Verdunstete Literaturkritik?

  • „Wo kann ein Literaturkritiker heute überhaupt noch seinen Platz finden? Oder ist dieser Platz verdunstet?“, fragt die Kritikerin und frühere Bachmann-Jurorin Sigrid Löffler, erkennt auf dem Feld der professionellen Rezensionen einen Paradigmenwechsel und sagt sogar: „Es ist nicht mehr der Kritiker, der hier die entscheidende Figur ist. Es ist der Konsument, und was der Konsument gerne konsumiert, wofür er bereit ist, Geld auszugeben und womit er seine Zeit verbringt, das ist auch gut. Und der Kritiker, der dann eine andere Zugangsweise hat, ist eigentlich gar nicht mehr gefragt.“


    Anlass für diese bemerkenswerten Aussagen ist Löfflers kritische Sicht auf die diesjährige Verleihungs"show" für den Bachmann-Preis in Klagenfurt, von der sie sagt, sie sei "wohl eher ein Relevanztheater". Doch darüber hinaus trifft Löffler ein paar sehr grundsätzliche Aussagen zum Wert der Literaturkritik heute. Siehe hier:

    https://www.deutschlandfunkkul…x3K0hsKaXRxk8DxCtV9Yb4mRQ


    Das alles passt sehr gut in unsere lebendige Eulendiskussion über Buchbesprechungen, die wir gerade an anderer Stelle geführt haben und in der ja auch die Unterschiede zwischen professionellen und Leser-Rezensionen eine Rolle spielten. Was denkt ihr denn über Löfflers Behauptung, Literaturkritik (und sie meint natürlich die professionelle) spiele insgesamt nur noch bei Belletristik im engeren Sinne und beim Qualitätssachbuch eine Rolle, und „In allen anderen Bereichen, glaube ich, kommt der Buchmarkt glänzend ohne Literaturkritik aus. Die Bücher brauchen dort überhaupt gar keine Kritik mehr, da geht es um das Engineering von Bestsellern.“ ?


    Spannendes Thema, finde ich.

  • In Zeiten der Digitalisierung wurden die Berufskritiker, wie Löffler oder MRR und viele andere, von der Entwicklung überrollt, jetzt wundern sie sich, dass niemand mehr nach ihrer Meinung fragt. Okay, einige wenige tun dies sicher immer noch und würden Literatursendungen gerne ansehen, Kritikermeinungen hören (und lesen) und darüber diskutieren.

    Aber der lesende Konsument hat sich lieber in die sozialen Netze zurückgezogen, da geht alles schneller, kürzer ist eben immer aktuell. Aktuell im Sinne: Das steht jetzt hier, so ist es, in fünf Minuten ist es anders, oder nicht mehr aktuell, es geht eben zack, zack und zack und weg. Und was Neues ist da und niemand kommt wirklich mehr richtig mit.

    So gesehen hat das Eulenforum für intelligente LeserInnen eine ungeahnte Zukunft. Hier nimmt man sich noch die Zeit, zu "reden".

    Vielleicht sollten die Löfflers ein eigens Kritikerforum aufmachen und sich mit den Eulen und anderen vernetzen. Da würden sie sicher gelesen werden.

    Schon der weise Adifuzius sagte: "Das Leben ist wie eine Losbude, wenn Du als Niete gezogen wurdest, kannst Du kein Hauptgewinn werden.":chen

  • Das passt eben punktgenau ins Bild. Alles wird beliebiger und oberflächlicher. Die Literatur wird immer banaler udn die Kritiker sind heute irgendwelche 08/15-Leser. Und diese Leser nennen ihre Zwei-Sätze-Kritik auch noch anmaßend und hochtrabend "Rezension".

    Auch die Literaturkritik ist ein Spiegel der Gesellschaft.

    Und wieder ist man bei der Niveaufrage.


    Wäre ja auch schlimm, wenn man beim Lesen mal seinen Grips einschalten müsste.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Ich habe mit der Literaturkritik schon immer das Problem gehabt, dass ich das, was da empfohlen wurde nicht lesen mag. Eine Preisverleihung führt bei mir gerne dazu das Buch nicht mehr zu lesen.

    Ich vermute mal, dass es mehr Leuten geht wie mir...


    Was nicht heisst, dass Literturkritik überflüssig ist, ich gehe mal davon aus, dass es doch Menschen gibt, die sich damit beschäftigen.


    Die Aussage, dass das was dem Konsumenten gefällt auch gut ist und sich alles nur noch um das Gefallen des Konsumenten dreht, finde ich ein wenig seltsam. Für wen werden Bücher denn geschrieben? Für Leser, die das Buch gerne lesen, zu mindestens meiner Meinung nach. Dass das nicht immer hohe Literatur ist, ist für mich eigentlich normal. Nicht jeder hat die Zeit und vor allem die Lust sich mit einem 200 Seiten Buch über Wochen zu beschäftigen. Ja, ab und zu ist das in Ordnung, aber manchmal lese ich auch nur, um meinem Umfeld zu entfliehen, mich in andere Welten entführen zu lassen.


    Da sind wir dann wieder bei der Trennung zwischen E und U Literatur. Ich finde es vermessen Genreliteratur als nicht rezensierbar zu bezeichnen. Damit wertet man nicht nur die Bücher und deren Autoren ab, sondern auch deren Leser. Finde ich schwierig.


    Und da ist sie wieder, die Diskussion die hier immer mal wieder hochkocht :-)

  • ich teile Sigrid Löfflers pessimistische Sicht nicht in dem Maße.

    Es gibt immer noch Literaturkritik von Niveau, z.B. im Radio bei SWR 2 Literatur, SWR2 Bestenliste, Literatur im Gespräch SR2, Buch der Woche, Löfflers Lektüren auf Radio Bremen, Buchtipps Christine Westermann auf FrauTV, etc.

    Im Fernsehen den Literaturclub!


    Und der diesjährige Bachmannpreis-Wettbewerb hat mir auch ganz gut gefallen, auch in dieser Form. ich verstehe aber auch, dass Löfflers zurückhaltenderes Temperament da empfindlicher ist.

  • Das passt eben punktgenau ins Bild. Alles wird beliebiger und oberflächlicher. Die Literatur wird immer banaler udn die Kritiker sind heute irgendwelche 08/15-Leser. Und diese Leser nennen ihre Zwei-Sätze-Kritik auch noch anmaßend und hochtrabend "Rezension".

    Auch die Literaturkritik ist ein Spiegel der Gesellschaft.

    Und wieder ist man bei der Niveaufrage.


    Wäre ja auch schlimm, wenn man beim Lesen mal seinen Grips einschalten müsste.

    Tja, dann gehöre ich wohl zu den Leuten, die das nicht tun, ich lese nun einmal gerne Bücher, bei denen ich auch mal abtauchen kann.

    Da wird sich immer beschwert, dass die Leute nicht lesen. Dann lesen sie und es ist auch wieder nicht gut, weil sie nur "Schund" lesen. Ich finde das ziemlich elitär.

  • Aus dem eingangs verlinkten Artikel: „indem sie einander überschreien und wild gestikulieren. Da wollten sie ein bisschen eigene Bedeutsamkeit herbeifuchteln“ (Löffler über Klagenfurt)

    Löfflers Kritik an Klagenfurt ist unberechtigt, denn exakt genau so verhielt sich das schon, als sie höchstpersönlich im „Literarischen Quartett“ saß und MRR die anderen überschrie und wild gestikulierte und ein bisschen Drama en miniature schuf – während sie selbst da wurzelte und eine blasse Gouvernante gab.

    MRR's Leidenschaft war ein Glücksfall für die Literatur, im Fernsehen freilich mehr für Werbung denn für Rezeption, für Letzteres muss man schon seine Bücher lesen.


    Die allgemeinen Tendenzen, die sich nicht erst aus dem digitalen Zeitalter ergeben, sondern schon deutlich wurden, als die Bilder laufen lernten, treffen die Literaturkritik (ein unbeliebter Beruf, bei Autoren geradezu verhasst, mir fällt da gerade ein Statement von Nietzsche ein, da sträubt sich die Feder :grin)

    wohl härter noch als andere Bereiche im Umfeld des geschriebenen Wortes. Wer will sich heutzutage noch eine ellenlange, dröge Kritik eines professionellen Kritikers über ein literarisches Werk antun, zumal er ja oft davon ausgehen kann, dass er das exakte Gegenteil in einer anderen ellenlängen, drögen Kritik eines professionellen Kritikers lesen kann? Da vertraut er lieber oft gleich der visuellen Kraft von 5 goldenen Sternen. Und wenn sie dann eine ganze Galaxie bilden, ist es für manche schon fast ein Muss ...

    Die Marktmechanismen des digitalen Zeitalters, Social Media (nicht zwingend schlecht, denn gleiche Interessen und das Vertrauen in ein Gegenüber, das man oft schon kennt, erleichtern die gute persönliche Wahl), sinkende Aufmerksamkeitsspannen, zunehmende Oberflächlichkeit uswusf. kommen hinzu …

    "Alles gackert, aber wer will noch still auf dem Neste sitzen und Eier brüten?" (Nietzsche) - und das muss man manchmal bei einem guten Buch.


    Übrigens, zuweilen stolpert man auch hier über den Bullshit, Kriminalromane seien grundsätzlich keine „richtige Literatur“. Nur weil der Leser hier oft nicht durch tödliche Langeweile gemordet wird, offenbar ein wichtiges Güte-Kriterium deutscher Feuilleton-Ideologie, wenigstens noch vor Jahren, heißt das nicht, dass es in dem Genre nicht auch glänzende Stilisten gibt, und da muss man nicht zu großen Autoren wie Chandler, Hammett oder Ross Macdonald zurückgehen, die die Brüche unseres Zeitalters schon beschrieben, als es den Begriff noch gar nicht gab, wie weiland Fauser mal meinte.

  • Tot ist die professionelle Literaturkritik nicht, aber ich fürchte auch, dass sie stirbt, was ich persönlich sehr bedauern würde, denn neben unserem Eulenforum ist gehörte Literaturkritik für mich immernoch Quelle und Empfehlung ein Buch zu kaufen oder eben nicht.

    Ich höre gern die Literatursendungen in Deutschlandradio Kultur und DLF, und ja, ich bekenne, Denis Schecks Verrisse verkneife ich mir und lese eher seine Empfehlungen, die sich oft mit meinem Lesegeschmack decken.

  • Übrigens, zuweilen stolpert man auch hier über den Bullshit, Kriminalromane seien grundsätzlich keine „richtige Literatur“. Nur weil der Leser hier oft nicht durch tödliche Langeweile gemordet wird, offenbar ein wichtiges Güte-Kriterium deutscher Feuilleton-Ideologie, wenigstens noch vor Jahren, heißt das nicht, dass es in dem Genre nicht auch glänzende Stilisten gibt (...)

    Genau das ist - neben der allzu trüben Untergangsprophezeiung für die gesamte professionelle Literaturkritik - etwas, das ich mich an Frau Löfflers Einlassungen stört: Mit ihrer These, die gesamte Genreliteratur sei „praktisch unrezensierbar“, begeht sie genau die intellektuelle Unredlichkeit (Das Ergebnis dieser elitären Dummheit ist jetzt schon offenkundig), die durchaus zum vollständigen Niedergang ihrer Zunft führen kann.

  • Vielleicht sollten die Löfflers ein eigens Kritikerforum aufmachen und sich mit den Eulen und anderen vernetzen. Da würden sie sicher gelesen werden.

    Dann müssten sie sich aber dazu herablassen, auch solche Bücher ernst zu nehmen, die sie heute aus elitärem Hochmut zu "Genreliteratur" erklären, "die praktisch unrezensierbar" sei. :lache

  • Dass das nicht immer hohe Literatur ist, ist für mich eigentlich normal.

    Da liegt der Hase im Pfeffer: Was ist "hohe Literatur"?

    Ich bekomme - nicht zuletzt bei gewissen Veranstaltungen zu Literaturpreisen - zunehmend den Eindruck, abgehobene Literaturkritiker hielten das für "hohe Literatur", was möglichst weit von dem entfernt ist, was gern gelesen wird.

    Wohlgemerkt: Es wird unglaublich viel Schund an Büchern produziert - und auch gekauft und gelesen. Aber es gibt eben auch in der viel geschmähten Genreliteratur echte Perlen, die es dennoch nie z. B. ins Literarische Quartett schaffen.

    Denis Scheck ist da eine löbliche Ausnahme, er bespricht und empfiehlt auch schon mal z. B. gute Sci-Fi- oder Kriminalromane (ohne sich jedoch zu scheuen, den sprachlichen Müll eines gewissen Thrillerautors auch einen solchen zu nennen).

  • Da liegt der Hase im Pfeffer: Was ist "hohe Literatur"?

    Ich bekomme - nicht zuletzt bei gewissen Veranstaltungen zu Literaturpreisen - zunehmend den Eindruck, abgehobene Literaturkritiker hielten das für "hohe Literatur", was möglichst weit von dem entfernt ist, was gern gelesen wird.

    Genau das ist der Grund weswegen ein Literaturpreis für mich eher zur Abschreckung dient. Das was die meisten Kritiker als gute Literatur bezeichnet, macht es mir schwer es mit Vergnügen zu lesen. Dennis Scheck ist da tatsächlich eher die Ausnahme


    Die Aussage Unrezensierbarkeit der Genreliteratur ist für mich eigentlich ein Witz, alles was ein Literturkritiker so bewertet ist also keine Literatur und nicht wert gelesen zu werden?


    Damit disqualifiziert sich die Dame bei mir schon komplett. Ich kann ein Buch oder ein Genre nicht mögen, aber wer bin ich, ihm die Daseinsexistenz abzusprechen.Gut, ich bin auch kein Literaturkritiker und werde in meinem Leben auch keiner mehr werden.

    Ohne jetzt Beispiele nennen zu können würde ich mal behaupten, dass viele Bücher zum Erscheinungsdatum als Schund von den Kritikern abgetan wurde und heute zum allgemein gültigen Literaturkanon gehören.

    Die Zeit und der Geschmack ändern sich. In allen Genres gibt es gute und schlechte Bücher und manchmal sind auch schlechte Bücher erfolgreich. Aber das war doch immer schon so.

    Und in Zeiten, in denen Kinder immer weniger lesen und immer weniger Leseverständnis besitzen, zu jammern, dass nur noch schlechte Bücher auf dem Markt sind, die nicht rezensierbar sind, ist Jammern auf ganz schön hohem Niveau.

    Ich freu mich über jedes Buch das gelesen wird. Auch wenn es mir nicht gefällt.

  • Denis Scheck ist da eine löbliche Ausnahme, er bespricht und empfiehlt auch schon mal z. B. gute Sci-Fi- oder Kriminalromane (ohne sich jedoch zu scheuen, den sprachlichen Müll eines gewissen Thrillerautors auch einen solchen zu nennen).

    Gebe es einen Preis für den grössten Dummschwätzer in der Literaturszene, Denis Scheck hätte da konkurrenzlos die Nase vorn. Ein peinlicher Selbstdarsteller, mehr ist er leider nicht.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Professionelle Literaturkritik hat meines Erachtens immer noch ihre Berechtigung. In einer Zeit, in der die Branche bemüht ist, immer schneller immer mehr Bücher auf den Markt zu bringen, sogar mehr denn je, da sie eine wertvolle Hilfe für LeserInnen sein kann, die Spreu vom Weizen zu trennen.


    Vor vielen Jahren habe ich mich gar nicht für Literaturkritik interessiert. In den letzten Jahren hat sich das gewandelt, und ich verdanke viele tolle Leseerlebnisse professionellen Kritikern, von denen einige auch durchaus Genreliteratur rezensieren. Und ich bin sehr froh darum, dass ich auf diese Weise das ein oder andere Highlight identifizieren konnte, das ich in der Masse eventuell nicht entdeckt hätte.


    Dass Sigrid Löffler wahrnimmt, dass professionelle Literaturkritik bedeutungslos werden könnte, ist im ersten Schritt schon mal gut, wenn diese Erkenntnis in der Folge zu Veränderung führt. Denn diese tut meines Erachtens Not. Nicht nur anderen Berufsbildern sondern auch dem Literaturkritiker bieten sich ich mit neuen Medien Möglichkeiten, die es so nie gab. Es wäre an der Zeit, diese kreativ zu nutzen, und damit den Raum für Literaturkritiker wieder zu vergrößern. Das soll nicht heißen, dass es keine guten Formate gibt, aber da ist glaube ich schon noch einiges an Luft nach oben...

  • Gebe es einen Preis für den grössten Dummschwätzer in der Literaturszene, Denis Scheck hätte da konkurrenzlos die Nase vorn. Ein peinlicher Selbstdarsteller, mehr ist er leider nicht.

    Eigentlich müßte er Dir doch sympathisch sein: er provoziert gerne und in der Regel benennt er Schund und Schmonzetten als solche. :grin

  • "Denn diese tut meines Erachtens Not. Nicht nur anderen Berufsbildern sondern auch dem Literaturkritiker bieten sich ich mit neuen Medien Möglichkeiten, die es so nie gab. Es wäre an der Zeit, diese kreativ zu nutzen, und damit den Raum für Literaturkritiker wieder zu vergrößern. Das soll nicht heißen, dass es keine guten Formate gibt, aber da ist glaube ich schon noch einiges an Luft nach oben..."


    Ich glaube nicht, dass da viel Luft nach oben ist. Kritiker leben davon, dass sie bezahlt werden. Wer will heutzutage, da jeder den Cent 25x umdreht, noch für LiteraturKRITIK bezahlen, wo er das ganz ähnlich auch auf anderen Plattformen umsonst haben kann. Das Feuilleton wurde bei Zeitungen immer schon mit durchgeschleppt - aus Prestigegründen.

    Professionelle Literaturkritik wird bleiben, und das ist auch gut so, aber es wird weiter beschnitten werden.

  • In meinem RL lesen die Menschen entweder gar nicht oder nur zur Unterhaltung. Es gibt doch sicher etliche Statistiken und Umfragen; wie viele Menschen in Deutschland lesen überhaupt, wie viele Bücher pro Jahr werden gelesen, wie viele davon sind "kritikfähig"... Ich glaube, da kommt man dann tatsächlich auf erschreckend geringe Zahlen.


    Außerdem:


    - wenn die Gesellschaft zum einen immer mehr verdummt (was im Vergleich zu vor 200 Jahren so auch nicht stimmt) und auf der anderen Seite die (vermeintlich) Intelligenten 12 Stunden pro Tag arbeiten und in ihrer Freizeit keine Lust mehr haben, anspruchsvoll zu lesen, dann bleibt die hochgeistige Literatur eben auf der Strecke, bis auf ein paar Dinosaurier vielleicht (aus Leser- und Autorenkreisen).


    - wie soll man seinen Grips anstrengen, wenn keiner vorhanden ist oder dieser einfach nicht ausreicht? Und ich meine das jetzt wirklich ganz sachlich betrachtet.


    - es gib zu viele Freizeitangebote und auch zu viele Leute, die sich diese leisten können.


    - ein Buch zu lesen klärt einen vielleicht auf, aber es löst keine Probleme. Viele betrachten dies als Zeitverschwendung. Viele interessieren sich nicht für die Probleme.


    Vielleicht dreht sich das mit der nachkommenden Generation ja wieder. Vielleicht legen diese wieder mehr wert auf Daheimbleiben, Natur und Lesen?


    Ansonsten muss man sich mit Änderungen vielleicht auch einfach mal abfinden. Ich kann mich jedenfalls eher damit abfinden, dass Literaturkritiker aussterben, als dass es die Eisbären tun.

    „An solchen Tagen legt man natürlich das Stück Torte auf die Sahneseite — neben den Teller.“

  • Nein, die Literatur selbst ist nicht banaler geworden, lieber Voltaire. Banale, ja belanglose Literatur gab es schon immer, und solche, die wirklich nur zum Zweck der kurzfristigen Unterhaltung geschaffen wurde. Ich würde sogar gegenreden: Die Groschenhefte von heute sind teilweise literarisch hochwertiger als das rororo-Programm von 1975.


    Aber es gibt mehr von allem. Viel mehr. Dadurch entsteht auch der Eindruck, es gäbe insgesamt eine Tendenz. Das liegt aber eher daran, wie man welchen Ausschnitt betrachtet. In welcher Blase man sitzt. Wo in Blickrichtung der Tellerrand ist.


    Und zur Literaturkritik: Der Bildungsbürger, der sich früher an der Literaturkritik geweidet hat und sich danach dabei gefiel, sie im Gespräch mit einem ebenso gebildeten Gegenüber zu zitieren, den gibt es nicht mehr. Wir haben allgemein einen Verlust an Reputation bei den so genannten Experten, was nicht zuletzt daran liegt, dass wir heute mehr darüber wissen, wer diese Leute sind und wie sie arbeiten - sie sind entzaubert. Wir haben aber auch viele Zwischenschichten, die hinzugekommen sind, und aus Menschen, die ihre Meinung früher nur direkt ausgetauscht haben, sind Multiplikatoren geworden, wie hier, bei den Eulen. Das ist eine tektonische Verschiebung. Gleichzeitig ist Unterhaltung nicht mehr pfui-bäh und E automatisch was Besseres. Es gibt mehr Crossover, mehr Hybride, mehr verschwimmende Grenzen. Eine Taschenbuch-Erstveröffentlichung markiert nicht mehr automatisch literarische Zweitklassigkeit, und Hardcover nicht das Gegenteil. All diese Verschiebungen gelten natürlich auch für die Rezeption, und damit für die Literaturkritik. Diese Kanonisierer, zu denen die jetzt etwas weinerlich daherkommende und hemdsärmelig aburteilende Frau Löffler gehört, diese Leute also, die zwischen "dem guten Buch" und "dem schlechten Buch" unterscheiden, die sind outdated, und ich würde sogar noch weiter als sie gehen: Die braucht selbst in der gehobenen Belletristik keiner mehr. Das liegt daran, dass der dahinterstehende Gedanke ein veralteter ist, der eine intellektuelle Hierarchie verkörpert hat (Ich weiß mehr als Du, also kann ich auch besser urteilen). Es braucht Leute, die gute Bücher angemessen reflektieren, aber Menschen, die nach Aufstehlaune entscheiden, wer verrissen wird oder mit wem man befreundet sein will, die können umschulen.


    All das heißt nicht, dass es keine gute Literaturkritik braucht, als Wegweiser, um sich orientieren zu können. Aber als Marketinginstrument oder als kulturelle Leitlinie ist das tatsächlich obsolet, vor allem in so selbstdarstellerischer Weise wie bei MRR und, ja, auch bei Frau Löffler. Literatur spricht heutzutage viel mehr für sich selbst, und das ist gut so.