Hi, ihr
es ging doch ums Schreiben.
Beeinflußt eure Gruppenzugehörigkeit das, was ihr oder wie ihr schreibt?
Bestimmt es gar die Themen?
Hi, ihr
es ging doch ums Schreiben.
Beeinflußt eure Gruppenzugehörigkeit das, was ihr oder wie ihr schreibt?
Bestimmt es gar die Themen?
Magali, ich kann mich dorch gar nicht objektiv soziologisch von außen betrachten! Das sollen bitte andere übernehmen, die dann aber auch nur eine scheinbare Objektivität vertreten, denn jeder Standpunkt ist letztendlich subjektiv -- wir sind füreinander Inseln im Nebel, jeder für sich!
Andererseits speist sich meine Kreativität selbstverständlich aus meiner Person, und die ist subjektiv, zum Teil (z.B. genetisch) vorbestimmt, zum Teil biographisch geprägt -- und zwar nicht nur von außen, sondern interaktiv! Ich werde geformt, aber vor allem forme ich mich selbst durch die äußeren Einflüsse.
Begriffe wie "Gruppen" etc. empfinde ich in diesem Zusammenhang als krude Simplifizierung. Das ist eine Methode ein Netz von mengentheoretischen Applikationen nicht nur rein theoretisch über die Menschheit zu werfen, sondern real, um sie danach zu beurteilen, zu schubladieren, festzulegen.
Ich mache mich nun mal nicht selbst zum Objekt, d.h. zum "Ding" -- zumal das gar nicht ginge.
Nein, nein, es geht nicht ums soziologisch von außen betrachten, wenn ich Ines richtig verstanden habe.
Sondern letztlich um die Aufgabe von Schreibenden.
Also wirklich das Verhältnis von äußeren Realitäten un dem, was man 'erschafft'.
Auch um die Frage, ob uns das beim 'Erschaffen' Grenzen setzt, ob man sie eventuell überwinden kann.
Wie frei wir tatsächlich sind dabei.
Dann um die Frage der Übertragbarkeit einer Geschichte.
Um nur ein par Punkte aufzuzählen.
Wenn wir hier nur sagen, ich gehöre da dazu oder da nicht, sagt das noch nichts übers Schreiben.
Wobei das Finden einer eigenen Postion natürlich originär zum Schreiben gehört. Ich rede jetzt allerdings von komplexeren Systemen, vulgo 'Literatur' und nicht von Geschichtchen.
ZitatAlles anzeigenOriginal von magali
Nein, nein, es geht nicht ums soziologisch von außen betrachten, wenn ich Ines richtig verstanden habe.
Sondern letztlich um die Aufgabe von Schreibenden.
Also wirklich das Verhältnis von äußeren Realitäten un dem, was man 'erschafft'.
Auch um die Frage, ob uns das beim 'Erschaffen' Grenzen setzt, ob man sie eventuell überwinden kann.
Wie frei wir tatsächlich sind dabei.
Dann um die Frage der Übertragbarkeit einer Geschichte.
Um nur ein par Punkte aufzuzählen.
Wenn wir hier nur sagen, ich gehöre da dazu oder da nicht, sagt das noch nichts übers Schreiben.
Wobei das Finden einer eigenen Postion natürlich originär zum Schreiben gehört. Ich rede jetzt allerdings von komplexeren Systemen, vulgo 'Literatur' und nicht von Geschichtchen.
Also, ich muß schon sagen: die Threads, die Ines in letzter Zeit hier so eröffnet, sind für mich mit die interessantesten
Und mir fällt bei der Fragestellung und euren Antworten eine Erläuterung ein, die der Seminarleiter [Baden-Würtemberger ... ... ] uns zum Thema Vorurteile gegeben hat - und was ganz gut hier herein paßt, finde ich.
Er sagte (ich hoffe, ich kann es fast wörtlich wiedergeben):
Vorurteile hat jeder Mensch. Muß man sich als Basisschubladen im Hirn vorstellen, die automatisch abgerufen werden, ohne, dass man sich dagegen wehren kann.
Viel wichtiger sind allerdings die Unterschubladen, die man im Laufe des Lebens so anlegt...denn durch jede einzelne Unterschublade wird die große Anfangs-Vorurteilsschublade differenziert...und am Laufe der Zeit mit Glück sogar ad absurdum geführt.
Ikarus
Wie "frei" wir sind?
Unfreier als wir denken!
Zumal wenn man von einem Freiheitsbegriff ausgeht, der ans Bewußtsein (Reflexion) gekoppelt ist; denn "bewußt" ist nur ein verschwindend winziger Teil unseres Denken und Handelns.
Das ist kein Versuch, sich aus der Verantwortung zu stehlen -- ich bin bloß realistisch genug zu erkennen, wie klein der Spielraum an Bewußtsein und bewußt ausgeübter Freiheit ist, den wir tatsächlich haben.
Grundsätzlich halte ich nicht viel von Bewußtseinsphilosophien, weil sie eben genau hier steckenbleiben. Ethisch gesehen bevorzuge ich die Achtsamkeit, ein im Zuge der Bewußseinsschwadroniererei allmählich aussterbender Begriff. Achtsamkeit kann nämlich auch unbewußt sein, wenn sie so gut eingeübt ist, wie das Gehen, Lesen oder Schwimmen! Eine gelegentliche Kontrolle durch die Reflexion ist allerdings wünschenswert!
Was Ines erwähnte, nämlich daß man allem Ungewohnten zunächst einmal mit dem diffusen Sammelsurium an irgendwo aufgeschnappten Meinungen begegnet, ist ein Phänomen, dem man mit dem "Bewußtsein" nicht beikommen kann -- wohl aber mit Achtsamkeit: diese Meinungen nicht blind zum Maßstab machen, sondern am Einzelfall abwägen und ggf. modifizieren.
Ich habe in meinem Leben einzelne lesbische Frauen kennengelernt, die tatsächlich dem Klischee zu 150 % entsprechen, aber die meisten sind unterschiedlich wie andere Menschen"gruppen" eben auch, weil sie eben Menschen sind! Wenn man sich die grundsätzliche Bedeutung dessen, was mit dem Wort "lesbisch" etikettiert wird, einmal zu Gemüte führt, wird einem sehr schnell klar, ein wie winziger Aspekt des Gesamtbildes "Mensch" das ist -- und wie verdammt unwichtig dabei lila Latzhosen und die Lektüre bestimmter Frauenzeitschriften sind. Zumal beides auch keine Eigenschaften darstellen, die substanziell zu "lesbisch" gehören, sondern sie können ein begleitender, akzidenteller Ausdruck sein, müssen es aber nicht.
Man sollte m.A.n. immer so verfahren, daß man seine Ansichten im Hinterkopf abwägt, bereit ist sie zu ändern, auch wenn das relativ aufwendig ist -- aber es lohnt sich. Meinungen über die Realität sollten so wandelbar sein wie die Realität selbst -- wenn beide nicht mehr korrelieren, bewegt man sich in Wahnvorstellungen.
Was die Literatur angeht: Natürlich ist das literarische Schaffen eines Autors geprägt sowohl von seinem Selbstbild als auch von seinem Weltbild, sowohl von den bewußten Aspekten dieser Vorstellungen wie auch von den unbewußten -- von letzteren sicherlich weit mehr als von ersteren!
Das Werk eines Autors sagt sehr viel über ihn selbst und seine Welt bzw. seine Vorstellung von seiner Welt aus und nicht "nur" über sein Thema -- allerdings ist es ziemlich vermessen, vom Werk auf den Autor zu schließen und dann wieder zurück aufs Werk; das ist ein klassischer Zirkel, sehr beliebt in den Literaturwissenschaften, wobei auch noch der "hermeneutische Zirkel", bedingt durch die subjektiven Virstellungen des Interpreten hinzukommt -- aber das ist ein anderes Thema.
Man mag es in den Bereich der Verantwortlichkeit eines Autors einordnen, achtsam mit seinen eigenen Vorstellungen umzugehen -- erzwingen kann man es nicht. Ich kann mich noch so sehr darüber aufregen, wenn über anachronistische Historicals ebenso anachronistische "Rollenmodelle" (z.B. in der Geschlechterdifferenz, beim Freiheitsbegriff etc.) locker-flockig oben in die Hirne geflößt werden, während untern das Geld aus den Portemonnaies gezapft wird -- es bringt nichts! Ich kann weder von den Autoren verlangen, besonders "gute Menschen" zu sein und "richtig" zu erzählen, noch kann ich von den Lesern verlangen, die süß-sentimentale Lüge abzulehnen.
Ich kann nur versuchen, es anders, d.h. meiner Ansicht nach "besser" zu machen.
Hallo zusammen, hallo Ines,
Ich habe deine Frage, Ines, zunächst so verstanden, dass du wissen willst: Wie beeinflusst meine Zugehörigkeit zu einer marginalisierten Gruppe das Schreiben. Das ist ein sehr weites Thema, bei dem es aber, würde ich meinen, weniger auf die Textproduzierenden als auf die Lesenden ankommt: Was erwartet die Leserschaft etwa von der literarischen Produktion eines Menschen mit Migrationshintergrund? Nun, nicht zuletzt, irgendetwas über die "Herkunftskultur" dieses Menschen zu erfahren (jemand hat das Mal den "impliziten Befehl" genannt, der von den Lesenden an die Schreibenden erginge). Da nützt es diesen Schriftsteller/innen häufig nichts, dass sie zB auf deutsch schreiben, hier geboren und sozialisiert sind, ihre "Herkunftskultur" (was auch immer das ist) also die deutsche ist. Das Etikett haftet.
In deinem letzten Beitrag; Ines, hast du die Perspektive aber um 180° gedreht. Nun geht es nicht mehr darum, wie der eigene Hintergrund das Schreiben bestimmt (also um die Frage, ob man Texten etwa das "Migrierte", "Weibliche", "Homosexuelle" anmerkt), sondern um die Schwierigkeiten einer Angehörigen des gesellschaftlich definierten Standards, Angehörige marginalisierter Gruppen ohne Rückgriff auf Klischees darzustellen. Das ist eine ganz andere Problematik, gerade auch in Bezug auf den Schreibprozess und man sollte diese Fragen vielleicht voneinander trennen.
Hallo Iris,
Zitatallerdings ist es ziemlich vermessen, vom Werk auf den Autor zu schließen und dann wieder zurück aufs Werk; das ist ein klassischer Zirkel, sehr beliebt in den Literaturwissenschaften
Naja, seit hundert Jahren problematisiert, seit mindestens 30-40 Jahren nicht mehr ernsthaft vertreten. Es gibt heutzutage keine ernstzunehmende lit.wissenschaftliche Position, die noch so hart produktionsästhetisch argumentieren würde. Das "Problem" sind hier vielmehr die nichtwissenschaftlichen Lesenden, die immer noch davon ausgehen, dass Autor und Werk eine Einheit bilden, dass der Autor mehr und vor allem Richtigeres über seinen Text zu sagen habe als die Rezipienten.
Aber das ist in der Tat noch einmal ein ganz anderes Thema.
ZitatOriginal von Bartlebooth
Es gibt heutzutage keine ernstzunehmende lit.wissenschaftliche Position, die noch so hart produktionsästhetisch argumentieren würde.
Da hast du aber richtig gute Dozenten erwischt!
Was ich aus dem Schulunterricht meiner Tochter mitgekriegt habe, wird genau an dieser Basis stur produktionsästhetisch und psychologisierend gedeutet -- erst extrapoliert, dann interpoliert.
Was hilft es, wenn die Professoren diese Sichtweise belächeln, sie aber an der Basis ungebrochen weitergeschleppt wird?
ZitatOriginal von Ines
... So, das war mein Outing.
.... Außerdem erwarte ich von einer lesbischen Frau bestimmte Dinge. Das muss nicht gleich ein EMMA-Abo sein, aber zumindest sollte sie die Alice-Schwarzer-Biografie im Regal stehen haben, während ich das Ding nicht unbedingt gelesen haben muss.
Liebe Ines
Deine Offenheit schätze ich, ich werde es dir gleich tun, auch wenn ich mich vielleicht lächerlich mache –und das vor meiner Leserunde. Mein Tag ist schon versaut. Seit acht Uhr sind die Handwerker in meiner Wohnung und haben mir nicht einmal einen Kaffee gegönnt. Zudem arbeite ich auf einem fremden Computer. Igitt.
Zurück zum Thema: Obwohl ich zu den sogenannten Randgruppen gehöre, habe ich mich immer der Mehrheit zu gehörig gefühlt. Wenn ich einer Ungerechtigkeit begegne, sehe ich rot, unabhängig davon ob die betreffende Person zu einer Minderheit oder Mehrheit gehört. Das ist mir völlig gleichgültig.
Vom politischen Standpunkt heraus glaube ich nicht daran, dass es eine Mehrheit gibt, aus menschlicher Sicht sehr wohl, auch wenn es mir nicht immer passt ein Kind des Zeitgeistes zu sein, was mir immer dann besonderes auffällt, wenn ich meine alten Kurzgeschichten oder Manuskripte überarbeite.
Ich bin eine Erdenbürgerin mit Schwächen und Stärken. Ich streite, liebe, habe Vorurteile, bin feige, aber auch mutig und manchmal lebe ich ein Leben, das ich nachts nicht schlafen kann. Trotzdem bemühe ich mich jeden Tag neu "edel, hilfreich und gut" zu sein. Manchmal befinde ich mich dabei unter Menschen, die zu einer Randgruppe gehören und manchmal treffe ich auf die Mehrheit.
.
Sandra
PS: Ich habe keine Alice Schwarzer - Biographie im Regal stehen. Bin ich nun keine "Lesbe"? Zudem wer ist überhaupt Alice Schwarzer? Setzt sie sich für Ungerechtigkeiten ein? Gehört sie zu der Randgruppe der homosexuellen Menschen? Oder zu der Mehrheit der Frauen, die im Leben aus dem Vollen schöpfen wollen? Wie Männer auch?
hängt das nicht zusammen? Sind das nicht die beiden Seiten einer Münze?
Wenn ich mir darüber klar werde, wie ich mich Randgruppen gegenüber verhalte, dann bestimmt dieses Wissen sicher an irgend einer Stelle einmal das Schreiben, viel häufiger aber das Leben.
Da ich selbst Mitglied einer umstrittenen Minderheit bin, weiß ich natürlich auch wie es ist, wenn sich das Gegenüber verändert, nur, weil es plötzlich über eine Minderheiteninformation verfügt.
Ich habe mich schon oft dabei ertappt, dass ich sowohl als Angehörige einer Minderheit der Mehrheit gegenüber Vorurteile habe, als Angehörige einer Mehrheit aber stets die Minderheit mit Skepsis betrachte und da in KLischees denke.
Wenn ich also sowohl von innen nach außen als auch von außen nach innen einen eingeschränkten Blick habe, dann wirkt sich das auf das Schreiben aus. Ich hege die Befürchtung, dass ich es noch nicht einmal immer merke.
ZitatOriginal von Ines als Gast
Wenn ich also sowohl von innen nach außen als auch von außen nach innen einen eingeschränkten Blick habe, dann wirkt sich das auf das Schreiben aus. Ich hege die Befürchtung, dass ich es noch nicht einmal immer merke.
Sag ich doch --- wenn auch mal wieder viel komplizierter.
Und wieso bezeichnest du deine Minderheit als "umstritten"? Und welche meinst du? Die der Autoren? Oja, das ist eine umstrittene Minderheit, zumal ihr solche Vögel wie Tom, du und ich angehören!
Und wieso bezeichnest du deine Minderheit als "umstritten"? Und welche meinst du? Die der Autoren? Oja, das ist eine umstrittene Minderheit, zumal ihr solche Vögel wie Tom, du und ich angehören! :lache[/quote]
Iris ,
ich meinte nicht die Minderheit der Autoren. Ich betrachte Autoren auch nicht als Minderheit, sondern mein Autorendasein als selbstgewählte Existenzform.
ZitatWenn ich also sowohl von innen nach außen als auch von außen nach innen einen eingeschränkten Blick habe, dann wirkt sich das auf das Schreiben aus. Ich hege die Befürchtung, dass ich es noch nicht einmal immer merke.
Ack. Logisch. Natürlich ist es so. Es muß so sein. Und was ist daran schlecht? Es ist genau das, was Dich als Mensch - und damit als Autor - ausmacht. Vielleicht würde Deine Schreibe lapidar und schrecklich langweilig werden, wenn Du diesen sehr menschlichen Trichterblick nicht hättest.
Trotzdem gehören wir als Autoren zu einer Minderheit (auch als Berufsgruppe oder Lebensform).
"Umstritten" halte ich auch für einen allzu negativ behafteten Begriff ... oder was meinst du speziell damit?
Tom ,
ich sehe das anders. Ich halte den "Trichterblick" für gefährlich und manchmal vielleicht sogar für unklug. Und ebenso, wie ich die Grenzen meiner Sprache ausreizen und überwinden möchte, möchte ich auch meinen Blick in möglichst viele Richtungen erweitern. Ich bin davon überzeugt, dass mit den gemachten Erfahrungen, dem erworbenem Wissen und der Erweiterung des Sprachschatzes auch die Bücher besser werden. Das zumindest ist mein Ehrgeiz.
Ich weiß nicht, wie oft ich beim Schreiben schon an Regeln und Konventionen gestoßen bin. Ich habe gemäß dieser Regeln und Konventionen geschrieben. Das heißt ja nichts anderes, als das ich die Gedanken anderer "gedacht" habe. Wären die Texte besser geworden, wenn ich meine ureigensten Gedanken dazu notiert hätte? Ich hoffe es.
Iris ,
ich entstamme einer jüdischen Familie und trage den Namen "Salomon". Damit, so denke ich, gehöre ich zu einer umstrittenen Minderheit. Diese Minderheit habe ich mir - im Unterschied zu meinem Autorendasein - nicht selbst gewählt.
Vielleicht sollte man auch in dieser Hinsicht eine Unterscheidung treffen: Selbst gewählte und also freiwillige Minderheitenzugehörigkeit wie etwa Veganer oder TV-Verweigerer und unfreiwillige Minderheitenzugehörigkeit wie Homosexualität, Judentum oder Behinderung.
ZitatOriginal von Iris
Da hast du aber richtig gute Dozenten erwischt!
Was ich aus dem Schulunterricht meiner Tochter mitgekriegt habe, wird genau an dieser Basis stur produktionsästhetisch und psychologisierend gedeutet -- erst extrapoliert, dann interpoliert.
Was hilft es, wenn die Professoren diese Sichtweise belächeln, sie aber an der Basis ungebrochen weitergeschleppt wird?
Hallo Iris,
Da gebe ich dir uneingeschränkt recht. Der Schulunterricht und die Uni sind heute leider völlig voneinander abgekoppelt. Viele (ausdrücklich: nicht alle!) Lehrer/innen, auch die jungen, sind froh, endlich aus der Uni rauszusein und wieder betreiben zu können, was ich intuitive Hermeneutik nenne.
Hallo, Ines.
Zitatich sehe das anders. Ich halte den "Trichterblick" für gefährlich und manchmal vielleicht sogar für unklug. Und ebenso, wie ich die Grenzen meiner Sprache ausreizen und überwinden möchte, möchte ich auch meinen Blick in möglichst viele Richtungen erweitern. Ich bin davon überzeugt, dass mit den gemachten Erfahrungen, dem erworbenem Wissen und der Erweiterung des Sprachschatzes auch die Bücher besser werden.
Ich sag's nochmal: Das ist doch tautologisch. Jeder Mensch ändert sich, sammelt Erfahrungen, beschäftigt sich mit neuen Dingen, öffnet seinen Blick für denjenigen anderer Menschen. Dagegen ist überhaupt nichts zu machen, und natürlich auch nicht zu sagen. Und selbstverständlich werden die Bücher auch besser, wenn man mehr weiß, verstanden, erfahren hat.
Allerdings - und das habe ich gemeint - halte ich es nicht für erstrebenswert, zum alleswissenden Neutrum zu werden, völlig meinungs- und (vor-)urteilsbefreit, nichts mehr verneinend und letztlich auch nichts mehr bejahend. Die Subjektivität des Autors ist zwingender Bestandteil seines Werkes. Ja, und auch seine Arroganz ist es, seine Vorurteile sind es, meinetwegen sogar seine wie auch immer geartete "Gruppenzugehörigkeit". In irgendeiner Form, nicht notwendigerweise prägend oder als Maxime. Ein Autor, der anstrebt, seine Menschlichkeit zu verlieren, und als nichts anderes empfinde ich diese Art von überzogener Aufgeschlossenheit, läuft Gefahr, seine Autorenpersönlichkeit preiszugeben. Im Endergebnis hättest Du eine Schreib-Maschine ohne Erkennungs- und Identifikationspotential.
ZitatOriginal von Ines als Gast
Ich weiß nicht, wie oft ich beim Schreiben schon an Regeln und Konventionen gestoßen bin. Ich habe gemäß dieser Regeln und Konventionen geschrieben. Das heißt ja nichts anderes, als das ich die Gedanken anderer "gedacht" habe. Wären die Texte besser geworden, wenn ich meine ureigensten Gedanken dazu notiert hätte? Ich hoffe es.
Ethisch wäre der Text subjektiv dann sicherlich besser geworden, ob das ästhetisch auch zutrifft, ist eine Frage, an der sich die Geister scheiden. M.A.n. ja (Edit: sofern er zuvor schon eine gewisse ästhetische Qualität besaß!) -- aber viele würden das bestreiten.
Zitatich entstamme einer jüdischen Familie und trage den Namen "Salomon". Damit, so denke ich, gehöre ich zu einer umstrittenen Minderheit.
Um Gottes willen, das ist keineswegs eine umstrittene Minderheit! Allerdings eine Minderheit, die wie alle anderen Minderheiten umstrittene Mitglieder hat, das steht außer Frage.
Ich finde es extrem tragisch, daß durch einen politischen Wahnsinn (das Wort ist viel zu schwach, um die Ereignisse zu umschreiben) die familiäre Abstammung von Mitgliedern einer Religionsgemeinschaft wie der jüdischen zu einer Schubladierung führte -- sogar für den Fall, daß man diese Religion weder ausübt noch glaubt!
Als Christ z.B. deutscher Staatsangehörigkeit kann man aus der Kirche austreten und sagen, man sei Deutscher, aber kein Christ. Sogar als Moslem geht das (außer in etlichen muslimischen Ländern). Aber als Jude kann man das nicht. Die Bezeichnung hat sich losgelöst von der Religionszugehörigkeit -- und das hat m.A.n. etwas von einem Stigma (im positiven ebenso wie im negativen).
Aber mit "umstritten" hat das nichts zu tun.
Hallo Ines,
Sicher hängen die beiden Fragen (allein schon über das Thema "Marginalisierung") zusammen. Aber die erste halte ich vor allem für eine Rezeptionsproblematik, die zweite für eine der Produktion.
Dass man in Klischees über bestimmte Eigenschaften schreibt, ist mit Sicherheit kaum vermeidbar (ob das den Reiz eines Textes ausmacht, Tom
, finde ich auch eher fraglich). Aber es ist schon möglich, sich da ein wenig zu reflektieren (und dadurch wird man ja auch nicht zum "alleswissenden Neutrum", was weder wirklich möglich noch erstrebenswert ist).
Ob hingegen deine Texte so wahrgenommen werden, dass sie ständig nur auf eine zB ethnische Zugehörigkeit hin gelesen werden, darauf hast du erstmal keinen Einfluss - es sei denn als Leserin anderer Texte. Was konnte Emine Özdamar schon tun, als nach dem Bachmann-Preis 1991 eine Flut von Feuilletonartikeln die "typisch orientalische Lust am Fabulieren wie in 1001 Nacht" in ihren Texten entdeckten?
Noch was: Der "Trichterblick" ist letztendlich unvermeidlich, da wir Menschen und damit endlich, sterblich, fehlbar sind. Wir haben nun einmal keine "göttliche Intuition".
Aber man kann an diesem "Trichterblick" arbeiten, man kann lernen, man kann den Horizont erweitern, wie ich es vorhin nannte: achtsam sein -- auch und gerade unbewußt!
Wer sich dem Lernen verweigert, wer sich auf den "Trichterblick" zurückzieht, ist m.A.n. schlichtweg borniert und dumm. Zumal er gar nicht bemerkt, wie sich der Fokus des Trichters im Laufe seines Lebens verschiebt.
Doch er ist nicht nur dumm: Er ist manipulierbar, lenkbar, er wird ein Bär mit Nasenring, der sich letztendlich auch auf andere hetzen läßt. D.h. er wird auch gefährlich!
Das "er" gilt übrigens für beide Geschlechter. Frauen sind keineswegs von Natur aus "bessere" Menschen.