'Die Wahrheit über Metting' - Seiten 001 - 080

  • Ich bin, wie ich es von den Büchern von Tom gewohnt bin, gut in die Geschichte reingekommen.

    Was ich besonders mag, ist die gute Mischung aus Passagen, bei denen ich schmunzeln muss und im Ohr Toms Stimme lesen höre, und den leiseren Tönen, die mich berühren.


    Man stelle sich vor, dass man in einem Altersheim lebt, als Kind. Das ist für mich eine wirklich schlimme Vorstellung. Dazu kommen noch die mit sich selbst beschäftigten Eltern.

    Ich denke, dass man das kaum mit unserer Generation als Eltern vergleichen kann. In den Jahren war das so, meine Kindheit übrigens auch, auf keinen Fall ungeliebt, aber oft schon so eher nebenbei.


    Und ich mag Marieluise. Ich glaube, dass sie die Rettung für den pubertierenden Tomaś ist, für seine Fragen, seinen Wissensdurst und sicher auch für die Ausbildung seiner Weltsicht.

    Ich wünsche ihr ein langes Leben im Buch!


    Edit:

    Vielleicht sollte ich nochmal präzisieren, was ich im ersten Abschnitt schrieb.

    Die Szenen, bei denen ich schmunzeln musste, sind für mich beim Lesen auftauchende Erinnerungsfetzen, lesbare oder auch zwischen den Zeilen untergebrachte ironische Momente.

    "Die Wahrheit über Metting" ist kein lustiges Buch. Soviel wird schon zu diesem frühen Zeitpunkt im Roman klar, und das habe ich im Vorfeld Auch zu keinem Zeitpunkt erwartet.

    - Freiheit, die den Himmel streift -

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von Clare ()

  • :knuddel1 Keine Sorge Clare dieses Gedicht ist wohl absichtlich Grobgeschwurbeltes, bestenfalls könnte es auf den Dadaismus der 1920er Jahre hindeuten. Bewundernswert fand ich nicht nur die Erfindung dieses Dichters sondern auch die der anderen Schriftsteller und deren Werke. Ich habe versucht einige zu googeln ;)


    Leider finde ich wenig Erheiterndes in diesen ersten vier Kapiteln. Die Umstände unter denen dieser einsame Junge aufwächst sind eher tragisch. Dass seine Eltern ihrem Einzelkind nicht einmal den Kindergarten gönnen, wo er mit Gleichaltrigen zusammensein könnte, ist aus heutiger Sicht schon fast grausam. Aber damals machte man sich wohl weniger Gedanken über die Psyche der Kinder und überließ deren Entwicklung eher dem Zufall. Diese Lockerheit habe ich selber erlebt - Tomás dürfte ungefähr mein Jahrgang sein.


    Die Welt, die in diesem Roman gezeichnet wird, ist überschaubar aus Sicht des Pubertierenden und funktioniert nach einfachen Regeln. Die Entdeckung, dass sein Vater etwas völlig Unerwartetes und Unverständliches mit seinem langjährigen Freund macht, muss ein Schock für den Jungen sein. Seine Angst und Verwirrung ist glaubhaft dargestellt. Dass er sich damit an die Mutter seines einzigen Freundes wendet ist ein glücklicher Zufall. Sie ist in dieser Situation genau die Richtige für seine Sorgen und reagiert besonnen.


    Natürlich schämt er sich vor Filip und hat Angst, dass diese kostbare Freundschaft Schaden nehmen könnte.


    Ich bin gespannt, ob er sich auch noch seiner alten Freundin Marieluise anvertrauen wird.

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    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend MZB: Darkover-Universum

  • :chen Darauf wäre ich bis jetzt nicht gekommen, aber jetzt muss ich mich schon eher zurückhalten.

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    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend MZB: Darkover-Universum

  • Ach so, das Gedicht des Lyrikers Friesmann aus Metting verstehe ich nicht.

    Oh weh, was sagt das über mich:gruebel

    Nichts, ich habe es auch versucht, und ich habe eigentlich ein gutes Händchen was Lyrik anbelangt.

    Der Dichter ist wohl Fiktion, ich habe ihn nicht gefunden bei meiner Recherche, es könnte aber durchaus welche gegeben haben, die solche vermeintlich aussagestarken Verse fabriziert haben.

    Ich bin jetzt noch nicht durch aber als ich das mit dem Pflegeheim gelesen habe, dachte ich sofort an Meyerhoffs "Alle Toten fliegen hoch" der da seine Erlebnisse in einer psychiatrischen Pflegeanstalt, das sein Vater leitet, da schildert. Nur der Witz an der Sache ist anders, wenn auch nicht schlechter.

  • Ich bin noch nicht mit dem Abschnitt fertig, aber ich liebe Marieluise Benedikt mindestens genauso wie Tomás. Was für zwei wunderbar schillernde und harmonierende Figuren in diesem grauen, tristen Altenheim-Alltag.

    Und der Gesichtsausdruck von Annika als Pippi den Süßigkeitenladen leer kauft ist mir altersbedingt so präsent. Das ist so schön. Ich liebe all diese Kleinigkeiten in den Beschreibungen.

    Wie Tom uns Lesern allein im ersten Kapitel Toms überschaubare Welt näher bringt, ist schon besonders. Ich bin sehr begeistert.

  • Ach so, das Gedicht des Lyrikers Friesmann aus Metting verstehe ich nicht.

    Oh weh, was sagt das über mich:gruebel

    Ich auch nicht. Aber zuzugeben, dieses Geschwurbel nicht zu verstehen, ist ja der Punkt, denke ich. Diese Verehrung eines Schriftstellers hat ein bisschen was von "Des Kaisers neue Kleider".

  • Marieluise am Anfang des Buches hat mich sofort sehr an meinen Lieblingsonkel erinnert, der Anfang diesen Monat gestorben ist. Er war ein wunderbarer, lebensfreudiger und sehr unkonventioneller Mensch, der seinem eigenen inneren Kompass folgte, der immer in die richtige Richtung zeigte. Nach dem Tod meiner Tante vor 4 Jahren, mit der er über 6 Jahrzehnte zusammen war und 6 Kinder hatte, hat er nach einem Jahr eine neue Beziehung gefunden und hat mit seiner neuen Freundin bis kurz vor seinem Tod mit 93 Jahren trotz vieler körperlicher Probleme die Welt bereist. Er meinte, in seinem Alter wäre jeder weiterer Tag ein Geschenk, er hätte nichts mehr zu verlieren. Er war ein unverbesserlicher Optimist. "Morgen geht die Sonne wieder auf", war sein Motto. Auch an seinem Todestag meinte er, wenn ich heute durchkomme, geht es mir morgen bestimmt schon wieder etwas besser. Er starb zuhause, nachdem er sich mit Corona angesteckt hatte.


    Was hat das mit der Wahrheit über Metting zu tun?
    "Es sind nicht die Orte, es sind immer die Menschen."
    Metting ist ein imaginärer Ort mit einem Kreisverkehr ohne Ausfahrt, einem Altenheim namens Horizont und einem imaginären Lyrikdichter der es scheinbar geschafft hat Deutschland während der Nazizeit nicht entfliehen zu müssen und trotzdem später den Nobelpreis zu bekommen. Einem Lyrik-Dichter mit imaginärer Lyrik die keine ist, sie ist vermutlich durch irgendeinen willkürlichen Algorithmus entstanden.
    Metting hat eigentlich nichts zu bieten außer einem Schulgebäude, dass zu Höherem bestimmt war und diesen geheimnisvollen Dichter, der gleichzeitig mit Metting nichts zu tun haben möchte.


    Und ich fühle mich sofort erinnert an das eigene provinzielle Kaff in dem ich wohne, auch wenn es hier immerhin ein Landgericht und sogar eine große Universität gibt.
    Auch fühle ich mich an meine eigene Kindheit erinnert, 78 war ich 13, das passt gut. Wobei ich mich eher an meine Zeit in der Grundschule erinnert fühle, also eher 74. Ich wohnte in einem kleinen Dörfchen umgeben von Weizenfeldern. Hauptattraktionen des Jahres eines winzige Kirmes, eine Tombola zu St. Martin (Hauptgewinn neben vielen Schokotafeln, Kaffeepackungen usw. eine lebende Gans, die ich tatsächlich in einem Jahr gewonnen habe), riesigen Scheiterhaufen zu St. Martin (damals durfte man die noch aus Autoreifen stapeln). Ab und zu campten auch in der Nähe dieses Dorfes Menschen die Zigeuner genannt wurden und deren Kinder dann für wenige Wochen zu uns in die Schule kamen und beäugt wurden. In solchen Zeiten wurde im Dorf davor gewarnt auf seine Sachen aufzupassen, obwohl ich mich nicht daran erinnern kann, dass wirklich jemanden mal was weggekommen ist.
    Jedenfalls weckt das Buch viele Erinnerungen bei mir...

    Aber zurück zum Anfang:
    Die Truhe von Marieluise: Ein gelungener Einstieg, die Truhe macht mich direkt neugierig auf die Geschichte, auch oder vielleicht gerade, weil ich mittlerweile eine Vermutung habe, welches Geheimnis in ihr verborgen ist. Ich bin gespannt auf die Auflösung.

    Der Vater: Der Vater dürfte seine Homosexualität in der Nazizeit entdeckt haben. Es ist verständlich, dass er sie unterdrückt/versteckt hat. Die Stelle mit dem Uropa und dem Wurstwasser klingt nach Kindesmissbrauch.
    Tom , Du schreibst an anderer Stelle, dies ist ein Buch über Heimat. In diesem Kontext denke ich sofort an Alan Turing: Genie und Kriegsheld mit der Entschlüsselung der Enigma, 1952 wegen seiner Homosexualität zur chemischen Kastration verurteilt, in Folge der Hormonbehandlung depressiv mit Suizid 2 Jahre später. Eine Begnadigung wurde noch 2011 trotz Petition abgelehnt. Erst 24.12.2013 endlich ein "Royal Pardon".
    Heimat? "Es sind immer die Menschen..."
    Ich bin nicht wirklich glücklich mit "Wurstwasser", vielleicht ist mir das Thema zu ernst. Aber wie Du merkst: Die Wahrheit über Metting beschäftigt mich, ich lese es gerne.
    (Ich fand zu diesem Thema Richard Morgans "The steel remains" sehr gelungen, allerdings keine leichte Kost, schwer erträglich.)

  • Der Vater: Der Vater dürfte seine Homosexualität in der Nazizeit entdeckt haben. Es ist verständlich, dass er sie unterdrückt/versteckt hat. Die Stelle mit dem Uropa und dem Wurstwasser klingt nach Kindesmissbrauch.
    Tom , Du schreibst an anderer Stelle, dies ist ein Buch über Heimat. In diesem Kontext denke ich sofort an Alan Turing: Genie und Kriegsheld mit der Entschlüsselung der Enigma, 1952 wegen seiner Homosexualität zur chemischen Kastration verurteilt, in Folge der Hormonbehandlung depressiv mit Suizid 2 Jahre später. Eine Begnadigung wurde noch 2011 trotz Petition abgelehnt. Erst 24.12.2013 endlich ein "Royal Pardon".
    Heimat? "Es sind immer die Menschen..."
    Ich bin nicht wirklich glücklich mit "Wurstwasser", vielleicht ist mir das Thema zu ernst. Aber wie Du merkst: Die Wahrheit über Metting beschäftigt mich, ich lese es gerne.
    (Ich fand zu diesem Thema Richard Morgans "The steel remains" sehr gelungen, allerdings keine leichte Kost, schwer erträglich.)

    Bin ich zu ahnungslos? Ich verstehe den Zusammenhang zwischen Wurstwasser und Kindesmissbrauch und wie man darauf kommt nicht.

    Und wenn der Vater um die 40 ist, kann er seine Homosexualität nicht in der Nazizeit entdeckt haben. :gruebel



  • Leider finde ich wenig Erheiterndes in diesen ersten vier Kapiteln

    Ich hab nicht gesagt, dass ich das Buch bisher lustig finde;)

    Aber gerade am Anfang gibt es immer wieder kleine Details, die mich schmunzeln lassen, vielleicht weil sie wie Fenster in die eigene Kindheit sind.

    Ein paar Seiten, und man hat die enge Welt von Tomaś vor Augen

  • Ist nicht diese unterschwellige Ironie (die manchmal ins Zynische übergeht) etwas, wozu jeder in der Erzählung seiner Geschichte neigt, die rückblickend "den Ernst der Lage" oft unterstreicht und es eben nicht ins Lustige abdriften lässt?


    Ich hoffe, ihr versteht, was ich meine. Ich kann es gerade nicht besser ausdrücken.


    Es führt jedenfalls bei mir nicht dazu, irgendetwas lustig zu finden. Aber ich mag es als Stilmittel bei solchen Geschichten aus den oben genannten Gründen sehr. Es wertet das Erzählte auf, nicht ab.

  • Aber es ist kein lustiges Buch, das soll es auch nicht sein. Humorvoll gelegentlich, das durchaus, auch und vor allem zwischen den Zeilen, aber der Grundtenor ist eher ernst.

    Hab ich ja auch nie behauptet.

    Das Thema, zumindest wie es sich im ersten Abschnitt darstellt, ist ernst genug.


    Ich hab auch nie ein lustiges Buch erwartet, sonst würde ich diese Leserunde gar nicht mitlesen.

  • Ist nicht diese unterschwellige Ironie (die manchmal ins Zynische übergeht) etwas, wozu jeder in der Erzählung seiner Geschichte neigt, die rückblickend "den Ernst der Lage" oft unterstreicht und es eben nicht ins Lustige abdriften lässt?

    Gerade dieser Humor lässt ja den Ernst dahinter erst richtig hervor treten. Ist ja wie bei vielen Schriftstellern, Tucholsky, Kästner, dass sie ihren Text, um nicht vollends der Trauer zu verfallen, in einen satirischen Zusammenhang brachten. Ob das jetzt besser ist? Ich schwurble wohl auch. :pille

  • Bin ich zu ahnungslos? Ich verstehe den Zusammenhang zwischen Wurstwasser und Kindesmissbrauch und wie man darauf kommt nicht.

    Und wenn der Vater um die 40 ist, kann er seine Homosexualität nicht in der Nazizeit entdeckt haben. :gruebel

    Metting wird sicher viele verborgene Geheimnisse enthalten. Vielleicht liegts aber auch nur daran, dass meine Liebste Bewährungshelferin ist und ich dadurch einen anderen Blickwinkel habe. Die Stelle ist jedenfalls kunstvoll geschrieben. Es lohnt sich sie nochmal zu lesen.

    Der Vater ist 42. Aber stimmt, ich habe sein Alter von meiner Erinnerung an die Grundschulzeit abgezogen (73) statt dem wahrscheinlich richtigeren 78. So oder so war Homosexualität in Deutschland bis 1969 strafbar und wurde exzessiv verfolgt. Es macht also nicht so viel aus.

  • So oder so war Homosexualität in Deutschland bis 1969 strafbar und wurde exzessiv verfolgt.

    Und nicht zuletzt war Homosexualität in vielen Schichten der Gesellschaft geächtet, galt als "krankhaft", mindestens aber als schwerwiegender Makel. Ein Coming-Out konnte zum sozialen Ruin führen, und nicht selten auch zum wirtschaftlichen.