Schreibwettbewerb September 2005 - Thema: "Schokolade"

  • Thema September 2005:


    "Schokolade"



    Vom 01. bis 20. September 2005 könnt Ihr uns Eure Beiträge für den Schreibwettbewerb September 2005 zu o.g. Thema per Email an webmistress@buechereule.de oder über das Kontakt-Formular (s.o. im Forum) zukommen lassen. Euer Beitrag wird von uns dann anonym eingestellt.


    Den Ablauf und die Regeln könnt Ihr hier noch einmal nachlesen.



    Bitte achtet darauf, nicht mehr als 500 Wörter zu verwenden. Jeder Beitrag mit mehr als 500 Wörter wird nicht zum Wettbewerb zugelassen!



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    Wir wünschen Euch viel Spaß und viel Erfolg!

  • von Tom



    Soweit sie das im Dämmerlicht erkennen kann, ist es ein recht hübsches Haus: weiß gestrichen, mit einem gepflegten Vorgarten, zwei Autos vor der Doppelgarage. Einen Moment lang träumt sie davon, in einem solchen Haus zu wohnen.
    „Setz deinen verdammten Arsch in Bewegung!“ zischt Miguel von hinten.
    Maria nimmt den Kiesweg, sie geht auf den Fußspitzen, um mit den hochhackigen Schuhen nicht zu stolpern. Im Glas der Haustür kann sie ihr verschwommenes Bild betrachten, die schlanke, schwarzhaarige Gestalt im seidigen schwarzen Kleidchen; sie wendet den Blick ab. Noch bevor ihr Finger den Klingelknopf betätigt, öffnet sich die Tür, eine Hand umfaßt ihr Handgelenk, sie wird hineingezogen.


    Der Mann ist fünfzig, schätzt sie, aber sie betrachtet sein Gesicht nur kurz, wie sie das immer tut. Maria lächelt. Miguel hat ihr beigebracht, sogar zu lächeln, während sie geschlagen wird.
    Die kräftige Hand hält ihr Handgelenk immer noch, die andere fährt unter das knielange Kleid, schiebt sich in ihren Schritt. Sie zuckt nicht, lächelt weiter.


    „Bist ja eine besonders hübsche“, sagt der Mann. Seine Stimme ist tief und gefärbt durch seine Erregung. Maria wirft einen vorsichtigen Blick in den Salon zur rechten. Auf dem Kaminsims stehen Familienfotos. Der Mann streicht über ihre Brust. Ein rauher Daumen versucht, unter dem dünnen Stoff des Kleides ihre Brustwarze aufzuspüren. Maria lächelt. Er zieht sie in Richtung einer Treppe, die in den ersten Stock führt. Maria geht hinter ihm, betrachtet seinen kräftigen Rücken, die vielen Haare, die aus dem Kragen seines Hemdes drängen, zwingt sich, nichts zu spüren und zu denken - nur daran, was Miguel macht, wenn die Kunden nicht zufrieden sind. Und manchmal auch einfach so.


    „Du machst alles, hat Miguel gesagt.“ Er öffnet eine Tür, die in einen Raum führt, der von einem großen Bett beherrscht wird. Um das Bett herum ist Folie ausgelegt, auf der Matratze liegt eine Gummimatte. „Wir werden großen Spaß haben“, sagt der Mann, macht Glucker- und Schmatzgeräusche. Maria lächelt.


    Eine Stunde später, unter der Dusche, erbricht Maria so leise wie möglich, minutenlang. Sie spült ihren Mund mit heißem Wasser, trinkt dann literweise kaltes. Sie zittert stark, bei jeder Wassertemperatur.
    „Beeil dich, Schlampe“, ruft der Mann von unten. Maria trocknet sich hastig ab, schlüpft in das Kleid und geht mit wackligen Beinen die Treppe hinab. Er grinst, das kann sie nicht übersehen, und greift ihr zum Abschied von hinten zwischen die Beine. Sie nimmt den Umschlag aus seiner Hand, muß sich konzentrieren, um ihn nicht fallen zu lassen. Endlich klappt die Tür hinter ihr zu, sie stolpert auf den Wagen zu, schafft es beinahe nicht, in den Fond zu klettern.


    „Gib her, Fötzchen“, sagt Miguel, und sie reicht ihm den Umschlag. Sie will weinen. Weinen hilft nicht, aber sie kann dem Drang nicht widerstehen. Außerdem darf sie, schließlich wird sie erst im kommenden Jahr erwachsen, wenn sie ihren vierzehnten Geburtstag feiert.

  • von DocHollywood



    „Was soll ich nur tun? Weh mir, mein geliebter Henry. Warum hast Du mich nur verlassen?“, klagte Rebecca über das frisch zugeschaufelte Grab ihres Ehemannes gebeugt. Ein aufkommender Wind zerzauste ihr langes braunes Haar und trocknete ihre Tränen so rasch, wie sie ihr über das Gesicht rannen. Nachdem der Priester die letzten Worte gesprochen hatte, war nur eine alte Frau aus dem Dorf bei ihr auf dem Friedhof geblieben, die ihr nun sanft einen Arm um die Schultern legte.
    „Komm mein Kind, Dir ist heute genug Schlimmes widerfahren. Sag’ Deinem Mann Lebwohl.“ Dann zog sie Rebecca auf die Füße und nahm sie mit sich. Als sie gerade den Friedhof verlassen hatten, setzte der Regen ein und ein paar Reiter lenkten ihre Pferde um die verwitterten Steine der kleinen Kirche herum.


    „Rebecca, Frau des verstorbenen Henry Sourbon“, stellte einer der Reiter fest, als er sein schnaubendes Pferd unmittelbar vor den zwei Frauen zum Stehen brachte.
    Sie löste sich aus der Umarmung der Alten und trat dem Reiter entgegen. „Das bin ich. Was wollt Ihr von mir?“, wollte Rebecca wissen und strich sich dabei ein paar vom Wind verwehte Strähnen aus dem Gesicht.
    „Baron Le Clerque wünscht die Dienste des Chocolatiers Sourbon auch weiterhin in Anspruch nehmen zu können und bittet Euch das Geschäft Eures Mannes weiterzuführen“, erklärte der Reiter mit lauter Stimme. Er sah auf die junge Frau hinab und wartete auf eine Antwort.
    Rebecca war unschlüssig. Zu oft hatte der verruchte Baron schon versucht ihr mehr oder weniger eindeutige Avancen zu machen. Ihre Gedanken rasten umher und drehten sich im Kreis. Nach dem plötzlichen Tod ihres geliebten Mannes war sie auf einmal auf sich allein gestellt.
    Langsam nickte sie dem Reiter zu. „Bestellt dem Baron, daß ich die Arbeit meines Mannes fortsetzen werde und dankt ihm für seine Anteilnahme“, entgegnete sie dem Reiter, den die ungewöhnliche Schärfe in ihrer Stimme stutzen ließ. Auf sein Handzeichen hin, gab die Truppe ihren Pferden die Sporen und galoppierte Dreck aufspritzend davon.


    Sie hatte Henry viele Jahre lang zur Seite gestanden und seine Rezepturen studiert und mit selbst angepflanzten Kräutern aus ihrem kleinen Garten bereichert. Doch nun musste sie sich zum ersten Mal selbst ans Werk machen und jene Schokolade herstellen, für die ihr verstorbener Mann weit über die Grenzen der Provinz hinaus bekannt geworden war. Mit jedem Tag, den sie in der süßlich riechenden Arbeitsstube verbrachte, deren Geruch sie so sehr an Henry geliebt hatte, wuchs ihr Wissen und ein Plan reifte in ihr heran. Ein Plan, der sie endgültig von den Nachstellungen Le Clerques befreien und den Tod ihres Mannes rächen würde. Ja, Rache war es, die ihr neue Kraft gab, als ihr Verdacht durch eine unbedachte Äußerung des Barons zu schrecklicher Gewissheit wurde und sie fast verzweifeln ließ.
    Bald würde sie die beste Schokolade ausliefern, die den Namen Sourbon je getragen hatte. „Ein süßer Tod erwartet Dich, Baron“, flüsterte sie, als sie die Zutaten in die große Schüssel gab und mit eifrigen Händen vermengte.

  • von Eskalina



    Missmutig nagte sie an einer Kirsche und beobachtete von ihrem Versteck aus die große Wiese, die nun fast verlassen vor ihr lag. Langsam wurde es Abend und all die Studenten, Mütter mit ihren Kindern und die alten Leute, die sich hier jeden Tag niederließen um die Sonne und das Stückchen Natur mitten in der Stadt auf dem alten Friedhof zu genießen, packten ihre Decken, Bücher und Kinder zusammen und machten sich auf den Heimweg. Bald wäre sie wieder allein und könnte ihre Tarnung aufgeben. „Tag für Tag dasselbe“ dachte sie und spürte den Zorn in sich aufsteigen. Wenn sie nur an die angeekelten Blicke dachte, mit denen man sie bedachte, wenn man sie bemerkte. Wut, Ohnmacht und Schmerz überschwemmten sie und sie wünschte, sie wäre nicht so weiß, so fett und hässlich. Manchmal schien es ihr, sie wäre nur geboren um zu fressen. Jeden Tag fressen. Keine Wunder, dass sie so fett war, aber es war ein Drang, dem sie nachgeben musste. Eine innere Stimme trieb sie dazu an – immer und immer wieder – mehr und immer mehr, und längst hatte sie alle Hoffnung aufgegeben, einen freundlichen Blick oder Zustimmung zu bekommen und ergab sich träge und doch zornig ihr Schicksal.


    In der letzten Zeit hatte sie oft diesen Platz im Schatten der alten Eiche genutzt und die Menschen von hier aus beobachtet. Der Wind wurde ein wenig kühler und nun erhoben sich auch die letzten Besucher, um diesen Ort zu verlassen. Überall auf der Wiese hatten sie ihren Müll hinterlassen und erst morgen früh würde jemand kommen und ihn wegräumen, bevor sich die ersten Besucher wieder einfänden. Sie wusste, sie würde nicht widerstehen können und sich auf alle noch essbaren Reste stürzen sowie sie unbeobachtet wäre, und sie hasste sich dafür.


    Gleich wäre sie allein und sie wollte schon auf die Wiese zusteuern, als sie ein leises Rascheln neben sich bemerkte. Erschrocken fuhr sie herum und da war er– genauso fett und hässlich wie sie, genauso, wie sie ihn sich in ihren einsamen hungrigen Träumen vorgestellt hatte. Er war da, ganz nah und er versprach ihr das Paradies. Es wäre ein weiter Weg, aber es wäre ihr gemeinsamer Weg und das Ziel wäre so wunderbar, das sie den Friedhof und die verletzenden Blicke vergessen würde. Es war ihr egal, was er ihr versprach, wenn er nur bei ihr war. Dankbar und glücklich, dass es jemanden gab, der genauso dachte und genauso fühlte und ebenso verfressen war wie sie, folgte sie ihm.


    Er hatte nicht zu viel versprochen, es war wirklich das Paradies – genauso, wie sie es sich immer vorgestellt hatte. Sie fraßen gemeinsam, und es war köstlich, der Geschmack, der Duft und das Gefühl, nicht mehr allein zu sein. Sie fraßen, bis sie nicht mehr konnten und schliefen dann berauscht und eng zusammen nebeneinander ein.


    Eine aufgebrachte Stimme weckte sie:“ Sie wollen der beste Chocolatier der Stadt sein? Schauen Sie, was ich in ihrer Schokolade gefunden habe – Zwei fette weiße Maden!“


    Und ein lautes Klatschen beendete ihr Glück.

  • von Charlotte



    Sie hatte alles gut vorbereitet. Die Wohnung war aufgeräumt. Ihr Mann befand sich auf Geschäftsreise. Ihr Lieblingskleid hing über dem Stuhl. Nach einem ausgiebigen Schaumbad und zwei Gläsern Sekt, um sich Mut anzutrinken, hatte sie sich mit einer duftenden Körperlotion eingerieben. Nun lag sie völlig entspannt auf dem Bett und wartete auf ihn. Sie glaubte fest daran, wenn sie vorher an etwas Schönes denken würde, hätte sie bei seinem Eintreffen ein Lächeln auf den Lippen. Sie schloß die Augen und dachte an......Schokolade.
    Verdammt! Warum ausgerechnet Schokolade? Widerwillig stieg sie aus dem Bett und ging in die Küche. Im obersten Schrank hatte sie immer einen Vorrat für Gäste. Sechs Tafeln lagen dort. Wann hatte sie das letzte mal Schokolade gegessen? Es mußte zehn Jahre her sein. Als sie sich noch nicht von diesem Diät-Wahn tyrannisieren lassen hatte. Sie nahm die Tafeln und ging zurück ins Schlafzimmer. Ihre Hände zitterten, als sie freudig erregt die Schokolade aus dem Papier wickelte und ein kleines Stück abbrach. Genüßlich ließ sie es auf der Zunge zergehen. Phantastisch! Sie schob ein zweites Stück hinterher. Köstlich! Wie hatte sie nur all die Jahre darauf verzichten können?
    Um den Geschmack in ihrem Mund zu neutralisieren, trank sie einen Schluck Sekt. Dann brach sie erneut eine Ecke von der Tafel ab. Sie schloß die Augen. Die Schokolade schmolz langsam unter ihrem Gaumen. Noch nie hatte sie den Geschmack so intensiv empfunden wie jetzt.
    Sie steckte sich ein weiteres Stück in den Mund. Genuß ohne Reue! Dieses Mal würde ihre Figur nicht darunter leiden. Ein herrlicher Gedanke. Als sie fertig war, zerknüllte sie das Papier und ließ es neben sich zu Boden fallen. Dann griff sie nach der Sektflasche und schenkte sich noch ein Glas ein.
    Langsam wurde sie müde. Nicht einschlafen! Noch nicht! Sie öffnete die Augen und ein Blick auf die Uhr gab ihr die Gewissheit, daß sie nicht mehr viel Zeit hatte.
    Ungeduldig riß sie die zweite Tafel auf. Dieser süße Kakaogeschmack war überwältigend. Zwischendurch reinigte sie sich den Mund mit einem Schluck Sekt. Sie aß immer gieriger, geriet in einen Freßwahn und stopfte die Schokolade unkontrolliert in sich hinein. Als sie die letzte Tafel öffnen wollte, wurde ihr plötzlich übel. Sie spürte kalten Schweiß auf der Stirn. Mit letzter Kraft erhob sie sich vom Bett und versuchte das Badezimmer zu erreichen. Auf halbem Weg erbrach sie sich. Zitternd und schweißgebadet sank sie auf die Knie. Verschwommen nahm sie die schaumigbraune Maße auf dem hellen Boden wahr. Noch einmal zog sich ihr Magen zusammen. Diesmal kam ein Schwall von milchigweißer Flüssigkeit. Würgend kniete sie auf der Erde bis sich ihr Magen völlig entleert hatte. Danach kam sie langsam zur Ruhe. Erschöpft legte sie sich auf den kalten Boden und weinte.
    Morgen würde sie sich neue Schlaftabletten besorgen müßen.

  • von Juli



    Endlich hatte ich wieder etwas Geld von meinen Eltern bekommen. Ich wollte sofort in die Stadt fahren um es auszugeben, doch zuerst musste ich mein Zimmer aufräumen. Ich wurde total hibbelig, als ich unter dem Bett eine Menge blaues Milka- Papier fand. Ich wusste gar nicht, dass ich letzte Nacht so viel davon gegessen hatte und schmiss es in den Papierkorb. Endlich konnte ich in die Stadt fahren und fuhr mit dem Bus. Vor mir saß ein kleiner Junge, biss immer wieder von seinem Snickers ab. Oh, wie gern hätte ich jetzt eins. Ich starrte dieses Snickers an und sah, wie immer mehr im Mund des Jungens verschwand. Ich wünschte, es wär mein eigener.
    Endlich kam ich an der Haltestelle an und stieg aus. Langsam wie immer um nicht aufzufallen. Doch als ich den Supermarkt erblickte, konnte ich mich nicht beherrschen und stürmte sofort hinein. Ich nahm meine Einkaufstasche und lief schnurstracks in die Süßigkeitenabteilung, packte Milkaschokolade hinein und Snickers. Meine Lieblingsschokolade. Dann zahlte ich und ging voll bepackt zum nächsten Laden. Dort gab ich den Rest meines Geldes aus. Für noch mehr Snickers und Milkaschokolade. Sonst fuhr ich immer gleich heim, doch heute ließ ich mich mit meiner vollen Einkaufstasche auf einer Bank vor dem Springbrunnen nieder, denn ich konnte es nicht erwarten.
    Ich riss ein Snickers auf und stopfte es in mich hinein. Hm, lecker!
    Zuerst genoss ich noch, dieses Gefühl von schmelzender Schokolade im Mund doch dann wurde ich immer hektischer und schlang sie in mich hinein.
    Ich merkte nicht, wie ich mich die Passanten anstarrten. Das viele Schokoladenpapier lag nun zerstreut auf dem Boden unter mir und mein Mund war mit Schokolade beschmiert.
    Ich war wie in Trance, konnte mich gar nicht genug beeilen, die nächste Schokolade auszupacken. Ein paar Kinder blieben stehen, lachten und zeigten mit dem Finger auf mich, doch das war mir egal....


    Ich hatte meine Schokolade und für Schokolade würde ich sterben!

  • von Little Fairy



    Ich habe genau fünf, und ich werde nur noch diese fünf essen, und zwar ausschließlich im Falle eines Rückfalls. Mit wachsendem Vergnügen stelle ich fest, dass ich genaugenommen sogar fünfundzwanzig habe. Die Zahl klingt wie Musik in meinen Ohren. Fünf kleine Riegel, die aus je fünf klitzekleinen Stücken bestehen. Das ist alles, und ich habe mir feierlich geschworen, nicht mehr meiner Sucht zu frönen, sondern mich eisern an Chips zu halten. Die fünf Riegel aus allerbester Kinderschokolade in meiner Hand sind nur… sagen wir… Zufall. Ich weiß gar nicht, wie sie eigentlich hierher gekommen sind. Da kriecht dieses wohlbekannte, angenehme Gefühl wieder in mir hoch, krallt sich fest und ich weiß, was es bedeutet. Der arme Schokoriegel dort in meiner Hand weiß es noch nicht, aber sobald ich meine Zähne in ihn schlage – stopp! Halt! Was tue ich da? Ich habe mir gerade vorgenommen, kein einziges Gramm mehr von dieser Schokolade mit meinem verwöhnten Gaumen in Berührung zu bringen, doch da ist schon ein Stück, nein, da sind gleich zwei Stücke in meinem nimmersatten Mund verschwunden. Genießerisch lasse ich sie auf der Zunge zerschmelzen, ja, ich kenne die geheime Kunst des Schokoladenessens, die nur wenigen Erdenbewohnern vergönnt ist, zu kennen. Als ich aus einer Art Schokoladentrance erwache, blickt mein Auge bestürzt auf den verstümmelten Schokoriegel. Leider ist es nur zu wahr: mir bleiben nun noch dreiundzwanzig Stücke. Aber wie kann ich diesen armen Schokoinvaliden jetzt hier leiden lassen? Seine Wunde muss ihn doch schreien lassen vor Schmerz und Verzweiflung? Aus lauter Mitleid nehme ich ihn, schon folgen drei Stückchen auf einmal ohne großen Widerstand ihren Artgenossen, die sich jetzt auf der Reise durch meine Speiseröhre befinden.


    Mir wird bewusst, was ich getan habe, liebevoll streiche ich das Schokoladenpapier glatt und – man glaubt es kaum – eine Träne fällt darauf! Ich brutales Geschöpf der Schokoladenbegierde! Was fällt mir ein, die letzten Reste der Schokolade auch noch auszurotten?


    Tja, sagt da eine Stimme in mir und meine Schuldgefühle sind gleich wie weggeblasen. Tja ist eine wunderbare Entschuldigung für allen Schokoladenmord, finde ich. In meiner Hand befinden sich noch vier Kinderschokoladenriegel und behutsam lege ich sie auf dem Tisch nieder. Dann nehme ich das verwaiste Schokoladenpapier und überlege mir: eigentlich wäre es eine gute Idee, das Papier als Andenken und Mahnung einzurahmen und aufzuhängen. Ich sehe mich in meinem Zimmer um, aber ich fürchte, es gibt keinen freien Rahmen mehr. Von allen Seiten schauen mir leblose, feierlich eingerahmte Silberpapiere entgegen. Das war wirklich schon der fünfundzwanzigste Versuch, aus dem Suchtlabyrinth zu entkommen? Mir wird schwindlig, ich muss diesen Schock erst einmal überwinden. Und ich weiß auch schon, was ich dafür tun kann! Wie auch immer dieser Schokoladenriegel in meine Hand gekommen ist.

  • von BabyJane



    Zusammengekauert saß sie auf dem Sofa, die Wohnung leer, das Herz am bluten, Tränen in den Augen. Er hat dich verlassen, weil du fett bist. Fett bist, fett bist. Immer wieder wiederholte sie diesen Satz. WEIL DU FETT BIST. Schluchzen, ihre Schultern bebten, ihr gewaltiger Busen hob und senkte sich. Die Tränen tropften auf ihr T-Shirt, Größe XXL. Sie wischte sich mit dem Handrücken durchs Gesicht, verschmierte die Wimperntusche noch mehr. Ächzend erhob sie sich, schlurfte durchs Wohnzimmer, in den Flur, stellte sich vor den Spiegel. FETT. Sie kniff sich in den Bauch und die Oberschenkel und weinte noch mehr.


    Langsam drehte sie sich um, ging zum Kühlschrank. Sah den Aufkleber, den er über ihre „Finger Weg, du wirst fett!“-Zettel geklebt hatte. „Iß soviel du magst. Ich liebe dich!“ Pah, das Schwein, iß soviel du magst, FETTFETTFETTFETTFETTFETTFETT.


    Trotzdem öffnete sie den Kühlschrank. Sah die 20 Tafeln Schokolade, griff sich zwei. Eine mit Vollnuß, eine Marzipan. Schon im Flur hatte sie die Hälfte der Vollnußtafel in den Mund gestopft, schmatzte und schluckte. Die Tränen hörten langsam auf. Sie atmete ruhiger. Ließ sich auf das Sofa fallen und da war die erste Tafel auch schon weg.


    Sie legte sich hin und schob ihren fetten Bauch hin und her. NUR WEIL DU FETT BIST, HAT ER DICH VERLASSEN. Wieder dieser Gedanke, schnell machte sie sich an die nächste Tafel Schokolade. Essend dachte sie über die letzten Wochen nach.


    Ständig hatten sie und er sich gestritten. Immer gings um ihre Diäten und ihren „Eßwahn“, wie er es nannte. Aber er ist ein Mann, er hat von sowas keine Ahnung. Sie biß noch ein Stück Schokolade ab. Stundenlang hatte sie versucht ihm zu erklären, warum es ihr so wichtig war abzunehmen und nicht immer der Fette Wal zu sein. Er hatte es nicht verstanden. Später hatte er sie ausgelacht. Und dann war er mit diesem Therapievorschlag gekommen. THERAPIE!! Einen ordentlichen Diätplan brauchte sie, aber doch keine Therapie.Wütend schüttelte sie bei dem Gedanken den Kopf. Als sie ablehnte sagte er, daß er gehen würde, daß er sie nicht mehr ertrage, daß er alles getan habe, aber daß er das einfach nicht könnte. Wieder einer, der ging, weil sie zu FETTFETTFETTFETTFETT war. Auch egal. Sie konnte auch so glücklich sein, ohne Männer und vielleicht fand sie ja irgendeinen, der genauso fett war wie sie. Sie wollte die Augen schließen, als ihr Blick auf die Schokoladenpapierchen fiel. OhGott, was hatte sie getan? Sie rannte zum Klo, blieb mit ihrem fetten Leib fast in der Türe stecken, stolperte weiter, ließ sich vor die Schüssel fallen. Würgte. Irgendwie wollte die Schokolade nicht raus, das war ihr schon ein paar Mal passiert. Sie griff zur Zahnbürste, stach mit Wucht in ihren Rachen, kitzelte das Zäpfchen, bis der Brechreiz kam. Als sie leer und ausgepumpt vor der Toilette lag, kamen dir Tränen wieder, diesmal nicht vor Trauer sondern aus Erleichterung. Das war ja gerade noch mal gut gegangen. Schnell stellte sie sich auf die Wage: 34 kg. FETTFETTFETTFETTFETT.

  • von Sinela



    Schokolade – was für ein appetitliches Thema für einen Schreibwettbewerb. Und das mir als alte Naschkatze. Ich bin am überlegen, ob ich wirklich zwei Kilo zunehmen möchte, nur weil ich über diese leckere Sache schreibe. Aber wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Welche Idee brütet mein Hirn zu diesem Begriff außer der Gewichtszunahme noch aus? Als allererstes fallen mir natürlich die vielen unterschiedlichen Sorten ein: Vollmilch, Noisette, Trauben-Nuss, Joghurt, Erdbeere, Marzipan – oh man, mich zwickt es schon im Magen. Vielleicht wäre ein kleines Stück ......


    Nein, nicht ablenken lassen, weiter nachgedacht. Soll ich über diese unglaubliche Vielfalt und deren Entstehung schreiben? Wäre wohl nicht so das Richtige, zu langweilig, schließlich will der Leser unterhalten werden. Ha, das ist es: Ich schreibe über „Hot Chocolate“, der Musikgruppe mit den vielen Hits aus den 70iger Jahren. Aber kennt die heute überhaupt noch einer? Ich behalte den Gedanken mal im Hinterkopf und grüble weiter. Wie wäre es mit einer Liebesgeschichte, die in einer Eisdiele spielt? Man lernt sich näher kennen, weil man die gleiche kalte Köstlichkeit bevorzugt: Schokoladen-Eis. Ne, ich hasse Beziehungskisten, also abhaken. Kakao – Schokolade in flüssiger anstatt in erstarrter Form. Man, was für ein genialer Einfall. Das müsste eine Geschichte über ein Kind werden. Armes Waisenmädchen findet nach langem Leidensweg eine neue Familie und bekommt dort jeden Morgen eine große Tasse Kakao, woran sich die erwachsene Frau immer noch mit Wehmut erinnert. Ne, irgendwie zu kitschig. Mhh, wie wäre es mit etwas, das nicht mit dem Essen zu tun hat? Etwa eine Geschichte über den treuen braunen Hund mit Namen Nougat, der bei seinem schwerkranken Herrn wacht? Oder das schokoladenfarbene Wildpferd, hinter dem sowohl Indianer als auch Cowboys her sind, das aber keiner fangen kann? Ja, das wäre schon eher etwas nach meinem Geschmack. „Ein großer Hengst steht am Rand der Pferdeherde, die auf der Mesa grast. Sein Fell schimmert im Sonnenlicht wie Vollmilch-Schokolade...“


    Oh nein, nicht schon wieder dieses Wort, mir läuft das Wasser im Mund zusammen. Was für eine Tortur, dieser Schreibwettbewerb fordert mir wirklich alles ab. Hätte Polli nicht ein anderes Thema wählen können? Wie wäre es mit Fischen oder Pilzen gewesen? Obwohl, da wäre mir wahrscheinlich nur schlecht geworden beim schreiben, weil ich beides nun so gar nicht mag. Was mache ich nur, irgendwie komme ich nicht voran, drehe mich ständig im Kreis. Ich könnte den Hengst ja „Hot Chocolate“ nennen. Schließlich macht so ein Ross ja auch eine Art Musik: Es stampft mit den Hufen und wiehert dazu. Vielleicht kann er ja sogar Gitarre spielen. Ich breche in hysterisches Lachen aus, bekomme kaum noch Luft. Als ich mich nach einigen Minuten wieder beruhigt habe, ist mir eines ganz klar: Nun ist Schluss mit lustig, sonst drehe ich noch völlig durch. Meine Nerven – und mein Magen – machen das nicht mehr mit. Ich werde den PC ausmachen, mich auf das Sofa legen und ein bisschen fernsehen. Und dazu dann – eine Tafel Schokolade essen!

  • von Aster-Lundgren



    Duane hatte Discos noch nie gemocht, hatte sie geradezu gehasst. Das dumpfe Dröhnen, die grellen Lichter, die dicht an dicht gedrängten Menschen. Trotzdem war er hier her gekommen. Er hatte Gerüchte gehört, hatte Bilder gesehen, die ihn völlig verrückt machten.
    Braune, dunkle Schokolade, so einzigartig, so vollendet ... Duane verdrängte diese Gedanken und fixierte den dunkel gekleideten Mann in der Ecke. Duane war sich im Klaren, dass Schokolade zu konsumieren höchst kriminell war. Anfang des dreiundzwanzigsten Jahrhunderts hatte der amerikanische Präsident das Verbot ausgesprochen:


    "Dieses Mittel", hatte er mit geschwellter Brust verkündet "befindet sich mit den bekannten Drogen wie Heroin und Koks auf der Suchtskala an der Spitze. Deshalb wird Schokolade verboten und jedem, der es wagt davon zu kosten, droht eine lebenslange Gefängnisstrafe."


    An jenem denkwürdigen Tag war er fünf Jahre alt gewesen und hatte seitdem nie wieder Schokolade gesehen. Zehn Jahre später war er illegal an das Suchtmittel herangekommen, hatte es heimlich mit Schulkameraden im Pausenhof verzehrt. Es sollte das vorerst letzte Mal gewesen sein.


    Vor gut einem halben Jahr hatte er dann das erste Mal von Michael Pilask gehört, ein deutscher Schokoladendealer, der sich meistens im Amazonas, einer noblen Berliner Disco befand.
    Duane war aus seinem Versorgungszentrum in Australien geflohen und hatte den Übersee-Express nach Berlin genommen.


    "Wie viel?", fragte Pilask und musterte Duane misstrauisch. Es war nicht das erste Mal, dass sich ein Kunde als Strafgardist enttarnte. "Drei Tafeln?!", flüsterte Duane. Es klang fast wie eine Frage. Pilask grinste, seine Hand tastete sich in seine Manteltasche. "Bist wohl einer von den Harten, hm?" Duane zuckte mit den Schultern und versuchte seine Anspannung zu verbergen. "Wie viel kostet es?"
    "Drei Tafeln sind nicht wenig und du wirst genauso gut wissen wie ich, dass man viel zu schwer drankommt."
    Duane nickte ungeduldig und holte seinen Geldbeutel vor. "Wie viel?", fragte er ein zweites Mal und schaute sich nervös um.
    "1.500!", wisperte Pilask, als ob er hoffte, dass Duane die "Tausend" überhörte. Duane verzog jedoch keine Miene und zählte die Scheine ab. Pilask starrte sie an, wie ein Frosch eine Fliege. Kurz darauf spürte Duane die Schokolade an seiner Seite und stürmte aus der Disco.


    Duane blinzelte und schaute geradewegs ins Gesicht eines Strafgardisten. Verdammte Scheiße, dachte er, ich hab mich bis ins Delirium gefressen! Und nun lag er hier, unweit vom Brandenburger Tor entfernt, in einer kleinen Nebenstrasse von Schokoladenpapier umgeben. Es war so einzigartig, so hinreißend gewesen. Doch nach der dritten Tafel hatte er das Schwindelgefühl bemerkt, die Übelkeit. Ihm wurde schwarz vor Augen.
    Der Polizist packte ihn, zerrte ihn in sein Sträflingsmobil und sauste aufs Schwebegleis.
    20 Jahre Haft, hatte Duane einmal gehört. 20 Jahre ... doch es hatte sich gelohnt!
    Er guckte aus dem Fenster und sah einer der Dutzenden Werbeschilder, auf denen mit Leuchtschrift stand:


    Süß und lecker, schwarz und bitter
    Doch, ach, werd bei Schoko bloß nicht schwach!


    Duane schloss die Augen und war zufrieden mit sich.
    Ein letztes Mal spürte er die schmelzende Schokolade auf seiner Zunge.

  • von J.M.Lovecraft



    Der kleine Joshua stand vor dem Schaufenster in der Strasse neben der Strasse in der seine Oma wohnt. Er drückte sich die Nase am Schaufenster platt. Der Laden hatte hier neu aufgemacht. Es gab jede Art von Süssigkeiten die sich ein Kind von 7 Jahren vorstellen konnte. Seine Oma verbot ihm Süsses zu essen. "Davon wird man dick!" sagte sie immer.


    Nun stand er vor dem Laden und wünschte sich nichts sehnlichster als einfach hineinzugehen und sich seinen Magen mit all den Leckereien vollzustopfen, die so kunstvoll in dem kleinen Schaufenster ausgestellt waren.


    Als seine Eltern noch gelebt hatten, hatte er immer an den Feiertagen ein bisschen naschen dürfen, aber seine Oma verstand nicht, das ein Junge in seinem Alter doch einfach ab und an ein wenig Süsses brauchte.


    "Das Leben ist echt schlimm", sagte er leise zu sich selbst, "Die Erwachsenen verstehen es einfach nicht, was Kinder wirklich glücklich macht." Er hätte heulen können. Er musste eigentlich schon längst zu hause sein. Ach mensch, warum konnte er sich bloss nicht einfach in der Laden schleichen und eine Tafel Schokolade einstecken. Aber er hatte zuviel angst dabei erwischt zu werden.


    So trotte er nach Hause zu seiner Oma, ein verdriessliches Gesicht ziehend. Zu hause angekommen, schmiss er seine Jacke einfach in die Ecke und verschwand in seinem Zimmer. "Joshua!! Hörte er seine Oma von draussen rufen. Ich habe eine Überraschung für dich!"


    Langsam ging Joshua in die Stube, wo seine Oma auf dem Sofa sass und ihn anlächelte. "Hast du den Laden mit den Süssigkeiten gesehen, der neu eröffnet wurde? Bestimmt, ich weiss doch wie sehr du Schokolade liebst. Darum habe ich dir eine Tafel gekauft." Joshua konnte sein Glück kaum fassen. Er rannte zur Couch, viel seiner Oma in die Arme, drückte sie und nahm sich dann die Tafel Schokolade. Als er aus der Stube stürmte, um die Tafel in seinem Zimmer zu verputzen, rief die Oma ihm noch hinterher:" Iss nicht alles auf einmal, mein Kleiner, das macht nur dick!!" Aber Joshua hörte sie schon nicht mehr, er war einfach nur glücklich.

  • von Trugbild



    Die Geschichte der Schokolade ist eine Geschichte voller Missverständnisse. Schon der Name ist irreführend, lässt er sich doch auf das aztekische Xocóatl zurückführen – was nichts anderes bedeutet als „bitteres Wasser“. Und befürchten nicht die meisten geographisch versierten Schokoladengeniesser bei jedem Konsum das plötzliche Auftauchen eines kleinen, spiessigen Mannes mit auf den Kopf gebundenem, blinkend rotem Sirenenlicht und der sich ewig wiederholenden Phrase „Wer hat’s erfunden?“
    Nein, die Schweizer waren es nicht. Und als Schweizer fällt mir diese Berichtigung besonders schwer, lässt mich gar unsägliche Qualen und Gewissensbisse durchleiden – denn die Eidgenossenschaft hat sich nie erkennbar bemüht, diesen Irrtum aufzuklären.


    Der Ursprung liegt weit entfernt im Tiefland der Mexikanischen Golfküste. Erst die Spanier haben die Schokolade im 16. Jahrhundert nach Europa verschleppt. Die anschliessend schnelle Verbreitung ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass ihr eine aphrodisierende Wirkung nachgesagt worden ist – und spätestens seit der Spanischen Fliege würde man meinen, dass sich die Spanier mit so was auskennen und keinen Käse erzählen. Womit wir wieder bei den Schweizern sind, von denen man annehmen könnte, dass sie schon damals sehr geschäftstüchtig gewesen sind und das Potenzial des neuen Produkts schnell hätten erkennen sollen. Aber es war ein Holländer mit dem Namen Coenraad Johannes van Houten, der 1828 ein industrielles Verfahren entwickelt hat, das die Schokoladenherstellung durch das Herauspressen der Kakaobutter massiv verbilligte. Und es ist die englische Firma Fry gewesen, die 1847 Schokoladenpulver, Zucker und Kakaobutter so vermengte, dass das Resultat in Formen gegossen werden konnte und so die Herstellung von Tafelschokolade ermöglichte. Auf die englische Küche hatte diese Innovation übrigens keinen erkennbaren positiven Effekt.


    Und nun kommen doch noch die Schweizer ins Spiel, mit der glorreichen Idee, das braune Gold mit Milch zu vermischen (Süchtige reden in diesem Zusammenhang gerne auch von „Strecken“). Sei es, um den Geschmack zu verfeinern oder um aus kleinen Mengen Kakao grössere Mengen an Schokolade herzustellen – jedenfalls verkaufte sich das neue Produkt unglaublich gut und die Firmen der Schweizer Pioniere Francois-Louis Cailler, Henri Nestle und Rudolph Lindt können heute noch als das „Goldene Dreieck“ der Schokoladenindustrie bezeichnet werden – vor allem dann, wenn man auf blöde Assoziationen zur Welt der illegalen Suchtmittel steht.


    Heutzutage gilt die Schokolade als die Königsklasse der Süssigkeiten und wie bei der Formel 1 trifft man kleine Aussenseiter mit minimalem Budget neben den gewaltigen Finanzriesen mit der Möglichkeit, das Suchtpotenzial ihres Produkts dank aufwändiger Marktstudien zu optimieren. Wie beim Autotuning nimmt dabei neben den „inneren Werten“ auch die Optik einen wesentlichen Stellenwert ein; sei es in der Form von dreieckigen Panzersperren, als längliche Phallussymbole, braune Eier oder auch als Tiere. Selbst anerkannte Psychologen können nur erahnen, welch Vielzahl an Bedürfnissen der Mensch befriedigen kann, wenn er sich Schokoladenprodukte in den Mund schiebt.

  • von Polli



    „Möchte wissen, warum sie das Zeug heiße Schokolade nennen“, sagte er lässig und starrte auf den Automaten. Die Frau hinter ihm reagierte nicht. Chance vertan. Vielleicht hätte er sich umdrehen sollen, ihr tief in die Augen sehen. Zu spät. Der Automat gab ein gurgelndes Geräusch von sich und spuckte eine schaumige Flüssigkeit in den Plastikbecher.
    „Sieht nicht sehr appetitlich aus“, murmelte er und machte Platz.
    „Weshalb trinken Sie es dann?“, fragte sie.
    Er hatte das Gefühl, in eine Sackgasse geraten zu sein. Warum hatte er mit derart idiotischen Bemerkungen angefangen? Wenn ihm überhaupt Sätze einfielen, die man beiläufig zu einer unbekannten Frau sagen konnte, dann waren es solche über das Wetter, über das fade Kantinenessen und über die Schokolade aus dem Getränkeautomaten.
    Sag irgendwas, du Trottel!
    „Ach - wissen Sie ...“ - für diesen überheblichen Anfang konnte er sich ohrfeigen - „diese heiße Schokolade ist irgendwie - “ - lieber Gott, schick mir BITTE eine Eingebung, Kerzenspende folgt später - „sie ist das Einzige, was mir hilft, wenn ich nach Worten suchen muss.“
    Sie grinste. „So wie jetzt gerade, meinen Sie?“
    „Ja, so wie jetzt gerade. Sie glauben gar nicht, wie quälend es ist, wenn man etwas Geistreiches sagen will, aber es fällt einem nichts ein. Außer Bemerkungen über das Wetter und das Essen.“
    Plötzlich fühlte er sich leicht. So wie die Worte, die mühelos ihren Weg aus dem Kopf nach draußen gefunden hatten.
    „Und nicht zu vergessen, über heiße Schokolade.“
    Sie lachte. „Wie lang haben Sie eigentlich noch Mittagspause?“
    He, du Aktenversteher, sie hat dich was gefragt. Antworte, verdammt, sonst vermasselst du alles!
    Drei oder vier Stunden Pause, so lange, wie Sie wollen, so lange, wie es dauert, zusammen eine heiße Schokolade zu trinken, egal, ihm würde schon das Passende einfallen. Aber vorher tat er noch etwas Unerhörtes: Er sah ihr tief in die Augen!

  • von Churchill



    Es war einmal vor gar nicht allzu langer Zeit, als ein kleiner Schokoladennikolaus in wunderschöner roter Verpackung sich aufmachte, der beliebteste Schokoladennikolaus im ganzen Land zu werden. Er begann seinen Eroberungszug in kleinen Geschäften in der Provinz und nach einigen Versuchen war er tatsächlich der meistgekaufte Provinznikolaus. Da sagte er sich: „ Nur die besten Kaufhäuser in den größten Städten des Landes sind gut genug für mich!“ Dort aber machte sich seit langen Jahren ein großer dicker Nikolaus breit, der keine anderen Nikoläuse neben sich duldete.


    So schlüpfte der rote Nikolaus in eine Designerverpackung, schmückte sich nacheinander mit verschiedenen Nikolausfrauen und siehe: Eines Tages hatte er es geschafft und den großen dicken Nikolaus vertrieben. Nun regierte er in den schönsten Regalen der besten Kaufhäuser der größten Städte des Landes und versah sein Gewand mit neckischen grünen Streifen. Ein breites Lächeln prägte sein Gesicht.


    Er hatte viel Spaß, der rote Nikolaus. Doch irgendwann hatten die Menschen weniger Geld für ihn übrig und auf einmal waren da andere Nikoläuse, die ernsthaft meinten, sie schmeckten besser als der rote und seien auch noch bekömmlicher , denn ihre Schokolade sei dunkler und enthielte mehr wertvollen Kakao. Gar böse wurde da der rote Nikolaus und seine Verpackung zierte fortan eine große Rute. Die Leute würden schon noch begreifen, dass der rote Nikolaus auch mit Rute der bedeutendste Schokoladennikolaus im ganzen Land bleiben müsse.


    Die Leute jedoch verstanden den roten Nikolaus nicht und wandten sich verstärkt den Nikoläusen aus dunkler Schokolade zu, besonders einer Nikoläusin aus dem Osten und einem Lederhosen-Nikolausi aus dem Süden. Den von dunklen Nikoläusen umzingelten roten mit den neckischen grünen Streifen aber mochten die Leute nicht mehr.


    Da reichte es dem roten Nikolaus und er sprach: „Bevor das Haltbarkeitsdatum im nächsten Jahr ausläuft, starte ich noch einmal eine letzte Werbeoffensive. Die Leute sollen sich gefälligst entscheiden.“ Die Nikoläuse aus dunkler Schokolade freuten sich über diese Worte und riefen (alle durcheinander): „ Wir sind ja sowieso die wertvolleren Nikoläuse. Keiner will mehr die roten Nikoläuse mit grünen Streifen sehen. Wir sind nahrhafter und auf Dauer bekömmlicher, wenn wir auch etwas bitterer schmecken. Dass wir einige Cent mehr kosten, sagen wir euch ganz offen und ehrlich.“


    Der rote Nikolaus aber war nicht dumm: Er zog sein rotes Gewand mit den neckischen grünen Streifen aus, legte die Rute weg und verkleidete sich als niedlicher Schokoladenosterhase mit lustigen Ohren, zwinkernden Augen und friedlichem Stummelschwänzchen. Ja, sogar eine richtige Ostenhasenfamilie mit Hasenfrau und zwei Hasenkindern brachte er mit. Außerdem rückte er im Regal ein ganzes Stück weiter nach links, wo die Beleuchtung viel schöner erstrahlte. Als dann der Kauftag gekommen war, konnten sich die Leute nicht richtig entscheiden. Nikoläusin und Lederhosen-Nikolausi wurden genauso oft gekauft wie der rote Osterhasennikolaus. Keiner wusste, wer jetzt künftig im Schokoladenregal regieren sollte.


    Doch ein paar Kinder erschraken gar sehr, als sie bei ihrem neugekauften Schokoladenosterhasen die Verpackung entfernten und die nicht mehr frische Schokolade sich eindeutig als Nikolaus mit großer Rute und unverschämtem Grinsen entpuppte...

  • von Hinterwäldlerin



    Montag
    Ganz bestimmt. Ganz bestimmt wird er heute schreiben. Ich meine, gestern war Sonntag, da musste er halt noch den Samstagskater auskurieren. Und Samstag- ich bin sicher, es gibt eine Erklärung. Heute jedenfalls wird er sein Handy zur Hand nehmen und mir eine SMS schreiben. Ich bin mir absolut sicher. Seine letzte SMS endete ja schließlich mit „Bis bald“. Er wird schreiben. Aber bis dahin…Schokolade produziert doch auch irgendwie Glückshormone, oder? Wenn ich jetzt ein Stück…Klar, ein Stück ist okay. Schließlich bin ich in einem emotional nicht akzeptablen Zustand. Da ist ein Stück Schokolade ja wohl eher ein Peanut als ein Beruhigungsmittel. Kein Problem.

    Dienstag
    Hm. Vielleicht ist sein Akku leer. Oder er hat kein Geld mehr auf dem Handy. Oder das Netz ist mal wieder gestört. Oder unsere Handys sind kaputt. Wahrscheinlich, schließlich ist er viel zu nett, um sich einfach kommunikationstechnischer Ignoranz hinzugeben. Mal einen Streifen Schokolade essen, nur so, als gefühlsausgleichende … Hilfe. Schließlich bin ich in einer Art Krise. Ob ich wohl…anrufen sollte? Lieber nicht. Dann heißt es noch, ich sei aufdringlich. Also, was tun? Abwarten- und Schokolade essen.

    Mittwoch
    Himmelherrgott noch mal, ist es denn so verdammt schwierig, eine winzige SMS zu schicken? 1 Minute dauert so was. Mir reicht doch schon ein Anklingeln. Anklingeln, das ist eine Arbeit von Sekunden, und man braucht dazu nicht mal Geld auf seiner Prepaidkarte zu haben! Männer! Nehme jetzt diese doofe lila Schokoladenverpackung auseinander und esse eine halbe Tafel. Auf irgendwas auf der Welt muss ja noch Verlass sein, und wenn es nur der herrlich süße Geschmack von im Mund schmelzender Alpenmilchschokolade ist. Schließlich ist meine Figur ja sowieso egal, da gewisse Herren ja auch mit meiner derzeitigen Möchtegern-Kate-Moss-Figur nix anfangen können. Grrr.

    Donnerstag
    Okay, jetzt reicht’s. Endgültig. 5 Tage Funkstille sind zuviel. Der Typ ist mir doch egal, wenn der meint, er wäre was Besseres! Ich brauch doch keinen Freund, ich bin selbstständig, emanzipiert und auch als Single vollkommen…WARUM MUSS MIR DAS IMMER UND IMMER WIEDER PASSIEREN? Warum fall ich nur immer auf solche Typen rein? Ich bin ein hässliches, gänzlich konversationsunbegabtes Wrack. Niemand mag mich. Wie konnte ich mir auch einbilden, dass so ein gutaussehender, witziger, charmanter Typ etwas von mir wissen will? Nein, so darf ich nicht denken. Wie ist das Mantra dieser neuen Diät? „Ich liebe mich selbst bedingungslos.“ Genau! Und wenn ich mir das immer wieder sage, machen mir auch die Schokoladenexzesse figurentechnisch nicht zu schaffen, weil ich noch abnehme. Apropos Schokolade: Eine Tafel wird doch wohl an einem so grauen, verzweifelten Tag erlaubt sein…

    Freitag
    Männer. Niemand braucht Männer. Nicht mal fürs Kinderkriegen taugen die noch. Wozu gibt’s Samenbanken? Und, pff, Beziehungen. Völlig überbewertet. Liebe, pah. „Love hurts“, das wusste schon dieser eine Musiker. Wozu sollen wir dann eigentlich den ganzen Stress auf uns nehmen? Schokolade regt die gleichen Zentren im Gehirn an wie Sex. Also, wozu Männer? Ich werde jetzt meinen 3kg-Vorrat an Schokolade plündern. Und dann soll mir noch mal einer kommen von wegen „Ich find dich süß“!

  • von Marlowe



    Ich weiß noch, wie er mir die erste Milka reinstieß. Es tat nicht wirklich weh, in der Vorbereitung war er immer sehr darauf bedacht, es mir so angenehm wie möglich zu machen. Wir begannen mit der sogenannten längsten Praline der Welt, aber das war, logischerweise, selbst für mich nicht sehr befriedigend.
    Die Länge soll ja nicht entscheidend sein, aber der Umfang, das ist jedenfalls meine Meinung. Auch Mars und Twix erfüllten einfach nicht den Zweck, den er als wichtig ansah.
    Das alles begann allerdings erst, als wir eigentlich schon alles ausprobiert hatten. Neun ein halb Wochen schwelgten wir in Obst und Gemüseträumen. Wen wundert’s, dass Möhren, Karotten und Gurken, ja sogar, ich gestehe es verschämt, ein Baguette, es irgendwie nicht wirklich brachten.
    Aber wir waren neugierig, suchten nach neuen Wegen und genossen jede Erfahrung, die anders war als die vorherige.
    Seltsamerweise war es das Baguette, das ihn antörnte. Es dauerte lange, bis er mir gestand, dass dieses, etwas zu lange im Backofen aufgeheizte, Riesenbrötchen, ihn aufgeilte. Mehr als das, er wollte es nur noch braun.
    Ich stehe auf braun, gestand er mir verschämt und ich verstand ihn, irgendwie, denn so ein farbloses, weißes Irgendwas, nach nichts ausschauend, ist wie eine Made, der es zwar gut geht, die aber trotzdem für nichts anderes gut ist als sich durchzufressen.
    Seine Versuche, es zu ändern, waren lieb und fürsorglich. Ich kenne Schokosauce, in allen Variationen und Möglichkeiten, sie zu genießen. Wie schon erwähnt, dann die längste Praline und, na ja, alles, was er halt wollte
    Er wollte aber mehr und es mir unbedingt zeigen und so brachte er eines Tages James mit nach Hause. James war amerikanischer Militärpolizist, groß, durchtrainiert und sympathisch schokoladig!
    Wir sind seit 5 Jahren verheiratet und ich nenne ihn liebevoll Toblerone. Er weiß nicht, wieso ich das sage, aber wir schwelgen so oft wie möglich in diesem Schokoladengenuss.