Annie Ernaux - Die Scham

  • Titel: Die Scham

    Autorin: Annie Ernaux

    Verlag: Suhrkamp

    Erschienen: August 2020

    Seitenzahl: 110

    ISBN-10: 3518225170

    Preis: 18.00 EUR


    Das sagt der Klappentext:

    Juni 1952, die kleine Annie ist 12 Jahre alt. Eines Sonntagnachmittags geschieht etwas Entsetzliches – ohnmächtig muss sie miterleben, wie der Vater die Mutter umzubringen versucht. Nach kurzer Zeit beruhigt sich der Vater, und Annie versucht, den Eklat zu vergessen. Bis sie, nahezu ein halbes Jahrhundert später, auf ein altes Foto stößt, das eine Flut von Erinnerungen auslöst. Aber was genau ist damals geschehen? Und wie ist es dazu gekommen? Je tiefer Annie in dieses entscheidende Jahr eintaucht, umso deutlicher wird ihr die Spannung, in der die Eltern lebten, zwischen dem Wunsch nach sozialem Aufstieg und dem demütigenden Rückfall in die alten Verhältnisse.



    Die Autorin:

    Annie Ernaux, geboren 1940, bezeichnet sich als »Ethnologin ihrer selbst«. Sie ist eine der bedeutendsten französischsprachigen Schriftstellerinnen unserer Zeit, ihre zwanzig Romane sind von Kritik und Publikum gleichermaßen gefeiert worden.



    Meine Leseeindrücke:

    Die FRANKFURTER RUNDSCHAU schreibt: „An den Büchern von Annie Ernaux führt kein Weg vorbei“. Dieser Ansicht kann ich mich eigentlich nur anschließen – selbst mit dem Wissen, das sehr viele achtlos an den Büchern dieser Autorin vorbeigehen. Diesen Menschen kann man nur zurufen, das sie wirklich etwas verpassen, wenn sie Annie Ernaux ignorieren.

    Das vorliegende Buch ist emotional – wenn auch auch distanziert geschrieben. Die Autorin beherrscht diesen Spagat meisterhaft. Diesen Spagat zwischen Gefühl und Distanz. Nichts ist rührselig oder weinerlich; nein, es ist emotionale Realität die hier beschrieben wird.

    Das Leben in einer französischen Kleinstadt im Jahre 1952. Das Leben ist bei vielen Menschen religiös geprägt und man muss aufpassen, das man nichts Falsches sagt oder sich anders verhält als die Masse. Und die katholische Privatschule hat auch ihren Anteil daran, die Mädchen zur Unterwürfigkeit zu erziehen. Sie sollen heiraten, Kinder bekommen und diese großziehen, ansonsten ist ihr Platz in der Küche. Bei Entscheidungen, worüber auch immer, haben sie sich zu fügen.

    Ein sehr lesenswertes Buch – ein Buch das sicher nicht so schnell aus dem Gedächtnis verschwindet.


    ASIN/ISBN: 3518225170

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Die Scham – Annie Ernaux


    Mein Eindruck:

    Auch ich war von dem Buch beeindruckt, obwohl es auch wenig merkwürdig ist.

    Es erinnert mich in Ton und Ausführung leicht an Patrick Modianos Romane. In Details und Themen geht es dann selbstverständlich weit auseinander.

    Auffällig die präzisen Beschreibungen der Autorin mit der sie Codes und Regeln der Gesellschaft erfasst. Betrachtet wird das Jahr 1952, in dem die Erzählerin 12 Jahre alt ist.


    Übersetzt wurde das Buch von Sonja Finck und ich vermute stark, dass diese Übersetzung sehr gelungen ist.


    Das 1996 geschriebene Buch ist ein Stück Autofiction. Das gilt anscheinend auch für ihre anderen Werke. Ich würde gerne auch ihre anderen Bücher lesen, um dass vielleicht Die Scham ein weiteres mal zu lesen und besser einordnen zu können.

  • Annie Ernaux - Die Scham


    Mein Leseeindruck:


    In diesem nur 110 Seiten starken Buch steht mehr als in so manchem dicken Wälzer.


    Im Juni 1952 versucht Annies Vater, seine Frau zu töten - es bleibt bei dem Versuch. 44 Jahre später versucht Annie, diesen Vorfall, der sie als Kind tief verstört hatte, für sich zu klären und einzuordnen. Sie betrachtet dazu alte Fotos, liest die regionalen Zeitungen aus diesem Jahr und versenkt sich schließlich in die ungeschriebenen Gesetze, Werte und Glaubenssätze des damaligen Lebens.


    Ich habe die Suche der Autorin sehr interessiert verfolgt. In kurzen Abschnitten springt sie dabei von Foto zu Foto, von Gegenstand zu Gegenstand und von einer Situation in die nächste. Für mich war zuerst das wie das Betrachten eines Bildes aus zu großer Nähe - man erkennt erstmal gar nichts. Erst wenn man einen oder mehrere Schritte zurück geht, wird deutlich, wie alles zusammenhängt.


    Ich habe auf den wenigen Seiten sehr viel erfahren über das Leben im ländlichen Frankreich des Jahres 1952, eine Zeit, in der die Religion allgegenwärtig war und das ganze Leben beherrschte. Ich selbst war zu der Zeit noch nicht geboren und konnte mit manchen Hinweisen, wie z. B. die Titel von damals wohl sehr bekannten Radiosendungen, nichts anfangen. Aber die Familienrituale, bei denen sich alle vor dem Radio (bzw. in meinem Fall vor dem Fernseher) versammelt haben, kenne ich gut. Einige andere Gesprächsthemen, wie z. B. "Das Verbrechen von Lurs" habe ich gegoogelt.


    Ich werde dieses Buch sicher nicht so schnell vergessen.

    Zitat

    Es war normal, sich zu schämen, als wäre die Scham eine Konsequenz aus dem Beruf meiner Eltern, ihren Geldsorgen, ihrer Arbeitervergangenheit, unserer ganzen Art zu leben.