Hester Prynne ist gerade niedergekommen. Vorderhand nicht unbedingt ein Grund Trübsal zu blasen, es sei denn man lebt in einer puritanischen Kleinstadt im Neu-England des 16. Jahrhunderts und weigert sich, den Namen des Vaters zu nennen. Hester Prynne ist zu allem Überfluss bereits verheiratet, ihr Ehemann allerdings, so wird allgemein angenommen, hat auf seiner Reise in die neue Welt ein nasses Grab gefunden und kommt daher als Vater nicht in Frage.
Die Leserschaft erfährt jedoch recht schnell: Der Totgeglaubte lebt und wohnt, Rachepläne schmiedend, der öffentlichen Zurschaustellung bei, der sich Hester Prynne als Zeichen ihrer Schande unterziehen muss. Drei Stunden steht sie mit ihrem Kind auf dem Arm auf einem Gerüst, das auf dem Marktplatz aufgebaut ist, und wird von der Menge angegafft. Und damit sie ihre Schande auch niemals vergisst, muss sie sich selbst stigmatisieren: Das Urteil, das über sie gesprochen wird, umfasst das verpflichtende dauerhafte Tragen eines scharlachroten "A" auf ihrer Kleidung. A wie Adultery.
Nathaniel Hawthornes bekanntester Roman erschien erstmals im Jahr 1859. Er war nicht zuletzt eine Abrechnung mit seinen eigenen puritanischen Vorfahren, deren Geschichte er in einem teilweise autobiographischen Einleitungskapitel zu The Scarlet Letter vorausschickt.
Der Text selbst ist sehr eigenwillig erzählt. Neben der ungewöhnlich ausführlichen Einleitung, die neben der erwähnten Kritik an seinen Ahnen auch die Rahmung für die Romanhandlung liefert, besteht das Buch aus 23 eher kurzen Kapiteln, die von einem stets spürbaren Erzähler dargeboten werden. Dabei wirken die einzelnen Kapitel wie panoramaartige Bildbeschreibungen, dh sie sind in sich sehr statisch und mit ausufernden Beschreibungen aller Art durchsetzt. Diese Darstellungssweise hemmt ein wenig den Lesefluss.
Sehr interessant ist nichtsdestoweniger die Beobachtung Hester Prynnes, die so gelingt. Sie nimmt ihr Urteil mit Stolz an und fertigt sich, selbst eine Meisterin der Nähkunst, den Buchstaben ihrer "Schande" als eine Art Schmuckstück an. Im Grunde ist der scharlachrote Buchstabe freilich eher ein Zeichen der Schande für die engstirnige religiöse Moral, die die puritanische Gemeinschaft, in der Hester Lebt, mit solch unverwüstlicher Inbrunst vor sich herträgt. Hester Prynne fügt sich dabei diesen Moralvorstellungen bis zu einem gewissen Grad, der Erzähler weist immer wieder auf ihr Bewusstsein um den einen Fehltritt hin, dem sie ihr ganzes Leben freiwillig unterordnet. Hester Prynne ist so weniger eine Rebellin als eine Allegorie für das Verhaftetsein mit dem eigenen Platz in der Welt und sei er noch so verhasst.
Edit: Titel und ISBN der deutschen Ausgabe eingesetzt, damit diese auch über das Verzeichnis zu finden ist. LG JaneDoe
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