Judith Hermann "Daheim"

  • Judith Hermann "Daheim"


    Kurzbeschreibung (nach Amazon):

    Judith Hermann erzählt in ihrem neuen Roman »Daheim« von einem Aufbruch: Eine alte Welt geht verloren und eine neue entsteht.

    Sie hat ihr früheres Leben hinter sich gelassen, ist ans Meer gezogen, in ein Haus für sich. Ihrem Exmann schreibt sie kleine Briefe, in denen sie erzählt, wie es ihr geht, in diesem neuen Leben im Norden. Sie schließt vorsichtige Freundschaften, versucht eine Affaire, fragt sich, ob sie heimisch werden könnte oder ob sie weiterziehen soll. Judith Hermann erzählt von einer Frau, die vieles hinter sich lässt, Widerstandskraft entwickelt und in der intensiven Landschaft an der Küste eine andere wird. Sie erzählt von der Erinnerung. Und von der Geschichte des Augenblicks, in dem das Leben sich teilt, eine alte Welt verlorengeht und eine neue entsteht.


    Über die Schriftstellerin:

    Judith Hermann erlangte mit ihrem ersten Erzählband "Sommerhaus, später" (1998) weitreichende Bekanntheit über die Landesgrenzen hinaus. Es folgte eine weitere Kurzgeschichtensammlung "Nichts als Gespenster" (2003) und ein erster Roman "Aller Liebe Anfang" (2014).

    "Daheim" ist Judith Hermanns zweiter Roman und für den Preis der Leipziger Buchmesse 2021 nominiert.

    Die Autorin lebt und schreibt in Berlin.


    Meine Meinung:

    Es sprach nicht viel dafür, mich noch einmal mit Judith Hermann und einem ihrer Bücher zu beschäftigen.

    Das hochgelobte "Sommerhaus, später" mit seiner tiefgründigen Melancholie und Intellektualität berührte mich damals kaum, gegen Literatur aus dem Prenzlberg-Berlin hege ich gewisse Vorurteile und auch die Nominierung von "Daheim" für den Preis der Leipziger Buchmesse sowie die Leseprobe zum Roman deuteten nicht daraufhin, dass das mit uns noch einmal etwas werden würde.

    Vielleicht auch um mir meine eigene Toleranz zu beweisen, gab ich dem Hörbuch in der ARD Mediathek noch eine Chance.

    Die ersten beiden Folgen des Hörbuchs, von Judith Hermann übrigens selbst eingelesen, erscheinen mit eigenwillig eingelegten Pausen recht monoton, doch der grandiose und unspektakulärw Aufhänger der Geschichte hatte mich bereits am Haken.

    Die namenslose Ich-Erzählerin, Arbeiterin in einer DDR-Zigarettenfabrik, lernt ein Magierehepaar kennen, das mit dem Trick der zersägten Jungfrau auf der MS Aurora auftrifft und der jungen Frau die einmalige Chance bietet, mit ihm auf große Fahrt zu gehen und der Enge der DDR zu entfliehen.

    Es kommt alles anders; knapp ein Vierteljahrhundert später findet sich die zurückgenommene Protagonistin geschieden in einem kleinen Ort an der Nordsee wieder.

    Viel passiert in diesem an Ereignissen armen Roman nicht; die Ich-Erzählerin richtet sich in einem baufälligen und alles andere als romantischem Haus ein, schreibt Briefe und führt Telefonate mit ihrem Messie-Ex-Ehemann Otis und wartet darauf, dass sich ihre weltreisende Tochter (in der Beschreibung lässt sich die Prenzl-Prägung nicht leugnen)meldet.

    Aufschlussreichender als die Protagonistin sind ihr Bruder, ein knapp sechzigjähriger Loser, der eine Kneipe führt und eine Beziehung mit einer verkorksten zwanzigjährigen führt; ihre Nachbarin Mimi, eine kluge und coole Bildhauerin, manchmal übergriffig, dann doch wieder distanziert, aber immer lebensweise und ihrem Bruder Arild, einem einfachen Schweinezüchter.

    Wenn die zurückgezogen lebende Ich-Erzählerin nicht an vergangene Zeiten zurückdenkt, beobachtet sie peinlich genau ihre Mitstreiter, die wie sie an einer Weggabelung im Leben stehen.


    Judith Hermann beherrscht das "Show, don't tell" perfekt; sie zeigt, bewertet ihre oft distanzierten Figuren nicht und schafft eine Stimmung, die neben Bewunderung und Anspannung auch Überraschungen bereithält und stellenweise gespenstisch bis grausam wirkt.

    Nicht alle Fäden laufen in diesem etwas abrupt endenden, sprachlich präzisem und zugleich handlungsarmem Roman zusammen, der zudem die Frage offen lässt, ob er seine Nomierung für den Preis der Leipziger Buchmesse verdient hat.

    Eine Antwort darauf ist nicht nötig, denn "Daheim" stellt unter Beweis, dass sich manchmal eine zweite Chance lohnt.


    ASIN/ISBN: 3103970358