Lévi-Strauss: Eine Biographie - Emmanuelle Loyer

  • Gerade lese ich eine Biographie von Claude Lévi-Strauss von Emmanuelle Loyer

    aus dem Suhrkamp Verlag.



    "Wissenschaftler, Schriftsteller, Melancholiker, Ästhet – Claude Lévi-Strauss (1908-2009) hat nicht nur Wissenschaftsgeschichte geschrieben, sondern auch unseren Blick auf uns selbst und auf die Welt verändert. In ihrer preisgekrönten Biographie durchmisst die Historikerin Emmanuelle Loyer das Leben und den intellektuellen Werdegang des weltberühmten Anthropologen."


    Wie so oft kam ich über ein Podcast auf dieses Buch.

    Zuerst hat mich sein Blick auf indigene Völker und Kulturen interessiert.

    Dann habe ich mich an seinen Studienjahren in Paris und der ersten Lehrtätigkeit in Frankreich festgelesen, auch wegen der Querverweise zu berühmt gewordenen Altersgenossen- und genossinnen.


    Jetzt begleite ich das Ehepaar Lévi-Strauss in Brasilien und obwohl ihre Tätigkeit dort in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts stattfand, sind manche Bezüge zu Entwicklungen in Brasilien auch heute noch interessant. Auch die vielen Photos sind spannend.

    Claudes Ehefrau Dina spielt in diesen Jahren auch aufgrund ihrer eigenen Forschungen eine wichtige Rolle und es gefällt mir, dass auch das im Buch gewürdigt wird.


    Ich werde wohl noch eine Weile beschäftigt sein.....:lesend

  • Noch immer in Brasilien. Gerade beschäftigt mich der Umgang mit den indigenen Völkern.

    Im Brasilien galten ab 1928 alle "Indianer" als Minderjährige, Als besondere "Wohltat" wies man ihnen öffentliches Land zu, das sie nutzen durften um sie auf den Weg der Zivilistation zu leiten.


    Die Expeditionen, an denen jeweils mehrere Forscher teilnahmen, führten vor allem ins Hochland des Mato Grosso. Ganz schnell wird ein Dilemma der ethnologischen Forschung deutlich. Man möchte möglichst Menschen finden, die noch wenig oder gar keinen Kontakt zu Weißen hatten.

    Das führte dann dazu, dass man sich mit ihnen gar nicht verständigen konnte.

  • 1939, 1940 zurück in Frankreich, Krieg, deutsche Besatzung, Rückzug ins Elternhaus in den Cevennen und kurzfristige Arbeit als Lehrer.

    Als Jude wird seine Lage aber unhaltbar und Lévi-Strauss sucht nach Alternativen. Schnell zerschlägt sich die Möglichkeit der Rückkehr nach Brasilien und deshalb betreibt er seine Ausreise in die Vereinigten Staaten. Hier hat er aufgrund der Fürsprache von Kollegen mehr Glück und erhält eine Einladung und ein Visum.


    Für mich war die Schilderung der Bürokratie, der vielen kleinen Hindernisse, an denen so viele gescheitert sind, besonders interessant. Auch die tatsächliche Reise, über Martinique und Puerto Rico nach New York ist keine Vergnügungsreise, die Zustände auf dem Schiff ähneln "einer über den Atlantik treibenden Viehgaleere".

    Auch auf Martinique werden die Flüchtlinge, unter ihnen noch andere bekannte Persönlichkeiten wie Anna Seghers, Victor Serge und André Breton, durch die Kolonialregierung wie Verbrecher behandelt.

  • In New York angekommen.

    Und gleich taucht Lévi-Strauss in eine vielschichtige Welt aus Emigranten und einheimischen Wissenschaflern ein. Beeindruckend ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Wissenschaftlern und Künstlern aus den unterschiedlichsten Weltgegenden.


    Mir gefällt der sachkundige Blick der Autorin von außen, die einen Überblick über diese in jeder Hinsicht außergewöhnlichen, spannenden Jahre in New York verschaffen kann. Aufgrund der Verfolgungen in Europa hat sich dort eine Vielzahl von klugen und kreativen Köpfen versammelt.


    Es gibt allerdings einen großen "Nachteil" - nach fast 400 Seiten ist meine Bücherliste so lang, dass ich Jahre brauchen werde, wenn ich auch nur die Hälfte lesen möchte. :)

  • Nach der Befreiung Frankreichs, Rückkehr nach Paris, vielfältige Enttäuschungen im akademischen Leben Fuß zu fassen und verschiedene Tätigkeiten bei internationalen Organisationen.


    Den Zusammenhang zwischen Befreiung von der Naziherrschaft und dem Ruf nach Entkoloniarisierung habe ich noch nie gesehen. Hier erscheint er logisch.

  • Ich bin noch lange nicht durch.

    Das Buch führt mich immer wieder auf Seitenpfade, aktuelle Entwicklungen.

    Schon damals wurde eine Diskussion darüber geführt, ob es menschliche Rassen überhaupt gibt, was durchaus noch allgemeine Meinung war.

    Gerade beschäftige ich mich mit Aimé Césaire, der mir bisher völlig unbekannt war. Sein jetzt wieder neu übersetzter Text "Discours sur le colonialisme" ist ein auch heute noch wichtiger Beitrag zum Rassenhochmut des Westens.

  • Emmanuelle Loyers Biografie von Claude Lévy-Strauss ist eine der besten Biografien, die ich in den letzten Jahren gelesen habe. Sie versteht Ethnografie und ihre eigenen Blick als Historikerin wunderbar miteinander zu verknüpfen.


    Viel Vergnügen, Rumpelstilzchen, weiterhin beim Lesen.


    PS. In meiner Bibliothek stehen einige Bücher, die Claude Lévy-Strauss mir als Studentin und später noch signiert hat. Ich war mal ein Fan von ihm.

  • Sequana, genau das ist auch mein Eindruck bisher. Das Buch verschafft einen weiten Überblick über große Bereiche des Denkens im 20. Jh, weit über die Ethnografie und Philosophie hinaus.

    Es verschafft auch einen Eindruck davon, welche Auswirkungen dieses Denken auf die damalige und auch noch die heutige Politik und unsere eigene Gesellschaft hat.


    Wertvoll finde ich auch den Blick von außerhalb des engen bundesdeutschen Blickwinkels - typisch für französische und britische Wissenschaftler, die sich mit der Geschichte ihrer Länder beschäftigen.


    In den letzten Jahren sind recht viele interessante Biographien erschienen, diese gehört auf jeden Fall dazu.