende Tätigkeit, von der zwei Menschenleben abhängen, oder … Stubben wies sie an zum Lesen weder morgens noch abends Licht zu sparen, denn wenn die Menschen kein Wissen erlangten, würden ihre Seelen auf immer im Dunklen verbleiben. Solche und ähnliche Sätze haben mich tief berührt.
    Eine wunderbare Unterhaltung und interessante Information. Gerne gebe ich eine Leseempfehlung und 10 Punkte.

  • Kurzbeschreibung (Quelle: Verlagsseite)

    Marta Kristine Andersdatter Nesje, die Ururgroßmutter des Autors, ging 1821 zu Fuß 600 km von der Westküste Norwegens nach Christiania, um Hebamme zu werden. Danach übte sie ihren Beruf fünfzig Jahre lang am Romsdalfjord aus und verfolgte beharrlich ihr Ziel, Frauen zu helfen – wobei sie lange gegen Misstrauen und Armut ankämpfen musste. Edvard Hoem lässt Marta Kristine mit enormer dichterischer Kraft hervortreten. Er erzählt feinfühlig von ihrer tiefen Liebe zu Hans, ihrem Lebensalltag mit elf Kindern und von den unzähligen Hebammenfahrten über den Fjord. Das Bild einer ganzen Epoche, einer Landschaft – und insbesondere des Hebammenberufs vor 200 Jahren – tritt atmosphärisch und detailgetreu hervor. Das Einfache dieses Lebens und die Zuversicht der Charaktere vermögen uns gerade heute besonders zu berühren.


    Autor (Quelle: Verlagsseite)

    Edvard Hoem geboren 1949 in der Nähe von Molde, ist einer der führenden norwegischen Schriftsteller. Seit fünf Jahrzehnten veröffentlicht er Romane, Dramen, Gedichte und Übersetzungen, für die er u.a. mit dem Brage-Preis (2019), dem norwegischen Kritiker-Preis und dem Ibsen-Preis ausgezeichnet wurde. 2020 wurde er für seine Verdienste um die norwegische Literatur zum Kommandeur des Sankt-Olav-Ordens ernannt und avancierte in den letzten Jahren mit seinen historischen Romanen zum Bestsellerautor.


    Allgemeines

    Titel der Originalausgabe:“Jordmor på jorda „ , ins Deutsche übersetzt von Antje Subey-Cramer

    Erschienen am 25.08.2021 im Verlag Urachhaus als HC mit 300 Seiten

    Gliederung: Vorwort - Roman in drei Teilen mit insgesamt zwölf langen Kapiteln – Nachwort – Erklärung zu den Fußnoten

    Erzählung in der dritten Person aus der Perspektive der Protagonistin Marta Kristine Andersdatter Nesje

    Handlungsort und -zeit: Romsdalfjord, Norwegen, in den Jahren 1800 bis 1877


    Inhalt

    Wie in seinem Buch „Die Geschichte von Mutter und Vater“ widmet sich der Autor auch hier seiner Familiengeschichte, er begibt sich zurück in das frühe 19. Jahrhundert und schildert das Leben seiner Ur-Urgroßmutter Marta Kristine Andersdatter Nesje (1793 – 1877), einer Frau, die ihrer Zeit voraus ist und es entgegen aller widrigen Umstände durchsetzt, Hebamme zu werden. Dieser Wunsch geht nicht nur auf das Bestreben, Frauen bei der Geburt sachgerecht zu unterstützen, sondern auch auf die Notwendigkeit, Geld zu verdienen, zurück. Als Häuslertochter stammt Marta Kristine aus einfachen Verhältnissen, ihr Vater ist Schuhmacher. Sie heiratet Hans Nesje, der aus einer besser gestellten Familie kommt, aber seit seinen Erlebnissen als Soldat traumatisiert ist. Zudem ist er auch noch von der „Schwermut“ betroffen, die in seiner Familie schon seit Generationen auftritt. Hans kann den Lebensunterhalt der wachsenden Familie – sie bekommen ein Kind nach dem anderen – nicht sichern, er verdient ein wenig durch Fischfang oder Aushilfsarbeiten, meist ist er nicht fähig zu arbeiten und macht überall Schulden. Die Familie ist dringend auf den Verdienst der Mutter angewiesen, doch der Beginn ihrer Tätigkeit, den sie nach dem Besuch der Hebammenschule in Christiania aufnimmt, gestaltet sich schwierig. Viele Bauernfamilien, deren Frauen einander seit Jahrhunderten gegenseitig beim Gebären unterstützen, sehen es nicht ein, eine Hebamme zu rufen und für die Geburtshilfe zahlen zu müssen. Marta Kristine prozessiert gegen die Familien und setzt durch, dass die Pflicht zur Zuziehung einer Hebamme gesetzlich verankert wird. Marta Kristine übernimmt auch die Pockenimpfungen in ihrer Gemeinde, doch trotz ihrer Einkünfte käme die Familie ohne die Hilfe ihres Vaters und ihrer ältesten, unehelichen Tochter Ingeborg kaum über die Runden.


    Beurteilung

    Überaus eindrucksvoll beschreibt Edvard Hoem die Lebensgeschichte seiner Ur-Urgroßmutter vor dem Hintergrund des 19.Jahrhunderts, wobei am Rande auch wichtige Meilensteine der norwegischen Geschichte gestreift werden. Im Mittelpunkt steht jedoch das karge, arbeitsreiche Leben der Bewohner des Romsdalfjordes, das nicht selten von Hunger geprägt ist. Trotz der Armut der Bevölkerung legen die Menschen Wert auf eine Schulausbildung der Kinder und diese lernen Lesen und Schreiben, auch die Verwaltung und Gerichtsbarkeit sind entwickelt. Die geburtshelferische Tätigkeit der Hebamme wird nicht so stark in den Mittelpunkt gerückt, wie man es angesichts des Titels erwarten könnte. Die Charaktere der Hauptfiguren Marta Kristine und Hans sind sehr detailliert und glaubwürdig ausgearbeitet, wobei der Autor sicherlich Einzelheiten selbst ausgestaltet, da die Quellen aus Kirchenbüchern und anderen Archiven hauptsächlich faktenorientiert sind. Marta Kristine wirkt nicht immer sympathisch, sie kann äußerst hart und entschlossen vorgehen, wenn es um die Wahrung ihrer Interessen geht. Für ihre Kinder kann sie nicht genug Zeit aufbringen, aber sie ist ihrem psychisch kranken Ehemann gegenüber sehr verständnisvoll – in einer Zeit, in der man noch nicht viel von posttraumatischen Belastungsstörungen und Depressionen versteht. Der Erzählstil des biographischen Romans ist relativ nüchtern und wenig emotional, er passt aber gerade aufgrund dieser Faktenorientierung sehr gut zu den Schilderungen des einfachen Lebensstils im Norwegen des 19. Jahrhunderts sowie zur Persönlichkeit der Marta Kristine, die gerade durch die etwas „karge“ Erzählweise für den Leser sehr plastisch erlebbar wird. Sehr anschaulich sind auch die Landschaftsbeschreibungen, die Fjordbewohner leben relativ isoliert, an andere Orte gelangt man mit dem Ruderboot oder zu Fuß.


    Fazit

    Ein stellenweise bedrückender, sehr eindrucksvoller biographischer Roman über das Leben einer starken Persönlichkeit, ein Buch, das lange im Gedächtnis haftet!

    10 Punkte

    ASIN/ISBN: 3825152367