Hallo, Ines.
Ich kann Dir keine privaten Nachrichten schicken.
Ja, natürlich will man den Lesern Dinge vermitteln, die sie noch nicht kennen. Aber das hat gewisse Grenzen individueller Natur. Ich schrub ja auch nicht, daß es nicht geht.
Hallo, Ines.
Ich kann Dir keine privaten Nachrichten schicken.
Ja, natürlich will man den Lesern Dinge vermitteln, die sie noch nicht kennen. Aber das hat gewisse Grenzen individueller Natur. Ich schrub ja auch nicht, daß es nicht geht.
Nein, Ines, darin sehe ich nicht die Hauptaufgabe eines Schriftstellers. Er muss mir zunächst eine gute Geschichte erzählen. Wie weit oder wie nah ein Sujet oder ein Gefühl von mir entfernt ist, spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Letztlich geht es dabei immer um MICH selbst. Wenn ich einen Grönland-Roman lese, will ich nicht nachvollziehen können, mit welcher Hingabe sich Inuit lieben. Ich will in der Liebesgeschichte mich selbst, mein Leben, meine Probleme gespiegelt finden. Sonst lese ich ein soziologisches Fachbuch darüber.
Darf ich dir zustimmen und widersprechen zugleich, Colombo?
Das eine Geschichte erzählt werden soll, ist schlicht eine Grundvoraussetzung, die so selbstverständlich ist, dass ich sie nicht erwähnt habe. Die Frage ist aber, WIE erzähle ich eine Geschichte.
Wenn ich einen Grönlandroman schreibe, muss ich wissen, wie sich Kälte sinnlich und überhaupt erfahren lässt, weil die Kälte in diesem Gebiet einfach eine große Rolle spielt und das Leben der Menschen dort beeinflusst.
Und nein, bitte, es geht weder beim Erzählen noch beim Lesen immer um MICH selbst. Ich habe dieses Kreisen um den eigenen Nabel im Augenblick herzlich satt. So kann, so soll, so darf, so will ich weder schreiben noch lesen.
Die Literatur - Magali schrieb es oben in anderen Worten schon - hat eine andere Aufgabe. Meiner Auffassung nach besteht diese Aufgabe eben nicht im Beschreiben der eigenen Befindlichkeit, um diese Befindlichkeit auszudrücken, sondern darin, die eigene Befindlichkeit (oder die der Romanfiguren) als Exempel zu benutzen. Pars pro toto. Ich schreibe über die Empfindungen einer Person, um damit die Empfindungen der Zeit auszudrücken. Zumindest ist es mein Wunsch, so zu schreiben.
Hallo, Ines.
Ich unterschreib mal faulheitshalber das, was Columbo gerade geschrieben hat.
ZitatMeiner Meinung nach gibt es z.B. für die von dir genannten Wärme- und Kälteempfindungen sogar mehrere Herangehensweisen. Ich kann mich dem Problem medizinisch, physikalisch oder - und das ist wohl das beliebteste Medium der Autoren - sinnlich nähern. Wie fühlt sich Kälte an? Wie schmeckt sie? Hat sie einen Geruch? Kann man Kälte sehen?
Ich habe zweierlei gemeint: Kannst DU Dich in dem Moment, in dem Du sie beschreibst, an die Kälte erinnern, das Gefühl, den Moment, das Spiel Deines Körpers? Und kannst Du den Leser dazu bringen, daß er auf Malle am Pool hockt - und friert?
Beides ist außerordentlich schwierig. Ich habe kürzlich in einer Short Story davon zu erzählen versucht, daß es sehr heiß ist. Ich habe den Vergleich gewählt "... es fühlte sich an, als würde er einen 1500-Watt-Fön direkt auf die Haut halten." Den Versuch, sein (des Protagonisten) Wärmeempfinden direkt zu schildern, habe ich nicht unternommen (schwitzen, dieses leichte Gefühl des Eingesperrtseins im eigenen Körper, das Verlangen nach bestimmten Zuständen). Ich habe einen Vergleich gewählt, der sehr bildhaft und nachvollziehbar ist (oder mir zumindest so vorkam). Das entscheidende aber ist: Ich wollte ja auch nur, daß der Leser die Situation versteht. Ich wollte das Gefühl nicht in ihm erzeugen. Vielleicht einer Erinnerung hervorrufen ... aber nicht mehr. Und ich wollte ihn nicht belehren oder so. Es war wichtig, daß der Leser versteht, daß es sehr heiß ist, daß er sein eigenes klimatisches Umfeld für einen Moment lang vergißt. That's it.
ZitatMeiner Ansicht nach muß das gesprochene oder gar nur geschriebene Wort da einfach aufgeben.
Oha. Du warst noch nie gerührt, erschüttert, belustigt, schockiert (...) bei der Lektüre eines Romans? Und wenn - wieder Erwarten - ja: Warum?
ZitatIch unterschreib mal faulheitshalber das, was Columbo gerade geschrieben hat.
Ich bin noch am überlegen, ob das eine freche Bei-Note hat ....
Ines,
vielleicht sind wir da ganz eng beisammen (hmmm wie kuschelig) und ich hab mich nur schlecht ausgedrückt. Ein Teil, ein DeTail fürs Ganze: Das macht die Kunst. Ich erlebe als Leser die Schilderung einer Inuit-Liebe, die mir ansonsten knapp am A... vorbei gehen würde und doch erschließt sich mir dadurch ein Teil MEINER Welt neu.
Aber: Ich sehe eine möglichst treffgenaue, trennscharfe Schilderung von Wirklichkeit (lasst uns jetzt bloß nicht über diesen Begriff diskutieren, bitte, bitte) nicht als Voraussetzung von literarischer Welterfahrung. Ganz im Gegenteil sogar. Die richtige Unschärfe eines Textes lässt erst den Freiraum fürs Kino im Kopf. Das Ergebnis sieht dann zwar bei jeder Leserin unerwartet und unvorhersehbar anders aus - was den Schöpfungsanspruch von Autoren zugegebenermaßen mindert - aber den Spaß am Lesen ungemein erhöht.
Ich habe heute über Ines' Frage nachgedacht, als ich an einer Ampel stand und eine Reihe Sträucher betrachtete. Der eine Strauch war ein Rhododendron, den konnte ich benennen. Die anderen kannte ich nicht. Ergebnis: Für mich bestand die Sträucherreihe, die ich wahrnahm, aus einem Rhododendron und etlichem anderen Grün (so sieht auch mein Erinnerungsbild aus). Die GärtnerInnen unter euch hätten jetzt ein Bild von Rhododendron, XY, YZ, und so weiter - schon anders als meins. Hätte darunter Schnee gelegen, hätten wir uns beide noch "weiss" und "Schnee" dazu denken können.
Ein... Inuit (um mal wieder das abgelutschte Beispiel heranzuziehen), dessen Welt aus Schnee und sonst nicht viel besteht, hätte das ganz anders wahrgenommen: Er hätte eine Reihe Grünzeug gesehen (weil er für all die Sträucher keine einzelnen Namen gehabt hätte) und darunter verschiedene Sorten "Schnee" (die bei ihm alle unterschiedlich heissen) - nassen Schnee, halbgefrorenen Schnee etc.
Also - ich behaupte, dass Sprache die Realität jedes Einzelnen verändert.
Nein, MaryRead, jeder einzelne schafft sich mit seiner Sprache seine Realität.
Und: Sorry für die ausgelutschten Inuits ... ich denke mir was neues aus
ZitatOriginal von columbo
Nein, MaryRead, jeder einzelne schafft sich mit seiner Sprache seine Realität.
Ja, damit bin ich auch einverstanden.
Und schwierig wird's dann, wenn er mit seiner Sprache anderen Realität schaffen will. Für sowas gibt's zum Glück Konventionen, die eine gewisse Verständigung möglich machen, aber sie haben auch nur eine begrenzte Reichweite. Was es natürlich auch spannend macht.
ZitatOriginal von columboUnd: Sorry für die ausgelutschten Inuits ... ich denke mir was neues aus
Die begrenzte Anzahl von Farbabstufungen oder Zeiten in manchen afrikanischen Sprachen wird auch immer wieder gern genommen.
Du hast selber schon differenziert, ich wollte nämlich gerade widersprechen.
Das mit dem 'einfach eine gute Geschichte erzählen' reicht mir längst nicht.
Besser gesagt, ich hätte gern mal genau definiert, was denn 'gut' hießt.
Es geht doch über die persönliche Erfahrung hinaus. Ich lese de facto vpn der Essenz einer Liebe, die eigene Erfahrungen miteinschließt, aber da ist noch mehr und zwar entsprechend der Art der Texts, der vor mir liegt.
Weniger, wenn es ein Heftroman ist, mehr, wenn es von Henry James stammt.
Da werden beim Schreiben auch andere Wölrter gebraucht, ein anderes Vokabular, eben weil ab einer gewissen Stufe Dinge angesprochen weren, die komplexer sind.
Man 'versteht' Geschichten leichter, wenn eine Identfikationsmöglichkeit gleich von Anfang gegeben ist.
Es gibt aber auch Bücher, in die man sich mühsam hineinfressen sein, weil die direkte Identifikation nicht gegeben ist, weil man sich vorwärtstasten muß. Dabei macht man neue Erfahrungen, liest über Dinge, an die man vorher nie gedacht hätte und die man selber nie gefühlt hat.
All das leistet Sprache.
Kurz, ausführlich, je nach Genre.
Im Gedicht nicht selten mit einem Wort an der richtigen Stelle.
ZitatOriginal von Tom
Oha. Du warst noch nie gerührt, erschüttert, belustigt, schockiert (...) bei der Lektüre eines Romans? Und wenn - wieder Erwarten - ja: Warum?
Oh doch, Tom...natürlich ... nur, mir geht es halt einerseits so, dass ich schon als Kind/Schüler die Ausdrucksmöglichkeiten der Sprache - jeder mir bisher bekannten Sprache - zu unflexibel, zu begrenzt fand. Es gibt ja Abstufungen, breite Spektren des Erschüttert-, Belustigt-, Schockiertseins.
Vielleicht wollte ich aber auch immer zu präzise das wiedergeben, was ich fühlte?
Auf jeden Fall öffnen sich mir mit jedem Buch, das ich lese, neue Sichtweisen, differenzierte Empfindungen...nicht umsonst heißt es ja, dass man, wenn man ein Buch liest, das ein anderer Mensch geschrieben hat, manchmal einen kleinen Blick in seine Seele tun darf. Oder Bücher eben Welten öffnen können. (Deswegen mag ich wohl auch hauptsächlich Stephen King nicht - ich möchte nicht an den Albträumen anderer Menschen auch noch teilhaben)
Also, für mich sind die meisten Bücher ein solches Geschenk für mich...und steht in keinem Verhältnis zu dem monetären Wert, den ich dafür bezahlen muß.
Ich hoffe, ich hab das jetzt nicht zu verschroben ausgedrückt?
Ikarus
Hallo zusammen, hallo Ines,
Nach meinem Verständnis von Wittgenstein ist meine Sprache nicht deshalb die Grenze meiner Welt, weil sie nicht adäquat einen gegebenen Gegenstand abbildet, das tut sie ohnehin nicht, das tut auch kein neuer Begriff. Die Sprache ist deshalb Grenze meiner Welt, weil ihr Gebrauch meine Wahrnehmung von Welt bestimmt. Durch eine Vergrößerung des Wortschatzes nehme ich aber keinen Einfluss auf den Gebrauch der Sprache und deshalb verschiebe ich so auch nicht die Grenzen meiner Welt.
So habe ich auf Seite 5 auch noch columbos Position verstanden. Inzwischen bin ich mir nicht mehr so sicher.
Das ist eine ganz andere Idee als die der Sprache als Abbildung, wie sie in dem Gegensatz Emotion/unmittelbare Wahrnemung vs. Sprache/vermittelte Wahrnehmung zum Ausdruck kommt und wie sie mir hier hauptsächlicher Gegenstand der Debatte zu sein scheint. Sprache als Abbildung steht fest. Durch jedes neue Wort, kann ich etwas Neues sagen; für einen beliebigen stabilen Gegenstand (auch ein bestimmtes Gefühl) könnte ich ein Wort erfinden und ihn so bezeichnen. In so einem Modell wären die Grenzen meiner Sprache die Grenzen meiner Welt in dem Sinne, dass ich sie durch Erweiterung der Sprache um neue Vokabeln/Begriffe verschieben könnte, denn ich müsste für vorhandene Gefühle einfach nur neue Wörter entweder erfinden oder lernen und könnte somit immer mehr von der Welt erfassen.
Vergleiche hätten in beiden Modellen ihren Platz. Im ersten Modell könnten ungewöhnliche Vergleiche zu einer Verschiebung des Gebrauchs eines bestimmten Wortes genutzt werden.
Im zweiten Modell würden sie eine wesenhafte Ähnlichkeit beschreiben, so dass jemand, der a nicht kennt, aber b über diese Kenntnis auch a verstehen könnte.
Entschuldige, daß ich dich alleingelassen habe, magali!
Aber das:
ZitatOriginal von magali
Ist mal wieder typisch, wenn man Leute braucht, fläzen sie am Strand rum *grummel*
... ist die Höhe!
Nix, da fläzen! Ich habe zwar mal kurz im See geschwommen, bin aber auch ausgiebig auf Berge marschiert!
Da wir hier eine Menge unterschiedlicher Meinungen diskutieren, schmeiße ich auch mal meinen Ball in die Runde:
Für mich ist Sprache ein hoffnungslos mangelhaftes Konstrukt, aber ein dennoch phantastisches! Sprache kann Realität mitnichten 1:1 wiedergeben, sie kann sie abbilden.
Ein Text ist immer zugleich mehr und auch weniger als sein Gegenstand; er erfaßt ihn niemals ganz, sondern nur aus einer bestimmten Perspektive, aber in dieser kann er ihn besser erfassen und in seiner Bedeutung darstellen und einordnen.
Auch ein Foto ist nichts als ein zweidimensionales Abbild eines (bewußt gewählten?) momentanen Ausschnitts einer dreidimensionalen, zeitlich bedingten Veränderungen unterliegenden Realität. Und doch öffnet es im besten Fall den Blick auf ein bisher unbemerktes Detail.
(Edit:) Auf diese Weise veranlaßt ein Kunstwerk (sei es ein Gemälde, ein Objekt, eine Musikstück, ein Tanz, ein Text etc.) den Zuhörer/-schauer/Leser dazu, dieser Realität für sich neu zu erschaffen.
Allerdings spielt noch der Faktor "Zeit" hinein: Wenn man etwas beschreibt, ist das Beschreiben schon Vergangenheit, während der Zuhörer/Leser versteht, und das Beschriebene schon da Vorvergangenheit.
Was die Arbeit eines Schrifstellers angeht: Stil und Erzählweise müssen dem Gegenstand, dem Zuhörer und der Erzählabsicht gerecht werden. Diese drei sind bisweilen recht beliebige Variablen, Elemente relativ großer Definitionsmengen.
Man kann nur die Ausschnitte (einer fiktiven Realität) schildern, die für den Gegenstand (z.B. eine Geschichte) relevant sind, aber man kann diese in einer Weise schildern, so daß bislang unbeachtete Aspekte zutage treten.
Allerdings sollte man wie jeder Kunsthandwerker seinen Werkzeugkasten, Material und Instrumente sowie die Techniken ihrer Verwendung wirklich gut kennen. Dann kann man sich auch bewußt (wie Kafka) auf karge Mittel beschränken, ohne daß es sich dilettantisch liest.
Aber man muß sich nicht beschränken, um wirklich gut zu sein. Entscheidend ist die Kombination aus Gegenstand, Gegenüber (Zuhörer/-schauer/Leser) und Erzählabsicht.
Hallo Iris,
ZitatAuch ein Foto ist nichts als ein zweidimensionales Abbild eines (bewußt gewählten?) momentanen Ausschnitts
[...]
Dann kann man sich auch bewußt (wie Kafka) auf karge Mittel beschränken
Ist es so wichtig, dass diese Dinge bewusst geschehen (im ersten Zitat versiehst du es noch mit einem Fragezeichen, im zweiten scheinst du dir schon sicherer zu sein)? Wir sind uns einig, wenn es nur darum geht, dass einem Text oder sonstigen Kunstwerk irgendein Gestaltungswille unterliegt. Das unterstelle ich auch den heftigsten Verfechter/innen der écriture automatique.
Aber worauf bezieht sich der Gestaltungswille? Auf ausnahmslos jedes Detail? Ich würde vermuten, es sind bei jeder/m Autor/in unterschiedliche Dinge, die außerdem von Text zu Text variieren können.
Gehört die Kargheit bzw. Prallheit der Sprache deiner Meinung nach zu den unter allen Umständen bewusst eingesetzten Elementen eines Textes? Und wird ein Text, wenn das nicht geschieht, schlechter? Wenn ja, warum? Mir will das nicht einleuchten.
Grüße, B.
ZitatOriginal von Bartlebooth
Aber worauf bezieht sich der Gestaltungswille? Auf ausnahmslos jedes Detail? Ich würde vermuten, es sind bei jeder/m Autor/in unterschiedliche Dinge, die außerdem von Text zu Text variieren können.
Gehört die Kargheit bzw. Prallheit der Sprache deiner Meinung nach zu den unter allen Umständen bewusst eingesetzten Elementen eines Textes? Und wird ein Text, wenn das nicht geschieht, schlechter?
Da stimme ich dir völlig zu: Die wenigsten Entscheidungen im Schaffensprozeß werden bewußt gefällt -- aber die wichtigen und grundlegenden, die Stil und Erzählweise betreffen, sind es in den allermeisten Fällen und sollten auch bewußt gefällt werden.
Z.B. entscheidet man sich, einen Text zu schreiben, um möglichst viele Leser zu erreichen; diese Entscheidung setzt voraus, daß man zumindest eine ungefähre Vorstellung von seinen zukünftigen Lesern hat, von deren Vorlieben und Abneigungen etc.
Oder man entscheidet sich, Texte zu schreiben, die man selbst gerne lesen würde.
Manch einer fällt solche grundsätzlichen Entscheidungen eher "zwanghaft", aber immer entscheidet man sich -- ob nun bewußt und gar überlegt oder geradezu "spontan" und "unüberlegt" (absolut geht das ja gar nicht, denn unsere reflektierten Entscheidungen, von denen wir wirklich "wissen", bilden weniger als die Spitze eines Eisbergs in unserem Denken und Handeln).
Es ist durchaus möglich, daß jemandem ein großer Wurf "spontan" gelingt -- aber das ist nahezu ein Lottosechser! Und was macht dieser Autor beim zweiten Mal?
Wir haben eine Menge "Eintagsfliegen" unter den Autoren, die nach dem ersten Buch vollkommen hilflos massiven Schreibblockaden gegenüberstehen. Insbesondere wenn das erste Buch ein Erfolg war, gute Rezensionen eingefahren hat, sich gut verkauft hat oder wie auch immer. Diese Autoren wissen oft nicht, was sie machen sollen, um an den ersten Erfolg anzuknüpfen. Etliche fangen an, bei sich selbst abzuschreiben; das funktioniert zwar eine Weile, aber nach dem dritten, spätestens nach dem vierten Buch kommt der Vorwurf »Kennst du einen, kennst du alle«. Massiv beworbene Trademarks aus dem internationalen Lizenzgeschäft verkraften das -- im Gegenteil: Bei ihnen wird das sogar genauso erwartet wie bei Persil, Tempo, Pril oder Philadelphia.
Aber welcher einheimische Autor ist schon eine solche Trademark?
"Normale" Autoren müssen geradezu die Gratwanderung zwischen Wiedererkennung und Innovation schaffen -- ganz gleich, ob sie der "Hochliteratur" oder der "Unterhaltungsliteratur" zugeordnet werden (eine Unterteilung, die ich, offen gestanden, bescheuert finde, denn alle Literatur muß ihr "Zielpublikum" letztendlich unterhalten, um es zu erreichen).
Diese Gratwanderung ist etwas, das nur mit Hilfe grundsätzlicher Entscheidungen funktioniert, die bewußt und überlegt gefällt werden -- auf der Basis guter Kenntnisse des Kunsthandwerks, das man betreibt, mit dem Wunschpublikum vor Augen und einer Erzählabsicht, die man umsetzen will.
Ich habe in einer älteren Ausgabe der Autorenzeitschrift federwelt ein Interview mit Thilo Eckhardt, dem Cheflektor des Heyne-Hardcoverprogramms, gelesen, in dem forlgendes stand:
Zitatfederwelt: Was, meinen Sie, ist die Stärke deutscher Autoren, und was ist ihre Schwäche?
Thilo Eckhardt: Ihre große Stärke ist die Seriosität und Ernsthaftigkeit, mit der sie sich Themen annehmen. Ihre große Schwäche ist die Seriosität und Ernsthaftigkeit, mit der sie sich Themen annehmen. Merkwürdigerweise ist es in Deutschland immer noch mit einem gewissen Gout behaftet, an den Leser zu denken. Man will sich um Gottes willen nicht anbiedern, aber gefallen und geliebt werden will man doch. Das führt oft (längst nicht immer) zu einer gewissen Verkrampfung. Auch fehlt in Deutschland immer noch ein gewisser Respekt vor dem schwierigen "Handwerk des Schreibens". Handwerk klingt eben mehr nach Axt als nach Florett, und hierzulande will man gern die feine Klinge führen. Zumal, wenn man als Autor eine Botschaft hat. In anderen Ländern lautet die Frage: Wie schreibe ich eine Geschichte, die eineBotschaft vermitteln kann. Bei uns denkt sich der Autor oft von der anderen Seite an den Stoff heran: Wie mache ich aus der Botschaft eine Geschichte.. Aber nicht die Idee oder Botschaft schafft Identifikation, sondern Figuren und Story. Die Botschaft vermittelt sich dann von allein. Das alles schreibe ich natürlich als Lektor eines Hauses, das sich ausdrücklich der leichteren Muse verschrieben hat.
Hallo Iris,
Danke für deine Antwort, aber ich habe noch nicht den Eindruck, dass ich mich wirklich verständlich machen konnte, also versuche ich es noch einmal anders :-).
ZitatDie wenigsten Entscheidungen im Schaffensprozeß werden bewußt gefällt -- aber die wichtigen und grundlegenden, die Stil und Erzählweise betreffen, sind es in den allermeisten Fällen und sollten auch bewußt gefällt werden.
Schreiben ist an Sprache gebunden und Sprache (was sonst?) wird von Schreibenden gestaltet, keine Frage, aber "Stil" oder "Erzählweise" sind ja keine monolithischen Blöcke, wie hier auch schon mehrfach in der Diskussion angesprochen, sondern umfassen unterschiedliche Elemente (ua das Lexikon). Ich bin mit meiner Frage schon auf dieser differenzierenden Ebene: Dreht ein/e Autor/in immer an allen Schrauben? Gibt es Scharuben, an denen unbedingt gedreht werden muss?
Ines' Eingangsfrage zielte doch vor allem auf den Wortschatz und das ist es, was auch mich die ganze Zeit interessiert: Wie wichtig ist die lexikalische Schraube und zwar die, die über die Größe des aktiven Wortschatzes entscheidet. Wie wichtig ist "das treffende Wort"? Was ist überhaupt "das treffende Wort"? Ich sehe keine Möglichkeit, auf Ines' Frage zu antworten, wenn ich ganz allgemein über "Sprache" spreche.
Ich behaupte keinesfalls, Schreiben sei keine Arbeit (sondern was? Eine Angelegenheit des Musenkusses? Um Himmels Willen!). Hier gibt es keinen Dissens zwischen uns. Natürlich ist Schreiben ein Handwerk, das Routine, Übung, Wissen verlangt, und diese Unterschiede merkt man Texten in aller Regel auch an.
Die Unterscheidung in E und U finde ich ebenso überflüssig, aber das wäre ein eigenes Thema.
ZitatOriginal von Bartlebooth
Schreiben ist an Sprache gebunden und Sprache (was sonst?) wird von Schreibenden gestaltet, keine Frage, aber "Stil" oder "Erzählweise" sind ja keine monolithischen Blöcke, wie hier auch schon mehrfach in der Diskussion angesprochen, sondern umfassen unterschiedliche Elemente (ua das Lexikon). Ich bin mit meiner Frage schon auf dieser differenzierenden Ebene: Dreht ein/e Autor/in immer an allen Schrauben? Gibt es Scharuben, an denen unbedingt gedreht werden muss?
Ich sehe keine Möglichkeit, "ganz allgemein" darauf zu antworten -- und eine rein spezielle, im Grunde genommen subjektive Antwort hilft niemandem weiter, sondern zeigt nur, wie ich es mache bzw. machen würde.
Selbstverständlich dreht man "an allen Schrauben" -- allerdings zum wenigsten bewußt. Als Schriftsteller plant man einen Text (in unterschiedlichem Maße, aber grundsätzlich liegt jedem Text ein gewisser Grad an Planung zugrunde), man baut ihn während des Schaffensprozesses, man baut ihn während der Überarbeitungsprozesse um, manchmal viele Male, bevor man mit ihm zufrieden ist. Manchmal reißt man sogar alles ab und fängt noch einmal ganz von Vorne an, manchmal reißt man nur einzelne Teile ab und baut sie neu.
Nur der Anfänger zeichnet sich dadurch aus, daß er schon den ersten Wurf abnickt; je länger man schreibend/erzählend arbeitet, desto mehr will man sich verbessern, vielleicht sogar vervollkommnen. Denn wie warnte schon Hemingway (tongue in cheek »The first draft is always shit.«
Auf diesem Weg wählt jeder Autor seine eigene Methode, jeder wählt andere Schrauben aus, auf die er sich konzentriert, um bewußt und überlegt an ihnen zu drehen.
Die angesprochene Wahl des Wortschatzes hängt -- kommunikationstheoretisch gesehen -- davon ab, was ich erzählen will (Gegenstand), in welcher Textform ich mich ausdrücken will (Roman, Gedicht etc.), wozu ich es erzählen will (Erzählabsicht) und wem ich es erzählen will ("Empfänger", Rezipient = Zuhörer/-schauer/Leser).
Alle diese vier Faktoren sind Variable -- wie soll ich dir eine allgemeingültige Antwort geben? Es hängt schließlich von der Kombination aller dieser Faktoren ab. Es gibt Gegenstände, die sich innerhalb einer bestimmten Erzählform mit einer bestimmten Erzählabsicht für ein bestimmtes Publikum mit einem spröden Stil am besten erzählen lassen. Selbst wenn der Autor sich nie Gedanken über ein Zielpublikum gemacht hat, sondern "nur" über Gegenstand, Form und Absicht, wird er dieses Publikum vermutlich dennoch erreichen. Auf diesen letzten Faktor hat man als Kunstschaffender ohnehin den geringsten Einfluß. Alle anderen sind entscheidend für die Wahl der Schrauben, an denen man sich vornimmt, bewußt und überlegt zu drehen.
Was Ines darüber hinaus ansprach -- daß ihr so manche Wendungen, die sie in anderen Büchern liest, selbst nie einfallen würden --, muß kein Manko sein, wenn man sich bewußt dafür entscheidet und es nicht selbst bei sich selbst als Manko empfindet.
Empfindet man es allerdings als Manko, gibt es nur eines, was helfen kann: Spielen! Experimentieren, Üben, bewußtes Nachahmen eines anderen Stils, Parodieren, Persiflieren usw. usf.
Zu diesem Zweck empfehle ich immer gerne das untenstehende Buch, das es leider, leider, leider nur auf Englisch gibt. Ich warte immer noch auf einen deutschen Autor, der sich mal die Mühe macht, so etwas für die deutschsprachige Erzähl- und Schreibkunst zu verfassen ...
Hallo Iris,
danke nochmal, aber man sieht vielleicht auch an diesem Ordner wie unmöglich es ist "das treffende Wort" zu finden.
Nur als Beispiel: Ich habe geschrieben:
ZitatIch sehe keine Möglichkeit, auf Ines' Frage zu antworten, wenn ich ganz allgemein über "Sprache" spreche.
Du antwortest:
ZitatIch sehe keine Möglichkeit, "ganz allgemein" darauf zu antworten
als sei es ein Widerspruch (wie sonst sind die Anführungszeichen zu verstehen?). Dieser Widerspruch transferiert die beiden zitierten Wörter aus meinem Ursprungsposting aber in einen ganz anderen Kontext.
Oder auch:
ZitatSelbstverständlich dreht man "an allen Schrauben" -- allerdings zum wenigsten bewußt.
ZitatWas Ines darüber hinaus ansprach -- daß ihr so manche Wendungen, die sie in anderen Büchern liest, selbst nie einfallen würden --, muß kein Manko sein, wenn man sich bewußt dafür entscheidet
Ich verstehe das Verhältnis dieser beiden Aussagen nicht. Beim ersten Satz würde ich dir zustimmen (diese Frage nach der "Bewusstheit" war ja auch meine ursprüngliche); der zweite führt aber das Bewusstsein wieder als zwingend in Bezug auf die Beschränkung des Wortschatzes ein. Dh ich verstehe ihn wie folgt: An der Wortschatzschraube wird eben doch immer bewusst gedreht.
Wie oben schon bei magali habe ich den Eindruck, dass mir performativ zu verstehen gegeben wird, es existiere ein Dissens, dass ich diesen aber in den Beiträgen nicht greifen kann.
So weiß ich zwar nicht, ob wir in Bezug auf die Begrenztheit des persönlichen Wortschatzes einer Meinung sind, aber es gibt für mich offenbar auch keinen Weg, das herauszufinden.
Grüße, B.
ZitatOriginal von Bartlebooth
aber man sieht vielleicht auch an diesem Ordner wie unmöglich es ist "das treffende Wort" zu finden.
Das Problem liegt woanders: Du hast im Folgenden Äußereungen, die verschiedene Aspekte betrachten, direkt miteinander verglichen -- und das funktioniert nicht.
Ich zitiere mal zur Klarstellung:
ZitatNur als Beispiel: Ich habe geschrieben:
Du antwortest:
Das zweite Zitat war der Eingangssatz auf meine Antwort zu deiner Frage, die den Abschluß meines Zitats aus deinem vorherigen Posting bildete:
ZitatDreht ein/e Autor/in immer an allen Schrauben? Gibt es Scharuben, an denen unbedingt gedreht werden muss?
Er hat also mit dem von dir zuerst zitierten direkt nichts zu tun. Du vergleichst also Kartoffeln Sorte Nicola mit Cox Orange-Äpfeln -- beide werden im Volksmund zwar als "Äpfel" bezeichnet, aber zumindest erstere sind keine.
(Sorry fürs Kritikastern, aber ich versuche sozusagen Ordnung ins Chaos zu bringen)
Zitat
Ich verstehe das Verhältnis dieser beiden Aussagen nicht. Beim ersten Satz würde ich dir zustimmen (diese Frage nach der "Bewusstheit" war ja auch meine ursprüngliche); der zweite führt aber das Bewusstsein wieder als zwingend in Bezug auf die Beschränkung des Wortschatzes ein.
Klingt als kenntest du nur zwei Schalterstellungen: Ein und Aus, Null oder Eins, Weiß oder Schwarz -- aber selbst das Graustufen-System kennt 254 Grautöne dazwischen, und das menschliche Auge kann noch weit mehr unterscheiden.
Spaß beiseite: Im ersten Fall geht es im Kontext des Satzes darum, ob Ines diese Eigenheit, die sie bei sich bemerkt haben will, als Mangel empfindet (was für sie selbst dann tatsächlich ein Problem sein kann).
Die Entscheidung für einen bestimmten Stil ist, sobald man sich "eingeschrieben" hat, eine bewußte; irgendwann sagst du dir als Autor: "Genau so will ich es haben! Das gefällt mir!" (Um so mehr, wenn zwei Autoren ein Team bilden wie Gheron und Sysai alias Iny Lorentz).
Wenn sich jemand wie z.B. Per Olof Enqvist, bewußt entscheidet, sich extrem karg auszudrücken, und seinen Wortschatz einzuschränken, dann wird er unter dem Schaffensprozeß (beim "Schreiben" bzw. beim Abfassen der Rohfassung) sicherlich nicht jedes Wörtchen auf die Goldwaage legen, auch wenn diese Entscheidung seinen Stilwillen stark beeinflussen wird; in den Bearbeitungsphasen wird er den Text dann sprachlich sehr stark auf den Stilwillen (besagte bewußte und überlegte Entscheidung) hin ausformen. Solange, bis das, was er erreichen wollte, möglichst genau verwirklicht ist.
In keiner dieser Phasen wird dieser Autor 100%ig bewußt arbeiten -- das kann niemand. Eine 100%iges Bewußtheit ist ein ebensolches Hirngespinst wie eine vollkommene Abwesenheit von Bewußtsein -- wir sind sogar im Traum oft hochkonzentriert!
Mit diesen bewußten Entscheidungen verhält es sich m.E. wie mit allen anderen Fertigkeiten wie Schwimmen, Radfahren, Gehen, Sprechen: Wir lernen sie unter Einsatz höchster Konzentration und Selbstkontrolle (beobachte mal ein Kind beim Laufenlernen -- ich habe zuvor noch nie ein derartiges Ausmaß an Konzentration erlebt!). Erst nach einer Weile, wenn sich der Lernprozeß verfeinert, die Lernschritte nach und nach "auswendiggelernt" und damit ins Unterbewußtsein absinken, perfektioniert sich der Prozeß. Und ein Spitzensportler muß diesen Prozeß noch einmal von neuem Lernen, um sich darin zu verbessern, wenn möglich zu vervollkommnen.
Ergo: Jeder Schriftsteller übt seinen Stil auch immer wieder; sooft er einen Absatz verwirft, weil er ihm sprachlich oder erzählerisch nicht gefällt, sooft er einen Absatz überarbeitet, ist das auch ein Einüben von Fertigkeiten.
Mit dem "Schreiben" ist es letztendlich wie mit dem Lesen: Konzentriertes, bewußtes Lesen ist nicht das bewußte Dechiffrieren der Kringel und Striche auf dem Bildschrim, sondern es transzendiert es in höchstem Maße, indem durch ein nahezu "bewußtseinsfreies" Dechiffrieren zunächst der Buchstaben und dann der Sprache in ihrer grammatischen Struktur das Bewußtsein sich auf den Inhalt des Geschriebenen konzentriert -- der Dechiffrierungsprozeß muß weitgehend transzendiert werden, um bewußt lesen zu können.
Umgekehrt beim Schreiben: Dort muß der Chiffrierungsvorgang von der grammatischen Struktur der Sprache bis zu den Buchstaben möglichst frei von jeder Bewußtheit dieses Tuns sein, damit der Inhalt hochkonzentriert übertragen werden kann: d.h. der Schritt vom Inhalt zur sprachlichen Umsetzung verläuft weitgehend, aber längst nicht völlig bewußt und reflektiert, das Schreiben selbst beinahe "automatisch".
Um es nochmal klarzustellen: Bei keinem dieser Prozesse läßt sich das Bewußtsein vollständig konzentrieren oder abschalten; es geht um graduelle Unterschiede!
Insofern wird die "Wortschatzschraube" bei der Entscheidung für einen bestimmten Stil auf eine bestimmte Umdrehung eingestellt, beim Schreiben wird nach einer Weile immer weniger bewußt daran gedreht, allerdings beim Überarbeiten dann wieder in erheblichem Maße, um das angepeilte Ergebnis auch hervorzubringen.
Ich hoffe, daß jetzt klar wird, was ich meine. Mit dem Bewußtseinsbegriff des deutschen Idealismus oder den Ideen der Analytischen Philosophie kommen wir hier natürlich nicht weiter. Solche Fragen geht man m.A.n. weitaus gewinnbringender pragmatisch oder aristotelisch an.