Die ersten drei Sätze eures aktuellen Buches (ab 23.08.2020)

  • Vor vielen Jahren, als Leutnant in der Armee und direkt außerhalb von Paris stationiert, traf Charles Richards auf einen Rekruten, einen Jungen von etwa achtzehn Jahren, der allein auf seiner Pritsche im Schlafsaal saß, den Kopf gesenkt, und lautlos weinte. Nach kurzer Befragung stellte sich heraus, dass er seine Familie und sein Zuhause vermisste, der Armee ohnehin nicht hatte beitreten wollen, sondern von seinem Vater, einem Veteranen, dazu gezwungen worden war. Die Vorstellung eines weiteren Appells am frühen Morgen, gefolgt von einem Zwanzig-Meilen-Marsch über unwegsames Gelände und dabei immerzu feindlichen Angriffen ausweichen zu müssen, hatte ihn zu einem emotionalen Wrack gemacht.


  • Macbeth was the reason I went into the theatre. I saw my brother Peter play King Duncan in a school production. He had to say ‘What bloody man is that?’ and I thought: My God – swearing! If this is Shakespeare this is for me.

  • Im Licht der sinkenden Sonne glühte die kleine Insel, die der Nordküste Candias vorgelagert war, wie in einem ersterbenden Feuer. Töne von Violett und Orange mischten sich mit dem Grau der Felsen wie Flammen auf Asche. Katharina zog den Kohlestift übers Papier und schraffierte die Umrisse, bis sie der Silhouette der Festung entsprachen, die mit dem zerklüfteten Untergrund des Eilandes zu verschmelzen schien.


  • Laut brüllend fraß sich das Feuer durch das viergeschossige Wohnhaus. Beißender Rauch lag in der Luft, das Flackern der Flammen und die vielen Lichter der Feuerwehr-, Kranken- und Polizeifahrzeuge schmerzten in seinen Augen. Blake versuchte, nicht mit dem Ärmel darüber zu reiben, denn das würde die Sache nur noch schlimmer machen.


  • Samstag, 27. August 1927


    Die klapprige Leiter schwankte gefährlich, als sich Harry auf einer der oberen Sprossen auf die Zehenspitzen stellte und zur Decke des Theatersaals reckte. Nur die Notbeleuchtung brannte und tauchte den Raum mit den klobigen Bühnenaufbauten und den hohen Filmleinwänden in schummriges Licht. Einen Moment hielt er inne und bemühte sich, die Balance wiederzugewinnen, während er mit beiden Händen den schweren Vorhangstoff umklammerte, den er anbringen wollte.


  • Meine Schritte hallten auf dem Pflaster der kleinen Straße wider. Zu dieser späten Stunde waren kaum noch Passanten unterwegs, Touristen waren im Spätherbst rar gesät, und in wenigen Wochen würde die Stadt Bath in den Winterschlaf fallen. So begegneten mir auf dem Abbey Church Yard nur ein alter Mann, der eine abgegriffene Aktentasche spazieren trug und mir unter seinem Hut einen finsteren Blick zuwarf, sowie zwei junge Frauen, die leicht angeheitert aus einem der Pubs stolperten und sich lachend unterhakten, unterwegs nach Irgendwo.


  • Casper Rosendales Mörder mochte die Musik von Elvis, Lemon Pie mit Sahne, die Cheerleader der New York Jets und den Birnbaum hinter seinem Wohnwagen. So lauteten die Gerüchte. Der Mörder hatte angeblich keine echten Frontzähne.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Jedes Ende ist ein neuer Anfang - wie oft hört man die Leute das sagen. Es klingt nicht schlecht, aber was heißt es schon?

    Wann gäbe es denn je einen festen Punkt, auf den man nachträglich den Finger legen könnte und sagen: "Da hat alles begonnen - um soundso viel Uhr, an dem und dem Platz, mit diesem bestimmten Ereignis"?

  • Jedes Ende ist ein neuer Anfang - wie oft hört man die Leute das sagen. Es klingt nicht schlecht, aber was heißt es schon?

    Wann gäbe es denn je einen festen Punkt, auf den man nachträglich den Finger legen könnte und sagen: "Da hat alles begonnen - um soundso viel Uhr, an dem und dem Platz, mit diesem bestimmten Ereignis"?

    Gleichfalls bei mir. ;)

  • Daniel Mercier ging in der Gare Saint-Lazare gegen den Menschenstrom die Treppe hinauf. Um ihn herum liefen Männer und Frauen hinab, mit Aktentaschen und manchmal auch Koffern beladen. Sorgenvolle Stirnen, eilige Schritte.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Im Frühjahr 1925 beeilte sich Helstedt von einem Besuch bei seinem Freund Sörensen nach Hause zu kommen. Es war spät und kühl geworden. Der Nebel trieb vom Meer herein, die Strassenlaternen warfen trübe Lichtkreise auf den Weg, und der bejahrte Herr mit Hut und Mantel ahnte nicht, dass er eingangs des Faelledparken von einem jungen Deutschen beobschtet wurde.

  • Als Carl Haiden an einem trüben Septembertag des Jahres 1824 die Gohlitzer Straße hinabschritt, mit einer Hand die Krempe seines Zylinders gegen den Wind festhaltend, ahnte er nichts Böses. Ein abergläubigerer Mensch als er hätte vielleicht an Vorzeichen geglaubt, denn es schien, als hätten sich alle Mächte der Natur zum Hinweis auf bevorstehendes Unglück verschworen: Der Himmel über Leipzig war grau wie Blei, es nieselte, und der Wind trieb tote Platanenblätter über das Pflaster. Doch Carl war nicht abergläubisch.


  • Seit neun Jahren steht in diesem Winter für Winter beheizten Zimmer in Russland ein Schaukelstuhl, auf dem niemand mehr sitzt. Vielleicht verstaubt er, vielleicht auch nicht. Wo soll der Staub herkommen?