Richard Morgan: Das Zeitalter der Helden (Erwachen/Imperium/Dunkelheit)

  • Tapferkeit, die belohnt wird


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    Richard Morgan ist mit seinen Science Fiction-Romanen bekannt geworden, vor allem mit der Trilogie rund um Takeshi Kovacsz, die mit „Das Unsterblichkeitsprogramm“ („Altered Carbon“) begann und inzwischen auf Netflix als Serie zu sehen ist. Zwischen 2008 und 2013 hat Morgan aber auch eine Fantasy-Trilogie unter dem Gesamttitel „Land Fit For Heroes“ geschrieben, zu der im Dezember 2020 endlich der letzte Teil in deutscher Übersetzung erschienen ist. Für mich Anlass, alle drei Bücher in einem Rutsch zu lesen.


    Um es vorweg zu sagen: Das ist nichts für schwache Nerven, und obwohl es sprachlich, intellektuell, die Sozialkritik und die geschilderten Sozialstrukturen anbetreffend mehr als anspruchsvoll ist, ist „Das Zeitalter der Helden“ nicht unbedingt etwas für literarische Feingeister. Es geht ziemlich heftig zur Sache, und gleich am Anfang, als den geneigten Lesern die Hauptfigur, Ringil Eskiath mit seinem Schwert „Rabenfreund“, vorgestellt wird, wechselt sich eine extrem widerwärtige, sehr bluttriefende, elegisch beschriebene Kampfszene mit Sexschilderungen ab, die später noch sehr viel eindringlicher werden, aber hier bereits andeuten, womit man im Verlauf der Lektüre zu rechnen hat. Morgan erzählt schlicht alles, er geht ins Detail, er lässt die Leser miterleben. Das heißt längst nicht, dass er auch alles erklärt, denn das wiederum ist nicht seine Art. Man muss ziemlich aufpassen und konzentriert bleiben, um Zusammenhänge, aber auch Einzelheiten zu verstehen, doch selbst bei Elementen, die man beim besten Willen nicht extrapolieren kann, bleibt er eine Erläuterung oft schuldig. Wie bei seinen Science Fiction-Romanen setzt Morgan seine Welten und Geschöpfe als selbstverständlich voraus, und wie ein zeitgenössischer Autor keinem Leser vermitteln würde, was zum Beispiel ein Aufzug ist oder wie dieser funktioniert, verzichtet er in seinen fiktiven Welten ebenso darauf - jedenfalls meistens. Wenn es wirklich sonst nicht zu verstehen wäre, kommt tatsächlich der eine oder andere Hinweis. Ein klares, umfassendes Bild aber gibt es nie.


    Die drei „Zeitalter der Helden“-Romane spielen, obwohl mit insgesamt fünf Jahren Abstand verfasst, innerhalb zweier Jahre, und zwar nach meiner persönlichen Lesart auf der Erde (sie wird an zwei Stellen explizit erwähnt), jedoch in einer fernen Zukunft, die entwicklungsmäßig eher eine Vergangenheit ist. Vieles ist mittelalterlich, es gibt (bluttriefende, hatte ich das erwähnt?) Schwertkämpfe noch und nöcher, einen jungen und narzisstischen, aber klugen Imperator, es gibt Intrigen und Verstrickungen, es gibt Religion und Wirtschaft, es gibt diverse Völker und ihre Vermächtnisse, es gibt jede Menge Geschichte, es gibt so etwas wie Magie, und dann noch etwas, das sehr viel stärker ist, es gibt hier und da steampunkmäßige Technik, es gibt eine Prise Unsterblichkeit und transdimensionales Geschehen, es gibt sogar Drachen - und noch vieles, vieles mehr. Vor allem aber gibt es den furiosen Ringil, seinen Freund Egar, der als Chef eines Steppenklans geschasst wurde, und Archet, die Unsterbliche, die als einzige ihres Volks, dem die Menschen viel zu verdanken haben, noch auf der Erde weilt und dem jungen Imperator als Beraterin zur Seite steht.


    Die sehr langen und wirklich exzellent geschriebenen Romane üben einen eigenartigen Reiz aus. Obwohl man gelegentlich das Gefühl hat, etwas verpasst zu haben, oder einen Zusammenhang nicht versteht, der da aber irgendwo sein muss, liest man doch atemlos jedes Wort, und ich kann tatsächlich nicht sagen, wann ich von einer Reihe dieser Art zuletzt so fasziniert war. Richard Morgans Figuren sind sehr eindringlich, seine Art zu erzählen ist atemberaubend, seine Fantasie unbeschreiblich - und sein Mut ist beeindruckend. „Das Zeitalter der Helden“ ist eine anfangs etwas zu ruppige, dann aber stark vereinnahmende, kluge, sozialkritische, in jeder Hinsicht fantastische und kein Wort zu lang geratene, allerdings etwas dunkle Fantasyreihe, die tapfere Leser braucht, die aber für ihren Mut mehr als belohnt werden.


    ASIN/ISBN: 3453320387


    ASIN/ISBN: 3453320379


    ASIN/ISBN: 3453525930

  • Morgan erzählt schlicht alles, er geht ins Detail, er lässt die Leser miterleben.

    Ich habe mich bisher nicht herangetraut zu dieser Trilogie eine Rezension zu schreiben. Vielleicht mache ich das auch nie. Entsprechend war ich sehr gespannt auf Deine, Tom.

    Und sie trifft sehr ins Schwarze zu dem, was ich bzgl. dieser Trilogie empfinde, aber beim Lesen Deiner Rezension denke ich auch, verstehen wird man sie in ihrer Tragweite erst, wenn man ein gutes Stück des 1. Bandes gelesen hat.

    Etwas unkommerzielleres und mutigeres wird man im Fantasy-Genre vermutlich nicht finden können. Gleichzeitig ist es wirklich zutiefst im Fantasy-Genre verankert, nur sehr sehr weit entfernt von Fantasy im Sinne des kommerziell so erfolgreichen Fantasy-Wohlfühl-Eskapismus.

    Man darf sich nicht von den deutschen Covern und Titeln täuschen lassen, es sind sehr erwachsene Bücher für sehr erwachsene Leser.
    Und das Wort 'Held' hat hier eine ganz andere Bedeutung, als man es aus der Wohlfühl-Fantasy kennt, viel mehr im ambivalenten Sinn antiker Sagen.
    Der etwas sperrige englische Titel der Trilogie 'A Land fit for heroes' ist hilfreich. Es ist eine Welt, die unweigerlich Helden erschafft. Die sehr viel Wut mit sich tragen werden. Und man möchte ihnen lieber nicht begegnen.

    Als Ergänzung hier noch die englischen Titel:
    - The Steel Remains
    - The Cold Commands
    - The Dark Defiles

    Und wenn man zum ersten Mal etwas von Richard Morgan lesen möchte. Vielleicht sollte man besser an einer anderen Stelle anfangen. Z.B. Black man (deutsch Skorpion).

  • Die ersten beiden Einzelbände wurden bei den Eulen schon vor einigen Jahren vorgestellt.


    Ich verlinke hier mal die alten Threads zu den Einzelbänden mit den dortigen sehr interessanten Diskussionen. Die Bücher sind damals in der deutschen Version unter anderen Titeln erschienen, daher verlinke ich auch noch zu den alten Büchern:


    Erster Band:

    Erwachen / Glühender Stahl / The Steel Remains


    ASIN/ISBN: 3453525914

  • Richard Morgan ist mit seinen Science Fiction-Romanen bekannt geworden, vor allem mit der Trilogie rund um Takeshi Kovacsz, die mit „Das Unsterblichkeitsprogramm“ („Altered Carbon“) begann und inzwischen auf Netflix als Serie zu sehen ist. Zwischen 2008 und 2013 hat Morgan aber auch eine Fantasy-Trilogie unter dem Gesamttitel „Land Fit For Heroes“ geschrieben, zu der im Dezember 2020 endlich der letzte Teil in deutscher Übersetzung erschienen ist.

    Jetzt weiß ich auch, warum die ersten beiden Bände trotz der Empfehlungen von Elwe, Delphin, Magali und Grisel immer noch bei mir „rumsubben“...

  • Ich verlinke hier mal die alten Threads zu den Einzelbänden mit den dortigen sehr interessanten Diskussionen.

    Danke, Pelican - die Diskussionen sind wirklich ziemlich interessant! Aber ich hatte mich redlich umgeschaut, bevor ich die Rezension gepostet habe, sogar nach Suchbegriffen wie "Ringil", und ich hatte nichts gefunden. Es wäre interessant, zu erfahren, inwieweit sich die "neuen Überarbeitungen" von den alten Fassungen unterscheiden. Die u.a. von Magali bekrittelten und etwas schwer zu trennenden Hervorhebungen von Gedanken, Rückblenden und erinnerten Dialogen als schlichte Kursive sind jedenfalls immer noch enthalten.

  • Es ist eine Welt, die unweigerlich Helden erschafft. Die sehr viel Wut mit sich tragen werden. Und man möchte ihnen lieber nicht begegnen.

    Das trifft es perfekt. Ringil, Egar und Archeth sind Lichtjahre vom Heldenbild entfernt, das wir kennen. Ringil liebt es, zu kämpfen, und er tötet durchaus gerne - auch Kollateralschäden in Kauf nehmend. Seine Bestimmung zehrt aber auch an ihm, verzehrt in nachgerade, und je mehr er Held wird, umso weniger ist er Mensch. Aber er ist nicht nur Werkzeug und Waffe - es ist deutlich vielschichtiger, und er ist sehr klug. Wobei die Vielschichtigkeit auch mit Undeutlichkeit einhergeht. ;)


    Ja, keinem von ihnen möchte man begegnen, außer vielleicht Egar, der etwas linearer strukturiert ist und eher klassische Heldenwerte repräsentiert. Aber auch das ist eine ungerechte Vereinfachung.

  • Es wäre interessant, zu erfahren, inwieweit sich die "neuen Überarbeitungen" von den alten Fassungen unterscheiden. Die u.a. von Magali bekrittelten und etwas schwer zu trennenden Hervorhebungen von Gedanken, Rückblenden und erinnerten Dialogen als schlichte Kursive sind jedenfalls immer noch enthalten.

    Ich erinnere mich, dass ich mich damals bei den deutschen Bänden gewundert habe, wie viele Fehler enthalten waren. Damals schob ich es darauf, dass ich eine Ebook-Ausgabe habe und diese anscheinend mehr oder weniger als Abfallprodukt miterstellt wurden.

    Hier eine kritische Stimme zur neuen Fassung mit der Zusammenfassung von Zitaten/Anmerkungen in einem Blog. Allerdings ohne klare Abgrenzung zwischen Zitat und eigenen Anmerkungen, was es schwierig macht es zu lesen:
    https://phantastische-fluchten…erung-eines-genialen.html

  • Das Folgende ist als Antwort auf Toms Beitrag gemeint, könnte aber auch als Spoiler empfunden werden. Obwohl es eher die Ausgangslage der Geschichte ist.

    Also ggfls. nicht weiterlesen...


    Ja, keinem von ihnen möchte man begegnen, außer vielleicht Egar, der etwas linearer strukturiert ist und eher klassische Heldenwerte repräsentiert. Aber auch das ist eine ungerechte Vereinfachung.

    Bei Egar denke ich häufig an ein Anagramm: Gear. Aber das ist natürlich auch eine ungerechte Vereinfachung.

    Er bildet in gewisser Weise ein Gegenstück zu Ringil und Archeth.

    Egar nutzt seine Stellung als Clanoberhaupt um seine sexuelle Gier in vollen Zügen mit sehr jungen Mädchen auszuleben. Aber das scheint tatsächlich für Fantasy-Leser vollkommen ok zu sein.
    Während es sehr viel kritische Stimmen insbesondere zu Ringil gibt, habe ich nie auch nur eine Anmerkung zum Sex von Egar mit sehr jungen Mädchen gelesen.


    Mal ein Beispiel aus einem Blog:

    Zitat

    Ringil is gay, a good fighter whose gay, a gay hero whose gay. Theirs not much to him beside the fact he is gay. Well unless you count he has sex with men. Than their is Egar, this character at least was okay so Ill leave it that. Than Archeth she is a halfbreed, she has been left behind and struggles with this truth fine but nope she has to be lesbian to. It appeared to me nothing but a cheap stunt thrown in to shock us some more. Fuck Im awesome My book has fucking gay and lesbian characters.


    Dabei besteht Ringils ursprüngliches "Vergehen" tatsächlich in einer zarten, harmlosen, romantischen Liebe zu einem Gleichaltrigen. Nur eben zu einem Gleichgeschlechtlichen. Was zu einem absolut traumatischen Erlebnis führt.
    Und Ringils Geschichte kann ohnehin nur erzählt werden, weil er von einem Adelsprivileg geschützt ist.

    Während Ringil geächtet wird, weil er schwul ist und Archeth weil sie ein Mischling mit einer anderen Rasse ist (lesbisch spielt da schon keine Rolle mehr), wird Egar vordergründig zwar von seinem Clan/Brüdern auch wegen seiner Vorliebe für junge Mädchen angegangen, tatsächlich sind sie ihm aber fremd geworden, sie sind zu kleingeistig für ihn, nachdem er die Welt gesehen hat. Und vor allem geht es um Macht und einen Grund ihn abzuservieren.

    Ringil ist ein Held, weil er zu sich selbst steht. Die Welt macht ihn deswegen zu einem Monster. Verknüpft mit den ihm innewohnenden Möglichkeiten und dem traumatischen Erlebnis wird er insgesamt zu dem, der er ist. Die Gesellschaft bekommt, was sie verdient.

    Ringils Möglichkeit Sex und Liebe als Einheit zu erleben, wurde zerstört. Entsprechend sind die geschilderten Erlebnisse, es geht um die Befriedigung körperlicher Triebe.
    Morgan beschreibt ausführlich, wie Ringil sein Schwert über den Rücken trägt, das Bild wirkt als würde es quer durch seinen Körper gehen und ihn konstant quälen ('The steel remains'). Nur wenn er es gezogen hat, ist er kurz befreit. Aber dann gibt es Tote. Und das ist, wenn es bei ihm um Sex geht, auch fast immer so. Ein erschütterndes Produkt der Welt, in der er aufgewachsen ist.

    Und klar, das war jetzt auch wieder vereinfachend...

    I never predict anything, and I never will. (Paul Gascoigne)

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