Grunde genommen eine gute, wenn auch nicht gerade neue Idee. Ein auf Mallorca angesiedelter Regional-Krimi mit einer Art kulinarischer Rundreise und Restaurant-Empfehlungen auf der von Deutschen adoptierten Insel. Für mich inzwischen sowas wie das Costa Rica Alemaniens. Und wer sich auch nur rudimentär mal mit der Insel beschäftigt hat weiß, dass sie nicht nur aus Ballermann besteht, sondern wunderbare Ecken besitzt, die zu erkunden sich allemal lohnt. Ebenso wie es ein Genuss ist, die Insel kulinarisch zu erforschen. Hier hat Brigitte Lamberts eingehakt.
Mit ihrem Gastro-Kritiker Sven Ruge schuf die Autorin einen Charakter, der schon zum dritten Mal statt für seinen deutschen Auftraggeber zu kritisieren lieber auf der Insel kriminalisiert.
Dieses Mal ist es die spanische Geschichte unter General Franco und deren Umgang mit deutschen Juden, die sich nach Spanien und im Buch insbesondere nach Mallorca geflüchtet hatten, in der Hoffnung dem Holocaust zu entgehen. Nach dem mit Hitlers Unterstützung gewonnenen Bürgerkrieg wies Spanien viele deutsche Juden aus. Denjenigen, denen es nicht gelang zu fliehen oder sich frei zu kaufen, wurden von den Deutschen, aber vermutlich auch Spaniern, in den Konzentrationslagern umgebracht. Immerhin hatte Franco mehrere 10.000 Spanier als Dank für Hitlers Hilfe nach Deutschland »ausgeliehen«, die auch in den KZ eingesetzt wurden.
Spanien fängt erst jetzt an, dieses dunkle Kapitel der eigenen Geschichte aufzuarbeiten. Immerhin ist Mallorca eine Insel, für die schon für das 5. Jahrhundert nach Christus zahlreiche jüdische Bewohner belegt sind.
Dabei zog die Autorin auch die jüngste Berichterstattung in der deutschsprachigen Mallorca-Zeitung zur Recherche für die antisemitische Vergangenheit Mallorca-Spaniens heran (https://www.mallorcazeitung.es/lokales/2019/03/29/franco-regime-lieferte-juden-freiwillig/67074.html). Die Kooperation Francos und Hitlers bei der Verfolgung deutscher Juden bildet den historischen Hintergrund für Lamberts Krimi, bei dem es um ein (imaginäres) Selbstbildnis Max Beckmanns geht.
Mit dem will sich 1940 ein jüdisches Ehepaar vom NSDAP-Statthalter auf der Insel Visa für die Ausreise in die Freiheit erkaufen. Der hintergeht das Paar, nimmt das Gemälde, aber liefert die Visa nicht. Und daher begeht das Paar Selbstmord, um der Abschiebung und der Ermordung im KZ zu entgehen. Jahrzehnte später will die Enkelin dem Schicksal ihrer Großeltern nachspüren.
In der literarischen Gegenwart wird das Beckmann-Bildnis in einem Madrider Auktionshaus versteigert, und hier steigert sich Lamberts in eine Erzählweise, die sie letztlich nicht mehr in den Griff bekommt.
Auf drei Ebenen spielt die Geschichte: Die aktuelle, im Präsens geschriebene Zeitebene mit Sven Ruge, der sich Knall auf Fall in eine attraktive blonde Urlauberin verliebt und erst spät merkt, dass mit ihr etwas nicht stimmt. Dann ist da die historische im Plusquamperfekt erzählte Ebene, die sich am verschlungenen Pfad orientiert, den das Gemälde von 1940 an über Südamerika nimmt bis es schließlich in der erzählerischen Gegenwart wieder auf Mallorca ankommt, und letztlich noch die Ebene eines nicht näher beschriebenen chinesischen Kunstliebhabers, der seinen Büttel darauf ansetzt, für ihn das Bild zu besorgen. Koste es, was es wolle. Notfalls auch Menschenleben.
Und grade diese Parallel-Ebene zu den Ereignissen um Sven Ruge zerfleddert irgendwann, löst sich auf, wird nur noch rudimentär weiter verfolgt. Fast so, als sei Lamberts die Luft ausgegangen. Wie Lamberts ohnehin das Problem hat zu beschreiben. Da ist zum Beispiel bei der Auktion in Madrid ein Bieter »ein älterer, distinguierter Herr mit südländischem Aussehen«.
Ich wette, dass es davon in Spanien und besonders Madrid Dutzende gibt. Eine Schwäche der Autorin ist, dass sie es nicht schafft, den Leser bei der Hand zu nehmen und in ein Land zu entführen, wo nach Meinung vieler Deutscher Rotwein und Sangria fließen und Tapas wie gebratene Tauben ins Maul fliegen. Die Insel und ihre Bewohner blieben für mich immer unklar, wenig greifbar, unscharf wie hinter einem halb durchsichtigen Schleier.
Was die Speisen anlangt, die im Buch serviert werden, ist der Gastro-Kritiker Ruge wenig einfallsreich. Und Brigitte Lamberts oft zuwenig selbstkritisch gegenüber ihrer eigenen Darstellung. Oder wie soll man diesen Absatz lesen: »Die Seezunge ist so groß, dass sie über den Teller hinausragt, goldbraun gebraten und garniert mit Zitronenschnitzen. Dazu gibt es in einer Schale gekochte Kartoffeln.«
Das ist so nüchtern daher erzählt wie in Deutschland ein Schnitzel Wiener Art mit Pommes und Zitronenschnitz serviert wird. Der Leser erfährt nicht, wie die Seezunge schmeckt, wie sie zubereitet wurde, welche Tricks und Kniffe in der mallorquinischen Küche angewendet werden. Da müsste einem Gastro-Kritiker ein bunter Blumenstrauß an Variationen einfallen. Aber nicht so Sven Ruge. Er hat noch nicht mal was an den Zitronenschnitzen auszusetzen. Überhaupt sind die Adjektive der Begeisterung auf Lamberts Mallorca rar und beschränken sich hauptsächlich auf »sagenhaft«, »wahnsinn« und »köstlich«.
Was die in einer Schale gekochten Kartoffeln anlangt, fragte ich mich, was die Autorin meint. Wurden die Kartoffeln tatsächlich in einer Schale gekocht? Das schloss ich für mich schon mal aus. Wurden sie in der Schale (auf gut deutsch also als Pellkartoffeln) gekocht, wie das in der spanischen Küche oft der Fall ist? Oder wurden sie in einer Schale serviert?
Nur eine von mehreren schrägen Formulierungen, die mich dann doch aus dem Lesefluss schossen. Am Ende, als es an die Lösung des Falls geht und eine Festnahme erfolgt, heißt es: »Ihre Hände liegen im Schoß, umschlossen von Handschellen.« Wie schnell wäre da jeder Delinquent wieder frei. Ich weiß ziemlich sicher von der Polizei in Deutschland, dass die die Handschellen ums Handgelenk schließt. Warum sollte es die spanische Policia anders machen?
Man mag das jetzt als Erbsenzählerei abtun, und ich möchte meiner Vereinsfreundin vom »Syndikat« und dem BvjA nicht zu nahe treten, aber bei mir als bekennenden Sprachfetischisten (und ich spreche hier tatsächlich nur für mich) verursachen solche halbherzigen Formulierungen immer Schübe von Unzufriedenheit. Und so konnte mich sowohl der oft etwas hölzerne wirkende Schreibstil, der durchsetzt ist mit einigen unlogischen Passagen – zum Beispiel wird dem Helden Sven Ruge zwar ein Foto per eMail gesendet, im nächsten Moment aber ein Dokument per Fax – als auch sprachliche Mängel – wie die häufig angeführte »Glasvitrine« (eine Vitrine ist nach Duden-Definition ein Glasschrank) – nicht gänzlich überzeugen. Immer wieder rettet sich die Autorin in Phrasen und Klischees, was aber letztlich nichts daran ändert, dass der Roman eine durchaus anregende Strandlektüre ist, mit der als Reiseführer auf dem Beifahrersitz seines Leihwagens auch eine amüsante Inselrundfahrt organisiert werden kann.
ASIN/ISBN: B086BP928S |
Lamberts, Brigitte
El Gustario de Mallorca und das tödliche Gemälde
ISBN TB: 978-3-95813-221-4
ISBN Ebook: 978-3-95813-222-1
erschienen in der edition Oberkassel als Taschenbuch und eBook, 292 S.
Preis:
12,00 Euro (Buch)
1,99 Euro (eBook)