Fuchserde - Thomas Sautner

  • Thomas Sautner - Fuchserde


    ASIN/ISBN: 3746623782


    ISBN-10 : 3746623782

    ISBN-13 : 978-3746623788

    Aufbau Taschenbuch Verlag

    2008

    224 Seiten



    Inhalt:


    Schon seit ihrer Kindheit ist Frida der charismatische Mittelpunkt einer großen Familie. Angstlos nach dem frühen Tod ihrer Mutter, sorgt sie mit ihrer ungezähmten Art für Kopfschütteln bei den Bewohnern des kleinen Dorfes, in dem sie lebt. Kein Mann ist ihr recht, und kein Mann kann ihr widerstehen.


    Frida ist eine Jenische, Angehörige eines beinahe in Vergessenheit geratenen fahrenden Volkes. Über Generationen hinweg haben ihre Vorfahren schon im »Biberling«, den kalten Monaten, ihre einfachen Hütten bewohnt, um dann im »Hitzling«, in dem die Sonne zunehmend an Kraft gewinnt, wieder mit ihren Pferdewagen loszuziehen. Es ist ein rau-romantisches Leben, das Frida und die Ihren führen, mit dem Sternenhimmel als Dach, geheimnisvollen Geschichten am Feuerplatz und einer Sprache, die den Sesshaften Rätsel aufgibt. Ihren Lebensunterhalt verdienen die Fahrenden noch zu Beginn des letzten Jahrhunderts als Scherenschleifer, Besenbinder, Pfannenflicker, als Wahrsagerinnen oder als Kräuterfrauen. Sie fühlen sich frei wie der Wind.


    Die Machtergreifung der Nationalsozialisten aber setzt eine dramatische Zäsur im Leben der Familie, die versucht, der Vernichtung zu entrinnen: mit Hilfe uralten Wissens, schier waghalsigem Humor und unbändiger Kraft. Thomas Sautner erzählt die Geschichte zweier Familien, deren Schicksale durch die Liebe ihrer Kinder miteinander verknüpft werden und deren Alltag vom tiefen Verstehen der Natur geprägt ist, von wunderbaren Weisheiten und vom Leben mit den Jahreszeiten. Das nördliche Waldviertel, mystisch-schön mit seinen ausgedehnten Wäldern, dunklen Teichen, tiefen Mooren und den Jahrmillionen alten markanten Restlingen aus Granit ist dabei mehr als bloß der Schauplatz eines großen Familienromans.



    Meine Meinung/Eindrücke:


    Bevor ich das Buch aufgeschlagen habe, wusste ich gar nichts über die Jenischen, das Volk, dessen Geschichte hier über mehrere Generationen hinweg erzählt wird. Mir war der Name kein Begriff, und auch mein Wissen generell über die fahrenden Völker Europas war bestenfalls ein sehr lückenhaftes. Das hat sich nun geändert, auch dank des Autors, der es mit viel Sachverstand und Einfühlungsvermögen schafft, dem Leser die Jenischen und ihre Lebensweise nahezubringen, so dass man mitfühlt und mitfiebert und unglaublich viel Sympathie für diese ausgegrenzten und verfolgten Menschen entwickelt. Man möchte ihnen begegnen, sie kennenlernen, mehr über sie erfahren und von ihnen lernen. Das Buch steckt so voller Weisheit und Schönheit, Magie und Humor, voller Liebe zur Natur, voller wunderbarer Sätze, von denen ich mir auch einige aufgeschrieben habe.


    Aber es hat auch einige grausame Passagen, die mich ganz schön geschockt haben, vor allem weil sie so unvermittelt und ohne Vorwarnung kommen. Die sind gar nicht reißerisch oder blutrünstig beschrieben, sondern fast beiläufig und in einem so klaren und sachlichen Ton, dass ich die Stellen zweimal lesen musste, bis es wirklich zu mir durchgedrungen ist, was da gerade Grausames und Schreckliches passiert. Was diesen Menschen - wie so vielen anderen Verfolgten und Verfemten in der Zeit der Naziherrschaft - angetan wurde, welches Leid und welch grausame Behandlung sie oft erdulden mussten, das ist auch für mich als Leser nur schwer zu ertragen gewesen.


    Trotz aller schönen und humorvollen Passagen ist das Buch wirklich keine leichte Kost. Es hat mich sehr bewegt und berührt, und ich habe am Schluss tiefes Mitgefühl für dieses Volk verspürt und Bedauern darüber, dass ihre Kultur nahezu untergegangen ist.


    Auch die Erzählweise fand ich toll. Das Gerüst der Geschichte ist eine Art mündliche Wissensweitergabe und Überlieferung: Lois, der Urahn und Ältester dieser jenischen Sippe, erzählt seinem (recht ahnungslosen) Urenkel die gesamte Familiengeschichte, vermittelt ihm jenische Weisheiten und klärt ihn über die Bräuche und Traditionen seines Volkes auf - und mit ihm auch gleichzeitig den unbedarften Leser. In dieses Gespräch zwischen Ältestem und Jüngstem eingebettet wird die spannende und abwechslungsreiche Handlung, über mehrere Generationen hinweg erzählt. Dazu gibt es im Buch verstreut auch kurze Passagen in Kursivschrift, die zum jeweiligen Kapitel sachliche Infos liefern und die Handlung in geschichtlichen Kontext stellen, so dass man als Leser immer versteht, worum es geht, und welchen Stand dieses fahrende Volk gerade in der erzählten Epoche hat, vor allem dann während des Dritten Reiches und des Zweiten Weltkrieges.


    Das Buch ist eine ausgewogene Mischung aus Wissensvermittlung und mitreißender, bewegender Geschichte, die mich völlig in ihren Bann gezogen hat. Fuchserde war für mich eine wirkliche Bereicherung und hat mich sehr berührt. Selbst jetzt noch, Tage nach dem Fertiglesen, klingt es nach, und ich bin in Gedanken noch immer bei den Figuren und ihrem Schicksal.


    Bei Wikipedia gibt es auch einen sehr langen und ausführlichen Artikel zu den Jenischen, da finden sich noch viele interessante Fakten und einige Bilder, so dass man sich eingehend informieren kann.

  • Vielen Dank für die wunderbare Rezension zu diesem guten Buch.

    Hätte ich es nicht schon gelesen, würde ich das nun unbedingt wollen.

    Deinen Leseeindrücken möchte ich mich vollkommen anschließen.

    Bei mir liegt es schon ein paar Monate zurück, aber ich habe immer noch Bilder im Kopf. Maulwurfhaufen werde ich nun immer mit einem Gedanken an die raffinierten Wegmarkierungen des fahrenden Volkes betrachten.


    Ich bin mit Vorurteilen über die "Zigeuner" aufgewachsen und muss immer wieder feststellen, dass sich daran nicht viel geändert hat.

    In meiner Kindheit zogen sie noch durch die Dörfer, kamen auch für Geschäfte an die Haustür. Allen Warnungen, Ängsten und Verboten der Erwachsenen zum Trotz, war ich da schon sehr neugierig und kindlich fasziniert.

    Später hatte ich die Gelegenheit einige dieser Menschen zu treffen, es waren sehr nette, freundliche, aber auch unangenehme Begegnungen. Wirklich kennenlernen konnte ich aber keinen, das Misstrauen war zu groß.