Die Stimmung im ausverkauften Saal war positiv gespannt als Salman Rushdie die Bühne betrat, die er mit Moderator Bernhard Robben und Vorleser Sylvester Groth teilte.
Bei der LitCologne sei Salman Rushdie zuletzt vor zwei Jahren, das erste Mal in Köln vor 52 Jahren, zu Besuch bei einem Cousin. Mit einem Schmunzeln bedankte sich Salman Rushdie beim Moderator für den Hinweis auf seinen tatsächlich schon 54 Jahre zurückliegenden ersten Aufenthalt in Köln.
Dann las Bernhard Robben den vermutlich bekanntesten Abschnitt aus „Don Quijote“ von Miguel de Cervantes, den Kampf gegen die vermeintlichen Riesen, 30 Windmühlen. (Kann man beim *Projekt Gutenberg*
lesen *klick*)
In der modernen Version von Salman Rushdie wird aus Rosinante ein Chevy Cruze, Sancho Panza kommt ohne Rüstung aus und Don Quichotte ist ein alternder Pharmavertreter. Die Biographie dieses modernen Don Quichottes ist der von Salman Rushdie nicht unähnlich. Beide wurden vor rund 70 Jahren in Bombay geboren. Salman Rushdie wuchs in einer Siedlung auf, in der die Häuser Namen wie „Windsor Villa“ trugen und sei heute dafür bekannt, dass er „naughty but nice“ sei. („unanständig/frech aber lieb“). Über die bei Wikipedia genannten Informationen hinaus wurde verraten, dass er ein gefürchteter Tischtennisgegner sei und ein Meisterschütze bei Angry Birds.
In Salman Rushdies 19. Roman „Quichotte“ stelle man sich ständig die Frage, was fake sei und was Fakt. Es sei eine Parodie, Satire, Persiflage auf die heutigen USA. Sein Quichotte nennt sich Ismael Smile, arbeitet als reisender Pharmavertreter, hat sich quasi sein Hirn durch zu viele Fernsehsendungen zerstört und in die wunderschöne Salma R. verliebt, die er unbedingt treffen möchte.
Dann las Salman Rushdie einen kurzen Abschnitt auf Englisch und Sylvester Groth das erste Kapitel von „Quichotte“ (Leseprobe beim Verlag)
„Quichotte“ wird von einem fiktiven Autor erzählt, der nur schreiben kann, wenn 13 bestimmte Objekte auf seinem Tisch stehen. Ob Salman Rushdie dies auch so mache?
Nein, dies sei nicht autobiographisch, aber der Autor Russell Hoban habe immer einen Rucksack mit 11-13 Objekten bei sich gehabt. Wenn er diese in einem Raum in einer bestimmten Anordnung aufstellte, habe er sich in jedem Hotel zu Hause gefühlt. Salman Rushdie habe lange darauf gewartet, diese Geschichte in einem Buch verwenden zu können. Allerdings müsse er zugeben, dass eines der Objekte tatsächlich seines sei: ein kleiner silberner ziegelförmiger Gegenstand, auf dem eine Karte des zu jener Zeit noch ungeteilten Indiens abgebildet ist. Diesen habe ihm ein Freund seines Vaters einen Tag nach seiner Geburt geschenkt und er sei für ihn sehr wertvoll.
In einem Interview habe Salman Rushdie einmal in „Nichts-Bücher“ und „Alles-Bücher“ unterschieden. In welche Kategorie „Quichotte“ falle, wobei Bernhard Robben eine Vermutung hatte.
Salman Rushdie denkt, dass es zwei Möglichkeiten des guten Schreibens gibt: minimalistisch oder maximalistisch. So könne man zum Beispiel ein Haar der Göttin der Literatur beschreiben, wie es im Licht glänze, das Licht reflektiere usw. oder man könne versuchen die gesamte Welt in seinen Armen zu sammeln und so viel wie möglich in das Buch zu packen, es bewusst zu überladen. Seiner Meinung nach gibt es nur diese beiden Methoden, alles zwischendrin funktioniere nicht. Er habe auch mal ein paar Kurzgeschichten geschrieben, aber dieser überladene Stil liege ihm mehr. Unsere eigene Lebensgeschichte bestehe daraus. durch die Geschichten all der anderen Menschen um uns herum zu laufen und der Autor müsse klarstellen, welche Geschichte er erzählen wolle und nicht all die anderen, die berührt werden.
Während des Schreibens von „Quichotte“ sei er unsicher gewesen, ob das Buch anderen gefallen könne und habe ganz gegen seine Gewohnheit einen Auszug an seinen Literaturagenten geschickt. Dieser habe geantwortet, dass es das lustigste sei, das er je geschrieben habe.
Bernhard Robben fragte, wie es gewesen sei, das lustigste Buch zu schreiben, ob er dabei ständig gekichert habe.
Wenn man es selbst nicht lustig finde, stünden die Chancen gut, dass es auch niemand anders lustig fände, antwortete Salman Rushdie. Kafka habe seiner Verlobten Felice einmal geschrieben, dass er lustig sein könne und als großer Lacher bekannt sei. Damit habe er Recht gehabt. Leider vergesse man das schnell, weil uns die Redewendung kafkaesk präsenter sei als der Humor in seinen Werken. Jeder Abschnitt bei Kafka sei im Stil einer Komödie geschrieben, auch wenn das große Ganze beängstigend oder beunruhigend sei. So wollte es Salman Rushdie auch in „Quichotte“ machen. Die Themen des Buchs seien nicht offensichtlich lustig, er habe ernste Themen aufgegriffen wie die Verzerrung der Wahrheit, das Näherrücken des eigenen Todes und das mögliche Ende der Welt. Er wollte im Modus der Komödie erzählen, auch wenn die Summe etwas Anderes ergebe.
Auf das Titelbild angesprochen antwortete Salman Rushdie, dass es ihm gefalle, aber er habe es nicht geschrieben und man solle den Designer dazu fragen. Es habe einen „Retro Science-Fiction look“, der ihm sehr passend zum Inhalt erscheine und der Bogen erinnere ein wenig an „Stargate“. Auf der anderen Seite sehe man zwei Personen die Straße entlanglaufen, das Auto sei wohl anderswo geparkt. Es wirke ein wenig geheimnisvoll und beim Auspacken des Belegexemplars habe er sich sehr über das Design gefreut.
ASIN/ISBN: 0593133269 |
Für dieses Buch habe er sich wieder mit einigen seiner früheren Interessen beschäftigt. Als Jugendlicher habe Science Fiction ihn fasziniert und er habe stapelweise Science Fiction Bücher gelesen. Die Nachbarschaft der Hauptfigur in „Quichotte“ erinnert an die in „Mitternachtskinder“ und auch die Gegend in der Salman Rushdie selbst aufwuchs. Es habe sich für ihn wie ein seltsamer Kreis angefühlt, zu diesen frühen Büchern und Erinnerungen zurückzukehren. Durch die Beschäftigung damit konnte er mehrere strukturelle Probleme in diesem Buch zu lösen.
„Quichotte“ habe zwei Erzählstränge, der eine sei etwas surrealistisch und verspielt, der andere sehr emotional und realistisch. Als Autor müsse er die Leser am Ende überzeugen, dass eine echte Verbindung zwischen den beiden bestehe. Die rund zehnseitige Kurzgeschichte „Bilder lügen nicht“ von Katherine MacLean (englisch beim Projekt Gutenberg: *klick*) habe ihm bei der Lösung dieses Problems sehr geholfen. Mehr könne er dazu nicht sagen, ohne zu viel zu verraten, außer dass es in seinem Buch keine Außerirdischen gebe.
Der Name Ismael Smile verlocke sofort zu Wortspielereien, wie „I smile“ und wecke Erinnerungen an „Moby Dick“. Da sei einerseits zufällig, weil Salman Rushdie bei diesem Namen an den ersten indischstämmigen Chefkoch in Amerika denken musste, Ranji Smile, der sich selbst „Smile“ genannt habe und die indische Küche in New York eingeführt habe, unter anderem mit dem Versprechen, dass es aphrodisierend wirke. Er sei sehr erfolgreich gewesen, aber irgendwann wegen verschiedener Verbrechen ausgewiesen worden.
Andererseits habe er bewusst die Assoziation zu „Moby Dick“ wecken wollen. Ein Buch, in dem die Leser nie erfahren, ob der Erzähler wirklich Ismael heißt, sondern nur, dass er so genannt werden möchte. In „Moby Dick“ trügen alle falsche Namen und alle, die vom Wal besessen seien, würden sterben. Ismael sei der einzige, der überlebe und die Geschichte erzählen könne – weil er auf dem Schiff der Arbeit wegen anheuerte und nicht des Wals wegen. Das habe ihn zum Außenseiter gemacht und Salman Rushdie wollte andeuten, dass sein Quichotte auch ein Außenseiter sei.
Er frage sich, was passierte wäre, wenn die Besessenheit für den Wal auch Ismael ergriffen hätte. In „Quichotte“ sei Salma R. sozusagen der Wal, auch wenn sie das sicherlich nicht gerne höre, merkte Salman Rushdie mit einem Schmunzeln an.
In einem Abschnitt des Romans trügen viele Figuren keine Namen, sondern würden ausschließlich als Bruder, Schwester usw. benannt. Hier gehe es um die Liebe in Familienbeziehungen, nicht um romantische Liebe und er habe sich auf die Figuren und deren Verflechtungen konzentrieren wollen. E.L. Doctorow habe das einem Abschnitt seines Romans „Ragtime“ auch so gemacht, um die jüdischen Familienbeziehungen deutlich herauszustellen, die Figuren nur nach ihren Beziehungen bekannt. Salman Rushdie stellt sich die Frage nach dem Schaden, den diese nicht-romantische Liebe davontragen könne und ob solche Beziehungen bzw. diese Liebe geheilt werden könne, was verziehen werden könne.
Eine der Nebenhandlungen beschäftigt sich mit der Opioidkrise in den USA und dem indischstämmigen John Kapoor, der Ärzte bestochen hatte, mehr stark abhängig machendes Fentanyl zu verschreiben.* In den USA würden jedes Jahr rund 70 000 Menschen an einer Überdosis Opioide sterben. In Europa und den amerikanischen Großstädten werden dieses Problem kaum wahrgenommen. Dort seien eher die Freizeitdrogen Kokain, Ecstasy usw. bekannt und relativ leicht zu bekommen. Auf dem Land hingegen würden skrupellose Ärzte hemmungslos Opioide verschreiben, was eine wahre Epidemie an Abhängigen verursacht habe. Während Rushdies Figuren durch die USA reisen treffen sie also auf diese abhängigen Menschen.
Eigentlich wäre die berühmte und wunderschöne Salma R. für Quichotte unerreichbar, denn er arbeitet nur als Pharmavertreter. Aber weil die Abhängigen ihren Dealer finden und die beiden sich treffen müssen, wendet sich die Dinge hier. Während Salma R. im Fernsehen attraktiv, stark und reich wirkt, stellen wir fest, dass dies nur eine Fassade ist. Ihr Leben war nicht immer glücklich. Sie wurde als Kind von einem Verwandten sexuell belästigt, ist bipolar, depressiv und begann irgendwann Opioide zu nehmen. Salman Rushdie wollte zeigen, dass Menschen nicht so sind, wie sie im Fernsehen erscheinen. Das Treffen der beiden findet in einem Park statt und stellt den Moment dar, in dem die Träume von Quichotte wahr werden – theoretisch. Er kann seine Angebetete als ihr Dealer kennenlernen und natürlich läuft es ganz anders als von ihm erwartet.