Jean-Paul Sartre - Geschlossene Gesellschaft

  • ASIN/ISBN: 3499157691

    "Geschlossene Gesellschaft": Drei Personen, die im Leben einander nie begegnet sind, werden nach ihrem Tod für alle Ewigkeit in einem Hotelzimmer zusammensein. Das ist die Hölle. "Wenn meine Beziehungen schlecht sind, begebe ich mich in die totale Abhängigkeit von anderen. Und dann bin ich tatsächlich in der Hölle. Und es gibt eine Menge Leute auf der Welt, die in der Hölle sind, weil sie zu sehr vom Urteil anderer abhängen." (Jean-Paul Sartre)


    Vor Jahren habe ich dieses Buch gelesen. Ich kann mich an kaum etwas erinnern, nur dass ich es sehr gut fand und dass es keinesfalls so gruselig ist, wie der Klappentext vermuten lässt. Vielleicht geht es jemand von euch auch so und hat Lust, dieses 60-Seiten-Büchlein aus dem Regal hervorzuholen.


    Hier gibt es schon Meinungen dazu:

    Jean-Paul Sartre, Geschlossene Gesellschaft

  • 1. Szene


    Garcin kommt in die Hölle. Dass sie als Wohnzimmer eingerichtet ist, klingt ja sehr sympathisch. Allerdings ist der Stil für Garcin gewöhnungsbedürftig. Aber er kennt das ja: Leben mit Möbeln, die er nicht mochte, und in „schiefen Situationen“. Das ist schon eine ungewöhnliche Formulierung.

    Ich verstehe nicht, welche Bedeutung der Stil der Einrichtung hat, zumal jedes Zimmer in der Hölle anders eingerichtet ist.


    Garcin gelingt es nicht sofort, sich von seinen irdischen Vorstellungen von der Hölle zu lösen. Obwohl der Kellner sie als Blödsinn abtut, sucht Garcin nach Folterinstrumenten. Doch es geht hier um andere Foltermethoden, z. B. Schlaf.

    Ich dachte natürlich spontan an Schlafentzug, an dieses schreckliche Gefühl, wenn man todmüde ist, aber nicht schlafen kann. Aber darum geht es nicht.

    Ich bin erstaunt, wie schnell Garcin aus seinen Beobachtungen die richtigen Schlüsse zieht. Es geht um die erholsamen Unterbrechungen im Leben, die der Schlaf, ja sogar jeder Wimpernschlag verschafft.


    Das muss schon hart sein, wenn man keine Pause in seinen Wahrnehmungen, in seinem Denken hat.


    Und dann ist da noch ein Papiermesser ohne Bücher. Das ist wirklich gemein. Sich umbringen kann man sich damit aber sicher nicht. Nicht in der Hölle. ^^

  • Bei mir ist es fast 30 Jahre her, dass ich den Roman gelesen habe. Mal schauen, woran ich mich erinnere :grin


    Ich fand und finde es interessant, nach welchem Konzept die Hölle, hier in Form dieses Zimmers für die Insassen, hier Garcin, aufgebaut ist. Ich erinnere mich noch genau, welchen Aha- Effekt das damals beim Lesen für mich hatte.


    Die Hölle ist für jeden etwas anderes. Ich könnte dir exakt sagen, was und wie diese Hölle für mich aussehen würde.


    So sind die Qualen nicht greifbar, eher subtil und sehr persönlich. Erstmal scheint das alles für Garcin noch auszuhalten, aber für die Ewigkeit? Allein die Vorstellung...


    Ich sehe es auch so wie du: das Papiermesser ist eine unerreichbare, unerfüllbare Möglichkeit, und das ist irgendwann schon Folter, auch wenn G. es als solches Instrument nicht wahr- und ernstnimmt.

  • 3. Szene


    Jetzt kommt Ines dazu. Schon merkwürdig: Garcin wundert sich darüber, dass Ines in ihm den Folterknecht vermutet. Dabei ist es ihm vorher mit dem Kellner doch genauso ergangen.


    Jetzt komm ich beim Lesen ins Stocken. Ines meint, Folterkechte erkenne man an ihrer Angst. Und sie wüsste, wovon sie spreche, sie habe sich im Spiegel gesehen.

    Haben Folterknechte Angst? Foltern sie, weil sie Angst haben oder ist es umgekehrt? Hat Ines auch in irgendeiner Art gefoltert?


    Garcin weist es zunächst zurück Angst zu haben, um es dann schließlich doch zuzugeben.


    Zitat

    Ines: Warum denn? Angst konnte man vorher haben, als wir noch Hoffnung hatten.


    Garcin: Es gibt zwar keine Hoffnung mehr, aber wir sind noch immer vorher. Wir haben noch nicht angefangen zu leiden, mein Fräulein.




    Ich verstehe nicht, dass Ines denkt, dass die Angst aufhört, wenn keine Hoffnung mehr da ist. Ich kann mir vorstellen, dass es vielleicht sogar umgekehrt ist, dass Hoffnung hilft, die Angst zumindest zeitweise zu besiegen. Oder meint sie Resignation?

  • Ich habe versucht, mir ähnliche Situationen vorzustellen: mit einem Fremden in einem Zimmer, das man nicht so einfach verlassen kann, und man weiß nicht, was auf einen zukommt.

    Da habe ich spontan an ein Wartezimmer bei einem Arzt denken müssen.

  • Ich habe versucht, mir ähnliche Situationen vorzustellen: mit einem Fremden in einem Zimmer, das man nicht so einfach verlassen kann, und man weiß nicht, was auf einen zukommt.

    Ich glaube, das größte Problem ist diese Unausweichlichkeit, dieser Dauerzustand, den man nicht beeinflussen kann. Das erzeugt einen Druck, auf den man überhaupt keinen Einfluss hat, und das vielleicht für die Ewigkeit...

    Haben Folterknechte Angst? Foltern sie,weil sie Angst haben oder ist es umgekehrt? Hat Ines auch inirgendeiner Art gefoltert?

    Ich denke eher, dass eben diese Angst die Folter ist, nicht nur für den, der Angst hat, sondern auch für den, der mit den möglichen Folgen dieser Angst des Anderen und dem, was er aus dieser heraus vielleicht noch tun wird, zu leben hat.

    Klingt das verständlich?

    Aus Angst und dem Druck, den diese erzeugt, sind schon viele schlimme Dinge getan worden, wurde verraten, missverstanden, geschlagen, unterdrückt...

    Ich verstehe nicht, dass Ines denkt, dass die Angst aufhört, wenn keine Hoffnung mehr da ist. Ich kann mir vorstellen, dass es vielleicht sogar umgekehrt ist, dass Hoffnung hilft, die Angst zumindest zeitweise zu besiegen. Oder meint sie Resignation?

    Die Angst am Ende der Hoffnung ist wahrscheinlich am ehesten eine Angst, die aus der Ungewissheit entsteht. Da hat man die Hoffnung, dass immernoch alles gut werden kann.

    Garcin und Ines sind am Ende gestrandet. Die Hoffnung, dass sie gut und authentisch und rechtschaffen genug gelebt haben, um nicht nach ihrem Tod in der Hölle, was auch immer man sich darunter vorstellt und glaubt, zu landen, ist nun vorbei.

  • Ich glaube, das größte Problem ist diese Unausweichlichkeit, dieser Dauerzustand, den man nicht beeinflussen kann. Das erzeugt einen Druck, auf den man überhaupt keinen Einfluss hat, und das vielleicht für die Ewigkeit...

    Das mit der Ewigkeit ist ja eine schwierige Sache, so unvorstellbar. Ich frage mich, ob der Mensch nicht auch mit der Vorstellung der ewigen Glückseligkeit ein Problem hätte, wenn sie denn mal konkret werden würde. Nicht wegen der Glückseligkeit, sondern weil dann nichts mehr anderes kommt.

    Andererseits wenn es tatsächlich diesen Zustand eben sollte, dann gibt es vermutlich keine Zeit mehr, also auch keine Frage nach dem Danach.

    Ich denke eher, dass eben diese Angst die Folter ist, nicht nur für den, der Angst hat, sondern auch für den, der mit den möglichen Folgen dieser Angst des Anderen und dem, was er aus dieser heraus vielleicht noch tun wird, zu leben hat.

    Klingt das verständlich?

    Ja, ich denke, ich verstehe, was du meinst.


    Ich merke, ich muss mich mehr von meiner Vorstellung von Folter als direkte körperlich Gewalt lösen. Die drängt sich noch immer in den Vordergrund.

  • Das mit der Ewigkeit ist ja eine schwierige Sache, so unvorstellbar. Ich frage mich, ob der Mensch nicht auch mit der Vorstellung der ewigen Glückseligkeit ein Problem hätte, wenn sie denn mal konkret werden würde. Nicht wegen der Glückseligkeit, sondern weil dann nichts mehr anderes kommt.

    Andererseits wenn es tatsächlich diesen Zustand eben sollte, dann gibt es vermutlich keine Zeit mehr, also auch keine Frage nach dem Danach.

    Ja, ich denke, ich verstehe, was du meinst.


    Ich merke, ich muss mich mehr von meiner Vorstellung von Folter als direkte körperlich Gewalt lösen. Die drängt sich noch immer in den Vordergrund.

    Die Frage zu deinen ersten Einwand ist, was Glückseligkeit ist. Auch das ist für jeden etwas anderes, glaube ich. Ich denke schon, dass man damit gut klarkommen kann.


    Zum zweiten:

    Vielleicht ist die Folter, die keine körperlichen Schmerzen verursacht, wirklich die schlimmere. Hier kommt dazu, dass man nicht entrinnen kann, dass sie einen innerlich zerstört, quält, subtiler, weniger greifbar. Ja, ich denke, das ist schlimmer.


    made Wie weit bist du? Sind schon alle drei Sofas besetzt? Ich will nicht spoilern.

  • 4. Szene

    Mit Estelle ist die WG komplett. Sie scheint sehr viel Wert auf Äußerlichkeiten zu legen. Sie hat ein Problem damit, sich auf ein Sofa zu setzen, das farblich nicht zu ihrem Kleid passt. :yikes So ein Mensch kann nicht nur für sich selbst, sondern auch für seine Umgebung zur Folter werden.


    Sie hat den Ernst der Lage noch nicht erkannt. Sie benimmt sich wie in einem Hotel, sie meint, sie könne dem Kellner klingeln, wenn ihr danach ist.

  • Von der verwöhnten und doch recht naiven Estelle ist in der Richtung sehr viel zu erwarten.

    Solche Menschen sind, auch wenn sie Konflikte nicht direkt anfachen, häufig der Zunder, der Andere zum Brennen bringt.

  • 5. Szene

    Da der Rest des Buches keine weiteren Unterteilungen hat, gehe ich mal zu Seitenangaben über.


    S. 22-25

    Interessant! Die Bewohner der Hölle können zumindest zeitweise sehen, was auf der Erde in ihrem Umfeld los ist. Das entspricht den Vorstellungen, die manche Menschen vom Leben nach dem Tod haben.


    Dass in der Hölle Hitze herrscht, ist ja witzig. Ich bin gespannt, ob das nur ein unwichtiges Detail zum Schmunzeln ist oder ob da noch mehr dahintersteckt.


    Von der verwöhnten und doch recht naiven Estelle ist in der Richtung sehr viel zu erwarten.

    Solche Menschen sind, auch wenn sie Konflikte nicht direkt anfachen, häufig der Zunder, der Andere zum Brennen bringt.

    Estelle hat sogar erwartet, Freunde und Familie vorzufinden. Weiß sie noch gar nicht, wo sie sich befindet?

    Ines ist bodenständiger. Sie erkennt schnell, dass die Zusammensetzung in diesem Höllenzimmer kein Zufall ist.

    So langsam werden auch schon Reibungspunkte sichtbar.

    Ich wundere mich allerding über Estelles Aussage, als es um den Begriff "Toter" geht.

    „Vielleicht waren wir nie so lebendig.“

    Da tut sich ja eine ganze Philosophie auf. Darüber muss ich nochmal nachdenken.


    Mir fällt auf, dass die drei Bewohner sich seit unterschiedlich langer Zeit in der Hölle befinden. Als Leser hat man den Eindruck, dass die alle drei ziemlich kurz hintereinander in das Zimmer gekommen sind. Es fällt auch mal die Aussage "Wie schnell vergeht die Zeit auf der Erde." Aha, die Zeit vergeht unterschiedlich schnell. Heißt das, dass die Ewigkeit in der Hölle länger dauert als auf der Erde? :lache

  • Die Bewohner der Höllekönnen zumindest zeitweise sehen, was auf der Erde in ihrem Umfeldlos ist. Das entspricht den Vorstellungen, die manche Menschen vomLeben nach dem Tod haben.

    Diese Beobachtungsposten, die sie einnehmen können, fand ich auch sehr interessant. Macht es ihnen noch schwerer, auch eine Art Folter.


    Aha, die Zeit vergeht unterschiedlich schnell. Heißt das, dass die Ewigkeit in der Hölle länger dauert als auf der Erde?

    Zeit ist etwas, was nach dem Tod keine Rolle mehr spielt. Vielleicht existiert sie da ja auch gar nicht mehr, so man an ein Leben nach dem Tod glaubt.

    Ich denke, dass die Drei so etwas wie Tage, Wochen, MOnate nicht mehr haben. Sie haben ja auch keinen Tag-Nacht-Rhythmus, schlafen nicht, werden auch nicht müde.

    Mir fällt auf, dass die drei Bewohnersich seit unterschiedlich langer Zeit in der Hölle befinden. Als Leser hat man denEindruck, dass die alle drei ziemlich kurz hintereinander in dasZimmer gekommen sind. E

    Auch hier die Bedeutungslosigkeit der vergehenden Zeit. Sie scheinen ja auch nicht sofort nach ihrem Tod in die Hölle gekommen zu sein, außer vielleicht Estelle, die ihre eigene Beerdigung beobachten kann.

  • Oooh, das habe ich in der Oberstufe mit Begeisterung gelesen und den Film noch in guter Erinnerung. Könnte es am Wochenende raussuchen und nochmal lesen. Danke für die Inspiration. :-)

    "It is our choices, Harry, that show what we truly are, far more than our abilities." Albus Dumbledore
    ("Vielmehr als unsere Fähigkeiten sind es unsere Entscheidungen, die zeigen, wer wir wirklich sind.")


    "An allem Unfug, der passiert, sind nicht etwa nur die Schuld, die ihn tun, sondern auch die, die ihn nicht verhindern."

    Erich Kästner.

  • Oooh, das habe ich in der Oberstufe mit Begeisterung gelesen und den Film noch in guter Erinnerung. Könnte es am Wochenende raussuchen und nochmal lesen. Danke für die Inspiration. :-)

    Ja, ne, made hat mich auch dazu inspiriert, das Stück nochmal zu lesen, damit ich mich dann mit ihr austauschen kann. Ich kann sie doch hier nicht so einsam Kommentare schreiben lassen:grin

    Dann freue ich mich auch auf deine Eindrücke.

  • Zeit ist etwas, was nach dem Tod keine Rolle mehr spielt. Vielleicht existiert sie da ja auch gar nicht mehr, so man an ein Leben nach dem Tod glaubt.

    Ich denke, dass die Drei so etwas wie Tage, Wochen, MOnate nicht mehr haben. Sie haben ja auch keinen Tag-Nacht-Rhythmus, schlafen nicht, werden auch nicht müde.

    Was ist "Zeit"? Ein Begriff für Veränderung. Dass Zeit vergeht, merkt man am Lauf der Himmelskörper, an Tag und Nacht, an Jahreszeiten, Zellwachstum, an Verwitterung der Gesteine.

    Wenn die Zeit stillsteht, gibt es keine Veränderung mehr, alles ist sozusagen eingefroren. Das ist schrecklich! Die Hölle!

    (Jetzt muss ich plötzlich an "Momo" denken.)

  • S. 26 – 29


    Jetzt wird es spannend. Es kommt die Frage auf den Tisch, warum die drei in der Hölle gelandet sind. Ines ist die einzige, die ehrlich ist.

    Zitat

    „Wir haben unseren Spaß gehabt, nicht wahr? Es gibt Leute, die unseretwegen bis zum Tod gelitten haben, und das gefiel uns.“

    Heftig!

    Es geht nicht nur darum, dass jeder der drei schuldig geworden ist. Das ist menschlich. Sondern dass es ihnen gefallen hat. Sind alle drei Sadisten? Ist jeder Mensch Sadist?

    Ines erkennt, wie diese Hölle funktioniert.

    Zitat

    „Der Folterknecht ist jeder von uns für die beiden anderen.“

    Garcin meint die Lösung zu kennen, nämlich zu schweigen. Jeder solle in sich hineinsehen.

    Gut, für Garcin passt das. Schließlich will er ja sein Leben ordnen. Aber Estelle? Da kann ich mir nicht vorstellen, dass sie das auf längere Sicht aushält.


    Aber noch weiß der Leser nichts über die Taten der Drei.

  • Als Estelle von ihrer großen Liebe erzählt (S. 27), erkennt man, dass sie daran glaubt, dass es nur den einen Richtigen gibt, der ihr vom Schicksal bestimmt ist.

    Zitat

    „Vor zwei Jahren habe ich dann den getroffen, den ich lieben sollte. Wir haben uns sofort erkannt ...“


    So ganz nebenbei erwähnt (was einem so alles durch den Kopf geht :pille):

    Bei der Formulierung „wir haben uns erkannt“ hatte ich das Gefühl, dass das irgendwie biblisch, alttestamentarisch klingt. :lache So dunkel habe ich mich daran erinnert, dass das als Synonym für „Sex haben“ steht. Ich habe dann tatsächlich nachgelesen und bin sehr schnell fündig geworden.

    „Adam erkannte Eva, seine Frau; sie wurde schwanger ...“

    Ich gehe davon aus, dass das hier im Buch nicht so gemeint ist. :grin