Ich hätte schwören können, dass mich eine Eule auf diesen Autor gebracht hat; laut Suche ist von ihm hier aber praktisch noch nie die Rede gewesen. Das muss geändert werden!!!
Das Buch
Mit der Zusammenfassung bin ich sehr schnell fertig: Held hat keinen richtigen Job; Held ist von seiner Freundin verlassen worden; Held probiert es mit einer neuen Beziehung. Mit anderen Worten: Es passiert nicht viel. Aber wie!
Der Autor
Hier mein nächstes Missverständnis: Ich war überzeugt, ich hätte von dem Autor im Zusammenhang mit Keyserling und anderen "alten" Autoren gelesen. Ich erwartete also ein etwas liebenswürdig-verschroben-leichtfüssig-altmodisches Büchlein.
Aber dann sah ich: Wilhelm Genazino ist 1943 in Mannheim geboren; er hat 2004 den Georg-Büchner-Preis für sein Lebenswerk bekommen. Also im aktuellsten Sinne "zeitgenössisch"!
O Schreck, dachte ich, als ich das las, was hab ich mir da denn eingehandelt... womöglich "Literatur"...?
Meine Meinung
Die nächste Überraschung: Ich bekam tatsächlich das liebenswürdig-verschroben-leichtfüssig-altmodische Büchlein - von einem "zeitgenössischen" Autor. Und es ist gut, dass darin nicht viel passiert. Die wenigen Passagen, in denen Genazino die Handlung vorantreibt, sind ein bisschen weniger speziell, ebenso die wenigen Dialoge. Der Rest ist fantastisch. Warum?
Der Held wandert durch die Welt, macht seine Beobachtungen, macht sich seine Gedanken über sich und seine Umgebung und tut das mit ganz neuen Bildern, ganz feinen Beobachtungen, ganz kleinen Bewegungen. Eine Amazon-Kundenrezension: "Man ist gewillt, den Protagonisten einen „liebenswerten Kauz" zu nennen und erschrickt dann darüber, dass man ihn (meistens) ganz gut verstehen kann, also womöglich selber so ein Kauz sein könnte. Nein, denkt man sich, das ist alles überzeichnet und vermutlich sind alle Menschen eigenartig, wenn man sie nur genau genug beobachtet."
Ich empfehle das Buch Leuten, die nicht schlafen können. Entweder werden sie die schlaflose Zeit kurzweilig überbrücken, weil sie das Buch überhaupt nicht weglegen können, oder sie werden sich von den wunderbar leisen Sätzen in den Schlaf wiegen lassen.
Bei mir war's beides: Ich wollte vor dem Einschlafen noch lesen und fing mit dem Buch an. Nach der ersten Seite dachte ich: "Oje, wie langweilig, da passiert ja nix". Viiiiiele Seiten später merkte ich auf einmal: "Huch, jetzt habe ich ja schon das halbe Buch gelesen, wie ist denn das passiert..." Danach konnte ich selig und süss schlafen.
Das nächste Genazino-Buch ist schon auf meinen Wunschzettel gewandert. Wer ihn noch nicht kennt, dem empfehle ich zuerst noch die Rezensionen bei Amazon (siehe unten); nicht zuletzt der NZZ-Artikel dort vermittelt ein sehr gutes Stimmungsbild darüber, wie sich Genazino "anfühlt". Und dann: Lesen!