Beate Maly - Lottes Träume

  • "Lottes Träume" von Beate Maly erschien als TB, broschiert, 2019 im blanvalet-Verlag und ist der Auftakt einer geplanten Reihe um eine junge Frau, die in Wien ihr Glück zu Beginn des 20. Jahrhunderts sucht - und um den Skisport, der Anfang des letzten Jahrhunderts seinen Anfang nahm. Die Autorin, selbst geborene Wienerin, bringt auch sehr viel historisches Lokalkolorit mit in diesen wundervoll geschriebenen Roman, der auch eine Hommage an Wien und die Bergwelt sowie den damit verbundenen Bergsteiger- und Skisport ist. Jede/r LeserIn, die selbst gerne Abfahrtsski fährt und Schneewelten sowie den Wintersport liebt, wird sich wie ich auf eine Fortsetzung sehr freuen!


    Wien, 1904:


    Lotte Seidl verliert in Mürzzuschlag nicht nur ihren geliebten Vater, der ihr sowohl das Bergsteigen als auch das Laufen auf Skiern beibrachte, sondern auch ihr Zuhause. Sie setzt alles auf eine Karte und begibt sich nach Wien, die Adresse einer Geschäftsfrau in Händen, die es sich in den Kopf setzte, Ski- und Wintersportartikel in der besten Geschäftslage in Wien, der Kaiserstraße, zu verkaufen. Lotte will sich als Verkäuferin bei Mizzi Kauba bewerben und da Mut im Leben oft belohnt wird, erhält sie diese Chance, zumal der Inhaberin nicht entgeht, dass Lotte (in dieser Zeit nicht üblich) gute Kenntnisse von sowohl der erforderlichen Ausrüstung als auch vom Skifahren selbst besitzt - und sich diese in bare Münze(n) verwandeln lassen sollten... Ein junger Mann, der mit einem Freund, den wir später besser kennenlernen, Ski kaufen möchte, wird von Lotte (zu dessen großer Verwunderung) beraten und der junge Arzt, Dr. Jakob Sonnstein, der aus einer reichen jüdischen Industriellenfamilie stammt, kann seine Augen kaum von der jungen und intelligenten Lotte abwenden. Wird es den beiden trotz der großen sozialen Unterschiede möglich sein, eine gemeinsame Zukunft zu haben? Jakob ist zu dieser Zeit bereits Elena versprochen; Ehen werden aus gesellschaftlichen Gründen (und um den eigenen Reichtum zu mehren) von den Eltern angebahnt - sehr zum Leidwesen Jakobs, der sich zu Lotte mehr und mehr hingezogen fühlt.


    Beate Maly entführt ihre Leser in eine längst versunkene Welt; eine spannende literarische Reise beginnt mit der Zugfahrt nach Wien, bei der man sozusagen in Lottes Leben "einsteigt": Die Romankapitel wechseln sich mit den beiden Hauptprotagonisten Lotte und Jakob auf spannende und unterhaltende wie auch sozialkritische Weise ab: Ein Teil der Handlung liegt im Laden der ebenfalls mutigen Pionierin, begeisterten Skifahrerin und Geschäftsfrau Mizzi Kauber (eine authentische historische Person) in der Wiener Kaiserstraße. In dieser Geschäftsstraße gehen reiche Menschen ein und aus, deren Wünsche sich in den prächtigen Geschäften und den ersten großen Kaufhäusern erfüllen lassen: Man wird durch detailreiche Beschreibungen in diese prunkvollen Kaufhäuser entführt und staunt mit Lotte über das für die damalige Zeit unglaubliche Warenangebot, schlendert mit ihr durch die Stockwerke...

    Man lernt auch Klara, die Freundin und Verkäuferin kennen, die sich mit Lotte ein Zimmer teilt und deren Leben dadurch erschwert wird, dass sie das verdiente Geld dazu nutzen muss, um ihre Familie, besonders ihre kleinen Geschwister zu unterstützen. Ausser Mila und Bert, die ebenfalls im Geschäft von Mizzi Kauba arbeiten, sind die übrigen Kolleginnen sympathisch, die Kunden hingegen nicht überwiegend. Hier treffen manche Vorurteile über Schickliches und Unschickliches über die Inhaberin herein: Zu dieser Zeit war es eher Männersache, sich dem Skisport zu widmen und für Frauen ungehörig, Hosen zu tragen geschweige denn auf Skiern zu stehen:


    In diesem Punkt hat mir der sehr gut recherchierte und stimmige, unterhaltsame Roman sehr gefallen: Er ist in der Person von Lotte und Mizzi auch emanzipatorisch: Mizzi Kauba war eine Pionierin, die es nicht einsehen wollte, "nur den Männern die Bergwelt und das Skifahren zu überlassen". In der herrschenden Habsburgermonarchie war es für sie mehr als schwierig, sich als Frau in diesem Geschäft zu behaupten und ihr Ehemann, Franz Kauba, war auch lange Zeit alles andere als begeistert von dieser Idee, was im Roman auch glaubwürdig zum Tragen kommt. Der Standesdünkel und die alten Rollenvorstellungen der Geschlechter taten dabei ihr Übriges.


    Mit Jakob Sonnstein, der in einem Kinderhospital arbeitet und als Sohn eines jüdischen Süßwarenfabrikanten damit seinem Vater keinen Gefallen tut, eröffnet sich dem Leser eine andere Welt als die der Wohlhabenden: Er behandelt an TBC erkrankte Kinder und hält sich nicht immer an die Regeln in der Klinik, die ihre PatientInnen in dieser Zeit danach behandelt, ob sie versichert sind und damit zahlungsfähig - oder nicht. Neben dem Reichtum existiert im schönen Wien dieser Zeit auch große Armut und Menschen wie Fritz, der auf der Straße lebt und ohne Glück keinerlei Lebensperspektive hat... So stellt die Autorin diese beiden Welten glaubhaft gegeneinander, was den Leser zuweilen sehr nachdenklich macht; da sich dies auch heute eigentlich nicht geändert hat.


    Lotte und Jakob nehmen den Leser mit auf eine historische Reise, die in einem Skirennen in Lilienfeld gipfelt, das tatsächlich stattgefunden hat und an dem erstmals eine Frau erfolgreich teilnahm! Vor einem authentischen historischen Hintergrund entführt der Roman in eine verschneite Bergwelt (die heutzutage immer rarer wird) und gibt ein stimmiges Sittenbild von Wien um 1900 wieder, stilsicher und spannungsreich verknüpft mit der fiktiven Geschichte um die sehr sympathischen Protagonisten Lotte und Jakob. Wie wird ihre Geschichte wohl weitergehen? Da auch der aufkommende Antisemitismus, der viel früher als Hitlers Machtergreifung 1933 bereits begann, im Roman thematisiert wird und Jakob aus jüdischem Hause stammt, wird mir schon etwas mulmig zumute...

    Dennoch bin ich sehr gespannt auf den Folgeband und freue mich sehr darauf, ihn zu lesen!


    Ich vergebe die volle Punktezahl - 5 glitzernde Winterlesesterne - und empfehle den Roman allen Fans historischer Romane und des Ski- und Wintersports - er zählt für mich zu einer der schönsten Sportarten, die es überhaupt gibt (auch wenn es leider inzwischen nicht mehr die Anzahl schneesicherer Gebiete gibt als dies in der Zeit des Romans noch der Fall war). Wer sich damit - "Skifahren in Zeiten des Klimawandels" - beschäftigen möchte, dem sei der gleichnamige podcast des "Weltspiegels" sehr empfohlen!


    ASIN/ISBN: 3734107326

    Nicht der Wind bestimmt die Richtung, sondern das Segel (aus China)

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  • Ich hatte mir diesen Roman damals kurz nach Erscheinen gekauft und leider jetzt erst gelesen. Ich fand die Idee, von den Anfängen des Skilaufens zu erfahren, sehr interessant und fühlte mich an „Solange die Welt noch schläft“ von Petra Durst-Benning erinnert, in dem es um radfahrende Frauen geht.


    Lotte, eine junge Frau vom Lande, hat nach dem Tod ihres Vaters ihr Zuhause verloren und so versucht sie, in Wien neu anzufangen. Auf gut Glück, nur mit einer Adresse in der Hand, besteigt sie den Zug und wird von dem Lärm und Trubel am Wiener Bahnhof erschlagen. Fritz, ein Gassenjunge, weist ihr den Weg zu Mizzi Kauba, die ein Geschäft für Bergsportartikel führt. Wieder durch einen glücklichen Zufall, kann Lotte durch ihr Wissen ums Skifahren einen Kunden beraten und erhält die Stelle als Verkäuferin.


    Dort begegnet sie neben ihrer Kollegin und späteren Freundin Klara auch Jakob Sonnstein, einem jüdischen Arzt.


    Mizzi Kauba ist eine Revolutionärin, die die Gleichberechtigung von Mann und Frau speziell um das Thema Bergsport vorantreiben will. Sie hat immer wieder gegen die Vorurteile der Männerwelt zu kämpfen und findet in Lotte Unterstützung, die sie bestärkt. Allerdings ist sie ein schwieriger, doch interessanter Charakter.


    Mir hat die Geschichte ausgesprochen gut gefallen. Das Buch liest sich einfach so weg, ich war mitten im Wien zu Beginn des 20. Jahrhunderts, habe Topfengolatschen gegessen und Melange getrunken, aber auch mit den Kindern gelitten, die auf der Straße hausen mussten, weil die Waisenhäuser dieser Zeit eher Straferziehungsanstalten waren. Wer arm war, hatte kaum eine Chance, viele litten unter Schwindsucht und Hunger.


    Die Lebensumstände waren sehr gut geschildert, so dass sich ein breites Bild vom Alltag der Armen, aber auch der Reichen in Wien ergab. Diese gingen zu Vernissagen oder ins Theater, Kunst war wichtig, ebenso der gute Ruf und Sitte und Anstand.


    Es kam auch immer wieder Wiener Dialekt durch, aber so passend und unaufdringlich, dass es mir gut gefiel und zur Athmosphäre beitrug. Dazu die Ausflüge in die großen Wiener Kaufhäuser, was muss das für eine Pracht gewesen sein.


    Ich habe die Protagonisten sehr gerne durch ihr Leben begleitet und freu mich, dass es noch eine Fortsetzung gibt, die ich auf jeden Fall lesen werde. Lotte und Jakob waren mir sehr sympathisch, aber auch die Nebenfiguren sind liebevoll gezeichnet.


    9/10 Punkten von mir