'Die Buchhändlerin' - Seiten 097 - 184

  • Denk daran, wie viele Frauen damals in der Sowjetzone vergewaltigt worden sind. Da war keine Zeit, um die Wunden zu lecken, das Trauma aufzuarbeiten. Man hat damals nach dem Motto gelebt: Vergiss schnell, was du erlebt hast, morgen ist ein neuer Tag. Alan wäre ohnehin nichts passiert, denn damals herrschte die Meinung, die Frauen sind selbst schuldig. Für ein uneheliches Kind mit einem G.I. gab es 1000 Dollar einmalig.

    Immerhin gab es für die Frauen eine finanzielle Entschädigung. In der Sowjetzone gab es nichts.

    Und im Zweifel wurde dann auch geschwiegen, weil auch die deutschen Männer eher dazu neigten den Frauen die Schuld zu geben.... Darüber wird ja heute teilweise noch diskutiert.

  • Einen langen Atem brauchen alle Frauen. Noch immer haben wir keine gleiche Bezahlung von Frauen und Männern - das ist im Jahr 2021 echt ein Skandal!

    Es ist ja nicht nur die Bezahlung. In der jetzigen Situation hat sich ja auch wieder rausgestellt, dass es die Frauen sind, die das meiste stemmen müssen. Am schlimmsten finde ich, dass diese blöde Pandemie Frauen um Jahrzehnte zurückwirft in ihren Bemühungen um Gleichberechtigung (nicht meine Meinung, sondern von Wissenschaftlern).



    Klar kann ich mir vorstellen, was sie sich dabei denkt, aber das kommt durch das Buch überhaupt nicht rüber. Es wird recht teilnahmslos von der Entjungferung berichtet, danach noch ein paar Sätze aber dann war es das auch. Später kommt es zwar nochmal hoch, aber Emotionen stecken da keine drin, was ich sehr schade finde.

    Ich glaube, dass Christa ihre Gefühle einfach abgeschaltet hat, sonst hätte sie das nicht ertragen. Ich denke aber auch, dass in jenen Zeiten schon so viele Gefühle nicht zugelassen wurden, weil man sonst verzweifelt wäre.

  • Ich glaube, dass Christa ihre Gefühle einfach abgeschaltet hat, sonst hätte sie das nicht ertragen. Ich denke aber auch, dass in jenen Zeiten schon so viele Gefühle nicht zugelassen wurden, weil man sonst verzweifelt wäre.

    Ihr habt ja in allem recht, was ihr schreibt und vom Kopf her ist das sicher schon so in Ordnung. Ich kann nur schreiben, dass mir gerade diese Szene gefühlt zu schnell gegangen ist und es für mich zu wenig um Christa und ihr Empfinden ging. Klar hat sie wahrscheinlich ihre Gefühle abgeschaltet und einfach gemacht, aber dann würde ich doch genau das auch lesen wollen im Buch. ;)

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021

  • Es wird recht teilnahmslos von der Entjungferung berichtet, danach noch ein paar Sätze aber dann war es das auch. Später kommt es zwar nochmal hoch, aber Emotionen stecken da keine drin, was ich sehr schade finde

    Ich habe das so interpretiert, dass sie es verdrängt hat. Sie versucht, einfach nicht mehr dran zu denken, es zu vergessen. So was funktioniert für manche ganz gut. Sie sagt sich, dass es nicht wichtig war. Dass es ein Mittel zum Zweck war. Dass sie dafür Heinzchens Leben retten konnte, das wiegt alles auf. Ganz tief drin wird es bleiben. Ich habe so ähnliches schon öfter in Büchern gelesen. Und da waren es teilweise richtige Vergewaltigungen der Siegermächte. Vielleicht wurde manches auch etwas anderes gewertet als heute. Hunger und Not, rundrum Zerstörung und Tod, da wird manches doch sicher unwichtiger, denke ich. Wenn es mal ums nackte Überleben geht.


    Mir gefällt, wenn nicht alle Gefühlsregungen explizit beschrieben werden sondern es manchmal auch bei Andeutungen bleibt. So was ist natürlich Geschmackssache.

    Hollundergrüße :wave



    :lesend


    Heumahd - Susanne Betz


    (Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin,

    daß er tun kann, was er will,

    sondern daß er nicht tun muß,

    was er nicht will - Jean Rousseau)

  • Ich kann nur schreiben, dass mir gerade diese Szene gefühlt zu schnell gegangen ist und es für mich zu wenig um Christa und ihr Empfinden ging.

    Ja das war auch eine der Szenen, die mir definitiv zu schnell gegangen ist. Ich kann es absolut verstehen, dass Christa versucht, die Szenen aus ihrem Kopf zu löschen und das sie auch mit niemanden darüber sprechen möchte. Und natürlich sind solche Sachen damals ständig passiert und es wurde keine große Szene daraus gemacht. Aber trotzdem muss diese Entjungferung bei Christa doch Spuren hinterlassen haben. Sie muss doch darüber nachdenken, sich vielleicht dafür schämen oder sie muss wütend auf den Amerikaner sein. Aber da kommen für mich als Leser gar keine Emotionen rüber. Klar, kann ich mir das denke, was in ihrem Kopf vorgeht. Aber ich hätte es schöner gefunden, wenn ich auch was darüber hätte lesen können.

  • Ich bin einfach nur total happy mit dem Buch und würde am liebsten alle Bücher, die erwähnt werden sofort lesen. Wann soll ich das alles noch machen? :lache Jedes Mal, wenn ich von einem Verlag lese, bekomme ich eine Gänsehaut und kann nicht mal sagen warum.


    Ich mag eigentlich Bücher gar nicht, die von "starken" Fauen handeln. Dachte ich eigentlich total lange. In letzter Zeit habe ich einige mit so einem Inhalt gelesen und mag es eigentlich doch ganz gern. Wobei Christa ja eher stur und stark ist. Ich finde es großartig, dass sie sich dem Willen ihrer Mutter nicht beugt und statt dessen dem nachgeht, was sie wirlich machen möchte. Und dass Martin sie unterstützt finde ich noch viel großartiger.


    Die Sache mit Alan hat mir schon ein wenig den Hals zugeschnürt. Erst dachte ich ja, dass es mit Chitto eine ähnliche Geschichte wird wie in "Stay away from Gretchen", aber es ist glücklcherweise doch ganz anders. Ich weiß auch noch gar nicht, was ich davon halten soll, dass Alan erst fordert und sich dann wieder entschuldigt.


    Der Professor :cursing: Ich glaube, davon gab es damals sehr sehr viele. Nicht nur, dass sie Frauen nichts gegönnt und zugetraut haben, sondern auch diese unfassbare Ignoranz und das sich noch aufregen über die "Frechheit" dieser Frauen.


    Diese Frau Klein traut sich was mit ihrer Bescheinigung. Und merkt nicht mal, dass sie sich selber die ganze Zeit belügt. Aber solche Menschen gibt es ja zuhauf.


    Was das wohl mit Jago gibt? :gruebel


    Eigentlich möchte ich die ganze Zeit einfach nur weiter lesen, aber mein Kopf ist auf Abwegen unterwegs, sonst wäre ich wohl schon fertig.

  • Interessant, dass euch die Vergewaltigung Christus zu wenige Emotionen hat. Ich habe sie alles verdrängen lassen, aber ihr habt mich dazu angeregt, das Thema in Teil 2 noch einmal kurz aufzugreifen. Danke dafür.

    Ich kann mich meinen Vorrednerinnen nur anschließen. Mehr Emotionen, bzw. den vorhandenen Emotionen mehr Tiefe geben. Dies hat mir auch zu einem späteren Zeitpunkt in dem Buch gefehlt. Manchmal hatte ich das Gefühl sie nimmt alles recht stoisch hin. Sie muss kein Vulkan werden, aber ein wenig mehr aus sich heraus gehen kann bestimmt nicht schaden. Aber man wird ja auch reifer und erfahrener, vielleicht ist dies genau etwas was Christa "lernen" muss ;-)

  • Aber hat Euch auch gestört, dass Martin seine Erlebnisse im KZ nicht weiter erwähnt?

    Ich fand das sehr realistisch, dass er nicht darüber sprechen wollte. Es kam ja eh schon überraschend viel heraus. Ich weiß jetzt nicht in welchem Abschnitt. :gruebel

    Hollundergrüße :wave



    :lesend


    Heumahd - Susanne Betz


    (Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin,

    daß er tun kann, was er will,

    sondern daß er nicht tun muß,

    was er nicht will - Jean Rousseau)

  • Aber hat Euch auch gestört, dass Martin seine Erlebnisse im KZ nicht weiter erwähnt?

    Nein. Zum einen ist für mich Christa die Hauptperson, also möchte ich ihr Erleben viel mehr mitbekommen als das von Martin, der zweifelsohne eine wichtige Rolle im Buch spielt, aber eben nicht DIE Hauptrolle. Zum anderen erleben wir diese Nötigung Christas direkt mit. Martin erleben wir vor seiner Verhaftung und danach - also nicht unmittelbar im KZ. Das macht für mich doch einen spürbaren Unterschied.


    Nachtrag: Im dritten Abschnitt kommen ja doch noch ein paar Gedanken Christas zu diesen Vorgängen, was ich dann sehr schön fand.

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021

  • Aber hat Euch auch gestört, dass Martin seine Erlebnisse im KZ nicht weiter erwähnt?

    Nein bei Marin hat mich das auch nicht gestört. Ich kann mich da eigentlich nur dem Beitrag von Lese-rina anschließen. Für mich ist Christa die Hauptfigur in dem Roman. Und der Leser ist bei den Geschehnissen rund um Christa mit dabei. Deswegen möchte ich da auch gerne mehr über ihre Gefühle und Emotionen lesen.

    Bei Martin erfährt man ja nur, dass er jetzt im KZ ist. Und Martin ist für mich nicht die Hauptfigur in dem Buch. Man ist als Leser nicht direkt mit dabei, als er die schlimmen Erlebnisse im KZ hat. Und da finde ich es in Ordnung, dass er über seine Gefühle schweigt und sie wegsperrt. Bei Martin hat es mich nicht gestört, dass man nicht mehr über seine Emotionen erfährt.

  • Aber hat Euch auch gestört, dass Martin seine Erlebnisse im KZ nicht weiter erwähnt?

    Dass Martin über seine Erlebnisse nicht spricht, halte ich für sehr realistisch. Schließlich haben viele nicht davon gesprochen.

    Außerdem erfährt man ja nichts von seinen Gedanken (nur darüber hätte er sich dem Leser mitteilen können).


    Bei Christa kann ich schon eher verstehen, dass man auch von ihrer Gefühlswelt erfahren will, weil hier ja auch ihre Innenansichten/Gedanken wiedergegeben werden. Mich persönlich hat es aber nicht gestört, dass nicht weiter darauf eingegangen worden ist.

  • Da war vorher schon Krieg und damit verbunden das Absterben vieler Emotionen. Damals kannte man den Begriff Posttraumatisches Belastungssyndrom noch nicht, konnte aber täglich beobachten was da abging. Ich hielt die Reaktion von Christa sehr für realistisch. Eine Nenntante von mir war 19 als das wohlbehütete Töchterchen aus bestem Hause von sechs Sovjetsoldaten gleichzeitig ihre erste Lektion im Bereich körperlicher Geschlechtlichkeit erhielt. Wenn in deren Gegenwart 40 Jahre später - also in den achtzigern - jemand positiv von Russen sprach verließ sie den Raum. Aber gesagt- gesagt hat sie nie was.

  • Bei Christa kann ich schon eher verstehen, dass man auch von ihrer Gefühlswelt erfahren will, weil hier ja auch ihre Innenansichten/Gedanken wiedergegeben werden. Mich persönlich hat es aber nicht gestört, dass nicht weiter darauf eingegangen worden ist.

    Christa hat in dem Moment getan, was sie als notwendig empfand. Sie wollte aber nicht, dass das ihr Leben nun bestimmte und hat es beiseite geschoben. Ich kann mir vorstellen, dass es irgenwann wieder hochkommt und dann auch die Gefühle. Jetzt will sie wahrscheinlich nicht daran denken und sich weiter damit beschäftigen.