Frauke Buchholz - Frostmond

  • Frauke Buchholz wurde 1960 in der Nähe von Düsseldorf geboren. Sie studierte Anglistik und Romanistik und promovierte über zeitgenössische indigene Literatur. Sie liebt das Reisen und fremde Kulturen und hat einige Zeit in einem Cree-Reservat in Kanada verbracht. Heute lebt sie in Aachen und schreibt Romane und Kurzgeschichten, die in zahlreichen Anthologien erschienen sind. Ihre Geschichte »Barfly« wurde 2020 mit dem 1. Preis der Gruppe 48 ausgezeichnet.


    Das Verschwinden der indigenen Frauen Kanadas


    "Behandele einen Stein wie eine Pflanze, eine Pflanze wie ein Tier und ein Tier wie einen Menschen." (indianische Weisheit)

    In den Weiten und Idylle Kanadas häufen sich seit einigen Jahren die Verbrechen und Morde an jungen Frauen indigener Herkunft. Besonders häufig findet man die Toten entlang des Transkanada-Highways. Als das letzte Opfer die erst 15-jährige Jeanette Maskisin schwer entstellt aus dem Wasser gezogen wird, holt man den Psychologen und Profiler Ted Garner zur Hilfe. Er soll nun ein Profil des Täters erstellen, damit Sergeant der Sûreté du Quebec Jean Baptiste LeRoux (J.B.), diesen möglichst schnell fassen kann. Bei einem Besuch des Cree-Reservats im Norden Quebecs, aus dem Jeanette herkam, stoßen die beiden nur auf Ablehnung und Feindseligkeit. Kein Wunder, den bisher hat sich die Polizei wirklich wenig um die vielen vermissten Frauen gekümmert. Doch nicht nur das die Ermittler weitere Opfer befürchten, sie und der Täter werden selbst zur Zielscheibe. Den jemand will Jeanettes Tod rächen komme, was es wolle.

    Meine Meinung:

    Das Debüt der Autorin, die selbst einige Zeit in einem Cree-Reservat in Kanada gelebt hat, wirklich bemerkenswert, was das Lokalkolorit und die Beschreibungen rund um die indigene Bevölkerung anbelangt. Sie schildert nicht nur von den Problemen der Regierung mit den Ureinwohnern, sondern ebenso von Drogen, Alkohol und Missbrauch. Was sicherlich daran liegt, wie man schon seit Jahren diese Menschen behandelt. Sie haben kaum Arbeit und werden als Art Schauobjekte und Touristenattraktion in Reservate gesteckt. Kein Wunder, das da junge Frauen versuchen auszubrechen, um in einer Stadt wie z. B. Montreal eine neue Zukunft zu finden. Doch leider fallen sie oft in die Hände von Dealern und Bosse von Prostituierten. Der Letzte, der Jeanette lebend gesehen hat, war ihr Cousin Leon Maskisin. Ihm hat sie anvertraut, dass sie in die Stadt abhauen möchte. Und auch wenn er sie gewarnt hat, bestiehlt sie ihn und haut ab. Dadurch wird Leon zu einem der ersten Verdächtigen. Dieser Kriminalfall lebt größtenteils von den Begebenheiten rund um die beiden Ermittler Ted Garner und J. B. LeRoux. Ihre Charaktere sind hier zwar nicht gerade sehr sympathisch, doch dafür haben sie wirklich ein bemerkenswertes Profil. Während J. B. eher der Frauenheld und Liebhaber ist, der trotz glücklicher Ehe mit Sophie laut Ted seinen Schwanz nicht in der Hose lassen kann. Die Amtssprache der Sûreté ist Französisch, während Ted aus dem englischen Teil Kanadas kommt. Darum tituliert er LeRoux gerne auch als Froschfresser, wohin gegen er der Hinterwäldler ist. Dadurch kommen sich die beiden öfters ins Gehege oder jeder von ihnen macht es im Alleingang, was dann ebenfalls zu Problemen führt. Jedoch Sympathie für die Indianer haben sie beide nicht gerade. Trotzdem spürt man sehr gut, dass Ted seinen Beruf weitaus ernster nimmt als LeRoux , für ihn scheint dieser nur noch eine Last zu sein. Kein Wunder also, das er so für Ted nicht gerade eine große Hilfe ist. Selbst Polizeichef Morel empfinde ich als unsympathisch, arrogant und herablassend. Zwar haben mich die beeindruckenden Informationen über die Ureinwohner Kanadas gefreut, doch dafür blieb meiner Meinung nach der Krimi etwas auf der Strecke. Von daher als reiner Kriminalfall wäre er mir fast zu wenig gewesen. Besonders was die Spannung anbelangt, die erst so richtig im letzten Drittel aufkommt. Außerdem kam mir dann das Ende viel zu schnell und etwas zu unrealistisch daher. Selbst wenn es dort noch spannend wurde, waren einige Aktionen der Ermittler nicht richtig durchdacht. Außerdem blieben mir am Ende noch einige Fragen offen und gerne hätte ich mehr über Jeanettes Verbleib vor dem Mord erfahren. Deshalb gibt es von mir gute 3 1/2 von 5 Sterne.


    ASIN/ISBN: 3865327230

    "Lebe jeden Tag so, als ob du dein ganzes Leben lang nur für diesen einen Tag gelebt hättest."

  • Frauke Buchholz: Frostmond. Kriminalroman, Bielefeld 2021, Pendragon Verlag, ISBN 978-3-86532-723-9, Klappenbroschur, 287 Seiten, Format: 13,7 x 2,7 x 20,5 cm, Buch: EUR 18,-, Kindle: EUR 15,99.


    „Der Highway 16, der sich über 1.400 Kilometer durch Kanadas Westen erstreckt, hat es zu trauriger Berühmtheit gebracht: Seit Jahrzehnten verschwinden immer wieder vorwiegend junge indigene Frauen spurlos entlang der Bundesstraße, die inzwischen den Beinamen „Highway of Tears“ (Straße der Tränen) erhalten hat. 18 Fälle sind es nach offiziellen Polizeiangaben, doch Amnesty International und indianische Opferverbände gehen von einer weit größeren Dunkelziffer von bis zu 500 vermissten und getöteten indigenen Frauen in ganz Kanada der letzten 30 Jahre aus. Aufgeklärt wurde bisher kaum ein Fall.“ (Aus der Presseinformation des Pendragon-Verlags)


    Die Mordserie entlang der „Straße der Tränen“ gibt es wirklich. Die Personen im Buch sind fiktional. Wir erleben die Geschichte aus drei verschiedenen Perspektiven:


    Leon Maskisin, Cree-Traditionalist

    Der einzige Ich-Erzähler ist der neunzehnjährige Leon Maskisin vom Stamm der Cree, dessen fünfzehnjährige Cousine Jeannette unter den Opfern des Highway-Mörders ist. Der blitzgescheite junge Mann ist Traditionalist und wünscht sich die Zeiten zurück, in der die Weißen noch nicht im Land waren. Dass die Polizei Jeannettes Mörder findet, daran glaubt er nicht. Das Schicksal indigener Frauen ist denen doch wurscht. Die werden den Täter nicht einmal suchen! Wenn der Mörder seiner Cousine zur Rechenschaft gezogen werden soll, dann wird er das schon selbst tun müssen. Und eines ist klar: Mit einer Gerichtsverhandlung wird er sich nicht aufhalten.


    Sprechen aus dem jungen Mann vielleicht nur die Wut und die Trauer eines Angehörigen? Oder die Frustration eines Mitglieds einer benachteiligten Bevölkerungsgruppe? Das ist es nicht allein. Dass Leon Maskisin mit seiner Einschätzung gar nicht so falsch liegt, sehen wir, als wir die ermittelnden Beamten kennenlernen.


    Jean-Baptiste LeRoux, Provinzpolizist

    Jean-Baptiste LeRoux von der Sûreté du Québec, der Provinzpolizei, macht seinen Job vielleicht schon ein bisschen zu lange. Er hat null Bock auf seine Arbeit, er trinkt zu viel und hat nur Interesse für seine außerehelichen Aktivitäten. Dass ihm sein Vorgesetzter für diesen Fall einen Profiler aus Saskatchewan zur Seite stellt, stinkt ihm gewaltig. LeRoux ist kein Teamplayer. Er keinen gebrauchen, der ihm dauernd auf die Finger schaut.


    Ted Garner, Psychologe und Profiler

    Und schon gar nicht diesen aufgeblasenen Ted Garner, einen Psychologen, der kein Wort Französisch spricht und alle Welt nur von seinem überlegenen Intellekt überzeugen will. Am Fall der jungen Jeannette Maskisin hat er ebenso wenig Interesse wie LeRoux selbst. Der Wichtigtuer möchte doch nur angeben und dann schnellstmöglich wieder nach Hause fahren!


    Jeder hält den jeweils anderen für ein ausgemachtes Ar***l*ch – und beide haben recht. Aber sie sind nicht auf den Kopf gefallen. Wenn jetzt schon extra ein Profiler eingeschaltet wurde, sollten sie zügig ein Ergebnis liefern, sonst stehen sie dumm da. Also versuchen sie, auch wenn es sie gar nicht interessiert, herauszufinden, was in den letzten 11 Monaten mit Jeannette Maskisin geschehen ist. So lange ist es her, dass sie aus dem Niskawini-Reservat verschwunden ist – absichtlich.


    Warum sie das getan hat, wird den beiden Polizisten klar, als sie im Reservat ankommen: desolate Familienverhältnisse, keinerlei Perspektive. Da war es das geringere Übel, sich mit etwas geklautem Geld nach Montreal aufzumachen auf der Suche nach ein bisschen Spaß und einer besseren Zukunft. Das hat ja nun beides nicht geklappt.


    Wie erwartet zeigen sich die Mitglieder der First Nations nicht besonders kooperativ. Sie haben eben ihre Erfahrungen mit der Polizei gemacht. Wenn den Ermittlern nicht ab und zu eine nicht gänzlich desillusionierte Seele eine Information zustecken würde, kämen sie überhaupt nicht weiter.


    Was weiß der Lehrer?


    Montreals übelste Ecken


    Ted Garners Profiler-Spürnase führt ihn in eine gänzlich andere Richtung. Und LeRoux‘ Alleingang führt ihn direkt in des Teufels Küche.


    Die Geschichte endet ziemlich abrupt. Von einer lückenlosen Aufklärung des Falles kann nicht die Rede sein. Ob da noch was kommt? Wir wissen es nicht. Ein Mistkerl mehr oder weniger würde am Grundübel auch nichts ändern. Da sind wir jetzt so pessimistisch wie die Männer in diesem Roman. Überhaupt bringt uns dieser Krimi dazu, ganz ungewohnte gedankliche Positionen einzunehmen: Auf einmal ertappt man sich dabei, einem mehrfachen Mörder die Daumen zu drücken.


    Die im Dunkeln sieht man nicht


    Wer mir ein Rätsel geblieben ist, ist der Profiler aus Saskatchewan. Er bildet sich so viel darauf ein, ein Intellektueller zu sein, redet ständig über Schopenhauer und pflegt gleichzeitig ganz ungeniert seine Vorurteile. Er haut einen politisch unkorrekten Spruch nach dem anderen raus, was sich für mich mit kultiviertem Verhalten nicht vereinbaren lässt. Wahrscheinlich hätte er auch das N-Wort verwendet, wenn sich eine Gelegenheit geboten hätte. Was ist Ted Garner? Ein rassistischer Redneck unter einer dünnen Lasur von Kultur und Bildung? Das habe ich nicht ganz verstanden.


    Davon abgesehen ist FROSTMOND ein sprachgewaltiger, packender Kriminalroman, der in einem für uns Leser:innen außergewöhnlichen Umfeld spielt. Er gewährt uns Einblicke in (Gedanken-)Welten, mit denen wir sonst nicht viele Berührungspunkte haben – und er lässt uns nach Beendigung der Lektüre ein kleines bisschen klüger zurück.


    Die Autorin

    Frauke Buchholz wurde 1960 in der Nähe von Düsseldorf geboren. Sie studierte Anglistik und Romanistik und promovierte über zeitgenössische indigene Literatur. Sie liebt das Reisen und fremde Kulturen und hat einige Zeit in einem Cree-Reservat in Kanada verbracht. Heute lebt sie in Aachen und schreibt Romane und Kurzgeschichten, die in zahlreichen Anthologien erschienen sind.


    ASIN/ISBN: 3865327230

    Und was die Autofahrer denken,
    das würd’ die Marder furchtbar kränken.
    Ingo Baumgartner