'Einführung in das Christentum' - Seiten 009 - 091

  • Einführung: >>Ich Glaube – Amen<<


    Erstes Kapitel: Glaube in der Welt von heute


    Zum Clown:
    Was an diesem Beispiel hinkt, ist, dass ein Clown ebenfalls kostümiert ist.
    Kostüm = das Gewand des Pfarrers?
    Könnte der Zweifel besagen, dass Ratzinger hier auch das Zölibat angreift?
    (Wäre schön, wenn es in diese Richtung gehen sollte ;-) )


    Seite 39 „So wie also der Gläubige …“ bis Absatz (finde ich gut)


    Zitat S. 44: „ … >>Credo<< meint. Es bedeutet, dass der Mensch Sehen, Hören und Greifen nicht als die Totalität des ihn Angehenden betrachtet, dass er den Raum seiner Welt nicht mit dem, was er sehen und greifen kann, abgesteckt ansieht, sondern eine zweite Form von Zugang zum Wirklichen sucht, die er eben Glauben nennt, und zwar so dass er darin sogar die entscheidende Eröffnung seiner Weltsicht überhaupt findet.“


    Was bedeutet dieser lange Schachtelsatz jetzt wirklich?
    Dass der Mensch noch nicht hinter diese Wirklichkeit hinaus sehen kann?


    (Wenn ja, wird Ratzinger diesen Satz von mir bestimmt irgendwann um die Ohren geworfen bekommen ;-) )


    Seite 45 unten „Er ist eine Wende des Seins, und nur wer sich wendet, empfängt ihn.“ *unterschreib*


    Seite 49 mehr oben „ … >Tod Gottes< geworden, der fortan …“


    So habe ich das noch nie betrachtet, weil für mich Gott nicht tot ist. Lediglich das Clowns-Kostüm hat er ausgezogen.


    Seite 50 „ …, dass wir am Ende sind?“ bis zum nächsten Kapitel


    Das ist sehr frei, das hätte ich Ratzinger gar nicht zugetraut :wow :grin

  • Zitat

    Original von Heidi Hof


    Zitat S. 44: „ … >>Credo<< meint. Es bedeutet, dass der Mensch Sehen, Hören und Greifen nicht als die Totalität des ihn Angehenden betrachtet, dass er den Raum seiner Welt nicht mit dem, was er sehen und greifen kann, abgesteckt ansieht, sondern eine zweite Form von Zugang zum Wirklichen sucht, die er eben Glauben nennt, und zwar so dass er darin sogar die entscheidende Eröffnung seiner Weltsicht überhaupt findet.“


    Was bedeutet dieser lange Schachtelsatz jetzt wirklich?
    Dass der Mensch noch nicht hinter diese Wirklichkeit hinaus sehen kann?


    Das arbeitet Ratzinger noch stärker ab Seite 51 heraus. Ich verstehe es so: Menschen, die Glauben, müssen auch an die Wirklichkeit dessen glauben, was sie nicht sehen können. Wenn man nur die Welt des Sehbaren und Greifbaren als Wirklichkeit anerkennt, dann kann man nicht Glauben.

  • Ich habe den Thread bis hierher mit großem Interesse verfolgt (bin also schon mal zumindest geistig bei der Runde dabei) - aber da ich wirklich große Probleme mit dem Stoff habe, werde ich mich wohl nochmal reinlesen.


    Ich fürchte, ich werde in dieser Leserunde eher im Hintergrund bleiben. :-(


    Mir fällt der Stoff schwer und ich kann meine Gedanken dazu irgendwie nicht so richtig ausformulieren, finde aber die bisherigen Gedanken schon mal sehr interessant. Mit denen im Hinterkopf mache ich mich nochmal an die ersten Kapitel.

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

  • Zitat

    Original von taciturusDas arbeitet Ratzinger noch stärker ab Seite 51 heraus. Ich verstehe es so: Menschen, die Glauben, müssen auch an die Wirklichkeit dessen glauben, was sie nicht sehen können. Wenn man nur die Welt des Sehbaren und Greifbaren als Wirklichkeit anerkennt, dann kann man nicht Glauben.


    Das ist gut, und bestätigt meine Gedanken. Danke taciturus :-)

  • Was den Clown angeht: Ratzinger vertritt hier die Ansicht, daß das "Ablegen des Kostüms" überhaupt nichts bringen würde. Die Entwicklung in den protestantischen Kirchen zeigt, daß er damit recht hat: Viele kennen kein Zölibat, habe die Frauenordination eingeführt, und trotzdem sind die Austrittszahlen bei den protestantischen Kirchen höher als in der RKK.
    (Daß es in den evangelikalen Bewegungen und den Pfingstgemeinden vielfach anders läuft, liegt an ihrer auf ständige aktive Mission aller Mitglieder ausgerichteten Struktur; außerdem sind ausgerechnet die "alttestamentarischsten" und reaktionärsten Bewegungen die erfolgreichsten in der Mitgliederwerbung.)
    Ratzinger legt das Beispiel des Clowns beiseite, um eben auf die Komplementarität zwischen "Glaube" und "Zweifel" zu sprechen zu kommen. Beides sei ohne einander nicht möglich, beides bedinge einander. Quasi wie zwei Seiten einer Münze. (Das Beispiel der Hl. Theresa von Lisieux und den übereifrigen Mitschwestern fand ich sogar richtig amüsant -- er kennt ja seine Pappenheimer! :grin)



    Das "Credo" läuft also darauf hinaus, daß ein Gläubiger die positivistische Weltsicht (reines Faktenwissen, Empirismus) transzendiert, indem er jene erste und letzte Ursache als Fixpunkt seines Lebens anerkennt, die die positivistische Weltsicht ausklammere.
    Anders gesagt: Für die positivistische Weltsicht besteht die Welt nur aus der mit der sinnlichen Wahrnehmung erfaßbaren Realität, für den Platoniker Ratzinger aus einer Wirklichkeit, von der die mit der sinnlichen Wahrnehmung erfaßbare Realität nur einen Bruchteil ausmacht.


    Diese Bekehrung auf etwas, das wie der Fluchtpunkt der Perspektive (nur ein Bild!!!!) zwar Voraussetzung für die Richtung der Fluchtlinien, aber selbst nicht wahrnehmbar ist außer durch seine Auswirkungen, ist quasi das sich einlassen auf die Transzendenz Gottes, ohne die Realität dabei auszuklammern (sofern ich das richtig verstanden habe).




    Ich mache mir ziemlich Gedanken darüber, daß er seine persönliche, stark platonisch/aristotelisch/scholastisch geprägte Theologie als Theologie "des Katholizismus" darstellt. Sämtliche von ihm historisch beschriebenen Bewegungen existieren ja als Alternativen des Denkens ständig nebeneinander; mal hat die eine Übergewicht, mal die andere, und sogar "der Katholizismus" bzw. einzelne Vertreter (Geistliche, Wissenschaftler etc.) haben sich schon an die verschiedensten Varianten "drangehängt".


    Wie siehst du das, churchill? Du hast ja gewissermaßen eine Innensicht?

  • Zitat

    Original von Iris
    ich habe bei den Obereulen dafür die Einrichtung eines zusätzlichen Threads innerhalb der Leserunde beantragt, da ich durchaus einsehe, daß das sinnvoll ist -- zumal auch ich selbst Diskussionsbedarf sehe.


    Der Thread ist bereits für euch angelegt worden, schaut mal bitte hier: :wave

  • Ein Schlüsselstelle für mich ist die jüdische Geschichte mit dem Aufklärer, der sich über alle Gläubigen lustig macht, und dann mit dem schlichten Satz: "... vielleicht ist es aber wahr" ausgehebelt wird.


    Ich habe es so verstanden, dass der Glaube allein daraus seine Existenzberechtigung findet, dass eben auch der Nichtgläubige niemals frei sein kann von Zweifeln. Und natürlich bestätigt Ratzinger, dass es em Gläubigen genauso geht. Der letzte weltliche Beweis fehlt für beide Sichten der Dinge.


    Im Weiteren stimme ich mit denen in der Runde überein, die in diesem Buch von Ratzinger überrascht werden (was allerdings auch für andere Bücher von ihm gilt). YSeine Schlussfolgerungen sind beeindruckend, seine Auseinandersetzung mit Zweifeln und Einreden m.E. nicht minder.

  • Zitat

    Original von Iris


    Ich mache mir ziemlich Gedanken darüber, daß er seine persönliche, stark platonisch/aristotelisch/scholastisch geprägte Theologie als Theologie "des Katholizismus" darstellt. Sämtliche von ihm historisch beschriebenen Bewegungen existieren ja als Alternativen des Denkens ständig nebeneinander; mal hat die eine Übergewicht, mal die andere, und sogar "der Katholizismus" bzw. einzelne Vertreter (Geistliche, Wissenschaftler etc.) haben sich schon an die verschiedensten Varianten "drangehängt".


    Wie siehst du das, churchill? Du hast ja gewissermaßen eine Innensicht?


    Genau das ist es, was mich irgendwie fasziniert. Ratzinger scheint sich schon immer sehr sicher gewesen zu sein, was "der Katholizismus" und "die Kirche" denken und lehren. Dabei war er ja als Konzilsberater über alle theologischen Auseinandersetzungen seiner Zeit blendend informiert. Ich glaube schon, dass man sagen kann, dass in der Folgezeit die platonische Denkrichtung (die Ratzinger wohl vor allem über Augustinus einatmete) in der katholischen Theologie gerade in Deutschland nicht die bedeutendste Rolle spielte.


    Heute, weit über 30 Jahre danach, ist die damals von ihm vertretene Linie die absolut beherrschende. Gerade auch im ethischen Bereich wird das mehr als klar. Vor knapp 20 Jahren studierte ich begeistert die Moraltheologen Gründel und Korff, deren "Verantwortungsethik" mir absolut plausibel erschien und heute noch erscheint.


    Ratzinger dagegen wendet sich entschieden gegen jeden teleologischen, also vom konkreten Ziel her gedachten ethischen Ansatz, sondern stützt massiv den deontologischen Weg, der von den "in sich guten" und "in sich bösen" Dingen des Lebens spricht und daher dem von Gott gegebenen Naturgesetz absoluten Stellenwert einräumt.


    Immer dann, wenn die Philosophie dualistisch wird, bekomme ich massives Bauchweh. Aber dazu später mehr.


    Deutlich wird bei Ratzinger in jedem Fall sein leises, aber ungeheuer starkes theologisches Selbstbewusstsein. Er glaubt wirklich zu wissen, was die Position "der Kirche" ist. Hierbei hilft ihm offensichtlich neben seiner intellektuellen Brillanz sein anscheinend unzerbrochener Kinderglaube...

    „Streite niemals mit dummen Leuten. Sie werden dich auf ihr Level runterziehen und dich dort mit Erfahrung schlagen.“ (Mark Twain)

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  • Zitat

    Original von churchill
    Ich glaube schon, dass man sagen kann, dass in der Folgezeit die platonische Denkrichtung (die Ratzinger wohl vor allem über Augustinus einatmete) in der katholischen Theologie gerade in Deutschland nicht die bedeutendste Rolle spielte.


    Grundsätzlich ist das eigentlich schade -- andererseits gruselt mir immer recht bei der augustinischen Variante, die ja eine stark gnostisch-dualistisch überfärbte.
    Anders gesagt: Der Platonismus kennt nicht "das Böse", sondern "böse" oder "schlecht" ist ein Mangel an "gut".
    Die Gnosis (Augustinus' Mutter Monnica war zwar Christin, aber sein Vater "Heide" und er selbst hing in seiner Jugend dem Manichäismus an) kennt einen Dualismus von "Gut" und "Böse" als zweier entgegengesetzter, eigentlich gleich mächtiger Kräfte.
    Diesen Dualismus vermengt Augustin. Und dabei entsteht quasi der Teufel, wie wir ihn kennen.


    Zitat

    Ratzinger dagegen wendet sich entschieden gegen jeden teleologischen, also vom konkreten Ziel her gedachten ethischen Ansatz, sondern stützt massiv den deontologischen Weg, der von den "in sich guten" und "in sich bösen" Dingen des Lebens spricht und daher dem von Gott gegebenen Naturgesetz absoluten Stellenwert einräumt.


    Tja, das ist das Problem mit dem augustinischen Dualismus. An diesem Punkt ist Ratzinger dann kein Platoniker mehr.


    Hätte er sich mal besser an den alten alexandrinischen Bischof Iohannes Philoponos gehalten! :lache


    Zitat

    Immer dann, wenn die Philosophie dualistisch wird, bekomme ich massives Bauchweh. Aber dazu später mehr.


    Ich auch.


    Zitat

    Hierbei hilft ihm offensichtlich neben seiner intellektuellen Brillanz sein anscheinend unzerbrochener Kinderglaube...


    Das erwähnte Rabarat ja auch. Daher kommt wohl auch der Hang zu Augustinus.

  • Eure Auseinandersetzung, Iris und churchill, sind mir zu hoch :grin, da komme ich nicht mehr mit :cry


    Platonismus (Höhlengleichnis, Schein und Sein), das verstehe ich ja noch gerade, aber dann gehe ich unter. Zudem Ihr mehr Fremdwörter (für mich) benutzt als Ratzinger selber.

  • Werde mich bemühen, ohne unnötige Fremdwörter auszukommen, Heidi :-)


    Die beiden einzigen, die mir auffallen (deontologisch und teleologisch) hab ich doch gleich erklärt :rolleyes


    (*flüster* ich verstecke nur ab und zu ein paar Fremdwörter, damit nicht jeder sofort merkt, wie weit ich niveaumäßig hinter Iris zurückbleibe ;-) )

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  • Im moment bereitet mir eine kleine Stelle Kopf zerbrechen, weil ich den Gedankensprung Ratzingers nicht mitgehen kann.


    Nämlich auf Seite 78. "Dabei wird etwas sehr Zentrales sichtbar, dies nämlich, dass Glaube mit Vergebung zu tun hat, zu tun haben muss;"


    Ich habe mir die Stelle mittlerweile schon oft durchgelsen, habe zuerst weitergelesen und jetzt nocheinmal versucht sie zu verstehen, aber ich komme einfach nicht drauf, wie er vom vorhergesagten, auf diesen Schluß kommt. Für mich ist da kein Zusammenhang sichtbar.

  • Hör mir bloß auf, churchill! :peitsch :lache
    Ich habe mich gestern abend hübsch verleiten lassen ... also noch mal ganz langsam:


    Churchill und ich haben Ratzingers Sicht als "platonisch" bezeichnet. Platonismus ist eine grundsätzliche philosophische Weltsicht, die u.a. von Platon vertreten wird; aber auch der nimmt die "Erfindung" dieser Auffassung nicht für sich in Anspruch. Sie wurde allerdings auf europischem Boden von Platon als erstem nicht nur ausführlich behandelt, sondern bis heute überliefert, während die Zeugnisse und Texte seine Vorläufer (Parmenides) verloren sind.


    Ich muß jetzt ein bißchen ausholen, damit das verständlich wird. Teilnehmer an der Menon-Leserunde werden sich an das eine oder andere vielleicht erinnern; trotzdem fange ich nochmal bei Adam und Eva an, damit diese Weltsicht deutlich wird. Da der Platonismus auf einem wechselseitigen Verhältnis zwischen Welt und Erkenntnis beruht, kann man ihn am besten von der Warte der Erkenntnis heraus erklären; denn das ist schließlich unsere eigene Warte.


    Im Platonismus wird von der Sache her unterschieden zwischen Wirklichkeit (tà ónta = die, die [etwas Bestimmtes] sind) und Realität (tà mè ónta = "die [Dinge], die nicht [etwas Bestimmtes] sind" bzw. tà gignómena = "die, die sich im Werden befinden", Gegenstände).
    Die Gegenstandswelt ist ein Teil der Welt als Ganzes, nämlich der Teil, den wir über die sinnliche Wahrnehmung als Gegenstandswelt erkennen.
    Die Gegenstandswelt ist allerdings nirgends und zu keinem Zeitpunkt mit sich selbst identisch -- m.a.W. Gegenstände unterliegen einer ständigen Wandlung. Auch wir selbst, insofern wir Gegenstände sind, verändern uns unentwegt, sind unentwegt in Bewegung.


    Hinzu kommt, daß wir die Gegenstände nicht selbst erkennen, sondern die Erkenntnis der Gegenstände ein sehr komplizierter Prozeß ist. Die sinnliche Wahrnehmung liefert eigentlich nur Informationen über den Gegenstand, seine Eigenschaften, aus denen wir dann mit Hilfe aller kognitiven Kräfte (Verstand, Vorstellungskraft, Gedächtnis, Vernunft) Rekonstruktionen in unserer Vorstellung (= Repräsentationen) ermitteln. Die Gegenstände sind also nicht identisch mit dem, was wir erkennen (= Phänomen), sondern Gegenstand und Phänomen "korrelieren" nur (= sie haben ein wechselseitiges Verhältnis zueinander, das auf Ähnlichkeit/Unähnlichkeit beruht). Je ähnlicher sich Gegenstand und Phänomen sind, desto genauer die Erkenntnis.
    Die Realität (d.h. unsere jeweils individuelle und subjektive Vorstellung von der Gegenstandswelt, die ein Teil der Welt als Ganzes ist), ist tatsächlich ein defizitäres Abbild der Welt; sie ist auch durch unser Ich samt seinen biographisch bedingten Meinungen verfärbt und verzerrt und zugleich als Teil von uns selbst auch wieder Teil der Welt.
    Es gibt also keinen Gegensatz zwischen "Wahrnehmungswelt" und "Ideenwelt", sondern es gibt verschiedene Bereiche der Welt, die wir unterschiedlich erkennen.


    Weil Gegenstände (ebenso wie wir selbst als Gegenstände) allerdings der Veränderlichkeit unterliegen, ist der Inhalt der Erkenntnis über einen Gegenstand keine unveränderliche Wahrheit. D.h. diese Erkenntnis ist kein Wissen, sondern eine Meinung.
    Es wird also unterschieden zwischen Erkenntnissen, die unveränderlich sind (epistéme = "Wissen"), und Erkenntnissen, die veränderlich sind (dóxa = "Meinung"). Wissen kennt nur "null" oder "eins", "ein" oder "aus", "wahr" oder "unwahr" -- Meinungen hingegen haben graduell sehr unterschiedliche Wahrscheinlichkeitswerte!
    So gesehen kennt der Platonismus bereits eine hochdifferenzierte mehrwertige Logik.



    Die heute übliche empirisch-rationalistische Auffassung ist anders. Naturwissenschaftlich gesehen wird die Welt nur betrachtet als eine Definitionsmenge, die alles umfaßt, was man messen kann. Meßgeräte sind dabei letztendlich nichts anderes als "Verlängerungen" bzw. "Erweiterungen" der Sinnesorgane.
    Die Veränderlichkeit von "Wissen" in Gestalt von Gegenstandserkenntnis wird hier nicht wirklich berücksichtigt; statt dessen wird meistens die frühere Erkenntnis als "falsch" und "überaltet" vom Tisch gewischt.
    Ich denke, das muß ich auch nicht weiter erklären, weil wir ja im Grunde ständig damit konfrontiert werden.



    Um auf Ratzingers Platonismus und seine Auffassung von Gott zurückzukommen, möchte ich noch einmal das Bild des "Fluchtpunktes" bemühen:
    Man sieht die Welt um sich immer perspektivisch, d.h. auf einen Fluchtpunkt bezogen, in dem sich alle Fluchtlinien schneiden. Fluchtlinien und Fluchtpunkt sind -- bezogen auf das Bild, das wir sehen -- imaginär, d.h. sie bilden ein gedachtes Raster, das nicht zu sehen ist. Der Fluchtpunkt "wandert" mit unserem Blickwinkel, d.h. er hat keinen festen Ort. Nur im Verhältnis zu mir als Sehendem befindet er sich immer an derselben "Stelle", nämlich quasi mir gegenüber am anderen Ende der Welt von mir aus gesehen.


    Das Bild ist vergleichbar mit dem, was Ratzinger als Geisteshaltung bzw. Weltsicht des gläubigen Menschen beschreibt: Auch der Gläubige sieht nicht Gott selbst; er sieht die Gegenstände der Welt -- aber er sieht darüber hinaus, daß diese Gegenstände eine "Neigung" haben, auf etwas bezogen sind -- und das, wohin sie sich beziehen, ist für Ratzinger Gott, der für den Menschen zunächst nur in seiner Wirkung erkennbar ist.

  • Zitat

    Original von taciturus
    "Dabei wird etwas sehr Zentrales sichtbar, dies nämlich, dass Glaube mit Vergebung zu tun hat, zu tun haben muss;"


    Der Bezug steht davor:
    »... dass auch hier, wo der Mensch gleichsam sein Größtes, den Sprung über seinen Schatten hinweg auf den ihn tragenden Sinn, wagt, sein Tun nicht reine, adlige Größe ist, sondern ihn als das zwiespältige Wesen spiegelt das in seiner Größe erbärmlich und in seiner Erbärmlichkeit doch immer noch groß ist.«
    M.W. ist das Wesen der Vergebung, genau das zu erkennen, hinter jeder noch so schlimmen Tat noch immer den Menschen zu sehen, der eben beides sein kann, groß und erbärmlich, und dabei das eine nie ohne das andere.
    Der Gendankensprung an dieser Stelle ist mir auch aufgefallen.
    Aber anders könnte ich es mir auch nicht erklären.


    Im Falle der Umkehr bzw. des Bekenntnisses ist das Erbärmliche der egoistische Beweggrund, es um seiner selbst willen zu tun, der unvermeidlich ist.


    Das muß man sich allerdings erschließen. Deshalb bin ich mir auch nicht sicher.

  • Zitat

    Original von Iris
    Auch der Gläubige sieht nicht Gott selbst; er sieht die Gegenstände der Welt -- aber er sieht darüber hinaus, daß diese Gegenstände eine "Neigung" haben, auf etwas bezogen sind -- und das, wohin sie sich beziehen, ist für Ratzinger Gott, der für den Menschen zunächst nur in seiner Wirkung erkennbar ist.


    Aber das ist doch austauschbar mit anderen Glaubensformen. In Naturreligionen wird ja z. B. auch alles mögliche Gegenständliche auf etwas "dahinter" bezogen, was für den Menschen erstmal nicht sicht- oder greifbar ist.


    Übrigens auch nochmal vielen Dank für die guten ausführlichen Erläuterungen!


    Gruss,


    Doc

  • Nichts zu danken!! -- Bremst mich lieber, wenn ich schwafle ...


    Zitat

    Original von Doc Hollywood
    Aber das ist doch austauschbar mit anderen Glaubensformen. In Naturreligionen wird ja z. B. auch alles mögliche Gegenständliche auf etwas "dahinter" bezogen, was für den Menschen erstmal nicht sicht- oder greifbar ist.


    Das ist schon richtig. Diesen Punkt ignoriert Ratzinger geflissentlich. Für seine Ausführungen über das Heidentum könnte ich ihn gelegentlich ... :fetch
    Eigentlich beschreibt er zwei davon ausgehende Haltungen gegenüber dem Göttlichen als erster und letzter Ursache: eine "kindlich-naive" Haltung, die an den großen Strippenzieher glaubt und sich dessen Gunst mit allerlei merkwürdigen Handlungen zu sichern hofft, und eine "erwachsene", die sich als mitverantwortlichen Teil der Welt ansieht und erkennen will, wie sie ihren Platz am besten ausfüllen kann (beides stark vereinfacht!).
    Beide Haltungen existieren in allen Religionen nebeneinander und in graduell unterschiedlichen Ausführungen in jedem Menschen. Ich schätze, es gibt keinen Menschen, der nicht beide Haltungen in sich trägt, was auch immer er als "das Göttliche" ansieht: eine Person, die Natur, die Genetik, das Schicksal ... :grin

  • Zitat

    Original von Iris
    Das ist schon richtig. Diesen Punkt ignoriert Ratzinger geflissentlich. Für seine Ausführungen über das Heidentum könnte ich ihn gelegentlich ... :fetch
    Eigentlich beschreibt er zwei davon ausgehende Haltungen gegenüber dem Göttlichen als erster und letzter Ursache: eine "kindlich-naive" Haltung, die an den großen Strippenzieher glaubt und sich dessen Gunst mit allerlei merkwürdigen Handlungen zu sichern hofft, und eine "erwachsene", die sich als mitverantwortlichen Teil der Welt ansieht und erkennen will, wie sie ihren Platz am besten ausfüllen kann (beides stark vereinfacht!).
    Beide Haltungen existieren in allen Religionen nebeneinander und in graduell unterschiedlichen Ausführungen in jedem Menschen. Ich schätze, es gibt keinen Menschen, der nicht beide Haltungen in sich trägt, was auch immer er als "das Göttliche" ansieht: eine Person, die Natur, die Genetik, das Schicksal ... :grin


    Ja, da stimme ich auch vollkommen zu.


    Und das meinte ich auch damit:

    Zitat

    Zitat S. 44: „ … >>Credo<< meint. Es bedeutet, dass der Mensch Sehen, Hören und Greifen nicht als die Totalität des ihn Angehenden betrachtet, dass er den Raum seiner Welt nicht mit dem, was er sehen und greifen kann, abgesteckt ansieht, sondern eine zweite Form von Zugang zum Wirklichen sucht, die er eben Glauben nennt, und zwar so dass er darin sogar die entscheidende Eröffnung seiner Weltsicht überhaupt findet.“


    Was bedeutet dieser lange Schachtelsatz jetzt wirklich?
    Dass der Mensch noch nicht hinter diese Wirklichkeit hinaus sehen kann?


    (Wenn ja, wird Ratzinger diesen Satz von mir bestimmt irgendwann um die Ohren geworfen bekommen )


    Denn wer bestimmt, was hinter dieser Wirklichkeit liegt?
    Die kath. Kirche?


    Ich nehme mich sehr in Acht vor Menschen oder Institutionen, die mir die Absolute-Wahrheit unterbreiten wollen. Für mich gibt es sie nicht!

  • So, bin wieder im Lande und habe inzwischen auch schon ein paar Seiten lesen können. Muss sagen, ich bin bisher doch positiv überrascht. Sehr bildhaft und verständlich.


    Gut fand ich Ratzingers "Wesensbestimmung des Glaubens"
    -Das "Auseinanderklamüsern" von Glaube und Religion
    -Glaube als ein Wagnis. Das Sich- Einlassen auf das nicht Sichtbare als das eigentlich Wirkliche.


    Zitat

    Original von Rabarat
    Ich habe es so verstanden, dass der Glaube allein daraus seine Existenzberechtigung findet, dass eben auch der Nichtgläubige niemals frei sein kann von Zweifeln. Und natürlich bestätigt Ratzinger, dass es em Gläubigen genauso geht. Der letzte weltliche Beweis fehlt für beide Sichten der Dinge.


    Beide, Glaubender und Ungläubiger, zweifeln. Schön formuliert, finde ich auch. Ist mir nie so bewusst. Wenn ich auch nicht gleich von Existenzberechtigung des Glaubens sprechen würde. Und hat ein Nichtgläubiger durch den Zweifel (was, wenn es nun doch wahr wäre) tatsächlich schon Anteil am Glauben?


    Das Bild vom Schiffbrüchigen. Das unter ihm brodelnde Nichts. Laut Ratzinger Voraussetzung dafür, dass der Glaubende seinen Glauben vollziehen kann. "Stehts vor dem Absturz ins Nichts bedroht". Sorry, ist mir einfach zu drastisch.


    Was meint Ratzinger mit "religionslosem Christentum" (bei mir S. 14)?


    Ziemlich durcheinander, meine Anmerkungen. Aber besser wirds nicht ;-)