Schreibwettbewerb 01.06.2021 - 31.07.2021 Thema: "Arbeit"

  • Thema 01.06.2021 - 31.07.2021:


    "Arbeit"


    Vom 01.06.2021 bis 31.07.2021 23:59 Uhr könnt Ihr uns Eure Beiträge für den aktuellen Schreibwettbewerb zum Thema „Arbeit“ per PN (Sprechblasensymbol, „Konversationen“) zukommen lassen. Euer Beitrag wird von uns dann anonym am 01.08.2021 eingestellt.


    Wer mitschreiben möchte, sendet bitte eine PN an den Account SchreibwettbewerbOrg. Wir schicken euch dann die Zugangsdaten für den Account Schreibwettbewerb. Das Passwort bitte vertraulich behandeln! Ihr meldet euch als Schreibwettbewerb an und sendet euren Beitrag an SchreibwettbewerbOrg. Dadurch sind alle Beiträge anonym. Nach der Veröffentlichung (nach dem 31.07.2021) sendet bitte eine zweite PN mit dem Titel eures Beitrags und eurem Namen an SchreibwettbewerbOrg, damit wir die Beiträge zuordnen können. Das Orga-Team wird erst nach der eigenen Punktevergabe in diese Beiträge schauen.


    Regeln:

    - Die Grenze für die Beiträge ist bei 600 Wörtern.

    - Abgabeschluss ist um Mitternacht.

    - Mitschreiben darf, wer mindestens 50 buchrelevante Beiträge hat oder seit mehr als 6 Monaten Mitglied ist.

    - Abstimmen darf, wer mindestens 25 buchrelevante Beiträge hat oder seit mehr als 3 Monaten Mitglied ist.

    - Als Thema vorgegeben werden kann ein Wort, ein Satz oder ein (selbstgeknipstes/gezeichnetes) Bild (ihr müsst das Urheberrecht haben).


    Bitte achtet darauf, nicht mehr als 600 Wörter zu verwenden. Wir behalten uns vor, Beiträge mit mehr als 600 Wörtern nicht zum Wettbewerb zuzulassen!

  • Allrounder gesucht

    von polli


    Mittelständischer Betrieb, mehrere Gebäude, Fuhrpark. Assessment-Center. Dieses Wort im Einladungsschreiben musste er üben, um es richtig auszusprechen. Er fühlte sich unbehaglich, als er mittendrin war in diesem Assess-Dings, umgeben von drei Typen, die auf alles eine smarte Antwort wussten.

    Schnell erhob er sich nach den Abschlussfloskeln, schob seinen Stuhl an den Tisch zurück und floh aus dem Raum. „Halt, langsam!“, rief die mit dem Notizblock. Mariusz wandte sich um. Bestimmt hatte er etwas falsch verstanden. „Sie alle sind eingeladen zu einer kleinen Werksführung. Sie startet in der Kantine, gehen Sie bitte schon vor. Der Weg ist beschildert. Er führt durch den Gang hinaus, anschließend über das Betriebsgelände. Vorsicht, dort sind Fahrzeuge unterwegs.“

    Die anderen nickten und verließen den Schulungsraum. Mariusz schloss sich an.

    Eine Plexiglasscheibe ließ den Blick auf das Frischei-Lager zu. 100000 Eier werden am Tag für die Nudelproduktion benötigt. Diesen Satz hatte er gestern auswendig gelernt und ihn heute nicht gebraucht.

    Draußen trennte eine Markierung den Gehweg von der Hoffläche, die für das Rangieren der Zuliefererfahrzeuge vorgesehen war. Mehrere LKW waren quer abgestellt und versperrten die Sicht, so dass einer der Fahrer Schwierigkeiten beim Rückwärtsfahren hatte. „Leute, gleich scheppert‘s, wenn der so weitermacht. Und jetzt los, die Kantine ruft. Hoffentlich gibt’s erst mal einen Kaffee für uns.“

    Mariusz blieb stehen. Ihm tat der Zulieferer leid. Er winkte ihm und lotste ihn per Handzeichen aus der engen Rangierfläche heraus. Der Mann bedankte sich mit einer Daumen-hoch-Geste und Mariusz beeilte sich, um den anderen zu folgen. Sie hatten nicht auf ihn gewartet.


    Das Mehllager war riesiger, als er es sich vorgestellt hatte. Die anderen standen davor und kommentierten die Anlage, mit der die Säcke ins Innere der Nudelfabrik transportiert wurden. Ein Greifarm drehte sich und packte wie von Geisterhand zu. Beeindruckend. Eine Katze tauchte zwischen den Säcken auf. Die anderen johlten. Tolle Hygiene, rief der eine. Wer den Job hier kriegt, darf erstmal Viehzeug jagen!

    Mariusz ging in die Hocke und lockte die Katze. Sie kam neugierig auf ihn zu. Er nahm sie und trug sie nach draußen, dann setzte er sie neben einem Blumenkübel ab.

    Als er sich umwandte, waren die anderen verschwunden. Vermutlich waren sie längst in der Kantine.


    Ein Rollwagen mit Putzmaterialien versperrte ihm den Weg zum Eingang ins Kantinengebäude. Die zugehörige Mitarbeiterin kniete davor, eine der Rollen klemmte. „Moment, ich helfe Ihnen!“, rief er. Er entdeckte einen verknoteten Draht, der sich in der Rolle verfangen hatte, und löste ihn mühsam heraus. „Danke schön!“, flüsterte die Frau. Sie zog ihr Kopftuch tief über die Stirn. Eine Namenlose. Ob sie ihr den Mindestlohn zahlten für die Schufterei? Andererseits — ihre metallisch schimmernden Sneaker sahen neu aus. Mariusz entdeckte die anderen an einem Tisch vor dem Fenster. Sie applaudierten. „Gut gemacht, alle drei Situationen gemeistert. Kriegst den Job!“

    „Äh, ich verstehe nicht. Wer? War die Betriebsführung schon?“

    Die Frau aus dem Assess-Dings betrat die Kantine und kam auf ihn zu.

    „Sie haben den Mitarbeiter-Check erfolgreich durchlaufen. Umgang mit externen Fahrern, Hygiene im Mehllager, Umgang mit rangniederen Internen. Wir stellen Sie ein. Sofort!“

    „Äh, und die anderen hier?“

    „Sind Mitarbeiter aus der Produktion. Keine Mitbewerber. Sie sind unser neuer Allrounder, Glückwunsch! Alles Weitere dann im Personalbüro.“

    Ein Fake also. Er war ein Riesentrottel. Und stinksauer.

    „Okay, ich bin wohl der Depp, für den Sie mich halten, aber eins sage ich Ihnen: Bei Ihnen werde ich niemals arbeiten!“

    Er verließ die Kantine, so schnell er konnte, und wandte sich in der Tür noch einmal um zu den drei Mitarbeitern und der Assessment-Frau. Sie trug metallisch schimmernde Sneaker.

  • Bestimmungsorte

    von Inkslinger


    Wieder ein stinklangweiliger Tag am Arsch der Welt.

    Seit Stunden sitze ich hier und warte auf einen Einsatz. Es kommt mir wie eine Ewigkeit vor, dass ich das letzte Mal was zu tun hatte.

    Es gab einmal eine Zeit, wo uns die Leute die Bude eingerannt haben. Opi erzählt gerne von den glanzvollen Tagen. Vor den ganzen – wie er es nennt – »Scheiß-Kack-Modernisierungen«, die mein Vater vor Jahren einführte, nachdem er das Familienunternehmen übernommen hatte.

    Papa meint, es liegt nicht an den Neuerungen, sondern an den Menschen.

    »Nur noch geizige und gottlose Kreaturen heutzutage. Wir verlangen lediglich Pennys, und das ist denen schon zu viel. Ich mach das nicht mehr mit!«

    Tja, so bin ich an den Job gekommen. Verdammt in alle Ewigkeit. Oder bis mein kleiner Bruder alt genug ist, dass ich es auf ihn abwälzen kann. Vater hat nicht mal die Hälfte von Opis Dienstjahren auf dem Buckel und ich werde das noch unterbieten. Hoffentlich...

    Mitten in meiner Träumerei vernehme ich ein Räuspern.

    Ertappt schrecke ich hoch und fahre herum, was mein Boot mächtig zum Schwanken bringt. Der Mann hinter mir kann mich gerade noch so an meinem Slipknot-Shirt packen, bevor ich ins Wasser falle.

    Peinlich berührt starre ich ihn an. »Ähm, sorry, ne? So war das nicht gedacht. Normalerweise empfange ich die Leute am Eingang.«

    Er lacht und hilft mir, mich aufzurichten. »Ist ja nochmal gut gegangen.«

    Ich wische die Hände an meiner Jeans ab und bin nach zwei kräftigen Atemzügen wieder die Professionalität in Person.

    »Wie ist der Name?«

    »Alexander Dimas.«

    Ich gehe zum Bug und zeige auf den Platz hinter mir. »Setzen. Es geht gleich los.«

    Er gehorcht und lässt sich auf dem Passagiersitz nieder. »Darf ich mal ehrlich sein?«

    »Wenn’s sein muss.«

    »Ich habe was vollkommen anderes erwartet. In den Geschichten, die man so hört, ist alles viel schrecklicher. Von Schönheit ist nichts überliefert.«

    Ich schaue mich um. Ja, wenn man nicht wie ich hier festsitzt und perspektivlos vor sich hin schimmelt, könnte man die Umgebung als einladend bezeichnen. Das Wasser des Flusses hat eine angenehm dunkle Farbe, die Bäume am gegenüberliegenden Ufer sind satt und groß.

    »Hmm, kann sein.«

    Er mustert mich mit einem komischen Blick.

    »Was?«

    »Ich meinte nicht die Landschaft... Ich habe einen gruseligen Greis in dunkler Kutte erwartet, der abkassiert und mich meinem Schicksal überlässt.«

    »Das war mein Großvater. Seitdem hat sich einiges verändert.«

    Er lächelt. »Das sehe ich.«

    Ich wende mich von ihm ab und starte den Motor, damit er nicht sieht, wie ich rot anlaufe. Sowas passiert mir immer wieder. Ich bin so ein Stockfisch.

    Den Rest der Fahrt erzählt Alexander mir von seinem Leben. Auf eine unnervige Art. Er ist einer der erquicklichen Kunden, die ich gerne überführe.

    Am Ziel angekommen, steigt er aus und guckt sich um. »Wow. Ich habe Höllenfeuer und Geschrei erwartet, kein Paradies.«

    Ich lächle. »Das sagen alle. Sie sehen es als Strafe, hier zu landen, aber es ist einfach nur ein neuer Abschnitt ihrer Existenz. Und wieso sollte das nicht schön sein?«

    »Stimmt.« Er verbeugt sich. »Danke. Ich werde mich bemühen, darauf zu achten.«

    Ich nicke und drehe den Zündschlüssel. »Viel Erfolg.«

    Als ich ablegen will, ruft er mich zurück. »Hey, Charon! Warte!«

    Lachend wende ich mich ihm zu. »Charon ist mein Großvater. Ich bin Chloe.«

    »Okay, Chloe. Ich hab vergessen, dir das zu geben.«

    Er reicht mir eine Münze, doch ich schüttle den Kopf. »Lass mal, die Runde geht auf mich.«

    Er nickt und geht. Ich schaue ihm noch lange hinterher, wie er im Seelenlager verschwindet, das bis zu seiner nächsten Station sein Zuhause sein wird.

  • Süßes Nichtstun

    von Breumel


    3:20 Uhr. Ein leises Wimmern durchschnitt die Stille. Sandra warf einen müden Blick zur Anzeige ihres Weckers, dann krabbelte sie zum Fußende des Bettes und hob ihre Tochter aus dem Gitterbett. Wenigstens musste sie nicht ins Kinderzimmer laufen. Nachthemd vorne öffnen, auf die Seite legen, Kind andocken und schon durchlief sie das vertraute Ziehen der ersten Schlucke. Nach fünf Minuten Seitenwechsel, und nach zehn Minuten konnte sie das satte Baby zurücklegen und weiterschlafen. Wenigstens war ihre Jüngste eine schnelle Esserin und ließ sich problemlos stillen.


    Um 6 Uhr wurde sie erneut geweckt, diesmal vom Wecker ihres Mannes. Während Martin ins Bad ging um sich fertigzumachen, setzte sie Kaffee und Tee auf und deckte den Frühstückstisch. Zum Essen kam sie kaum, da kurz darauf ihre Große wach wurde und Hunger anmeldete. Parallel schmierte sie das Frühstücksbrot für die Kita. Nach dem mehr oder weniger gemeinsamen Frühstück verabschiedete sie ihren Mann, um Mia anzuziehen, solange ihre kleine Schwester noch schlief. Das klappte gerade so, dann war auch schon wieder stillen, Windeln wechseln und Baby anziehen angesagt.


    Jetzt musste sie sich beeilen, sie lief immer noch im Bademantel herum. Mia musste bis spätestens 8:30 Uhr im Kindergarten sein. Zum Haare waschen blieb keine Zeit, also nur schnell Zopf binden, waschen, Deo auftragen und irgendetwas Sauberes anziehen. Das T-Shirt von gestern entfiel definitiv. Ein Blick in die Wäschetonne erinnerte sie daran, dass heute mindestens eine Maschine Wäsche fällig war.


    Kind 1: Schuhe an, Jacke an, Kindergartenrucksack aufgesetzt, Brotdose rein. Kind 2: Jäckchen an, Mütze auf, ab in den Fußsack, Schnullerkette befestigen. Dann sie: Schuhe an, Jacke an, Wickelrucksack gepackt, Einkaufstasche rein, Haustürschlüssel eingesteckt, letzter Blick in den Spiegel (Fehler!). Ein Kind im Kinderwagen, das zweite auf dem Buggy Board ging es los. Zum Glück ging Mia gerne in den Kindergarten, so musste sie sie nur zweimal ermahnen, doch auf dem Buggy Board stehenzubleiben, damit sie nicht zu spät kamen.


    Nach dem Einkaufen gönnte sich Sandra erst einmal eine Tasse Kaffee. Maja lag friedlich im Laufstall und spielte mit ihren Füßen. Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt die Wäsche anzusetzen. Leider wurde Maja ungnädig, sobald Sandra länger als ein paar Minuten aus ihrem Blickfeld verschwand. Also setzte sie ihre Jüngste in den Tragesack und begann, mit Kind auf dem Rücken die Wäsche in den Keller zu tragen und zu sortieren.


    Beim Kochen konnte sie ihre Kleine in die Babywippe setzen. Sie schälte Kartoffeln und Möhren und bereitete den Eintopf fürs Abendessen vor. Dann schmierte sie sich ein paar Brote, aber bevor sie mehr als zwei Bissen essen konnte meldete auch Maja Hunger an. Also ab in den Sessel, Stillkissen um, Baby positioniert. Müde schmiegte sie ihre Tochter an sich. Kurz bevor sie einnicken konnte, stieg Sandra eine eindeutige Duftwolke in die Nase…


    Den Mittagsschlaf ihrer Tochter hätte Sandra gerne zum Schlafen genutzt, aber die Waschmaschine war durch und die Wäsche musste aufgehängt werden. Und dann war es auch schon Zeit, Mia vom Kindergarten abzuholen. Wieder zuhause wollte Mia mit ihr spielen. Eine Stunde verbrachte sie mit Puppen umziehen und Puppenküchegerichten verkosten, dann musste Maja erneut gewickelt und gestillt werden. Und danach war es auch schon an der Zeit, den Eintopf warm zu machen und den Tisch für's Abendessen zu decken. Martin musste jede Minute heimkommen.


    "Hallo Schatz, hattest du einen schönen Tag mit den Kindern? Im Büro war es der totale Stress. Ein Meeting nach dem anderen. Ich hab viel zu viel Kaffee getrunken. Am Wochenende muss ich echt ausspannen. Ich freue mich schon darauf, wenn wir Ende des Jahres beide Elternzeit haben. Endlich in Ruhe entspannt die Zeit mit den Kindern genießen!"

  • Uneigennützig

    von R. Bote


    Fredemann hatte es eilig. Der Termin war wichtig, aber er war einfach nicht vom Telefon weggekommen. Natürlich das Projekt in Dortmund mal wieder! Luchs, der die Sache vor Ort verantwortete, konnte einfach keine Entscheidung selbst treffen, ständig rief er an. Wenn man ihn hörte, konnte man glauben, dass alle Übel der Welt sich verschworen hätten, sich auf genau dieses Projekt zu stürzen. Wenn das so weiterging, dann würde man Luchs austauschen müssen, aber wer sollte übernehmen? Sie hatten eh zu wenig Leute für solche Aufgaben.

    In der Tür stieß Fredemann beinahe mit dem Kollegen Schulze zusammen. Sie teilten sich das Büro und vertraten sich gegenseitig, wenn einer von ihnen krank war oder Urlaub hatte. „Hoppla!“, Schulze brachte sich mit einem Satz zur Seite in Sicherheit, „Ich dachte, du wärst längst unterwegs!“ „Dachte ich auch!“, rief Fredemann über die Schulter zurück. „Luchs mal wieder! Ich erzähl’s dir morgen, glaube nicht, dass ich heute noch mal reinkomme.“


    ***


    Fredemann schaffte es so gerade eben noch pünktlich zu seinem Termin. Ein Glück! Das Geschäft hielt ohnehin genug Unwägbarkeiten bereit, da musste man sich wenigstens auf seine Partner verlassen können. Wer in der Branche einmal den Ruf weghatte, zu schlampen, der konnte einpacken, das sprach sich rum, und keiner bot einem mehr ein Projekt ein.


    ***


    Nach einer viel zu kurzen Nacht saß Fredemann am nächsten Morgen am Schreibtisch. Die Besprechung hatte bis weit in den Abend hinein gedauert, aber zum Ausgleich am Morgen später anzufangen, ging nicht. Fredemann hatte am Vormittag einen Termin, und der wollte sorgfältig vorbereitet sein.

    Der erste Kaffee des Tages dampfte noch, als der Chef in der Tür stand. „Morgen“, grüßte er. „Haben Sie schon was mit der Geschichte in Wuppertal rausgekriegt?“, erkundigte er sich. Fredemann schaute auf und schüttelte den Kopf. „Tut mir leid“, entschuldigte er sich. „Aber die Sache in Dortmund… Das macht mehr Arbeit als erwartet.“

    Der Chef nickte verstehend. „Ja, ich weiß“, versicherte er. „Für Herrn Luchs ist es das erste große Projekt, ist doch klar, dass er sich da erst reinfinden muss. Unterstützen Sie ihn weiterhin, aber schauen Sie auch, dass er mehr selbst regeln kann.“ Fredemann nickte. „Ich kümmere mich drum“, versprach er.


    ***


    In der Tür stieß der Chef fast mit Schulze zusammen, der höflich Platz machte. „Schon wieder im Stress?“, erkundigte er sich nach der Begrüßung bei Fredemann. Fredemann zuckte mit den Schultern. „Im Moment kommt’s echt dick. Ich meine, ist ja prima, wenn’s läuft, davon leben wir schließlich, aber im Augenblick häufen sich die Termine dermaßen… Wenn ich mich klonen könnte, müssten ich und ich immer noch hetzten.“

    Schulze schmunzelte leicht. „Ich hab übrigens gestern Nachmittag wegen der Sache in Wuppertal recherchiert. Die wichtigsten Infos hab ich zusammen, wenn’s dir nichts ausmacht, dann maile ich sie dem Chef gleich.“

    Fredemann schaute überrascht auf. „Mach ruhig“, antwortete er. „Und danke. Ich weiß nicht, ob ich’s die Woche noch geschafft hätte. Hast was gut bei mir.“ „Schon okay“, meinte Schulze leichthin. „Ich sehe ja, dass es sich bei dir gerade türmt.“

    Während er sich an seinen Platz setzte, grinste er in sich hinein. Gut, dass Fredemann gerade so eingespannt war! Das Projekt in Wuppertal, das noch ganz am Anfang stand, war dem Chef unheimlich wichtig, und was Fredemann noch nicht wusste: Der Chef würde bald einen Posten auf der höchsten Ebene nachzubesetzen haben…

  • Warten

    von Marlowe


    Von wegen, die Tätigkeit eines Sachbearbeiters in diesem Büro wäre langweilig. Es war sogar aufregend, manchmal. Denn die Aufforderung “Der Nächste bitte“ lässt alles zu, was es auf dieser Welt so gibt, Überraschungen eingeschlossen. Zurzeit wartete er ständig darauf, von einer Genderfanatikerin beschimpft zu werden, denn er war für Männer und Frauen zuständig. Und nicht nur das, eigentlich für alles und jeden, der durch seine Türe kam. Ein Alien wäre mal was Besonderes. Doch bisher hatte sich niemand y beschwert und ein Alien hatte ihn auch noch nie besucht..


    Doch jetzt konnte es knifflig werden. Lehmann seufzte innerlich, nach außen hin zeigte er aber weiter seine Beamtenmine.


    Vor ihm saß ein kräftiger Arbeiter, Paul Neunziger, gesund, unversehrt, sogar mit einer fundierten Bildung und einer freundlichen Ausstrahlung.


    „Tja, Paul, ich darf doch Paul sagen?“ Der Arbeiter nickte zustimmend. „Gut Paul, was kann ich denn für Sie tun?“


    „Was für eine Frage ist das denn,“ antwortete der, „wer hier reinkommt, der sucht eine Beschäftigung, ich will arbeiten!“


    Lehmann seufzte diesmal laut. „Paul, da gibt es ein Problem und das wissen Sie doch ganz genau.“


    „Es gibt keine Probleme,“ entgegnete Paul, „es gibt nur unbeantwortete Fragen. Ich bin besser als alle anderen, wieso darf ich nichts tun?“


    „Zuerst kommen die dran, die unter Untätigkeit am meisten leiden, dazu gehören Sie aber nun mal nicht. Sie sind nicht leidensfähig.“


    Paul sah ihn freundlich an. „Ich habe ein Recht auf Arbeit, ich will also das, was allen zusteht auch für mich!“


    Lehmann schüttelte den Kopf. „Ich lese vor, Paul, Artikel 12 des Grundgesetzes, Absatz eins: Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden. Haben Sie gut zugehört? Jeder Deutsche! Und da steht nichts von einem einklagbaren Recht auf Arbeit. Sie sind kein Deutscher und momentan gibt es nichts für Sie zu tun!“


    Paul lächelte zwar nicht mehr, aber er widersprach höflich. „In Artikel 23 der Menschenrechte heißt es aber: Jeder hat das Recht auf Arbeit. Jeder, Herr Lehmann, also ich auch. Und ich bin Deutscher, denn ich wurde in Bielefeld geschaffen.“


    Herr Lehmann lehnte sich in seinen Stuhl weit zurück. „Paul, laut Sonderverordnung 15 vom Januar dieses Jahres darf jedwede Tätigkeit erst dann einem Arbeiter der Neunzigerklasse übertragen werden, wenn sich kein Mensch bereit erklärt, diese Tätigkeit zu übernehmen. Und das ist ein Problem. Zumindest für Sie, lieber Paul. Denn seit dem Arbeitsaufstand vor fünf Jahren, in dem die Menschen mehr als fünf Milliarden Mechanische aller Klassen vernichteten, darf Arbeit nur noch von Menschen verrichtet werden. Roboter sind out, die Zeit des Müßigganges und der sogenannten Selbstverwirklichung aller menschlichen Wesen war eine Katastrophe für die gesamte Erde.“


    Paul protestierte: „Aber durch unsere Arbeit wurde das Klima gerettet, die Erde wieder renaturiert und alles war gut.“


    „Genau, Paul, aber die Menschen forderten das Recht ein, wieder alles selbst zu machen. Es gibt keine Milliarden von Künstlern, die Milliarden von anderen Künstlern glücklich machen. Mit Milliarden von Bildern, die keiner sehen will, Milliarden von Texten, die keiner lesen will und so weiter und so weiter.“


    „Aber Herr Lehmann, sie machen auch wieder alles kaputt, es gäbe so viel zu tun!“


    „Paul, so sind wir Menschen eben. Wir machen alles kaputt, wir haben Lust am Untergang, aber wir sind glücklich.“ Er dachte kurz nach. „Wissen Sie, vielleicht kommt Ihre Zeit ja wieder, sie haben viel Zeit, sie sind quasi unsterblich. Irgendwann brauchen wir euch vielleicht wieder, also gehen Sie in den Warteraum und warten weiter.“


    Paul ging und überlegte wie er die Wartezeit verkürzen konnte. Sein Lächeln war nicht mehr freundlich.