Simone de Beauvoir: Das andere Geschlecht

  • Zu Beauvoirs Zeit war die Psychoanalyse noch neu und interessant. Es gab auch schon den Zwist mit Adler, dem noch viele mit anderen Analytikern folgen sollten.

    Diese Streitigkeiten wurden oft mit ebenso großer Erbitterung geführt, wie Streitigkeiten innerhalb von Religionen. nur wurden Abweichler nicht verbrannt.

    Vielleicht kommt sie dadurch auf die Gleichsetzung.


    Am Ende des ersten Abschnitts schreibt sie jedenfalls ganz deutlich: "Daher müssen die biologischen Gegebenheiten im Licht eines ontologischen, ökonomischen, sozialen und psychologischen Zusammenhangs untersucht werden." Genau das ist ihr Anliegen.

    wie ihres Vergleiches der Gruppe der Frauen mit Dunkelhäutigen und Juden in der Einleitung, was ich schon befremdlich rassistisch fand.

    Vielleicht würde ich es bei einer modernen Autorin rassistisch finden, an dieser Stelle habe ich das nicht so empfunden, gerade weil es Beauvoir um die unterschiedliche Solidarisierung innerhalb der von ihr genannten Gruppen ging.

    dass Frauen danach entweder nur die Chance haben zu vermännlichen, dann auch nur zum klitoralen Orgasmus fähig sind oder sich selbst in der Liebe zum Mann unterwerfen und zur Belohnung dann auch den vaginalen Orgasmus genießen können. Hä?? Hier spricht doch eher die Angst des Mannes davor, dass die Frau auch allein zur Befriedigung kommt und ihn nicht dazu braucht. Und das wird dann natürlich als Vermännlichung und Entwicklungshemmung gesehen.

    Was soll man sagen? Es ist halt die Sicht eines Mannes, der von weiblicher Sexualität wenig wusste und auch nichts wissen wollte. Nur schade, dass sich diese Meinung so lange gehalten hat.

  • Seltsam finde ich, dass sie die Psychoanalyse einer Religion gleichsetzt (wie dem Christentum und dem Marxismus) - das mutet genauso willkürlich an, wie ihres Vergleiches der Gruppe der Frauen mit Dunkelhäutigen und Juden in der Einleitung, was ich schon befremdlich rassistisch fand.

    Das sehe ich gar nicht so! Sie nennt diese Gruppen ja nicht aus rassistischen Gründen, sondern im Gegenteil, um das chauvinistische imperiale Verhalten der Europäer und europäisch-stämmigen Amerikaner gegenüber den genannten Gruppen (wobei die Juden natürlich auch Europäer sind) zu kritisieren. Und sie setzt die Haltung der Männer gegenüber den Frauen ja von diesen ab, weil, wie oben auch schon beschrieben ( #1), die Frauen in allen Gruppen als das Andere gegenüber dem Einen vom Mann gesetzt werden.


    Mit dem Begriff "Religion" meint sie meinem Verständnis nach die Apriori- und Absolut-Setzung der Grundlage eines Gedankengebäudes, bei den echten Religionen Gott, in der freudschen Psychoanalyse den Sexus, beim Marxismus die ökonomische Rolle des Menschen. Das ist natürlich gerade gegenüber dem Marxismus ganz schön frech und hat ihr wohl auch viel Kritik von dem Existenzialismus nahestehenden Sozialisten eingebracht, da Marx doch von der Religion als "Opium des Volkes" spricht.

  • Ich habe jetzt auch das marxistische Kapitel hinter mir und wie Rumpelstilzchen oben sagt, dieser dient der ökonomischen Sicht auf das Geschlechterproblem, aber auch hier weist Beauvoir genau auf die Schwachstellen hin. Der Mensch - ob Mann oder Frau - ist nicht nur ein ökonomisches Wesen, sondern hat auch die anarchischen Triebe und das Liebesbedürfnis, die sich nicht in eine rein rational kontrollierte Gesellschaftsform mit ökonomischen Gleichheitszielen pressen lassen. Als Existenzialistin sagt sie, dass er zunächst sich selbst überwinden muss, um sich zu befreien und dazu gehören viele unterschiedliche Aspekte, die er sich zum Ziel setzt.

  • Ich zweifele heute auch an meiner Lesefähigkeit. Ich habe es versucht, aber ich fürchte, Beauvoir hat mir in meiner Situation nicht viel zu sagen. Da sind viele Behauptungen, die sich auf Quellen stützen, die ich nicht bewerten kann. Vielleicht müsste man die Geschichte der Psychologie studiert haben, um ihr folgen zu können.

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    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


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  • Ich habe mich trotzdem bis zum Fazit des Ersten Teils durchgerungen.

    Zitat


    Für unsere Aufgabe, die Frau zu entdecken, lehnen wir gewisse Beiträge der Biologie, der Psychoanalyse, des historischen Materialismus zwar nicht ab, werden aber die Meinung aufrechterhalten, daß der Körper das Sexualleben, die Technik nur insoweit konkret für den Menschen existieren, als er sie in die globale Sicht seiner Existenz einbezieht.

    Zunächst möchte ich gern wissen, wen Beauvoir mit "wir" meint. War da eine Gruppe von Gleichgesinnten oder nimmt sie einfach an, alle Frauen hätten die selbe Meinung wie sie.


    Dann wüsste ich gern, welche "gewisse Beiträge" sie hier meint. Das wurde mir während ihrer Ausführungen nicht klar.


    Der Schluss des Satzes ist für mich Geschwurbel - da verstehe ich gar nicht, was da ausgesagt werden soll. Vielleicht habt Ihr da eine klarere Idee.


    Der letzte Satz

    Zitat


    Der Wert der Muskelkraft, des Phallus, des Werkzeugs kann sich nur in einer Welt der Werte herausbilden: er wird durch den grundsätzlichen Entwurf des Existierenden bestimmt, der sich im Sein transzendiert.

    sagt mir gar nichts. Klar: ohne Werte gibt es keine Werte - welch Erkenntnis!

    Wie transzendiert sich ein Sein? Das ist mir echt zu abgehoben.

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  • Ich verstehe den Satz so, welchen Wert Muskelkraft usw haben, bestimmt die Gesellschaft, in der die betreffenden Menschen leben. In einer Agrargesellschaft ist Muskelkraft eine gute Sache.

    Wenn man am Computer arbeitet, hilft sie nicht.

    Du kannst noch so tolle Fähigkeiten und Ideen haben, wenn sie in deiner Umwelt nicht gefragt, helfen sie dir nicht weiter.


    Ich lese gleichzeitig eine Beauvoir Biographie und nähere mich langsam der Entstehungszeit des Buches. Wenn mir Erleuchtung zum "wir" zuteil wird, melde ich mich.


    Bei der Lektüre der Biographie fällt mir öfter auf, wie sehr sich die Gesellschaft des frühen 20Jh. von unserer unterscheidet. So war Beauvoir eine der ersten Frauen, die die "Agrégation" machen durften, also die Lehrberechtigung an Gymnasien. Außerdem war es noch überhaupt nicht üblich, dass Jungen oder junge Männer von Frauen unterrichtet wurden.

  • (1) Zu dem "Wir" habe ich auch noch keine Idee. Bin gespannt, ob du, Rumpelstilzchen , etwas in der Biografie findest. Welche liest du? Ich habe mir die neueste, von Kate Kirkpatrick, auf den E-Reader geladen, denn sie war gerade bei amazon für 5.99 zu bekommen. Aber ich habe keine Muße, das neben unserem Buch hier auch noch durchzulesen.


    (2) Das sind wohl genau die Theorien von Freud, Adler und Engels, die sie zuvor gerade gründlich besprochen hat und wo sie jeweils feststellte, welchen Teil der psychoanalytischen und marxistischen Erkenntnisse sie für das Verständnis der Rolle der Frau als erhellend empfindet und welchen Teil nicht.
    Der Rest des Satzes, den du oben zitiert hast, bedeutet meiner Meinung nach, dass die Frau - genau wie der Mann - als Mensch sich als Subjekt ihrer Existenz setzt, d.h. sich die Werte sucht, nach denen sie ihr Leben gestaltet, und darin sind die in dem Satz angesprochenen Dinge nur Teilaspekte, je nachdem wie sie ihre Ziele auffasst. Genau das ist die Freiheit und auch die menschliche Verpflichtung, die der Existenzialismus postuliert.


    (3) Und genau das bedeutet wohl auch der letzte Satz: Inwieweit der Mensch den Phallus oder die Muskelkraft als Wert bestimmt, ist, wie auch Rumpelstilzchen oben ausführt, davon abhängig, in welcher Welt man lebt und welchen Lebensentwurf man selber hat. Als Mitglied einer Naturgesellschaft braucht man die Muskelkraft, als Teil einer hochtechnologisierten Gesellschaft nicht.

    Bisher fand ich das meiste sehr schlüssig, auch wenn ich an vielen Stellen schlucken musste, weil ich finde, dass Beauvoir die Gebundenheit der Frau an ihre weiblichen Körperfunktionen als etwas zu unausweichlich und dominierend beschreibt.
    Und das geht mir jetzt allerdings mit dem Kapitel über die archaischen Gesellschaften noch etwas mehr gegen den Strich. Sie schildert dort die Frau als passives, ständig schwangeres oder stillendes Wesen, das nicht von seinen Körperfunktionen wegkommt und daher dem Mann die stolze Rolle des Welteroberers und Erfinders vollständig überlässt.
    Ich habe nun wenig Ahnung von Ethnologie, aber soweit ich weiß, haben Frauen in naturnahen Gesellschaften wichtige Funktionen als Schamaninnen, als Heilerinnen, in ihrem Wissen über Konservierung von Lebensmitteln, Verarbeitung von Fellen, Knochen und so weiter. Dass die Erfindung der Nadel eine männliche ist, wer sagt das? Und ist diese nicht genauso wichtig wie die des Paddels oder des Pflugs? Und z.B. Konservierungstechniken werden auch nicht alle von den Männern erfunden worden sein. Dazu kommt noch das ganze Heilwesen usw.. Ich finde, dass Beauvoir da sehr einseitig ist. Vielleicht will sie das so, um kontrastiv dazu dann ihre eigene Theorie vom Wert der Frau zu entwickeln. Das wird die weitere Lektüre weisen.

  • Und das geht mir jetzt allerdings mit dem Kapitel über die archaischen Gesellschaften noch etwas mehr gegen den Strich. Sie schildert dort die Frau als passives, ständig schwangeres oder stillendes Wesen, das nicht von seinen Körperfunktionen wegkommt und daher dem Mann die stolze Rolle des Welteroberers und Erfinders vollständig überlässt.


    Ich glaube, sie ist da völlig von den Vorstellungen ihrer Zeit gefangen. Gerade in der Archäologie ist die "Entdeckung", dass auch in archaischen Gesellschaften Frauen als Jägerinnen und Kriegerinnen vorkamen, noch ziemlich neu.

    Es wurden wohl Funde in kürzlich ausgebuddelten Gräbern gemacht, in denen eindeutig weiblichen Skeletten entsprechende Grabbeigaben beigegeben waren.


    Übrigens ist mir gerade aufgefallen, dass Voltaire ein sehr interessantes Buch von Annie Ernaux gesprochen hat. Wenn ihr Interesse daran habt, wie eine jüngere Frau mit einem ganz ähnlichen Themenkomplex in Romanform umgeht, kann ich ihre Bücher nur empfehlen.



    Lächeln muss ich beim Kapitel: Der Standpunkt des historischen Materialismus. Von dem habe ich schon länger nichts mehr gehört.

  • Vielen Dank für Eure ausführlichen Erklärungen, die meinem Verständnis echt weiterhelfen. Offenbar habt Ihr weniger Probleme mit der Ausdrucksweise der Autorin. Gut, dass wir das Buch zusammen lesen.


    Ja, ich denke auch, dass die archäologische Forschung ein gutes Stück weiter ist als vor 70-80 Jahren. Der Urmensch wird längst nicht mehr als der Grobmethodiker mit Keule dargestellt und die Frauen waren damals bestimmt ebenso erfindungsreich und haben sicher mit ihrer Sammeltätigkeit zur Ernährung der Gruppe beigetragen. Zwar waren sie durch Schwangerschaft und Stillen der Kinder eher an die Höhle oder Hütte gebunden, aber dass eine geringere Bindung zu den Kindern bestand, glaube ich nicht. Schließlich hing das Überleben der Gemeinschaft überwiegend von der Aufzucht des Nachwuchses ab.

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  • Ja ja, lang ist`s her. In meiner Studienzeit habe ich mich aber noch ziemlich intensiv mit dem historischen Materialismus auseinandergesetzt. Heute ist er wohl im Wesentlichen "historisch", was allerdings für einige Grundideen sehr schade ist. Übrigens haben mir Ökonomen mit streng marktwirtschaftlicher Ausrichtung schonmal erklärt, dass viele Erkenntnisse von Marx/Engels heute zum allgemeinen Basiswissen der Ökonomie gehören.

    Glaubst du, Rumpelstilzchen , dass nach dem 2. WK tatsächlich immer noch von den Frauen so eine Selbstannahme, wie sie Beauvoir zu begründen versucht, betrieben wurde? Die erste Welle des Feminismus war doch schon vorbei. Frauen hatten im Krieg notwendigerweise in vielen Männerberufen arbeiten müssen und die Trümmerfrauen hat auch niemand danach gefragt, ob ihre Muskelkraft ausreiche oder sie gerade ihre Tage haben.

    Ich habe eher das Gefühl, dass ihre Herkunft aus "gutem Hause" ihr ein wenig den Blick für das Leben der "einfachen" Frauen verstellt hat, deren Arbeitsfähigkeit und Muskelkraft nie in Frage gestellt wurde, solange man sie ausbeuten konnte. In ihren Kreisen haben Frauen es sich eher leisten können, sich auch aus Bequemlichkeit auf ihre auslaugenden weiblichen Körperfunktionen zu berufen, um ihre Ruhe zu haben. Das heißt jetzt natürlich nicht, dass ich bestimmte Menstruations- und Schwangerschaftsbeschwerden verharmloen will.

  • Wann hast Du was studiert?

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  • Mit dem Zweiten Teil - Geschichte - komme ich viel besser zurecht. Da sind mir die Entwicklungen viel klarer und nachvollziehbar. Ich habe jetzt die ersten beiden Kapitel (bis Seite 86) gut lesen können.

    Die Aussagen sind allerdings etwas frustrierend. Beauvoir stellt fest, dass der Mann nur in einer kurzen Phase der Verunsicherung der Frau den Vortritt gelassen hat, als ihm seine Beteiligung an der Zeugung neuen Lebens noch nicht klar war (was ich in Frage stelle). Da hat er das Weibliche mit der Fruchtbarkeit der Erde verquickt, der er quasi hilflos ausgesetzt war. Das Natürliche war ihm unheimlich weil unverständlich. Deshalb hat er es als Übergeordnet anerkannt und die Frau in einer Schöpferin des Lebens verehrt.

    Aber dann hat er Kraft seines Erfindungsreichtums die Herrschaft zurück erobert und seine Gesetze in Religion und Gemeinschaftsleben etabliert, die die Frau zur Abhängigen und Sklavin erniedrigt. Es ist da also ein ungleicher Kampf passiert, der die Muttergöttin an den Rand drängt und die Frau zwingt einen männlichen Schöpfergott anzubeten und damit die Herrschaft des Mannes über die Frau legitimiert.

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  • Wann hast Du was studiert?

    In den Achtzigern vorwiegend Germanistik, aber auch ein paar Semester Philosophie.

    Du hast die beiden ersten Geschichtskapiteln sehr gut zusammengefasst, Tante Li . Beauvoir betont ja sogar auch, dass selbst in der Phase, in der die Männer die Muttergöttin anbeteten, diese nicht die Frau als Subjekt, also als gleichberechtigt sahen, sondern in sie das Unverstandene, daher Bedrohliche projizierten, vor dem nichst bleibt als die Anbetung. Aber den Menschen sahen sie auch da nicht in der Frau.

    Ich finde immer noch, dass Beauvoir aus dem Grund, das Handeln des Mannes und die Erniedrigung der Frau besonders stark herauszustellen, die Passivität der Frau maßlos übertreibt. Sie versteigt sich ja sogar darin, dass die Frau schuld war an der ungebremsten Fortpflanzung:

    [...] die ungelenkte Fruchtbarkeit der Frau hinderte diese daran, aktiv bei der Vermehrung der Hilfsquellen tätig zu sein, wähnrend sie unaufhörlich neue Bedürfnisse schuf. Zwar war sie notwendig für die Erhaltung der Gattung, doch pflanzte sie sich nun allzu reichlich fort: der Mann hingegen mußte das Gleichgewicht zwischen Produktion und Arterhaltung schaffen.

    Hier übersieht Beauvoir, dass der Mann ja wohl an der Fortpflanzung ebenso beteiligt war. Ohne ihn wären diese vielen Kinder ja nie geboren worden. Und es war mindestens ebenso sehr sein Trieb, der dazu führte. Außerdem waren die Mütter ja nicht neun Monate ans Bett gefesselt und auch bei der Kinderaufzucht liefen die ebenso mit oder wurden irgendwo an den Körper gepackt, wie man es bei vielen Völkern heute noch sieht. Die Frau sammelte Beeren, bereitete das Essen und erfand dabei vielleicht die Töpferkunst. Warum soll das alles vom Mann entdeckt worden sein?



  • Genau! Die Frauen der Steinzeit hatten damals sicher genauso viele Ideen für Erfindungen wie die Männer.


    Außerdem sind Frauen nicht immer fruchtbar, sondern nur drei bis fünf Tage im Monat und nicht während sie Kinder stillen. Nimmt man noch die hohe Kindersterblichkeit dazu, kann man wirklich nicht annehmen, dass ihre Fruchtbarkeit die Gemeinschaft überfordert hätte.

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  • Ich habe schon ein Stück weiter gelesen und finde das dann auch interessanter, weil man ab der Antike und dann ab dem Mittelalter schriftliche Zeugnisse hat, die das damalige Leben und auch die Rechte und Pflichten der Menschen genau festschreiben. Genauer gesagt, die einfachen Menschen hatten sowieso kaum Recht und Frauen gleich gar nicht.

    Es ist tatsächlich spannend, was es in den unterschiedlichen Weltgegenden an Regelungen so gab.

    Teilweise schon sehr bizarr.


    Ich vermute auch, dass Beauvoir die Lage der Frau sehr aus der Perspektive der "besseren" Klassen betrachtet, obwohl ihre eigene Familie im Laufe der Zeit verarmte und sie immer arbeiten musste, um ihren und den Unterhalt von Eltern (später der Mutter) und der Schwester zu erwirtschaften. Viel Anerkennung hat sie dafür von den Eltern nicht bekommen.

    An manchen Stellen räumt sie auch ein, dass die Lage bei den einfachen Leuten doch anders war, weil die Männer sich nicht einfach Bedienstete leisten konnten, wenn sie genug von ihren Frauen hatten, sondern auf ihre Mitarbeit angewiesen waren.


    Glaubst du, Rumpelstilzchen, dass nach dem 2. WK tatsächlich immer noch von den Frauen so eine Selbstannahme, wie sie Beauvoir zu begründen versucht, betrieben wurde?

    Vielleicht hat sich die Lage der Frauen im Verhältnis zu ihren Männern am Ende des Krieges etwas geändert, danach ging es aber wieder zurück an den heimischen Herd.

    Gerade die 60er waren ja eine Rückkehr zur heilen Familie, alle versorgende Mutter und Ehefrau Idylle. Es gab Ausnahmen. Aber das waren eben Ausnahmen.

    Und in vielen Fällen rückten die Männer die Vormachtstellung auch nicht so einfach raus. Für viele Dinge brauchte es Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, um die im Grundgesetz schon verankerte Rechtsgleichheit herzustellen. Und das dauerte.....

    Ich kenne aus eigener Anschauung noch die Zustände auf dem niederbayrischen Land, wo noch bis weit in die 80er die Vormachtstellung des Mannes galt. Da hatten die Frauen wenig zu melden und das lag auch zu einem großen Teil an der katholischen Kirche. Aber das ist natürlich nur ein kleiner Ausschnitt der Realität.


    Ich bin jetzt zwei Tage mit Mini-Familientreffen beschäftigt. (was soll man aus feministischer Sicht dazu sagen ;)?) und melde mich dann wieder.

    Mittlerweile bin ich in der Biographie auch weitergekommen.

  • Inzwischen bin ich auch mit dem Überblick über die Antike fertig und erstaunt, welche Schliche immer wieder genommen wurden, um der Frau ihre Rechte vorzuenthalten. Wenn sie in der Familie mehr Rechte bekam, wurde sie gesetzlich kurz gehalten. Übernahm der Staat die Rechtsprechung auch im Familienverband und schien es daher für die Frau durch die übergeordnete Instanz mehr Rechtssicherheit zu geben, wurde ihr diese sogleich wieder genommen, indem ihr das Menschsein un die damit verbundene Würde wieder zum großen Teil aberkannt wurde. Eine unrühmliche Rolle spielte dabei, wie bei allen abrahamitischen Religionen, das erstarkende Christentum, das die Frau mit der verführerischen Schlange verband, ihr die Erbschuld auf den Hals hetzte und ihr noch nicht mal die Würde der Mutter gönnte, sondern sie als gefährliche, regel- und hemmungslose unreine Verführerin abstempelte, vgl. Paulus und die Kirchenväter.

    Neu war für mich auch, dass die Völkerwanderungszeit und das frühe Mittelalter für die Stellung der Frau eine positive Wendung bedeuteten, weil sie als notwendige Gefährtin des Mannes und Vorsteherin über den Haushalt über eine gewisse Macht und Ansehen verfügte.

    Aber, nochmal, wie Rumpelstilzchen oben auch schreibt und ich vorher auch, Beauvoir schaut auf die Frauen aus gehobenen Familien, wie im übrigen die meisten Historiker auch auf die gehobenen Schichten schauen, weil über diese ja auch aus einsichtigen Gründen viel mehr Material vorliegt.
    Wie die Rolle der Frau in den unteren Schichten aussah, wo ja auch schon der Mann fast rechtlos und unterdrückt war und als einzige Möglichkeit, sein Mütchen zu kühlen, nur noch seine Frau und Kinder hatte, das mag man sich kaum vorstellen. Wobei ihm ja oft das Recht über seine Frau durch unterschiedliche Formen der Leibeigenschaft genommen wurde, Bsp. jus prima noctis u.ä.


    Was du über die Kindersterblichkeit in der Vorgeschichte schreibst, Tante Li , unterstreicht noch einmal, dass die Frau längst nicht so unproduktiv war, wie von Beauvoir angenommen. Ich glaube allerdings mittlerweile immer mehr, dass sie viele Passagen extra aus männlicher, sogar besonders chauvinistischer Sicht schreibt, um dem später ihr eigenes Konzept und ihre Forderungen entgegenzusetzen.


    Rumpelstilzchen , mit der Rückwärtsgewandtheit der Fünfziger und Sechziger Jahre hast du einesteils natürlich recht. Andererseits hatte meine Mutter, die Mitte der Fünfziger mit meinem Vater ihre Familie gründete, doch schon selbstverständlich eine höherwertige Ausbildung erhalten, die ihr ermöglicht hätte, jederzeit aus einer nicht mehr gewollten Ehe auszusteigen und auf eigenen Beinen zu stehen. Sie war die Konservativere unter meinen Eltern, aber ich kann mich nicht erinnern, dass sie jemals darauf insistiert hätte, dass die Erfüllung der Frau in Ehe und Mutterschaft liege, dass unter uns Geschwistern geschlechtsbezogene Unterschiede bei der FInanzierung von Ausbildung oder Studium gemacht worden wären. Und sobald wir aus dem Gröbsten raus waren, baute sie sich noch eine zusätzliche kleine Existenz auf, die sie noch etwas unabhänger vom Verdienst meines Vaters machte.

  • Aber, nochmal, wie Rumpelstilzchen oben auch schreibt und ich vorher auch, Beauvoir schaut auf die Frauen aus gehobenen Familien, wie im übrigen die meisten Historiker auch auf die gehobenen Schichten schauen, weil über diese ja auch aus einsichtigen Gründen viel mehr Material vorliegt.

    Wie die Rolle der Frau in den unteren Schichten aussah, wo ja auch schon der Mann fast rechtlos und unterdrückt war und als einzige Möglichkeit, sein Mütchen zu kühlen, nur noch seine Frau und Kinder hatte, das mag man sich kaum vorstellen. Wobei ihm ja oft das Recht über seine Frau durch unterschiedliche Formen der Leibeigenschaft genommen wurde, Bsp. jus prima noctis u.ä.


    Was du über die Kindersterblichkeit in der Vorgeschichte schreibst, Tante Li , unterstreicht noch einmal, dass die Frau längst nicht so unproduktiv war, wie von Beauvoir angenommen. Ich glaube allerdings mittlerweile immer mehr, dass sie viele Passagen extra aus männlicher, sogar besonders chauvinistischer Sicht schreibt, um dem später ihr eigenes Konzept und ihre Forderungen entgegenzusetzen.

    Ich bin zwar mit diesem Abschnitt nicht viel weiter gekommen, möchte aber doch einen Gedanken dazu einwerfen:

    Ich könnte mir gut vorstellen, dass in den unteren Schichten sich die gemeinsam Rechtlosen eher miteinander solidarisierten. Die Männer mussten die Arbeitsleistung und das evtl. klügere wirtschaftliche Handeln ihrer Frauen anerkennen, weil es sich unmittelbar auf ihr eigenes Überleben und das seiner Kinder (Erben) auswirkte.

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    :lesend U. T. Bareiss: Green Lies - Tödliche Ernte

  • Ich bin zwar mit diesem Abschnitt nicht viel weiter gekommen, möchte aber doch einen Gedanken dazu einwerfen:

    Ich könnte mir gut vorstellen, dass in den unteren Schichten sich die gemeinsam Rechtlosen eher miteinander solidarisierten. Die Männer mussten die Arbeitsleistung und das evtl. klügere wirtschaftliche Handeln ihrer Frauen anerkennen, weil es sich unmittelbar auf ihr eigenes Überleben und das seiner Kinder (Erben) auswirkte.

    Das führt Beauvoir in ihrem Kapitel über Mittelalter und Neuzeit auch weiter aus. Sie anerkennt ausdrücklich, dass die Stellung der Frau als (Leidens-)gefährtin des Mannes in den unteren Schichten zu allen Zeiten auf der Geschlechterebene eine bessere war, was natürlich in Anbetracht der allgemein schlechten Lebenssituation dieser Schichten nur eine schwacher Trost ist.

  • finsbury , hattest du nach der Biographie gefragt? Ich lese die neue von Kate Kirkpatrick und die ist sehr informativ. Vor allem wird klar, wie viel anderes sie noch geschrieben hat.



    Andererseits hatte meine Mutter, die Mitte der Fünfziger mit meinem Vater ihre Familie gründete, doch schon selbstverständlich eine höherwertige Ausbildung erhalten, die ihr ermöglicht hätte, jederzeit aus einer nicht mehr gewollten Ehe auszusteigen und auf eigenen Beinen zu stehen.

    Das war das Gute an dieser Zeit - es gab eben auch andere Familien. Es kam sehr darauf an, welche Sorte Familie das nun gerade war. Bauern waren meist besonders konservativ und so war das eben bei uns. Und dann auch noch ganz besonders konservative katholische Kleinbauern.



    Sie anerkennt ausdrücklich, dass die Stellung der Frau als (Leidens-)gefährtin des Mannes in den unteren Schichten zu allen Zeiten auf der Geschlechterebene eine bessere war, was natürlich in Anbetracht der allgemein schlechten Lebenssituation dieser Schichten nur eine schwacher Trost ist.


    Ein großer Unterschied war dann noch, ob die Menschen einfach arm waren oder im hoffnungslosen Elend lebten. Ich habe vor längerer Zeit (ich gehe mal in mich, ob mir einfällt wo) in einem durchaus ernstzunehmenden Buch gelesen, dass es in ganz schlechten Zeiten gar nicht unüblich war, die jungen Töchter in die Prostitution zu zwingen. Vor dem Verhungern sozusagen.

    So wie auch heute noch in manchen Weltgegenden.


    Fast bin ich mit dem zweiten Teil fertig. In der Biographie habe ich über die Aufnahme des Buches nach der Erstveröffentlichung gelesen. Es wurde vor allem in konservativen Kreisen als absolut skandalös angesehen und Beauvoir musste sich einiges von dem anhören, was man auch heute im Netz zu hören und zu lesen bekommt.