Raymond Chandler - Die kleine Schwester

  • Raymond Chandler, geboren 1888 in Chicago, wuchs in England auf. Er übte verschiedenste Berufe aus, bevor er ab 1932 ernsthaft zu schreiben begann. Chandler wurde nicht nur mit seinen Romanen um den Privatdetektiv Philip Marlowe zum Klassiker der Kriminalliteratur. Er verfasste auch berühmte Drehbücher für Billy Wilder und Alfred Hitchcock. Raymond Chandler starb 1959 in La Jolla, Kalifornien.


    Eine Schwester auf der Suche nach dem Bruder



    "Was verdienen Sie so Mr. Marlow?" "Vierzig Dollar pro Tag plus Spesen. Das verlange ich. Manchmal auch fünfundzwanzig. Auch schon mal weniger." (Buchauszug)
    Orfamay Quest ein unschuldiges Wesen aus einer kleineren Provinz Kansas, kommt in die große Stadt, um nach ihrem Bruder Orrin zu suchen. Dieser hat sich länger nicht bei seiner Familie gemeldet, weshalb sie sich Sorgen machen. Zumindest ist es dies ihre Variante, die sie Privatdetektiv Philip Marlowe versucht weiß zu machen. Orfamays unschuldiger Blick, ihre Naivität scheinen jedoch Marlowe anzuziehen, weshalb er den Auftrag annimmt, obwohl er keine große Lust dazu hat. Doch immer mehr Ungereimtheiten stellen klar, das Orfamay ihm die ganze Wahrheit verschwiegen hat. Doch Marlowe findet irgendwann heraus, was sie vor ihm zu verbergen versucht. So entdeckt er unter anderem das Orfamays Schwester als Schauspielerin in Hollywood arbeitet und das Geheimnis um ihren Bruder.


    Meine Meinung:
    Zufällig bin ich an dieses Buch geraten, als ich bei einer Leserunde das falsche Buch bekam. So dachte ich mir, warum nicht, dann lese ich eben doch mit, obwohl mich der Klappentext nicht überzeugt. Man sollte vielleicht doch auf sein Bauchgefühl hören, den mit diesem Buch habe ich mir keinen Gefallen getan. Mir sagte zwar der Name Philip Marlowe etwas, jedoch das Chandler der Vorreiter der späteren Kriminalromane war, das wusste ich bis dahin nicht. Der Sprache ist trotz neuer Übersetzung zwar ok gewesen, doch die Ausdrucksformen sind meiner Ansicht nach eher grenzwertig. Einiger seiner Dialoge sind recht witzig und manche durchaus gut gemacht. Doch Chandler zeigt hier leider ein wirklich unschönes, bedenkliches Frauenbild auf, bei dem es keine Ausnahmen gibt. Zudem hat es ihm die Filmindustrie Hollywoods angetan, mit der er hier in diesem Buch anscheinend versucht abzurechnen. Fast alle Frauen werfen sich Marlowe an der Hals, als wenn er der größte Gigolo ist, derweil empfinde ich ihn eher als eine Art Colombo-Magnum Verschnitt zum Einschlafen. Marlowe glaubt sogar, dass die Frauen einen Mann regelrecht schwach machen, sodass dieser gar nichts anders kann, als zuzugreifen. Gerade im Zeitalter der heutigen MeToo-Bewegung empfinde ich dieses Frauenbild einfach nicht mehr zeitgemäß. Natürlich muss man vorstellen, dass dieses Buch kurz nach dem Krieg entstanden ist und da vieles sicher anders war. Doch möchte ich so was unbedingt heute noch in einem Krimi lesen. Außerdem hab ich den Eindruck, das Chandler die Problematik Hollywoods, das sich Frauen damals für eine gute Rolle eben hochgeschlafen musste, aufzeigen wollte. Auch Marlowes Einstellung zu Arbeit empfand ich gewöhnungsbedürftig, ich hatte nicht den Eindruck, dass ihm sein Job wirklich Spaß macht. Selbst seine Ermittlungen können mich nicht voll überzeugen. So weiß ich bis heute nicht, wie Marlowe an manche Informationen gekommen ist. Das Buch wurde für mich von Seite zu Seite immer verworrener und ich konnte irgendwann gar nicht mehr richtig folgen. Ebenso hält sich die Spannung in Grenzen, sodass die Geschichte immer ermüdender für mich wurde. Selbst wenn Chandler der Vater der Kriminalgeschichten sein soll, war dies sicher mein einziges Buch, das ich von ihm gelesen habe. Deshalb kann ich hier nur 2 von 5 Sternen geben. :thumbdown:


    ASIN/ISBN: 3257071396

    "Lebe jeden Tag so, als ob du dein ganzes Leben lang nur für diesen einen Tag gelebt hättest."

  • Raymond Chandler gehörte und gehört auch noch heute zu den ganz Großen dieses Genres. Sein Detektiv Philip Marlowe ist wohl der bekannteste PI der Kriminalliteratur. Mit Chandler muss man natürlich auch Dashiel Hammet (des Detektiv war Sam Spade) und sicher auch Ross McDonald (Detektiv Lew Archer) nennenn

    .Vielleicht gehört aber auch Mickey Spillane noch dazu, dessen PI Mike Hammer auch einen echten Kultstatus hat.


    Die Krimis von Raymond Chandler kann man auch durchaus ein zweites Mal lesen, was bei Krimis ja nun wahrlich nicht der Normalfall ist.


    "Die kleine Schwester" habe ich mit großem "Krimi-Genuß" gelesen.


    btw.:

    Für den passionierten Krimileser empfehle ich übrigns die Bücher von Rex Stout. Sein Detektiv Nero Wolfe ist ein Egozentriker, Feinschmecker und Orchideenzüchter.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • "Auch Marlowes Einstellung zu Arbeit empfand ich gewöhnungsbedürftig, ich hatte nicht den Eindruck, dass ihm sein Job wirklich Spaß macht. "


    Voll süß! :grin



    Selbst seine Ermittlungen können mich nicht voll überzeugen. So weiß ich bis heute nicht, wie Marlowe an manche Informationen gekommen ist."


    Der einzige Punkt der Rezi, dem ich zustimmen würde. Die Plots sind Chandlers Sache nicht, wiewohl er hochintelligent war und vorher auch sehr erfolgreich in der Wirtschaft gearbeitet hatte. In der Verfilmung von „The big Sleep“ beispielsweise fragte der Regisseur irgendwann genervt bei Chandler an, wer denn nun den Chauffeur umgelegt habe. Chandler wusste es selbst nicht. :lache

    Bei Chandler geht es um die Einsamkeit des Individuums in der Großstadt, die er mit großer Meisterschaft literarisch darstellt. Man spürt sie nahezu körperlich, wenn man ihn genau liest. In den Übersetzungen von Wollschläger gelingt das ganz großartig.

    Es geht entscheidend auch um den Versuch des Individuums, sich in einer feindseligen Welt zu behaupten – mit harter Schale und mit Hilfe eines Kompasses, den man Moral nennt.

    Es sind eher Romane für Männer, denke ich, ein Glas Bourbon sollte in Reichweite sein.

    In jedem Falle ist es große Literatur.

    Haruki Murakami beispielsweise las „The Long Good-Bye“ mindestens zwölfmal, und die Liste der Chandler-Verehrer ist lang.


    Aber wenn die Rezensentin es anders sieht, ist das ok. Von mir ein Daumen hoch.



  • Ja danke dir für deine Worte, doch wie gesagt mein Buch war es einfach nicht oder war es für mich noch nicht der richtige Zeitpunkt. :)

    "Lebe jeden Tag so, als ob du dein ganzes Leben lang nur für diesen einen Tag gelebt hättest."