Margaret Atwood - Die essbare Frau

  • Klappentext:
    „Die essbare Frau“ ist in der angelsächsischen Welt der bekannteste Roman der kanadischen Autorin. Sie erzählt darin die Geschichte einer anziehenden und erfolgreichen jungen Frau, die eines Tages buchstäblich den Appetit verliert ...
    Marian McAlpin, Anfang zwanzig, kompetente Marktforscherin und modern im Denken, schätzt das Vernünftige, das Normale. Sie ist attraktiv, hat einen festen Freund, Peter, der ein „ganz normaler“ Mann und Rechtsanwalt ist. Marian versucht ihr Leben sinnvoll zu planen - anders als ihre sprunghafte glücklich-unglückliche Wohnungsgenossin oder ihre im kinderreichen Haushalt versinkende Freundin. Deshalb irritiert es sie, als sie merkt, daß sie sich für den „verrückten“ Duncan interessiert, dessen egozentrische Phantasiewelt ihr angst macht und sie geheimnisvoll anzieht. Peter, der Normale, reagiert mit einem Heiratsantrag. Der Hochzeitstag wird festgesetzt, die Dinge nehmen ihren Lauf, da merkt Marian, daß sie nicht mehr essen kann, kein Fleisch mehr und keinen Fisch, bald auch nicht einmal mehr Gemüse ...
    Ein spannender Roman von hintergründigem Witz, eine einfallsreiche und vor allem sehr menschliche Komödie.


    Mein Leseeindruck:
    Nein, das ist keine Komödie und hintergründigen Witz sehe ich auch nicht. Überhaupt widerspreche ich dem Klappentext: Marian führt zwar oberflächlich gesehen ein normales Leben, aber dicht unter der Oberfläche lauern merkwürdige Gedanken, die jede/r von uns kennt, aber im Gegensatz zu Marian nicht so konsequent zu Ende denkt. Sie beobachtet gern und beschreibt präzise, was sie sieht, was dazu führt, dass wir - mit ihren bzw. Atwoods Augen - das Absurde im Alltäglichen wahrnehmen. Irgendwann erscheint es völlig plausibel, dass Marian nichts mehr essen kann und den eigenartigen Duncan normaler findet als den durchschnittlichen Peter.


    Als dieses Buch geschrieben wurde, 1965, waren Essstörungen als Buchthema noch nicht so aktuell wie heutzutage. In einem nachträglich geschriebenen Vorwort erinnert sich M. Atwood, dass zeitgleich zum Erscheinen des Buches, 1969, der Feminismus in Nordamerika populär wurde, dieser aber 1965 noch nicht in Sicht war. Sie nennt ihr Buch einen „protofeministischen Roman“.


    Originalausgabe: 1969 The Edible Woman bei André Deutsch Ltd., London


    Lieben Gruß


    polli

    Die Zeit schreitet voran. Und du, Mensch?

    S. J. Lec

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  • Ich habs schon lustig gefunden. Sie persifliert doch alles, was ihr unterkommt, und sowas liebe ich.


    Neben Lady Oracle ist das mein allerliebstes Atwoodbuch, immer noch, und ich bin vor fast 20 Jahren darauf gestossen, weil mich eine kanadische Freundin aufmerksam gemacht hat.

    Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist das nicht allemal das Buch.
    Georg Christoph Lichtenberg

  • Freude , das Buch ist immer noch aktuell kaufbar.
    Ich habe beim aufräumen einen Gutschein von 2004 entdeckt, auf dem noch ein Restguthaben vorhanden ist- das Buch werde ich davon kaufen..

  • 'Die eßbare Frau' ist kein Roman über Eßstörung.
    Die Störung, die Marian, die Hauptfigur erlebt, ist vielmehr eine 'Störung' ihrer Rolle als Frau. Daß sie nach und nach nicht mehr essen kann, ist ein Zeichen dafür, daß sie mit der Rolle, die sie laut Gesellschaft zu spielen hat, nicht mehr zurecht kommt. Die Ablehnung von Nahrung, - ein Lebensmittel nach dem anderen widersteht ihr - , ist ein Zeichen dafür, daß sie sich mehr und mehr verweigert.
    Das Essen ist dabei Metapher. Essen wird konsumiert. Man geht mit Frauen um, wie mit Lebensmitteln, kauft sie ein, putzt sie, richtet sie an, richtet sie zu. Sie bestimmen nicht selbst, ihr Leben folgt fremden Regeln, den 'Kochrezepten' sozusagen. Sie verändern sich auf dem Weg, verlieren Substanz. Einmal auf dem fremden Teller gelandet, werden sie aufgezehrt. Dann sind sie weg, verschlungen.


    Marian geht so langsam auf, daß ihr das nicht paßt. Sie will sich nicht mehr verschlingen lassen, nicht mehr anderen verfügbar sein.
    Sie will nicht zum Verzehr gedacht sein, um Atwoods Bild auf den Punkt zu bringen.


    Für 1965 war das ungeheuer weitblickend. Bis heute ist es eine faszinierende Analyse. Atwood eben, einfach genial.
    Natürlich ist es phantastisch gut formuliert, ironisch - witzig und punktgenau brutal.
    Immer noch und unverändert ein herrlich schrecklicher Roman.


    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Ich weiss es nicht genau, nehme aber an, dass Margaret Atwood, als sie den Roman in den sechziger Jahren schrieb, die Bezeichnung essbar symbolisch benutzte und mit den Worten spielte, indem sie Essstörungen (ob es damals schon den Begriff Anorexi gab?) in Zusammenhang mit Feminismus bringt. Indem die Protagonistin ihre Freiheit und Unabhängigkeit aufgibt, verliert sie ihre Individualität und so wird sie symbolisch von ihrem zukünftigen Ehemann konsumierbar (essbar).



    Edit:
    Ach so, Magali hatte schon geantwortet.
    Habe ich irgendwie übersehen gehabt! Sorry!

  • der titel kam mir bekannt vor,da hab ich den thread angeklickt,und siehe da,ich hatte recht:das ist das buch das ich immoment lese (ok,ich mache grad ne art pause,bin so auf der hälfte),aber auf englisch.wenn ich das hier so lese,fang ich wohl doch bald wieder damit an.....
    EDIT:
    zum titel:sagt nicht die autorin im vorwort auch,das der titel mit dem brauch zusammenhängt ,auf der torte eine braut und einen bräutigam aus zuckerguss zu stellen,und das sie persönlich das immer an kanibalismus erinnert habe?

    Eine Geschichte ist ein Universum zwischen zwei Buchdeckeln
    :write :anbet
    Midnighters (1) Die Erwählten - Scott Westerfeld

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  • @ Aeria: Hab Katzenauge vor ner Weile gelesen.


    Fand es auch sehr gut, obwohl mich Räuberbraut mehr in seinen Bann gezogen hat.
    Es geht halt immer um starke Frauen.

  • Die Hauptfigur Marian MacAlpin kommt mir nach den ersten 50 Seiten extrem suchend und unzufrieden vor, weil alle vorgegebenen Lebensmuster, die ihr in ihrem beruflichen und privaten Alltag so unterkommen allesamt nicht in ihren eigenen - nicht existenten Hirnschablonen - "einrasten". Sie ist rastlos, es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie aus"rastet" - natürlich in schleichend-unauffälliger Form mitten im normierten Alltag.
    Eine erste sexuelle Belästigung ergibt sich im Berufsalltag Marians mit einem ekligen Biertrinker (der mit dem ziegelroten Gesicht... typisch einzigartige Bildsprache Atwoods - genial !!). Mit dem soll nämlich Marian ein face-to-face-Interview machen. Zum Glück kann sie diesen ekligen Typen mit zwei Traktaten eines verrückten Antialkoholiker-Sektenpredigers abwehren - besser als Pfefferspray.


    Also ich sehe einen starken Zusammenhang zwischen Marians sprachkritisch-psychologischer Arbeit und ihren körperlichen Reaktionen.


    Produktforschung... :gruebel


    Mein Lieblingszitat:

    Zitat

    "ein großer, anstaltsgrüner Saal ... mit einer Anzahl hölzerner Tische am anderen Ende für die mütterlich aussehenden Frauen, die dort die Handschriften der Interviewer entziffern und mit farbigen Stiften Kreuze und Kontrollzeichen in die ausgefüllten Fragebogen eintragen. Mit ihren Scheren und Klebstoffen und Papierstößen sehen sie wie eine überalterte Kindergartengruppe aus."