Zurück in die Achtziger
Ich habe gerade die DVD mit „Zurück in die Zukunft II“ herausgekramt, einem Film, den ich damals sehr gemocht habe – er war übrigens auch mein Favorit aus der Trilogie. Ich erinnere mich noch gut an die Szene, als Marty McFly im „Café der Achtziger Jahre“ bei einem Ronald Reagan seine Cola bestellte. Dieser Ronald Reagan war ein Fernsehbild, der Fernseher hing über dem Tresen des Cafés. Aber ich habe mir eben nicht diese Szene angeschaut, sondern den Abspann, denn ich wollte herausfinden, wie der Schauspieler hieß, der den amerikanischen Präsidenten gespielt hat.
Jay Immer ist Polizist, steht kurz vor der Pensionierung, lebt mit seiner geliebten Frau Lucy in einem hübschen Häuschen, und gelegentlich kommt die Tochter Barbara zu Besuch. Wir schreiben das Jahr 1981. Der ehemalige Hollywoodschauspieler Ronald Reagan ist seit kurzer Zeit der 40. Präsident der U.S. of A., der Kalte Krieg eilt einem weiteren Höhepunkt entgegen, in Europa werden atomar bewaffnete Mittelstreckenraketen aufgestellt, um die Sowjetunion in Schach zu halten. Die britische Rockgruppe „Fischer-Z“ hat im März das inzwischen legendäre Album „Red Skies Over Paradise“ veröffentlicht, auf dem es den Song „Cruise Missiles“ gibt: Die Menschheit hat nukleare Waffensysteme geboren, die auf Wanderschaft gehen und ihre Ziele alleine finden. Später, im Golfkrieg, werden wir diese Systeme, allerdings mit „herkömmlichen“ Sprengköpfen bestückt, live erleben können, wie sie auf gespenstische Weise hinter verblüfften Reportern durch Ruinenstädte surren, auf der Suche nach der eigenen Bestimmung: Vernichtung.
Jay Immer interessiert sich für all das wenig. Er ist ein guter Polizist, aber kein Polizist aus Leidenschaft. Er würde seine Ehefrau gerne ein bisschen mehr verwöhnen. Und er sieht dem amtierenden Präsidenten zum Verwechseln ähnlich. Jay Immer ist zwar jünger als Ronald Reagan, seine Zähne sind ein wenig schlechter und seine Aussprache ist aufgrund seiner österreichischen Herkunft etwas anders, aber hiervon abgesehen könnten die beiden eineiige Zwillinge sein. Wenn sich Jay Immer gründlich rasiert, etwas Brillantine ins Haar macht und einen Anzug anzieht, wird er für das amerikanische Staatsoberhaupt gehalten. Und deshalb kontaktiert Ehefrau Lucy heimlich eine Agentur, die auf der Suche nach Doppelgängern ist. So beginnt Jays zweite Karriere als Präsident. Er wird Supermärkte eröffnen, Autogrammstunden geben, kleine Rollen in Filmen spielen, er wird hofiert und oft für das Original gehalten werden, manchmal forciert er das sogar, etwa, um mit der Gattin in einem beliebten Restaurant essen zu können. Er verdient genug Geld, um Lucy etwas Luxus anbieten zu können. Aber es ist nicht nur die Zeit der atomaren Wettrüstung, sondern auch die der beginnenden Klimawandel-Diskussionen, Reagan agiert mit harter Hand gegen soziale Reformen, bereitet dem Turbokapitalismus den Boden, gemeinsam mit Margaret Thatcher – man wird diese Politik später „Reaganomics“ nennen. Reagan ist der Überzeugung, Wohlstand würde „von oben nach unten durchsickern“. Er macht den Einwanderern aus dem Süden das Leben schwer.
Mit der Zeit bedrängen immer mehr Leute, die man heute „Aktivisten“ nennen würde, Jay Immer, den „anderen Reagan“, seine Wirkung für sie einzusetzen, und er ist nicht abgeneigt, denn er spürt Verantwortung, er will helfen, ändern, ein Gegengewicht setzen. Das ist nicht ohne Risiken, aber es hat auch Wirkung.
Als Freund und Verehrer der Romane von Clemens Berger hat mich die augenzwinkernd und schnörkellos erzählte Lebensgeschichte überrascht. „Der Präsident“ hat mit meinem Favoriten, „Das Streichelinstitut“ (2010), wenig gemein, aber auch das fulminante, mächtige und vielschichte „Im Jahr des Panda“ (2016) war ganz anders als diese Biografie, die natürlich keine ist. Strikt und sehr glaubwürdig aus der Sicht seines Helden plaudert Berger vom Leben im Vorort, als Doppelgänger, von den Achtzigern, vom aufkommenden Widerstand gegen den patriotischen Konservatismus. Aber „Der Präsident“ ist, wie immer bei Berger, kein rein politisches Buch (obwohl es das oft ist). Es ist eine Liebesgeschichte, eine Träumerei, eine Hommage (u.a. ans Burgenland), eine Schelmerei, es ist vor allem irre unterhaltsam und voller amüsanter Überraschungen.
Nein, der Name im Abspann von „Zurück in die Zukunft II“ lautet nicht „Jay Immer“, da steht „Jay Koch“. „Der Präsident“ ist eben keine Biografie, auch wenn Jay Koch, genau wie Bergers Hauptfigur, aus dem Burgenland stammte, nicht ganz so perfekte Zähne hatte und eben als Reagan-Doppelgänger auftrat. Ich werde mir den Film aber trotzdem jetzt mal wieder anschauen. Und Ihr solltet dieses Buch lesen, denn das ist wirklich großartig.
ASIN/ISBN: 3701717338 |