Roland Buti Das Leben ist einer Wilder Garten "Grand National"

  • Vergangene Leben

    Carlo ist Landschaftsgärtner, liebt es mit den Händen unter freien Himmel in und mit der Natur zu arbeiten. Seine Frau hat sich von ihm getrennt und hat nicht unbedeutenden Teil des Hausrates mitgenommen. Seine Mutter glaubt er in einem Altenheim gut versorgt, bis ihn die Nachricht ereilt, dass seine betagte Mutter verschwunden ist. Deshalb führt ihn auch an diesem Tag sein erster Weg mit seinem Angestellten in Altenheim. Doch anstelle einer großen Suchaktion passiert dort nix. Man warten ob die ausgebüxte alte Dame wieder auftaucht. Auch Carlo beginnt keine Suchaktion. Erst nachdem sein Angestellter in seiner Gartenparzelle brutal zusammengeschlagen wird und in ein Krankenhaus eingeliefert wird, bringt dieser ihn auf den Gedanken doch mal zu diesem alten Hotel zu fahren, vor dem seine alte Mutter als junges Mädel abgelichtet wurde. Und siehe da die alte betagte Dame befindet sich tatsächlich in dem in die Jahre gekommenen Granhotel hoch oben in den Schweizer Bergen. Als er sie besucht um sie zum mitkommen zu bewegen scheitert er. Also wird kurzerhand eine Vereinbarung mit dem Hotel geschlossen. Und die alte Dame darf dort ihr altes Zimmer aus Jugendzeiten bewohnen. Für Carlo wird seine Mama erst ab dem Zeitpunkt wieder interessant als sie sehr zaghaft ihr Geheimnis offenbart. Doch Carlo ist viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt als das er seiner Mutter richtig zuhört noch versucht ein richtiges Gespräch zu führen.


    Auch wenn der Autor einer sehr poetischen und auch nachdenklichen Schreibweise an den Tag liegt, verliert er sich doch in technikaffine und Naturbetrachtungen oder aber in pornoähnlichen Schilderungen von Sexabenteuern seines Hauptprotagonisten.


    Ganz ehrlich ich habe ich auf eine nette Geschichte aus dem Leben einer alten Dame gefreut, wie sie das Buch eigentlich versprach. Ja selbst auf dem Cover war ja ein junges Mädel abgebildet. Was ich jedoch stattdessen zu lesen bekam. Nun ja die Geschichte eines Sohnes, der seiner Mutter schon lange nicht mehr zu hört und jedes Gespräch schafft abzuwürgen. Selbst als sie ihr großes Geheimnis am Ende ihres Lebens lüften will, hört er nur mit halben Ohr in und gibt nur irgendwelche Plattitüden von sich. Viel wichtiger scheint dem Autor ja wohl der Sohn gewesen zu sein und die pornoähnliche Schilderungen seiner Sexabenteuer mit seiner Exfrau. Irgendwann nervt seine Fixierung auf das Hinterteil der Frau einfach nur noch.


    Ganz ehrlich am besten kommen in diesem Buch tatsächlich der alte Lehrer und der Angestellte Ago weg. Beide habe so feine Antennen für die alte Dame das sie sie besser verstehen als der eigene Sohn. Die Figur des Carlo mochte ich am Ende gar nicht mehr. Vor allem weil er gar nicht mehr daran interessiert war mit seiner Mutter richtig zu reden. Alles wurde von ihm abgewürgt. Er hat sich keine richtige Zeit für sie genommen.


    Fazit: Auch wenn der Autor ein ausgesprochenes sprachliches Talent an den Tag legt, hat er bei der Umsetzung der Geschichte, die eigentliche Geschichte aus den Augen verloren. Alles andere war ihm wichtiger, von Blumen über Nippes und ausführlichen Sexszenen aber die Geschichte der alten Dame ist einfach in der Versenkung fast verschwunden. Von daher kann ich die Geschichte hier auch nur bedingt empfehlen. :(:(

    ASIN/ISBN: 3552059997

  • Das Leben ist ein wilder Garten – Roland Buti


    Verlag: Zsolnay, 2020

    176 Seiten


    Übersetzt aus dem Französischen von Marlies Ruß


    Kurzbeschreibung:

    Das beschauliche Leben des Landschaftsgärtners Carlo gerät in Aufruhr. Seine Frau hat ihn verlassen, die Tochter studiert jetzt in London. Agon, sein Hilfsgärtner aus dem Kosovo, eine sensible Seele in einem massigen Körper, wird aus heiterem Himmel zusammengeschlagen. Und dann ist plötzlich Carlos demente Mutter verschwunden. Gemeinsam mit Agon macht er sich auf die Suche und entdeckt nicht nur die Natur und die Menschen um ihn herum neu, sondern kommt in einem Grandhotel am Berg der ungeahnt glamourösen Vergangenheit seiner Mutter während des Zweiten Weltkriegs auf die Spur … Wir sind Roland Butis Figuren ganz nah. Ihre Gesichter, ihre Bewegungen werden uns vertraut. Wir leben und fühlen mit ihnen. Das ist Butis große Kunst.


    Über den Autor:

    Roland Buti, geboren 1964 in Lausanne, arbeitet als Geschichtelehrer am Gymnasium und widmet sich daneben Forschung und Literatur. Sein Roman Das Flirren am Horizont (Nagel & Kimche 2014) war nominiert für den Prix Médicis pour le meilleur roman und wurde mit dem Schweizer Literaturpreis 2014 ausgezeichnet.


    Über die Übersetzerin:

    Marlies Ruß, geboren 1967 bei Augsburg, studierte Englisch, Französisch sowie literarisches Übersetzen. Eine Zeit lang unterrichtete sie Deutsch an der University of Waterloo in Kanada. Inzwischen lebt und arbeitet sie in München.


    Mein Eindruck:

    Roland Buti ist ein Schweizer Autor, der auf Französisch schreibt.

    Ich habe die Sprache des Romans wirklich genossen, daher denke ich, dass die Übersetzung von Marlies Ruß gelungen ist.


    Inhaltlich ist das Buch anfangs rätselhaft.

    Die Hauptfigur, der Landschaftsgärtner Carlo ist ein zurückhaltender Mensch und daher streckenweise ziemlich passiv. Das macht ihn als Protagonisten nicht ganz einfach.


    Hauptthema ist meiner Meinung nach die Beziehungen der Menschen zueinander und die Schwierigkeit Nähe zu erreichen.

    Dabei hat Carlo zum Beispiel zu seinem Kollegen Agon ein freundschaftliches Verhältnis, er muss aber auch erkennen, das er nicht viel von ihm weiß.

    Agon ist wirklich eine bemerkenswerte Figur und sein Geheimnis der Vergangenheit nicht ohne Tragik.


    Carlos Mutter leidet an Demenz und sie verschwindet aus dem Altersheim.

    Ihre Wahrnehmung der Welt verschlechtert sich allmählich immer mehr. Für Carlo ist das nicht einfach zu verstehen und er weiß nicht, wie er darauf reagieren soll. Auch bei seinem eigenen Privatleben verharrt er gefühlsmäßig in der Beziehung zu seiner Exfrau. Carlo fällt es nicht leicht loszulassen.


    Das Leben ist ein wilder Garten ist ein ruhiges Buch. Roland Butis sensible Art zu schreiben hat mir gefallen. Ich denke daher, das ich bei Gelegenheit noch weitere Bücher von ihm lesen möchte.

  • "Das Leben ist ein wilder Garten" von Roland Buti erschien im Zsolnay-Verlag (HC, 2020) und stellt für mich die erste Begegnung mit dem Schweizer Autor (*1964 in Lusanne) dar. Ich musste mich etwas in diesen Roman "hineinarbeiten, hineinlesen", aber letztendlich lohnte es sich, dies zu tun.


    Carlo Weiss, Landschaftsgärtner, Mitte 40, erledigt gerade einen Auftrag, als er auf dem Heimweg einen Anruf erhält: Seine Mutter, die "etwas speziell" sei, wie er Agon, seinem Assistenten und Freund erklärt, sei aus dem Seniorenheim verschwunden....

    Im Zimmer seiner Mutter, das sie mit Madame Jaquet teilt, findet er eine alte Fotografie: Sie zeigt Pia, seine Mutter, als ca. 17jähriges Mädchen, wie sie für den Großvater Gebäck und Brot an die großen Hotels der Umgebung in den Schweizer Bergen ausliefert: Weiss hat dieses Foto noch nie zuvor gesehen und gesteht sich ein,dass seine Mutter ein Leben vor ihm hatte - und auch eines danach. Genau genommen verbrachten Mutter und Sohn nur 12 Jahre miteinander...


    Ana, seine geschieden oder getrennt lebende frühere Ehefrau, mit der er eine gemeinsame Tochter hat, die in London Kunst studiert, wird im Roman oft von Weiss beschrieben, was oftmals auf reinen Äußerlichkeiten beruht, aber dennoch eine große Sehnsucht nach ihr ausdrückt. Später im Roman ahnt Ana, dass es kein Zufall seinkann, dass auf dem Foto das Hotel "Grand National", das einzige, das aus der Reihe der großen Luxushotels noch existiert, zu sehen ist: Weiss findet den Aufenthaltsort Pia's in diesem Hotel heraus und kann sie nicht umstimmen, ins Seniorenheim zurückzukehren: In Rückblicken erfährt der Leser, dass Pia als Kind in der Bäckerei aufwuchs und gerne Vögel aquarellierte; zu Zeiten des 2. Weltkrieges ein deutscher Graf im Hotel weilte, mit dem sie die Leidenschaft der Ornothologie teilte und sich als junges Mädchen in ihn verliebte. Auch Favre, ein alter Lehrer, der der Mutter noch immer sehr zugetan ist, wie er Weiss verrät, sieht Pia wieder...


    Agon, der eigentlich aus dem Kosovo stammt und sein Land verlassen musste, als dieses in Schutt und Asche fiel, Assistent und Freund von Weiss, ist einbreitschultriger, eher grob wirkender Mann, der jedoch ungemein sanft undeinfühlsam sein kann: So schließt er Freundschaft mit Mdme. Jaquet und bietet auch ihr seine spezielle Süßigkeit an; die berühmten "Geleekugeln", die noch eine sehr entspannende Substanz enthalten. Als Agon in seiner Gartenlaube bedroht und krankenhausreif geschlagen wird, ist es hingegen Weiss, der ihn umsorgt und ihm Bücher und die Notration der "Kugeln" bringt...


    Der Grundton dieses Romans umgibt ein Hauch von Melancholie; aber auch auf der anderen Seite eine Lebensfreude, die besonders von Agon ausgeht: Als dieGartenlaubenkolonie einem Fußballstadion weichen soll und die Lauben "umgesiedelt" werden, hat er den Kopf voller neuer Ideen für sein 'virtuelles Gärtchen' und widmet sich mit ganzem Herzen der neuen Aufgabe, denn


    "er besaß die Gabe, nur sich selbst unterworfen zu sein" (Zitat S. 167) und es wird gar philosophisch, wenn Agon zurecht meint


    "Man muss die Tür hinter sich zumachen können" (S. 168) oder "man darf nicht zulassen, dass sich die Dinge ansammeln und zu Paketen werden, dieeinen verbeulen und beschweren"(......) (ebd., S. 168)


    Während die Mutter, Pia, für mich im Schatten blieb und Mutter und Sohn sich schon länger voneinander entfernt hatten, wie mir schien "Ständig liegt ein Schleier über den Dingen. Ein undurchdringlicher Schleier" (S. 126), ist dieser Satz von Pia jedoch auch ein guter sprachlicher Ausdruck für Demenz, finde ich.


    Man muss sich - vielleicht ein wenig wie ein Maulwurf, der nach den besten Plätzen im Garten gräbt - in diesen Roman "hineinwühlen"; jedoch das letzte Romandrittel lichtet die Nebel, die über den Dingen liegen und entschädigen für die Verschleierung.


    Die Themen sind vielfältig; es geht um Beziehungen in Familien, das Alter, Demenz, Verlassen werden, Verlust von Nähe, Einsamkeit und auch um vorsichtige Annäherung und - um Freundschaft.


    Ich sympathisierte bereits zu Anfang mit Agon, der für mich einen sehr positiven, starken und dennoch sehr empathischen und feinfühligen Charakter darstellt, der Weiss in schwierigen Zeiten ein wahrer Freund ist. Auch die atmosphärische und authentische Erzählweise des Autors mochte ich. Traurig ist die Tatsache, dass aucheine Entfremdung in Familien spürbar ist, etwa, wenn der Sohn erst spät erkennt,dass die Mutter bereits ein Leben vor seiner Geburt hatte. Hierüber scheint es keine - und wenn eine fehlende - Kommunikation innerhalb der Familie gegeben zu haben. Schade, denn Pia Weiss hatte ein durchaus interessantes Leben! Ein leiser Roman, der vielleicht darauf aufmerksam machen möchte, einander zuzuhören - und auch zu erzählen und gleichzeitig auch eine Hommage an Gärten, die Menschen gut tun.