Kolumbus und der Tag von Guanahani - Stefan Rinke

  • Die Menschen, die im inkaischen Tahuantinsuyo oder im aztekischen Anáhuac lebten, spielten für die europäischen Gelehrten keine Rolle. (Seite 145)


    190 Seiten, ca. 40 Abbildungen, gebunden mit Schutzumschlag

    Verlag: wbg Theiss in Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2013

    ISBN-10: 3-8062-2468-4

    ISBN-13: 978-3-8062-2468-9



    Zum Inhalt (eigene Angabe)


    Kolumbus hat Amerika entdeckt - man glaubt, diese Geschichte zu kennen. Doch kennt man sie wirklich?

    Stefan Rinke erzählt in diesem Buch davon - und plötzlich sieht man vieles in einem neuem Licht. Er geht auf die Vorgeschichte jener denkwürdigen Entdeckungsfahrt ein, berichtet anhand vieler Quellen von den Ereignissen, bezieht die Überlieferungen der indigenen Bevölkerung ein und wirft einen Blick in die Zeit danach.



    Über den Autor


    Stefan Rinke (geb. 1965) studierte Geschichte und Amerikanistik in Bamberg und Bowling Green (US-Bundesstaat Ohio). Seit 2005 ist er Professor für die Geschichte Lateinamerikas an der FU Berlin.


    Informationen im Internet:

    - Die Seite zum Autor bei der FU Berlin

    - Der Wikipedia-Eintrag über den Autor
    - Die Seite zum Buch beim Verlag (mit Leseprobe)




    Meine Meinung


    Nachdem ich kürzlich ein Buch über die Konquistadoren gelesen habe, wollte ich nun wissen, wie das Ganze eigentlich begonnen hat. Die Eroberung Amerikas meine ich. Da bot sich dieses Buch des ausgewiesenen Kenners der Materie Stefan Rinke förmlich an - die Wahl war goldrichtig. Der Autor schreibt sehr lebendig und gut lesbar; obwohl es ein Sachbuch ist, liest es sich fast wie ein Roman. Das meine ich in diesem Zusammenhang überaus positiv. So sollte ein Sachbuch, das (auch) für Laien (auf dem Fachgebiet) gedacht ist, geschrieben sein!


    Auf rund einhundertsechzig Seiten (der Rest ist Anhang) erhält man einen guten Überblick über die Thematik. Der Autor geht zunächst auf die Geschichte in Amerika vor der Ankunft des Kolumbus ein. Dabei wird klar, daß dort nicht die „Wilden“ lebten, als die man die indigenen Völker weithin bezeichnet hat, sondern es vielfach hochentwickelte Kulturen gab, die den europäischen in manchen Dingen durchaus überlegen waren. Leider (?) nicht in Waffentechnik oder Immunabwehr gegen Krankheiten. Denn beides, vor allem Letzteres, trugen zum Untergang der Völker bei. Doch auch die „Vorgeschichte“ in Europa wird dargestellt einschließlich der Entwicklung bis hin zum Beginn der großen Fahrt über den Atlantik.


    Was mir neben der guten Lesbarkeit besonders an dem Buch gefallen hat ist, daß Rinke sich nicht auf die europäische Perspektive beschränkt, sondern versucht, eine umfassende Darstellung zu geben und auch auf die Sicht der indigenen Völker eingeht. Vor allem dadurch wird klar, daß dies eben nicht die „wilden und unmündigen“ Menschen waren, als die sie von den Eroberern und in Europa gemeinhin betrachtet wurden, sondern teils hochentwickelte Kulturen, die eben einfach anders waren als das, was man in Europa kannte. Gleichzeitig wird die ungeheure Arroganz der Europäer bei der Begegnung mit anderen Kulturen sichtbar. In Vella Munns „Soul of the Sacred Earth“ sieht man die praktischen Auswirkungen, hier ergibt sich das aus der Darstellung der Ereignisse.


    Sicherlich gibt es im Evangelium den Missionsauftrag Jesu, doch ob der wirklich so gemeint war, wie er denn ausgeführt wurde - da habe ich erhebliche Zweifel. Von europäischer Seite sah man sich im Besitz der Wahrheit, alles andere wurde als minderwertig bis verwerflich betrachtet. So wurden die neu entdeckten Gebiete einfach wie die europäischen behandelt und demgemäß als Besitz bzw. Eigentum der Krone angesehen, die nach Gutdünken darüber verfügen konnte, ohne an die Interessen und Belange der indigenen Bevölkerung auch nur zu denken. Dabei gingen die Spanier mit großer Grausamkeit und Brutalität vor. Wenn es doch Gegenwehr (für meine Begriffe schon eher Notwehr) gab, schlug man nur um so brutaler zurück.


    Zugute kam ihnen bei der Eroberung die Uneinigkeit der Völker; diese konnten (oder wollten) die Tragweite der Ereignisse oft nicht recht erfassen und betrachteten die Spanier einfach als neue Verbündete gegen alte Feinde. Etwas, was sich auf dem ganzen amerikanischen Kontinent bis zum Schließen der Frontier nicht ändern wird. Neben den eingeschleppten Krankheiten wie Masern oder Pocken ist hier die Ursache für den weitgehenden, teilweise vollständigen, Untergang der indigenen Kulturen zu sehen. Mehrfach spricht der Autor im Buch auch von der „größten demographischen Katastrophe der Menschheitsgeschichte“ die durch die „ausgeprägte Bereitschaft zur Gewaltanwendung bei der Durchsetzung der hauptsächlich wirtschaftlich motivierten eigenen Ziele“ ausgelöst wurde (vgl. u. a. S. 117).


    Das Buch endet mit einem kurzen Blick auf die Jubiläen der „Entdeckung Amerikas“ in späteren Jahrhunderten. Und einem „was wäre wenn Kolumbus nicht in Amerika angekommen wäre“. Es mag sich jeder seine eigenen Gedanken darüber machen, wie die Weltgeschichte möglicherweise verlaufen wäre, wenn es jenen „Tag von Guanahani“, an dem „die Grenzen des bis dahin Denkbaren“ überschritten worden sind (vgl. S. 158), nicht gegeben hätte.



    Mein Fazit


    Eine sachkundige, kenntnisreiche, sehr gut lesbare, auch die Sicht der indigenen Völker berücksichtigende Darstellung um die Ereignisse, die zur „Entdeckung Amerikas“ sowie dessen Eroberung führten. Empfehlenswert sowohl zum Einstieg in die sowie auch zur Vertiefung der Kenntnisse der Thematik.


    ASIN/ISBN: 3806224684

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")