Jean-Paul Dubois - Jeder von uns bewohnt die Welt auf seine Weise / Tous les hommes n'habitent pas le monde de la même facon

  • Jean-Paul Dubois, geboren 1950 in Toulouse, studierte Soziologie und arbeitete zunächst als Sportreporter für verschiedene Tageszeitungen. Später berichtete er für den ›Nouvel Observateur‹ aus den USA. Er hat über zwanzig Romane veröffentlicht und wurde mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem renommierten Prix Femina und dem Prix Goncourt, den wichtigsten französischen Literaturpreis. Er zählt zu den wichtigsten französischen Autoren der Gegenwart.


    Die eigentümliche Lebensgeschichte von Paul Hansen


    "Das Excelsior war wie Zahnpasta, schnell dabei, aus der Tube zu quellen, doch wenig bestrebt, wieder in sie zurückzukehren." (Buchauszug)
    Paul Hansen sitzt im Gefängnis in Montreal in einem baufälligen, heruntergekommenen Condo, das sie zu zweit belegen. Sein Mitinsasse Hells Angel Biker Patrick, ein Hüne von Mann hat genauso seine Eigenheiten wie Paul selbst. So bekommt er zum Beispiel von einer Maus regelrecht Panik. Wir gehen zurück in Pauls Vergangenheit nach Frankreich, wo er als Sohn eines dänischen Pastors und einer französischen Mutter und Kinobesitzerin zur Welt kam. Doch nach der Scheidung ihrer Eltern zieht der Vater nach Kanada, wo später auch Paul sein neues Leben beginnt. Als Hausmeister im Excelsior fristet er sein Leben, zwischen Swimmingpool, Heizanlagen und alten Menschen. Lediglich seine Frau Winona und Hund Nouk geben seinen Leben einen Sinn.


    Meine Meinung:
    Das preisgekrönte Buch des Franzosen Jean-Paul Dubois, hat mich durch den Klappentext neugierig gemacht, den bisher kannte ich diesen Autor noch nicht. Besonders weil es ausgezeichnet wurde, wollte ich gerne mehr von Paul Hansens Vergangenheit wissen. Der Schreibstil ist einfach, allerdings nicht gerade so, dass man dieses Buch nebenher lesen kann. Den der Inhalt ist schon teilweise recht technisch, kompliziert und durchaus auch mal trocken. Ich war schon etwas enttäuscht, den ich hatte doch teilweise eine etwas andere Vergangenheit erwartet. Sei es die Lebensgeschichten der Eltern, die unterschiedlicher nicht sein kann, sie scheitert dann auch irgendwann an ihren recht verschiedenen Interessen. Leidtragender aus dem Ganzen ist natürlich wie immer der Sohn in dem Fall Paul. Zudem wirkt Dubois Humor in diesem Buch oft auf mich recht trocken und nicht immer kann ich mich darüber amüsieren. Besonders wenn viele Einlagen den Gastrointestinaltrakt betreffen, fand ich das schon ein wenig schräg. Doch mitunter bringt er auch recht humorvolle Einlagen, sei es die Haare schneiden bei Zellengenosse Patrick. Dieser hat deshalb eine regelrechte Phobie, bei der bis auf seine Mutter, seither jeder gescheitert ist. Überhaupt gefallen mir die Abschnitte, bei denen ich Paul im Gefängnis erlebe besonders gut. Dagegen sind viele Szenen aus der Vergangenheit regelrecht überladen mit technischen Details oder für mich einfach zu belanglos. Am ehesten gefiel mir noch die Zeit, wo er als Hausmeister und Mädchen für alles im Excelsior arbeitet. Dieses Gebäude, das für mich ein wenig wie ein exquisites Altenheim vorkommt, bestimmt immer mehr Pauls Leben. Den mit den Jahren ist er nicht nur Hausmeister, sondern übernimmt immer mehr zeitaufwendige Tätigkeiten für die älteren Insassen. Dieses Buch ist eine Geschichte, die man wirklich in Ruhe lesen sollte. Man darf sich dabei nicht ablenken lassen, sonst überliest man recht schnell die kleinen Details, die der Autor hier gerne mit einbaut. Es gibt wenig Höhepunkte, sondern Pauls Leben plätschert im Grunde so dahin, wie es begonnen hat. Wenn überhaupt, dann vielleicht erst am Schluss, als man erfährt, warum er in Haft ist. Für mich war es allerdings wenig überraschend, da ich gegen Ende zu mir schon fast denken konnte, warum er im Gefängnis war. Die Charaktere sind zwar alle recht gut durchdachte, doch für mich blieben sie teilweise zu oberflächlich. Trotz einiger Enttäuschungen und anderen Erwartungen, konnte mich dieses Buch dann doch noch etwas begeistern, deshalb von mir 7 Eulen.


    ASIN/ISBN: 3423282401

    "Lebe jeden Tag so, als ob du dein ganzes Leben lang nur für diesen einen Tag gelebt hättest."

  • Jeder von uns bewohnt die Welt auf seine Weise

    Jean-Paul Dubois

    dtv Verlagsgesellschaft

    ISBN: 3423282401

    256 Seiten, 22 Euro


    Über den Autor: Jean-Paul Dubois, geboren 1950 in Toulouse, studierte Soziologie und arbeitete zunächst als Sportreporter für verschiedene Tageszeitungen. Später berichtete er für den ›Nouvel Observateur‹ aus den USA. Er hat über zwanzig Romane veröffentlicht und wurde mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem renommierten Prix Femina und dem Prix Goncourt, den wichtigsten französischen Literaturpreis. Er zählt zu den wichtigsten französischen Autoren der Gegenwart.


    Paul Hansen, Sohn eines dänischen Pastors und einer atheistischen Kinobesitzerin, sitzt in einem Montréaler Gefängnis. Zusammen mit Patrick, einem Hells Angel teilt er sich die Zelle. Im Gegensatz zu Patrick, weiß Paul, dass seine Strafe berechtigt ist und leugnet seine Tat nicht. Er will seine 2 Jahre absitzen und bereut nichts. Paul lässt uns teilhaben an seinem Leben vor der Tat und an seinem neuen, gewöhnungsbedürftigen Alltag in der kleinen Zelle.


    Über allem steht die Frage, warum so ein scheinbar ruhiger und friedlicher Mann hier gelandet ist. Viele Jahre war er Hausmeister einer Wohnanlage, der mit Frau und Hund ein arbeitsames Leben führte; alles eher langweilig und trotzdem für ihn befriedigend. Nicht langweilig dagegen sind Pauls Schilderungen. Seine Lebensgeschichte, deren kleine, präzise und humorvolle Bilder eine sehr interessante Rückschau zu bieten haben, und auch der aktuelle Blick auf seinen Zellengenossen, auf dessen Eigenheiten, seine Ess- und Abführgewohnheiten lassen einen beim Lesen häufiger Grinsen oder laut auflachen.


    Die ganz normalen Helden des Alltags – ihre tragischen aber auch komischen Momente, die zuweilen bizarre Laune des Schicksals, all das schildert der Autor auf ruhige aber unterhaltsame Weise mit wunderbaren sprachlich beeindruckenden Bildern, die aus diesem kleinen Büchlein etwas ganz Besonderes machen.


    ASIN/ISBN: 3423282401

  • Jeder von uns bewohnt die Welt auf seine Weise – Jean-Paul Dubois


    Mein Eindruck:

    Eigentlich ist oben schon alles gesagt.


    Ich mag an dem Buch besonders, wie die Stimmungslage des Protagonisten Paul Hansen im Gefängnis beschrieben wird. Und der unaufdringliche Humor, der sich oftmals an den Beschreibungen von Pauls Zellengenossen, dem Hells Angel Patrick Horton , abbildet


    Warum Paul einsitzen muss, was ihn zu seiner Tat getrieben hat, bleibt lange ein Geheimnis. Die Schwäche des Romans ist, dass die schließlich folgende Auflösung zu harmlos bleibt. Die Pointe des Buches verpufft zu schnell.


    Dennoch habe ich es nicht bereut, den Roman gelesen zu haben, da er in einem guten Stil geschrieben ist.

  • Asynchrone Brillanz


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    Der spektakuläre Titel dieses Buchs gibt einen Vorgeschmack auf den Text, der darin enthalten ist. Jean-Paul Dubois ist ohne Zweifel ein Meister der Metaphern und präzisen Vergleiche, findet jederzeit wohlklingende, treffende Worte; seine Erzählsprache und Erzählweise insgesamt sind beeindruckend und von einer ruhigen, ergreifenden Schönheit. „Jeder von uns bewohnt die Welt auf seine Weise“ ist anspruchsvoll, aber nicht verkopft oder larmoyant. Der Spannungsbogen ist eher flach, und dennoch packt und vereinnahmt der Roman.


    Paul Hansen, der erwachsene Sohn eines dänischen Pfarrers und einer französischen Schönheit, die aus einem Provinz-Programmkino eine revolutionäre Zelle geformt hat, sitzt in einem Knast in der kanadischen Millionenstadt Montréal. Er hat zwei Jahre ohne Bewährung erhalten, für ein Verbrechen, von dem der Leser erst ganz am Ende der Geschichte erfährt, und er meint, diese Strafe verdient zu haben. Pauls Frau Winona ist tot, wie wir früh erfahren, und ebenso steht es um den geliebten Hund Nuok, aber wie es dazu gekommen ist, auf diese Information muss man ebenfalls bis zum Ende warten. Bis dahin lesen wir viel über den Knastalltag im kalten und von Ratten heimgesuchten Gefängnis, in dem sich Paul eine „Condo“, wie die Zwei-Mann-Zelle scherzhaft genannt wird (englisch für „Eigentumswohnung“), mit einem Hell’s Angel namens Patrick Horton teilt, der nach dem Kacken das Klo mit einem Tuch bedeckt und panische Angst vor dem Haareschneiden hat. Diese Erzählung wechselt sich ab mit der Vorgeschichte, als Paul Hansen Hauswart und später Verwalter eines 68-Parteien-Wohnhauses namens „Excelsior“ war, und mit der Geschichte seiner Eltern, seiner Kindheit, dem Scheitern der elterlichen Ehe und dem Niedergang des väterlichen Glaubens. Es gibt dänische, kanadische und französische Kulturgeschichte, und immer wieder spielen technische Entwicklungen eher diffuse Rollen.


    So schön sich dieser Text liest, so wenig kann die Erzählkunst darüber hinwegtäuschen, dass die Geschichte oft vorhersehbar ist, und die Auflösung gleichsam lapidar und unoriginell. Die Selbstkasteiung - Hansen verweigert sich jeder Chance auf vorzeitige Haftentlassung - ist nur begrenzt glaubwürdig, und der mächtige innere Gegner, auf den man gespannt wartet, entpuppt sich als äußerer Schurke von der Stange. Über allem aber schwebt die Frage, wie diese Einfachheit im Dasein, die Paul Hansen für sich gelebt hat, mit dieser überbordenden Sprachgewalt, der beneidenswerten Weisheit und intensiven Klugheit des Ich-Erzählers zu synchronisieren wäre. Diese Asynchronität blieb bis zum Ende und darüber hinaus: Hansen und Dubois passen irgendwie nicht unter denselben Hut.


    Aber „Jeder von uns bewohnt die Welt auf seine Weise“ ist auch mit diesem Makel ein äußerst lesenswerter und aus gutem Grund vielfach preisgekrönter Roman.