Das vielleicht schönste Buch einer Obdachlosen aus England: Raynor Winn - Der Salzpfad
Ignorieren wir mal den Aufkleber mit dem "Spiegel-Bestseller" - der leider kein Aufkleber ist, sondern sich als Aufdruck entpuppte, was mich ganz schön genervt hat (vielleicht brauche ich nun doch mal eine Brille...)
Erschienen ist das Buch bereits 2019, im Dumont Verlag mit 336 gehaltvollen und großen Seiten.
Beschreibung:
Alles, was Moth und Raynor noch besitzen, passt in einen Rucksack. Sie haben alles verloren – ihr Zuhause, ihr Vermögen und Moth seine Gesundheit. Mit einem kleinen Zelt machen sie sich auf, den South West Coast Path, Englands berühmten Küstenweg, zu wandern. Mit einem Mal ist ihr Zuhause immer nur dort, wo sie gerade sind. Sie kämpfen mit Vorurteilen, Ablehnung und der Sorge, dass das Geld für den nächsten Tag nicht mehr reicht. Und zugleich entdecken sie auf ihrer großen Wanderung das Glück: herzliche Begegnungen, ihre neu erstarkte Liebe und die Fähigkeit, Kraft aus der Natur zu schöpfen. Allen Prophezeihungen zum Trotz führt sie der mehrmonatige Trip zurück ins Leben und öffnet die Tür zu einer neuen Zukunft.
Meine Meinung:
Raynor und Moth aus Wales verlieren tatsächlich alles, was ihr Leben ausgemacht hat: die erwachsenen Kinder sind ausgezogen und ihren Hof, der durch Feriengäste auch für ihr Auskommen gesorgt hat, verlieren sie durch einen Formfehler vor Gericht (in Selbstverteidigung). Nun stellen sie sich einer bitteren Wahrheit: sie sind 50 Jahre alt und eigentlich obdachlos. Nur eine Woche nach der verlorenen Gerichtssache bekommt der Ehemann, Moth, auch noch ein vernichtendes Urteil seine Gesundheit betreffend. Manchmal regnet es eben Scheiße vom Himmel, statt Manna.
Was bleibt einem da noch anderes übrig, als Wandern zu gehen, um mit sich selbst wieder ins Reine zu kommen? Ich kann es jedenfalls nachvollziehen: nichts. Man will ja niemandem zur Last fallen.
Also gehen Raynor und Moth wandern. Auf dem Küstenpfad in Südengland. Mit der kostengünstigsten Ausrüstung, die sich nur finden ließ.
Mir ging die Geschichte der beiden oft so nahe (und die beiden sehen auf den Fotos im Buch so sympathisch aus), dass ich am liebsten durch die Zeit gereist wäre, um ihnen in dem ein oder anderen Küstenörtchen eine Portion Pommes oder einen Cream-Tea auszugeben. Ich war mit auf der Wanderung und habe die schroffen Felsen bestiegen, mir die Füße blutig gelaufen, mir Pommes von Möwen klauen lassen und unglaubliche, durch die Seeluft fast salzige, reife Brombeeren gegessen, habe gefroren, mir in der Sonne das Gesicht verbrannt und festgestellt, dass in England ziemlich viele Arschlöcher, aber auch (einige wenige) herzliche Gestalten zu finden sind, sowie etliche marode Stellen in der britischen Gesetzgebung- und Handhabung (ist ja wahrscheinlich überall so, wenn ich die Augen zu mache, dann ist das gar nicht da - in diesem Fall die vielen Obdachlosen...).
Kurz gesagt, ich liebe das Buch.
Kritiken wie "es wiederholt sich zu oft" oder "die Landschaftsbeschreibungen sind langweilig" kann ich kaum gelten lassen oder ernst nehmen. Leute, dann kauft euch doch kein Wanderbuch!
Von mir gibt es jedenfalls 9 sehr gute Punkte.
Ich wünsche den Beiden alles Gute dieser Erde.