Holly Miller - Ein letzter erster Augenblick
Kurzbeschreibung von Amazon:
Seit seiner Kindheit lebt Joel als Einzelgänger, der niemanden in sein Herz lässt. Nicht weil er das will – sondern weil er muss. Denn Joel hat Träume. Träume, die ihm die Zukunft der Personen zeigen, die er liebt. Oft weiß er schon Tage, Monate oder sogar Jahre im Voraus, was den Menschen um ihn herum passieren wird. Doch erzählen kann er es niemandem.
Callie träumt schon immer von den schönsten Orten dieser Welt, doch nach dem Tod ihrer besten Freundin lebt die junge Frau zurückgezogen und nimmt an den aufregenden Momenten des Lebens stets nur als stille Beobachterin teil. Das alles soll sich verändern, als sie Joel trifft und sich die beiden unsterblich ineinander verlieben.
Bis Joel von Callies Zukunft träumt …
Meine Meinung:
Warum nicht Romance, das fragt man sich vielleicht direkt auf den ersten Blick, wo es am Ende doch um die Verbindung von Joel und Callie geht; nein, die war für mich nicht der Faktor, der das Buch "getragen" hat, sondern das waren Joels Träume. Das, was der Klappentext ja so auch bereits beschreibt, dass er im sehr Positiven wie auch Furchtbaren verflucht / gesegnet (beides wird mal angesprochen, man kann sich am Ende aussuchen, als was man das empfindet) ist, mit einer Gabe, bei der er bei den Menschen, die er liebt, träumen kann, was ihnen in Zukunft widerfahren wird.
Das Buch ist zudem auch beim großen A nicht als Romance gelistet, sondern unter den Schlagworten
- Trauer (was ich sehr passend finde, denn das Buch zeigt dabei auch auf eindrucksvolle Art, wie man um jemanden trauern kann, der lebt!)
- Zeitgenössische Frauenliteratur (was auch immer das ist, für mich ist Zeitgenössisches etwas mit einem "Grundanspruch" oder vielleicht sogar einer "Botschaft" im echten Sinne und nicht in dem Sinne, den man beim Lesen empfindet - ich habe bei diesem Buch ein sehr "gesetztes" lebe deinen Tag empfunden)
- Gegenwartsliteratur (ja, mehr fällt mir dazu nicht ein)
Wer einen klassischen Liebesroman erwartet, wird wahrscheinlich vom Tempo des Buchs (ein langsamer Geschichtsaufbau) enttäuscht sein.
Ich habe das in keinem Moment als störend empfunden, im Gegenteil. Ich hole mal etwas aus, warum das für mich so war:
- Joel: Joel ist Mitte 30 als wir ihn kennenlernen und lebt zurückgezogen, begründet durch seine Träume, die ihm ein normales Leben nicht möglich machen. Er war mal Tierarzt, hatte mal engere Bindungen zu Familie und Freunden - sein einziger Luxus ist es, sich ein Stück Kuchen zu gönnen. In dem Café arbeitet Callie.
- Callie: Callie ist ebenfalls fast Mitte 30 als wir sie kennenlernen und arbeitet in dem Café, das ihre tote beste Freundin so gerne gehabt hätte, sie lebt also den Traum von jemand anderem - Joel ist es, der sie entscheidend damit konfrontiert, ob das denn auch IHR Glück sei. Denn im Grunde ihres Herzens ist Callie ein sehr naturverbundener, tierliebhabender Mensch und interessiert sich genauso für seltene Vogelarten wie die Schönheit eines einfachen Sees.
- Die Autorin hat für mich schreiberisch auch den jeweiligen anderen Menschen, die in den Herzen der Hauptfiguren sind, Leben eingehaucht. Das hier mal am Rande.
Im Buch begleitet man Callie und Joel, die in wechselnden Kapiteln die Geschichte weitererzählen, von da an über einen Zeitraum von ca. 10 Jahren, was immer sehr klar dargestellt ist. Ihr ahnt es, der Klappentext sagt es ja auch - Joel träumt auch von Callies Zukunft. Manchmal hat Joel auch Einfluss auf diese Zukunft oder nimmt Einfluss, manchmal ist er machtlos, manchmal bauen sich die Träume auch erst über Jahre hinweg mit mehr Details auf...mehr verrate ich an dieser Stelle gar nicht.
Man erkundet nicht nur das Kleinod aus Stadt und Naturschutzgebieten der Umgebung, es geht später im Buch auch einmal um die Welt...nach Chile, nach Lettland und es sind beidesmal sehr schöne Momente, die man erlebt.
Sehr melancholische, aber für mich trotzdem nicht "schwere" Kost, vielleicht das Dur unter den Molls der Trauer.
Ich kann gar nicht genau greifen, was mich immer wieder so daran fasziniert hat, es weiterzulesen, die kleinen Sätze, die bedeutenderen Worte, die erwachsenen Dialoge genauso wie das Bewahren des jugendlichen Schalks, meine Altersnähe zu beiden Protagonisten, die Tatsache, dass auch ich Single bin, die Wertschätzung eines wunderschönen Sonnenuntergangs, das Gefühl barfuß über taufrisches Gras zu laufen, zu träumen...ihr merkt es schon, ich könnte eine Hymne darauf singen, dabei waren eben weder die Figuren "besonders herausragend" oder auch die Geschichte - aber genau DAS hat es vielleicht auch ausgemacht...diese Figuren könnte man kennen, könnte man sein, diese Dinge könnte man so erleben - Traumkomponente bei Joel mal außen vor gelassen - es war alles so "real".
Das Ende des Buchs ist ein Schlusspunkt und andererseits offen zugleich, welchen Einfluss haben wir auf das Schicksal, gibt es das, das sind so Fragen, die mir danach durch den Kopf geistern. Wie würde man selbst damit leben, insbesondere auch mit der im Buch durchaus konfrontativ gestellten Frage, ob man wissen wollen würde, wie bzw. wann man stirbt. Da mich ja auch seinerzeit bereits vor diesem Hintergrund "Die Unsterblichen" von Chloe Benjamin sehr begeistert hatte, "hatte" man mich hier mit dem Thema leicht im Sack.
Sehr gerührt haben mich auch die am Anfang und am Ende sehr intensiv (und kursiv geschriebenen) Postkarten von Callie, zu Beginn des Buchs konnte ich das nicht einordnen, was sicherlich Absicht der Autorin ist, am Ende des Buchs hat es das Ganze für mich noch "tragender" gestaltet.
Wer keinen klassischen Liebesroman sucht, wem nach Melancholie ist und wer mit dem Schreibstil der Autorin zurechtkommt (Leseprobe) kann das Buch aus meiner Sicht uneingeschränkt lesen. Wenn es euch dann nicht binnen der ersten paar Kapitel packt und einsaugt, wird das allerdings eher schwer es bis zum Ende durchzuhalten...ich habe "mit Joel und Callie" gelebt und jeden Schritt genossen, aber das muss ja nicht jedem so gehen.
10 Punkte.
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ASIN/ISBN: 3764507330 |