Die Eulen Bundestagswahl
-
-
Zitat
Original von churchill
Rein faktisch hat übrigens der damalige Kanzler Schmidt die Koalition beendet, indem er die FDP-Minister entließ, kurz bevor sie ihrerseits die Koalition aufkündigen konnten, oder irre ich mich da?
Das ist so nicht ganz korrekt. Der damalige Bundespräsident Carstens hat die Minister auf Antrag des Bundeskanzlers entlassen. Der Kanzler selbst kann keine Minister ernennen oder entlassen.
Schmidt hat für etwa zwei Wochen dann auch noch das Auswärtige Amt geleitet. Ein neuer Außenminister ist damals nicht ernannt worden.Bitte meine Pingelichkeit zu entschuldigen.
-
Helmut Schmidt finde ich ziemlich cool.
Dass der nicht an Lungenkrebs erkrankt, ist sowieso das Weltwunder schlechthin. -
Richtig, Voltaire, die formale Entlassung spricht der Bundespräsident aus. Im Nachhinein gab es allerdings einen Streit zwischen den Parteien, wer dem anderen die Koalition aufgekündigt hatte. Außerdem blieben nicht nur das Außenministerium sondern auch die anderen FDP-Ministerien ohne neue Minister . Sie wurden jeweils SPD-Ministern zugeschlagen.
-
churchill, unsere Oberstufe hat damals (mit ausdrücklicher Erlaubnis, eigentlich sogar auf Wunsch des Direktors!) geradezu tagelang den Medienraum der Schule in Beschlag genommen. Insofern tue ich mich schwer, da noch alles einzeln zu referieren.
Im Gedächtnis geblieben ist mir noch der erboste Auftritt Helmut Schmidts, nachdem Heiner Geißler (CDU) seiner Vorrednerin Hildegard Hamm-Brücher (FDP), die vehement für einen Verbleib in der sozialliberalen Koalition plädierte, unterstellte, ihre Haltung sei "eine Gefahr für die deutsche Verfassung". Schmidt donnerte damals, solche Unterstellungen toleriere er nicht unter seiner Regierung und sein Rüffel gipfelte in dem legendären Ausruf: »Noch bin ich hier Bundeskanzler!«Das war während der Sitzung, die mit dem konstruktiven Mißtrauensvotum schloß.
Über den Verlauf des Verfahrens hast du m.W. natürlich recht, allerdings erlaubt das deutsche Staatsrecht m.W. keine andere Vorgehensweise. Da Helmut Schmidt ganz offensichtlich an einer möglichst ruhigen Machtübernahme lag, gab er dem Wunsch der entsprechenden Minister Genscher (Außenminister) und Lambsdorff (Wirtschaftsminister) nach, kündigte die Koalition und entließ die daraufhin zurückgetretenen FDP-Minister (wobei Innenminister Gerhard Baum bis zum Schluß um den Erhalt der Koalition kämpfte). Lambsdorff hatte diese Situation provoziert, da er einige Zeit zuvor ein neoliberales Programm verkündet hatte, das etliche für die SPD inakzeptable Positionen enthielt (die er später nicht mal mit der CDU durchsetzen konnte!); außerdem unterhielt die FDP schon wochenlang Koalitionsverhandlungen mit der CDU, hatte also nicht formell, aber faktisch die Koalition bereits aufgekündigt.
Edit: Voltaire hat natürlich recht! "Wanderpräsident" Karl Carstens hat die Minister nach ihrem Rücktritt entlassen!
-
Zitat
churchill, unsere Oberstufe hat damals (mit ausdrücklicher Erlaubnis, eigentlich sogar auf Wunsch des Direktors!) geradezu tagelang den Medienraum der Schule in Beschlag genommen.
Dass wäre in meiner Schule undenkbar gewesen, in den Medienraum zu gehen und Zeitgeschichte live mitzuerleben ...
-
Mein Direx war eben ein Sozi!
-
Achso, deswegen!
Politische Umbildung, sozusagen.
-
Richtig, Iris. Und wie ich eben (in einem Druckerzeugnis ) nachgeschlagen habe, übernahm damals kurzfristig Minister Lahnstein auch das Wirtschaftsministerium (von Lambsdorff), Minister Schmude das Innenministerium (von Baum) und Minister Engholm das Landwirtschaftsministerium (von Ertl). Lambsdorff , Genscher und Ertl waren dann auch wieder Minister im ersten Kabinett Kohl.
-
Danke für den Geschichtsunterricht.
Und wie würdet ihr die Sozialliberale Zeit in Deutschland zusammenfassend?
Hat sie etwas erreicht?
Oder war es ein misslungener Versuch?
-
Ich übrigens obwohl ich sie stark kritisiere nun entgültig hier die SPD angekreuzt.
Trotz aller Kritik wären für mich die anderen Parteien, außer den Grünen, nicht wählbar.
Der Liberalismus ist meine Grundeinstellung, von daher wäre es natürlich, die FDP zu wählen, doch die werden stets machtgeil, und vergessen dann schnell, was Liberalismus überhaupt bedeutet.
Schade, wenn Liberalismus immer wieder von Parteien als Motto missbraucht wird, anstatt ihn in die Realität umzusetzen.
Beckstein und Co. sind für mich eine Drohung genug ...
Gruß
-
Ich würde mal sagen, solange die FDP bürgerlich-liberal war (tw. in der Tradition der "Weimarer" DDP), überschnitten sich die Interessen und Ziele sehr weit. Seitdem der wirtschafts"liberale" Flügel die geschicke der FDP lenkt, gibt es kaum noch übereinstimmungen. Die FDP posaunt zwar gelegentlich noch Protest gegen irgendwelche Einschränkungen bürgerlicher Rechte aus, aber damit ist es nicht weither. Das heiligste am Menschen ist halt sein Bankkonto und je mehr drauf ist, um so heiliger ist er. Das ist eine überaus traurige Entwicklung.
Und es ärgert mich um so mehr, als es aufgrund dieser Entwicklung in Deutschland keine bürgerlich-liberale/liberal-demokratische Kraft gibt. Das wäre nämlich mein Ding ... -
Zitat
Trotz aller Kritik wären für mich die anderen Parteien, außer den Grünen, nicht wählbar. Der Liberalismus ist meine Grundeinstellung, von daher wäre es natürlich, die FDP zu wählen, doch die werden stets machtgeil, und vergessen dann schnell, was Liberalismus überhaupt bedeutet.
Ich habe mir mal erlaubt, den Absatz zwischen diesen beiden Sätzen zu entfernen, dann werden sie noch lustiger. Wenn sich irgendeine Partei hat von der Macht korrumpieren lassen in den letzten Jahren, dann doch wohl die Grünen.
-
Hi Perseus,
mich würde interessieren:
Was ist denn aus Deiner Sicht "in die Realität umgesetzter Liberalismus"??
Liebe Grüße,
Columbo -
In den Zeiten der sozialliberalen Koaltion wurden viele Dinge von der FDP erst angeschoben. Die FDP war die Partei, die 1969 mit dem Slogan in den Wahlkampf zog "die alten Zöpfe abzuschneiden". Die FDP war von den etablierten Parteien die erste Partei, die die Bezeichnung "DDR" ohne irgendwelche Zusätze verwendet hatte.
Die FDP war einmal die Partei des Aufbruchs. Ihre damalige Jugendorganisation die "Deutschen Jungdemokraten" war ein linksliberal orientierter Verband.
Und schaut man sich die FDP jetzt an, dann fragt man sich nur: Was ist aus dieser Partei eigentlich geworden?
Die heutige FDP steht nicht mehr in der Tradition eines Friedrich Naumann, auch kann man sie kaum noch guten Gewissens als Nachfolgerin der DDP bezeichnen, wobei man natürlich auch nicht vergessen darf, dass die FDP nach dem Kriege durchaus auch als Sammelbecken der Alt-Nazis galt.Bezeichnend für den jetzigen Zustand dieser Parte ist, dass die von mir sehr geschätzte Hildegard Hamm-Brücher vor einiger Zeit aus der FDP ausgetreten ist.
1969 war die FDP bei uns jungen Menschen sehr populär. Dort fanden wir das Verständnis, was wir in der SPD (eigentlich bis heute) nie gefunden haben.
-
Iris :
ZitatUnd es ärgert mich um so mehr, als es aufgrund dieser Entwicklung in Deutschland keine bürgerlich-liberale/liberal-demokratische Kraft gibt. Das wäre nämlich mein Ding ...
Ich würde dich wählen.
Tom :
ZitatWenn sich irgendeine Partei hat von der Macht korrumpieren lassen in den letzten Jahren, dann doch wohl die Grünen.
Welche Partei hat sich von der Macht noch nie korrumpieren lassen?
ZitatWas ist denn aus Deiner Sicht "in die Realität umgesetzter Liberalismus"??
Mein Traumstaat ist ein Staat, der so schlank und rank wie möglich ist.
Für mich ist ausufernde Bürokratie das Hauptübel, ein Schneeball, der immer größer wird und viele Probleme auslöst.
Steuersysteme gehören für mich vereinfacht, so dass sie jeder Bürger versteht, jeder Bürger sein Steuerformular locker selbst ausfüllen kann.Ein Staat soll gemeinschaftsdienlich sein, Dienste für die Gemeinschaft zur Verfügung stellen:
Soziales. Gesundheit. Sicherheit, ohne Menschenrechte zu beschneiden.
Der Staat soll dem Menschen dienen, und nicht der Mensch dem Staat.
Der Bürger soll mehr Selbstverantwortung übernehmen.
Das Individuum gehört in den Mittelpunkt gestellt.Und noch vieles mehr ...
-
Zitat
Original von Voltaire
Bezeichnend für den jetzigen Zustand dieser Parte ist, dass die von mir sehr geschätzte Hildegard Hamm-Brücher vor einiger Zeit aus der FDP ausgetreten ist.
Der Schritt muß ihr sehr schwergefallen sein. Sie hat ihn lange vor sich hergeschoben, aber im Grunde ist er nur konsequent.Im Grunde rechne ich damit, daß es in den nächsten zwanzig Jahren zu einer bürgerlich-liberalen Bewegung kommen wird. Denn die nächste Legislaturperiode wird sicherlich von beiden großen Volksparteien gemeinsam gestaltet werden müssen.
Und wie in den 1960ern sehe ich eigentlich auch keinen Untergang damit verbunden, sondern eine Lösung des "Reformstaus" verbunden mit der Möglichkeit, daß sich endlich wieder Richtungen und Meinungen entfalten werden, die über das alles überdeckende Thema "Wirtschaft" hinausgehen und Perspektiven für die Zukunft zeigen. -
Zitat
Original von Perseus
Mein Traumstaat ist ein Staat, der so schlank und rank wie möglich ist.ZitatEin Staat soll gemeinschaftsdienlich sein, Dienste für die Gemeinschaft zur Verfügung stellen:
Soziales. Gesundheit. Sicherheit, ohne Menschenrechte zu beschneiden.
Sorry, Perseus, aber hier widersprechen deine Wünsche einander!Überall dort, wo sich "der Staat", die res publica als die Gemeinsamkeit aus dem Leben der Menschen zurückzieht, ziehen sich auch Recht und Gesetz daraus zurück.
Die Privatisierung der gemeinsam zu verantwortenden Dinge eines Volkes führt in eine Anarchie, in der die mit dem dicken Bankkonto eine schwindsüchtige Volksvertretung erpressen und ihr die Versorgung einer wachsenden Zahl von Armen aufbürden (die sie dann nicht leisten kann), während sie selbst alle Vorteile einstreichen, allen Schutz genießen, alle ihre Interessen durchsetzen -- schau dir bloß mal die Situation im neoliberalen "Wirtschaftswunderland" USA an. Wem wurde bereits der Löwenanteil der Wiederaufbauaufträge in Sachen New Orleans zugeschlagen? Halliburton!ZitatDer Staat soll dem Menschen dienen, und nicht der Mensch dem Staat.
Der Bürger soll mehr Selbstverantwortung übernehmen.
Das Individuum gehört in den Mittelpunkt gestellt.
In welchen Mittelpunkt? Was soll diese Phrase denn eigentlich bedeuten? Mir klingt das alles zu sehr nach kindischem Trotz gegen "Vater" Staat.Perseus, "der Staat", das sind wir alle, das ist unser aller Vertretung, die unser friedliches und freies Miteinander ermöglichen soll.
Jede andere Theorie -- vor allem die vom "bösen Staat", der immer alles kontrollieren wolle -- ist gefährlicher Quatsch! -
Iris :
ZitatDenn die nächste Legislaturperiode wird sicherlich von beiden großen Volksparteien gemeinsam gestaltet werden müssen.
Interessant.
In Österreich ist zum Beispiel die Große Koalition, also Rot/Schwarz die Wunschkoalition schlechthin, weil sie bekannt ist für Stabilität und Sicherheit.
ZitatÜberall dort, wo sich "der Staat", die res publica als die Gemeinsamkeit aus dem Leben der Menschen zurückzieht, ziehen sich auch Recht und Gesetz daraus zurück.
Ist daher der Glaube an das "Gute" am Menschen naiv?
ZitatIn welchen Mittelpunkt? Was soll diese Phrase denn eigentlich bedeuten? Mir klingt das alles zu sehr nach kindischem Trotz gegen "Vater" Staat.
Menschen sollen sich möglichst frei entfalten können.
Der Staat soll die rechtlichen Rahmenbedingungen dazu ermöglichen.
Ich bin - um es noch einmal zu betonen - natürlich für den Staat, also die Gemeinschaft, aber für einen vereinfachten Staat, denn dann ist dieser weit funktionsfähiger und effektiver.ZitatPerseus, "der Staat", das sind wir alle, das ist unser aller Vertretung, die unser friedliches und freies Miteinander ermöglichen soll.
Das bin ich mir selbstverständlich bewusst!
ZitatJede andere Theorie -- vor allem die vom "bösen Staat", der immer alles kontrollieren wolle -- ist gefährlicher Quatsch!
Wie würdest du dann das bezeichnen, was Beckstein vor hat?
Ich bin nicht der Auffassung, dass der Staat alles kontrollieren will.
Aber man muss den Staat immer dann kritisieren, wenn aus Kontrolle die Menschenrechte beschnitten werden.
Gruß
-