Die ersten drei Sätze eures aktuellen Buches (ab 23.08.2020)

  • Der Mann, der am 5. Januar 2019 schüchtern, beinahe ängstlich ihre Kanzlei betrat, war Maitre Suzane, wie sie sofort wusste, schon einmal begegnet, vor langer Zeit und an einem Ort, an den sie sich so genau, so jäh wieder erinnerte, dass es sich anfühlte wie ein heftiger Schlag gegen ihre Stirn.

    Ihr Kopf kippte leicht nach hinten, so dass sie nichht emurmelten Gruß ihres Besuchers antworten konnte und eine Befangenheit zwischen ihnen bestehen blieb, auch nachdem Maitre Suzane sich wieder gefasst und seinen Gruß freundlich erwidert hatte, lächelnd, herzlich, beruhigend, denn es war für sie Ehrensache, jeden so zu empfangen, der ihre Kanzlei aufsuchte.

    Zweimal rieb sie sich unwillkürlich die Stirn, wo sie eine dumpfe Verletzung zu spüren meinte, dann dachte sie nicht mehr daran.


  • Philipp Gerber kauerte zwischen den brüchigen Mauern der Ruine und beobachtete. Die Häuser auf der anderen Straßenseite hatten den Krieg einigermaßen glimpflich überstanden, und der leichte, warme Sommerregen, der seit Stunden auf Berlin niederging, beeindruckte den Strom der Passanten nicht im Geringsten. Vor einem der Grenzkinos, in denen die Ost-Berliner verbilligten Eintritt erhielten, hatte sich eine kleine Schlange gebildet, um einen schnell heruntergekurbelten Western oder einen alten Gruselstreifen mit Boris Karloff zu sehen.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Der Fall war einer, an dem Polizisten ihre berufliche Laufbahn maßen. Peter Manuel, "Bible John" und "Bloody January". Niemand wusste so genau, woher die Bezeichnung eigentlich kam, wahrscheinlich ging sie auf eine beiläufige Bemerkung in der Pitt Street oder einer Bahnhofskneipe zurück.


  • Der Morgen war mild und warm, die Luft erfüllt von Maidüften der wilden Gräser und Blumen auf dem Hampstead Heath und der reifenden Heuwiese dahinter.

    Mrs. Mary Bentley und ich hatten unsere Arbeit in den Garten verlegt, um wie Salamander die Sonnenwärme aufzusaugen; sie schälte Erbsen aus den Schoten, ich stopfte einen Strumpf.

    Es war einer dieser goldenen Tage, wo einem das Herz fröhlich springt und selbst die größten Sorgen einfach abfallen.


    Irrlicht und Hexe (7. Hexenregel: Unterschätze nie die Kraft des Wortes - es hat eine besondere Kraft, es kann befreien, anstoßen und verändern, aber auch verletzen und zerstören)

  • Dienstag stand auf meinem Slip, obwohl heute Freitag war. Vor ein paar Monaten, als mein Gepäck auf dem Flug nach Florida zu meiner Mutter verloren gegangen war, hatte ich eine Packung preiswerter Slips im Discounter gekauft, ohne den Aufdruck zu bemerken. Beim Auspacken hatte ich es dann gesehen, doch wegwerfen wollte ich die sieben Unterhosen nicht, denn ansonsten waren sie völlig in Ordnung.


  • Gegen acht Uhr morgens gehe ich los. Nach wenigen Schritten liegt das Dorf hinter mir, die grauen Häuser und die bunten, die verlassenen Häuser und die, in denen nur noch eine Alte lebt, die Häuser mit den jungen Familien, die Scheunen mit den eingefallenen Dächern und der helle Kirchturm. Das Dorf bleibt zurück wie es so oft zurückgeblieben ist, still und ergeben und voller Erbarmen für die Menschen, die fortmüssen, hierhin und dorthin.

  • Der Mann war gewaltig wie ein Berg. Seine Schultern glichen zwei über einem Steilhang aufragenden Felsbrocken.

    Sein Gesicht war wie ein sonnengebräuntes Stück Fleisch über einem wilden, tintenschwarzen Bartgestrüpp, das bis zur Mitte seines tabakbefleckten Hemds herunterhing.

    Irrlicht und Hexe (7. Hexenregel: Unterschätze nie die Kraft des Wortes - es hat eine besondere Kraft, es kann befreien, anstoßen und verändern, aber auch verletzen und zerstören)

  • Es war Herbst in der Stadt des Mondes, als Victor zum ersten Mal von Prosper und Bo hörte. Die Sonne spiegelte sich in den Kanälen und überzog die alten Mauern mit Gold, aber der Wind blies eisig vom Meer herüber, als wolle er den Menschen daran erinnern, dass der Winter kam. In den Gassen schmeckte die Luft plötzlich nach Schnee, und die Herbstsonne wärmte nur den Engeln und Drachen hoch oben auf den Dächern die steinernen Flügel.


    "Drei Dinge sind uns aus dem Paradies geblieben: die Sterne der Nacht, die Blumen des Tages und die Augen der Kinder!" (Dante Alighieri)

  • Es war Herbst in der Stadt des Mondes, als Victor zum ersten Mal von Prosper und Bo hörte. Die Sonne spiegelte sich in den Kanälen und überzog die alten Mauern mit Gold, aber der Wind blies eisig vom Meer herüber, als wolle er den Menschen daran erinnern, dass der Winter kam. In den Gassen schmeckte die Luft plötzlich nach Schnee, und die Herbstsonne wärmte nur den Engeln und Drachen hoch oben auf den Dächern die steinernen Flügel.

    Direkt wiedererkannt :-] Viel Spaß in Venedig!

    :lesend Jay Kristoff; Nevernight - Die Rache

    :lesend Laura Imai Messina; Die Telefonzelle am Ende der Welt (eBook)

    :lesend Rebecca Gablé; Teufelskrone (Hörbuch: Detlef Bierstedt)

  • Ende Dezember 1999 ging eine überraschende Reihe tragischer Ereignisse auf Beauval nieder, darunter an erster Stelle natürlich das Verschwinden des kleinen Rémi Desmedt. In dieser waldreichen Gegend, in der das Leben langsamen Rhythmen folgt, löste das plötzliche Verschwinden des Kindes Bestürzung aus und wurde von einigen Einwohnern sogar als Vorzeichen der kommenden Katastrophen angesehen.

    Für Antoine, der im Mittelpunkt des Dramas stand, begann alles mit dem Tod des Hundes.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Ich kenne einen Kinderreim. Ich summe ihn vor mich hin, wenn alles anfängt in meinem Kopf verrückt zu spielen. Ich glaube, wir haben ihn gesungen, wenn wie auf Kreidevierecken herumsprangen, aber vielleicht habe ich ihn mir selbst ausgedacht oder nur geträumt.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Der Frühling war fast vorbei. Die Uhrzeiger rückten auf halb neun. Wie ein Tiefflieger setzte die Sonne zur Landung an.


  • Es war einer dieser Tage, der so verheißungsvoll begonnen hatte, dass man fürchtete, es müsse zwangsläufig etwas dazwischenkommen. Das Thermometer zeigte 28 Grad, klarer Himmel über Faro. Und es war der 14. September.


  • Tage, bevor ich nach Galway kam, hatte mich eine Frau verlassen. Nein, so stimmt es: Sie wollte ihren Freund wegen mir nicht aufgeben. Nun gibt es viele Arten, um mit einer solchen Niederlage fertigzuwerden.


    With love in your eyes and a flame in your heart you're gonna find yourself some resolution.


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  • Die Stadt Henry in Kansas ist eine heiße Stadt. Und sie ist eine kalte Stadt. Sie ist eine so stille Stadt, dass man von Zeit zu Zeit hören kann, wie eine Fliege versucht, durch das Fenster des geschlossenen Antiquitätenladens auf der Hauptstraße zu fliegen.


    "Drei Dinge sind uns aus dem Paradies geblieben: die Sterne der Nacht, die Blumen des Tages und die Augen der Kinder!" (Dante Alighieri)

  • Wie ausgestorben liegt er da, der Ort. Dort zwischen Buschwerk und Gestrüpp, wo auch das Gras schon meterhoch verdorrt, streckt ein Triceratops den dreibehornten Kopf empor. Das Nackenschild da in die Schultern reingepresst, das Maul zum Schrei weit aufgerissen.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

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  • Ferdinand Schmalz - Mein Lieblingstier heißt Winter

    Der Debütroman des Bachmann-Preisträgers Ferdinand Schmalz - nominiert für den Deutschen Buchpreis 2021 und den Österreichischen Buchpreis 2021

    Der Wiener Tiefkühlkostvertreter Franz Schlicht soll einem makabren Wunsch nachkommen. Sein Kunde Doktor Schauer ist fest entschlossen, sich zum Sterben in eine Tiefkühltruhe zu legen. Er beauftragt Franz Schlicht, den gefrorenen Körper auf eine Lichtung zu verfrachten. Zum vereinbarten Zeitpunkt ist die Tiefkühltruhe jedoch leer, und Schlicht begibt sich auf eine höchst ungewöhnliche Suche nach der gefrorenen Leiche. Dabei begegnet er der Tatortreinigerin Schimmelteufel, einem Ingenieur, der sich selbst eingemauert hat, und einem Ministerialrat, der Nazi-Weihnachtsschmuck sammelt. Ferdinand Schmalz nimmt uns in »Mein Lieblingstier heißt Winter« mit auf eine abgründige Tour quer durch die österreichische Gesellschaft, skurril, intelligent und mit großem Sprachwitz.

    ASIN/ISBN: 3103974000

    Bis du im falschen Thread gelandet?

    “You can find magic wherever you look. Sit back and relax all you need is a book." ― Dr. Seuss

  • Es war der erste Mai 1983, und im Westen England hatte sich die Sonne um fünf Uhr zweiundvierzig bereits ein wenig über de Bergrücken erhoben. Trotzdem war es noch kühl und dunkel im Tal, durch das ein klarer Bach verlief, der eine Meile stromabwärts vor dem Wehr eine scharfe Linkskurve vollzog. In der Nähe eines Bauernhauses führte eine Brücke aus drei Holzbohlen auf die andere Seite des Baches, wo ein Wanderweg begann.

  • Während der Feierlichkeiten zum Mondfest im September hatte sich die erste Kälte in die Luft geschlichen und in den folgenden Wochen umso tiefer eingenistet. In den letzten Tagen hatte es ununterbrochen geregnet, die Temperaturen waren endgültig in den Keller gefallen. Ein von Nebelschwaden durchsetzter Wind peitschte um die Hochhäuser der Stadt, heulte durch die Straßen und sättigte die Luft mit eisiger Trübsal.