Bartholomäus Grill - Wir Herrenmenschen

  • Bartholomäus Grill - Wir Herrenmenschen

    Unser rassistisches Erbe: Eine Reise in die deutsche Kolonialgeschichte


    Inhalt (Quelle: Amazon)


    Die deutschen Kolonien - dieses Kapitel unserer Geschichte ist beunruhigend aktuell, wie Bartholomäus Grill zeigt. Und das nicht nur im Bewusstsein der Afrikaner selbst (etwa der Nachfahren der Herero, die heute Entschädigung für Gräueltaten der Deutschen fordern). Sondern auch in unseren eigenen Köpfen. Der SPIEGEL-Reporter, einer der besten deutschen Afrikakenner, hat in den letzten drei Jahrzehnten an allen Schauplätze des ehemaligen Kolonialreichs recherchiert, er hat mit den letzten Augenzeugen gesprochen, den Nachkommen von Tätern wie Opfern. Grill verfolgt akribisch die Spuren der deutschen Fremdherrschaft in Afrika, China und der Südsee und beschreibt unser rassistische Erbe: Das Herrenmenschentum prägt nach wie vor unser Denken, die Klischees von den „bedrohlichen Afrikanern“ oder „hilflosen Entwicklungsländern“ wirken fort, gerade in Zeiten verstärkter Flucht und Migration. Eine packende historische Reportage – und zugleich ein Debattenbuch von höchster Aktualität.


    Meine Meinung:


    Ich habe in diesem Buch eine Menge über Kolonialismus gelernt, und ich habe mich oft dabei ertappt gefühlt, wie wenig Gedanken ich mir bisher über den afrikanischen Kontinent gemacht habe bzw. wie unrealistisch meine Vorstellungen bisher waren. Beim Stichwort "Afrika" hatte ich lange Zeit auch die romantischen Bilder im Kopf, welche die Reiseveranstalter mir vorgegaukelt haben und ich sah mich an einem weißen Strand im blutroten Sonnenuntergang spazieren gehen, während im Hintergrund majestätisch Giraffen vorbei ziehen. Ein schönes Bild, aber warum verdrehe ich genervt die Augen, wenn jemand Deutschland mit dem Hofbräuhaus gleichsetzt? Genau, Klischees sind nur schön, wenn sie andere betreffen. Aber es geht in diesem Buch nicht nur um den afrikanischen Kontinent, auch wenn seine Geschichte einen Großteil des Buches ausmacht.


    Bartholomäus Grill beginnt mit dem kurzen und erfolglosen Versuch Brandenburg-Preußens, im 17. Jahrhundert in Afrika Fuß zu fassen und steigt dann in die Zeit des Imperialismus ein, als die europäischen Mächte sich ein Wettrennen um Kolonien in aller Welt lieferten. Da durfte das Kaiserreich nicht fehlen. In jeweils getrennten Kapiteln erfahre ich viel über den Aufbau der Kolonialherrschaft in Tansania, Togo, Kamerun und Namibia, von dem Bau des Marinestützpunktes in Kiautschou und dem Versuch, in Neuguinea Fuß zu fassen.


    Dass es in der deutschen Kolonialherrschaft wie in jeder anderen auch Gewaltexzesse, Strafexpeditionen, willkürliche Rechtssprechung und spontane Hinrichtungen gab, das war mir irgendwie schon klar. Aber es ist etwas anderes, davon konkret und mit Beispielen zu lesen und die Zahlen der Toten oder in Sklaverei verkauften Menschen zu erfahren. Die Dimension wird damit eine andere. Der Autor war bereits in den 1990er Jahren für Recherchen in Afrika unterwegs und konnte glücklicherweise noch mit einigen Überlebenden aus der Zeit direkt sprechen. Diese Zeitzeugen-Berichte sind sehr interessant. Aber es geht in dem Buch nicht nur um das kaiserliche Herrschaftsstreben der Kolonialverwaltungen, Thema sind auch die christlichen Missionen damals und heute und auch das Profitstreben der großen Handelshäuser, die in großen Plantagen "Colonialwaren" für die Heimat produzieren ließen - und dafür die eingeborene Bevölkerung zu Zwangsarbeit pressten.


    Bartholomäus Grill nimmt auch einige historisch "gesicherte" Vorgänge aufs Korn und zeigt, dass längst nicht alles so klar und erforscht ist, wie manche meinen. Noch sind nicht alle Primärquellen frei zugänglich und es werden sich sicher in den nächsten Jahren neue Erkenntnisse ergeben - und andere müssen vielleicht revidiert werden.


    Interessant zu lesen sind auch die Ausführungen Grills über die Auswirkungen des Kolonialismus bis heute. Heute gibt es keine Kolonien in Afrika mehr, aber die willkürlichen Grenzziehungen, die bis heute gelten, reißen immer noch Völker auseinander und vereinigen andere, deren Kulturen sind fremd sind. Damit haben die Länder bis heute zu kämpfen und mancher blutige Konflikt lässt sich auf die alten, von den längst abgezogenen Kolonialmächten eingeführten Strukturen zurück führen. Und das ist nicht die einzige Folge daraus.


    Ein sehr lesenswertes Buch und dafür gibt es eine uneingeschränkte Leseempfehlung von mir.


    ASIN/ISBN: 3827501105