Grenzen der eigenen Sprache

  • Diese Diskussion finde ich auch sehr aufschlussreich. Ich hätte niemals gedacht, daß Autoren auch einen festeingefahrenen Wortschatz haben.


    Da ich keine Ahnung vom Schreiben habe, möchte ich hier mal meine Erfahrungen aus dem Leben weitergeben.


    Lange Zeit war ich Mutter und Hausfrau ohne zusätzlichen Beruf. Dementsprechend schrumpfte mein Wortschatz enorm ;-).
    (Und das einzige, was ich in dieser Zeit schrieb, waren Einkaufszettel.)


    Als ich mich dann wieder mehr mit erwachsenen Leuten unterhielt, fehlten mir oft die richtigen Worte (keine anspruchsvollen Fremdwörter- sondern oft schlichte einfache deutsche Ausdrücke).


    Nachdem ich nun wieder mehr Zeit zum Lesen habe, kommt mein Wortschatz so langsam wieder. Und mittlerweile sind mir auch Fremdwörter bekannt, deren Sinn ich früher nicht verstand.


    Ok, genug erzählt....


    Was ich damit sagen will: Ich fühle mich mit einem größerwerdenden Wortschatz einfach sicherer. Kein Rumgestotter mehr, weil mir einfach das richtige Wort fehlt.
    Wobei sich meine jetztige Sprache kaum von früher unterscheidet. Aber ich weiß, wenn ich sie unbedingt brauche, habe ich die Worte parat.


    Um die Frage von Ines jetzt zu beantworten: Ich bin zwar keine Schriftstellerin, aber ich bemühe mich neue Wörter zu benutzen die meinem Stil entsprechen.
    Alles andere würde "unecht" klingen ;-)

  • Gerade dies hier in einer Rezi über das Buch "Getrieben" von Andreas Altmann gelesen:


    "Die Sprache ist eine elende Hure. Sie treibt es mit vielen. Hauptsache, der Kunde weiß das Alphabet auswendig. Dreißig lausige Buchstaben verlangt sie, nicht mehr. Dann darf es ihr jeder besorgen, jeder sie schwängern. Dass hinterher eine Missgeburt zum Vorschein kommt, will die Schlampe nicht kümmern."

  • Was ist eigentlich Sprache? Ein Werkzeug, um die Welt zu beschreiben und sich einander verständlich zu machen? Oder ist es nicht vielmehr so, dass wir die Welt nur so erleben können, die uns die Sprache eingibt?
    Können wir nur das erfahren, erleben, erfühlen, wofür wir die Worte kennen? Müssen wir nicht deshalb unbedingt danach trachten, die Sprache zu erweitern, um uns selbst zu erweitern?


    Wittgenstein hat gesagt: "Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt."


    Ist das so? Reichen die Erkenntnisse nur so weit, wie die Begriffe reichen?


    Dies ist kein neues Thema, denke ich, sondern nur ein Richtungswechsel, um sich der Ausgangsfrage mal auf anderen Weg zu nähern.


    Ich bin sehr gespannt auf eure Antworten.

  • Zitat

    Reichen die Erkenntnisse nur so weit, wie die Begriffe reichen?


    Ich würde zwischen Erkenntnis und Vermittlung unterscheiden. Bilder (also alles, was unter "visuelle" Erfahrung fällt, aber auch sämtliche anderen sinnlichen Wahrnehmungen) lassen sich via Sprache nur sehr eingeschränkt vermitteln. Selbiges gilt für Emotionen. Die persönliche Erkenntnis ist zu mehr fähig, aber ab einer gewissen Grenze nicht mehr oder nur noch eingeschränkt vermittelbar, etwa durch die Nutzung von Vergleichen oder Metaphern. Jeder Mensch verfügt also meiner Meinung nach über eine persönlich erkannte/erkennbare Welt und über eine vermittelte (die der anderen). Deshalb ist die wirkliche Durchdringung anderer auch nicht möglich, weil die Schnittstelle nur sehr unzureichend gestaltet ist (Sprache).

  • Ines
    Gibt es um uns herum nicht Unzähliges, für das wir keine ausreichende Beschreibung kennen und das unsere Welt trotzdem immens bereichert? Ich glaube nicht, daß man für Alles Worte, Sprache braucht. Nicht umsonst heißt es doch auch "Ein Blick sagt mehr als tausend Worte", um nur ein Beispiel zu nennen.
    Sprache ist EINE Ausdrucksform von vielen (Musik, Berührungen, Malerei, etc.). Muss man wirklich diese Dinge benennen und möglichst umfassend beschreiben können, um sich daran zu freuen, um sie für das eigene Ich erfahrbar zu machen? Ich denke nicht.


    Als Autor ist es aber natürlich eine Notwendigkeit passende Worte und damit eine Sprache zu haben, die den Leser mitnimmt und ihn an der zu erzählenden Geschichte teilhaben lässt.


    Gruss,


    Doc

  • Tom & Doc,


    ihr habt schon recht mit den Bemerkungen über Emotionen. Aber kann ich nicht nur das fühlen, was ich auch benennen kann?
    Ich zittere, meine Knie werden weich, mein Herz rast = ich habe Angst. Wenn ich nicht das Wort "Angst" für dieses Gefühl kennen würde, wüsste ich dann, dass ich Angst habe?


    Natürlich habe ich schon Dinge gefühlt, die sich nicht benennen ließen: "Mir ist...ich weiß nicht...irgendwie so komisch."
    In solchen Fällen funktioniert etwas in meinem Unterbewusstsein. Dieses Unterbewusstsein, kurz UB genannt, klärt erst einmal ab, ob das, was ich fühle, gut oder schlecht oder neutral ist. Das Gefühl wird sozusagen von allen Seiten durch Worte eingekreist. So lange, bis ich mich dem, was ich da Komisches gefühlt habe, Herr geworden bin. Natürlich meist nur in Annäherungen.


    Also ist es doch so, dass ich letztendlich mich durch Worte den Gefühlen annähere, ihnen einen Namen gebe und sie erst dadurch ins Leben rufe. Oder nicht?


    Am Beginn eines Evangeliums - ich weiß nicht mehr, welchem - steht der Satz: Am Anfang war das Wort. In einem anderen Thread schrieb ich es schon einmal. Am Anfang war das Wort. Oder die Idee, die erst ins Sein gerufen wurde, als sie benannt war.

  • Ich finde den Satz von Wittgenstein nicht richtig ausgedrückt.
    ohne drüber nachzudenken, würde ich diesem Satz widersprechen.
    Denn oft genug denkt man doch nicht nur in Worten, sondern auch in Bildern, mittels Eindrücken oder Gefühlen, die sich nicht richtig erklären lassen.
    Dann ist meine Sprache, also mein Wortschatz vorbei, aber meine Welt geht darüber hinaus.
    Was jedoch stimmt, ist, dass ich mich den Gefühlen und Eindrücken, die ich nicht zu benennen vermag, annähern kann, sie eingrenzen kann.
    Sprache bildet also -sagen wir mal- die Voraussetzung zum Denken, aber ich bin oft genug nicht in der Lage meine Welt so anderen Menschen mitzuteilen, wie ich sie empfinde und erlebe.


    Teilweise kann ich Wittgenstein zustimmen, aber eben nicht völlig!


    Aber eine andere Frage beschäftigt mich in diesem Zusammenhang:
    Kommt es, aufgrund von einem Sprachwortschatzverlust, oder aufgrund mangelnder sprachlicher Kenntnisse irgendwann auch zu einem Sittenverfall?
    Ist es so, dass Leute, die den ganzen Tag Fäkalsprache oder sonstige garstige Wörter benutzen, irgendwann auch die einfachsten Sitten und Regeln oder moralischen Grundlagen missachten?
    Gewagte Theorie, ich weiß, aber ich finde, es lohnt sich drüber nachzudenken...
    Wie seht ihr das?



    Liebe Grüße vom Mäkel,
    der noch nie verstanden hat, warum es verliebt und verheiratet heißt, was ja eigentlich positive Verben sind, aber auch "schlechte" Sachen, wie verfahren, verloren,... mit der Vorsilbe "ver-" beginnen...

  • Zitat

    Original von Ines
    Aber kann ich nicht nur das fühlen, was ich auch benennen kann?


    Nein. Ein kleines Kind, das noch nicht sprechen kann, also keine Worte für etwas kennt, empfindet jede Menge. Und zwar sichtbar. Es strahlt Dich an, wenn Du es anlächelst, es lacht, wenn Du es kitzelst, etc.
    Leben funktioniert auch ohne Sprache.



    Zu dem Johannesevangelium.
    "Im Anfang war das Wort und das Wort ward zu Fleisch" soll wohl eher auf den Schöpfungsakt weisen und nicht auf die Verwendung von Sprache.


    Gruss,


    Doc

  • Ich denke, Worte werden nur gebraucht um etwas mitzuteilen.


    Sehe ich mir allein einen Sonnenuntergang an, so bedarf es keiner Worte für meine Gefühle. Ich sehe einfach, staune und fühle. Worte sind erst dann nötig, wenn ich einer zweiten Person diesen Sonnenaufgang (und meine Gefühle dabei) beschreiben möchte.


    Z. B. glaube ich, wenn ein Autor im Buch einen Sonnenuntergang beschreibt, so kann ich das nur nachempfinden, weil ich es selbst schon erlebt habe.


    Oder ein anderes Beispiel: Ich wüßte auch, daß ich meine Kinder liebe, wenn es das Wort "Liebe" nicht gäbe.


    Worte sind nur ein Versuch etwas zu beschreiben, wiederzugeben. An die Realität reichen sie meiner Meinung nach nicht heran.

  • Charlotte


    bei der Liebe gerät die Kuh unweigerlich aufs Eis. Du liebst ja nicht nur deine Kinder, sondern sicher noch deinen Mann, deine Eltern, Geschwister, deine Freundin, den Hund usw.


    Doch diese Lieben unterscheiden sich voneinander. Wie drückst du das in Worten aus?


    Der Mäkel hat heute beim Mittagessen versucht, seine Liebe für Gero in Worte zu fassen, so dass diese sich von allen anderen Lieben unterscheidet. Ihr ist etwas Schönes eingefallen, dass beinahe ohne Worte auskommt: Hella plus Gero sind mehr als nur Hella und Gero.


    Wenn du aber immer nur allein den Sonnenaufgang beobachtest, ohne jemals einem anderen darüber Mitteilung zu machen, wird er dann nicht fade?
    Ich meine, gewinnt der Genuss nicht noch, wenn man ihn mittels der Sprache teilen kann?


  • Hallo,


    bin zwar auch keine Autorin, habe aber als Miteule diesen Thread mit großem Interesse verfolgt und finde, Charlotte hat es auf den Punkt gebracht, was Emotionen in jeder Hinsicht angeht.


    Meiner Ansicht nach muß das gesprochene oder gar nur geschriebene Wort da einfach aufgeben.


    Gruß
    Ikarus

  • Hallo Ines,


    nichts anderes wollte ich damit ausdrücken. Es gibt Dinge, die sind da und die Worte dafür leider nur unzulänglich.


    Die Liebe zu einem Mann und die Liebe zu meinen Kindern unterscheiden sich natürlich. Aber mir würden jetzt ehrlich gesagt keine passenden Worte dazu einfallen diesen Unterschied klarzumachen.
    Aber jeder der Kinder und einen Partner hat, kennt den Unterschied.
    Schwieriger (oder sogar unmöglich) wird es erst, wenn ich einer kinderlosen Person den Unterschied erklären müßte.



    Edit: sorry Ines, ist mir gerade erst aufgefallen, daß ich dich mit Iris anschrieb :anbet

  • Hallo, Charlotte.


    Zitat

    Es gibt Dinge, die sind da und die Worte dafür leider nur unzulänglich.


    Wenn das wirklich so wäre, müßte man den Job als Schriftsteller an den Nagel hängen. :-(


    "Er liebt sie" sagt an und für sich natürlich wenig, fast nichts. Liebe ist ein Begriff für ein sehr subjektives Sammelsurium von Gefühlen und Zuständen, das - wie das Adjektiv "subjektiv" zu sagen versucht - sich von Mensch zu Mensch und Liebe zu Liebe unterscheidet. Wenn ich davon erzählen will, daß und auf welche Art sich Protagonisten (ver)lieben, dann schildere ich das durch ihre Handlungen, ihre Mimik, ihre Interaktionen. Ich sage nicht einfach: Er liebt sie. Okay, vielleicht taucht dieser Satz irgendwann auf. Aber er ist vorbereitet durch meine Beschreibungsversuche für die Entwicklung dieses Zustandes. Die natürlich immer ein wenig unzulänglich sind, bleiben müssen. Tröstlich dabei, daß die Figuren ja überhaupt nicht wirklich existieren.


    Es geht dabei, und diese Erklärung von Ikarus ist richtig, um Empathie und Ähnlichkeiten. Jemand, der ähnliches noch nie empfunden hat, wird dem von mir beschriebenen Gefühl nicht sehr nahe kommen. Aber auch für sowas gibt es Lösungen, etwa treffende Vergleiche, Näherungen undsoweiter.


    Wer erinnert sich zum Beispiel an Kälte- und Wärmeempfindungen? Wer weiß, spürt noch ganz genau, wie heiß es sich an jenem heißen Tag anfühlte, wie sehr man gefroren hat - und auf welche Art - damals, im Winter auf dem Eis? Das ist außerordentlich schwer zu erinnern. Und deshalb auch schwer zu schildern. Trotzdem kann es gelingen. Vergleiche helfen.

  • Nein, ich sehe das anders. Wir können nicht anders als in Kategorien oder in Begriffen denken. Vielleicht fehlt einem manchmal das richtige WORT. Aber Gedanken sind immer an Schlüsse, Analogien, Bilder gebunden. Und allein schon das Wort "Bild" lässt sich ohne Beschreibung nicht denken. Ins Bewusstsein kommen auch Gefühle erst über dieses Konstrukt. Ich persönlich sehe es sogar so, dass wir tatsächlich erst unsere Welt um uns herum dank Sprache erschaffen. Das unterscheidet uns übrigens tatsächlich in grundlegender Weise vom Tier.



    Edit: Das "ich sehe das anders" bezog sich nicht auf Toms Posting ... der hat seinen Beitrage einfach frech zwischenreingeschoben, der alte Schlingel, der ....

    RomeoyJulietaMilleFleursundeinGlasBunnahabhainwasbrauchtesmehr?

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von columbo ()

  • Tom,


    ist es nicht die Aufgabe von Schreibern, gerade Dinge zu benennen, zu beschreiben, in Worte zu fassen, die andere noch nicht erlebt haben und diese Dinge für die anderen nachvollziehbar zu machen?
    Meiner Meinung nach gibt es z.B. für die von dir genannten Wärme- und Kälteempfindungen sogar mehrere Herangehensweisen. Ich kann mich dem Problem medizinisch, physikalisch oder - und das ist wohl das beliebteste Medium der Autoren - sinnlich nähern. Wie fühlt sich Kälte an? Wie schmeckt sie? Hat sie einen Geruch? Kann man Kälte sehen?


    Als Autor - ich sagte es schon - ist man ermutigt, die Dinge sinnlich wahrzunehmen, um sie vermitteln zu können. Das heißt natürlich, dass ich meine Gefühle in Worte fassen muss. Ich muss mich annähern, muss ein Gefühl so lange mit Worten umstellen, bis ich es greifbar gemacht habe.