Autoren und Randgruppen

  • Zitat

    Original von Ines
    Jetzt hammers! Und die Frage dazu lautet: Wie kann ein Autor über seinen eigenen Blick hinaus schreiben?


    Wenn er will, kann er den Blick erweitern, kann er durch Hinterfragen seiner Meinungen, seiner Schubladen, seines Koordinatensystems dieses ausweiten und damit auch den eigenen Blick.
    Man kann natürlich nicht alles gleichzeitig in Frage stellen, ohn allen Halt zu verlieren, aber dieses punktuelle Halt aufgeben, dieses an der gelockerten Leine losziehen, um herumzuschnüffeln und neue Erfahrungen zuzulassen -- das ist m.A.n. ein möglicher Weg dazu.


    Zitat

    Frei nach Wittgenstein: Die Grenzen meines Blickes sind die Grenzen meiner Welt. (Wittgenstein möge mir verzeihen).


    Wittgensteins Theoreme waren mir schon immer zu starr -- er sich selbst wohl auch, sonst wäre er eines Tages nicht getürmt, um zeitweilig als Dorfschullehrer in einem österreichischen Kaff unterzutauchen. :grin

  • Zitat

    Original von Ines
    ... Die Grenzen meines Blickes sind die Grenzen meiner Welt. (Wittgenstein möge mir verzeihen).


    Gut, dann anderes, liebe MaryRead.
    Watzlawick meint: „Wenn etwas nicht so ist wie es sein sollte, dann kann man Menschen zum Wahnsinn treiben.“


    Damit gebe ich zu bedenken, wenn der Blick, die Sprache usw. uns keine Grenzen aufzeigen würden, dann könnten wir unseren Verstand verlieren. Es scheint sinnvoll zu sein, sich Grenzen vorsichtig zu nähern und sich Grenzüberschreitungen gezielt auszusuchen.


    Sandra

  • Iris ,


    siehste, da treffen wir uns doch wieder und können ganz friedlich miteinander Kaffee trinken gehen.



    Sandra ,


    das wirft natürlich sofort bei mir die Frage nach dem Sinn und Zweck von Grenzen auf. Natürlich muss man (hallo, Iris) ACHTSAM dabei umgehen, aber die neue Frage lautet tatsächlich:


    Welchen Sinn und Zweck haben Grenzen (ich meine hier ausdrücklich und nur die Grenzen der Sprache und die Grenzen des Blicks).

  • Am liebsten hätte ich:

    Zitat

    Original von Ines
    Seit einiger Zeit beschäftigt mich die Frage, wie der Blick auf die Welt sich im Text wieder findet. ).


    in Verbindung mit:


    Zitat

    Original von Ines als Gast

    Welchen Sinn und Zweck haben Grenzen (ich meine hier ausdrücklich und nur die Grenzen der Sprache und die Grenzen des Blicks).


    Sandra

  • Liebe Ines,
    als du geschrieben hast, du könntest einen Lesbenroman schreiben, da habe ich dich innerlich ziemlich ausgelacht. Heute Morgen muss ich mich bei dir entschuldigen.
    Der Unterschied, ob ich aus einer Randgruppe heraus oder über eine schreibe ist der: Als lesbische Autorin brauche ich keine andere Lesbe, die mir sagt, wo es lang geht, dafür fehlt mir manchmal wahrscheinlich die nötige Distanz. Wenn du beispielsweise über homosexuelle Menschen schreibst, dann hast du die innere Distanz, dafür fehlt dir das Insiderwissen.
    Damit will ich sagen, eine Autorin kann über alles schreiben, was sie gerade interessiert, weil es immer irgendwo jemand gibt, der sie mit ihrem Wissen füttert. Jede führt mehrere Telefonjoker im Portemonnaie mit. Wenn du einen Lesbenroman schreibst, dann bin beispielsweise ich für dich da.
    Was nicht jeder kann, ist dagegen eine Idee für eine Geschichte zu finden und sie zu erzählen. Nicht nur eine, sondern viele. Kurzgeschichten, Romane und was uns gerade so einfällt, unabhängig davon, welches Niveau sie haben. Das macht uns zu GeschichtenerzählerInnen oder wie wir uns auch nennen zu Autoren.


    Sandra

  • Sandra


    ich habe keine Ahnung, wie du darauf kommst, aber ich habe nie und nirgendwo behauptet, ich könne einen Lesbenroman schreiben.
    Die Wahrheit ist: Ich könnte es nicht. Ich bin auch nicht in der Lage, einen Kriminalroman, einen Roman über Muslime oder über Veganer zu schreiben. Es wäre vermessen, so etwas zu tun, es wäre sogar vermessen, so etwas überhaupt nur zu wollen. Ich kann nur über Dinge schreiben, mit denen ich mich intensiv beschäftigt habe und über die ich einigermaßen Bescheid weiß.


    Es ging auch nie darum, durch die Erweiterung des Blicks oder der Sprache das eigene Themenspektrum zu vergrößern.
    Harry Mulisch hat in seinem Roman "Die Entdeckung des Himmels" folgenden Satz geschrieben: "Sie ... wusste, dass es beim Musizieren nicht um das Ausdrücken von Emotionen ging, sondern um das Erzeugen von solchen: das konnte nur gelingen, wenn es professionell geschah."


    Ich denke, man kann diesen Satz sehr gut auf die Literatur übertragen. Ich jedenfalls möchte mich darin üben, Emotionen zu wecken, die Leser anzurühren. Und das so professionell wie möglich und bei den Themen, die mich wirklich beschäftigen.

  • @ Tom: ich habe nichts gesagt, was dir widerspricht. :wow


    Interessen nach der Kategorie Hautfarbe kann man schlecht vertreten, außer bei Sonnenschutzmitteln. >_>


    Ein Tennisspieler wird sich sicher trotzdem über bessere Sportbedingungen freuen, auch, wenn er noch Parteimitglied und Vegetarier ist.


    Wenn Tennis für ihn aber nicht prägend ist, wird das nicht seine "Randgruppe" sein, wenn er schreiben würde. >_>



    Aber eigentlich ging es doch auch gar nicht um die Frage, ob man kategorisieren sollte, sondern, ob man das Wort Minderheit benutzen kann. Weil meist sind die "prägenden" Randgruppen gleichzeitig Gruppen, die in der Minderheit vertreten sind. Wenn man sich an den Sachbüchern orientiert, die anfangs genannt wurden, über Themen wie z.B. Inszest.




    JASS :keks

  • hab diesen thread gerade erst gefunden. die ursprüngliche fragestellung von ines ist sehr spannend, finde ich. klar, ein text ist auf ein subjekt angewiesen, das den text schreibt, und damit auf den *subjektiven* blick auf die wirklichkeit. aber darum geht es m.e. bei der frage nicht primär. ich finde die frage aus folgendem grund wichtig: wenn jemand teil einer sog. "randgruppe" ist (mir jetzt gerade egal, wie blöd das wort ist :lache ), macht er/sie nicht nur selbstverständlich dieser gruppe irgendwie entsprechende erfahrungen, sondern oft auch erfahrungen, die genau über diese personengruppe etwas *elementares* aussagen. egal ob kurden, transsexuelle, was auch immer - bücher von leuten, die sog. "randgruppen" angehören, sind oft besondere zeugnisse einer gesellschaftlichen wirklichkeit, die durchs individuum vermittelt wird. (die "belletristische" herausforderung besteht dann wohl darin, aus dieser gesellschaftlichen wirklichkeit, die der mensch am eigenen leib erfährt, einen text zu fabrizieren, der weder autobiographisch/zur lebensbewältigung gerät noch ein verkopftes halb-sachbuch wird.)


    Zitat

    Original von Ines
    Ich habe das zeitgenössische "ICH" derzeit herzlich satt und sehne mich sehr nach Büchern, in denen ein einzelnes Ich als pars pro toto steht.
    Es ist einfach nicht interessant, was z.Bsp. Alexa Henning von Lange persönlich über Gott denkt. Aber es wäre interessant, an ihrem Beispiel zu erfahren, wie die Leute ihrer Generation über Gott denken.


    jaaa! danke, ines. :anbet aber ich glaube, dass die heute so übliche schreibe, auf die du abzielst, einfach mit der tendenz der vereinzelung der menschen zu tun hat; mit der tendenz, dass sich jede/r primär als individuum begreift und konstruiert und seine gesellschaftlichkeit großenteils nicht mehr auf dem schirm hat.


    Zitat

    Original von Iris
    Menschen sind primär Individuen
    [...]
    Aber ich möchte hier nicht anfangen, in philosphische Tiefen abzutauchen.


    och ... ein bisschen philophischer input muss nicht zwingend für so einen thread schädlich sein. *find* :-)