'Mit der Faust in die Welt schlagen' - Seiten 001 - 120

  • Aber mir ist die Distanz eigentlich zu groß, ich will mich ja auf das Buch einlassen, in die Figuren einfühlen, schaffe es aber nicht.

    Mir ist die Distanz auch zu groß. Vieles wird nur angedeutet, vor allem Ereignisse aus der Vergangenheit. Dialoge sind völlig verstümmelt und bestehen meist nur aus wenigen Worten. Wie geschrieben: Ich hatte das gerade in der letzten LR und hatte hier eigentlich auf eine flüssig erzählte Geschichte gehofft. Dazu sind die Kinderjahre auch weitgehend ereignis- und belanglos. "Irgendeiner tritt mit seinen nackten Füßen in irgendwelche Kekse" oder sowas ähnliches.

    Egal. Mit den letzten Worten des ersten Abschnitts kam ja einiges an Brisanz rein.


    Was ich viel schrecklicher finde:

    Ich habe ja keine Kinder, aber hier sind ja einige Mütter. Stellt euch vor, ihr habt eure Kinder jahrelang aufgezogen und verwöhnt und dann kommt so ein kleines NS-Monster dabei raus. So eine Entwicklung mitzuerleben muss doch grausam sein.

  • Was ich viel schrecklicher finde:

    Ich habe ja keine Kinder, aber hier sind ja einige Mütter. Stellt euch vor, ihr habt eure Kinder jahrelang aufgezogen und verwöhnt und dann kommt so ein kleines NS-Monster dabei raus. So eine Entwicklung mitzuerleben muss doch grausam sein.

    Aber diese Eltern im Buch schüren doch den Hass auf Andere. Auch die Großeltern, es fängt ja schon mit den Sorben an, die ja dort eigentlich beheimatet sind aber eben ihre Bräuche und ihre Sprache pflegen. Dann die Nachbarschaft zu Polen - Aussage des Vaters- Das ist unsere Autobahn. Die Großeltern sagen, auf unserer Familie wurde immer schon rumgehackt, so ähnlich jedenfalls. Toleranz wird sehr klein geschrieben wenn sie überhaupt wissen was das ist.

    In der Schule muss man sein wie die anderen und möglichst stärker. Es gibt kein Miteinander nur ein Gegeneinander. Und das Miteinander gestaltet sich häufig indem man gemeinsam andere quält.


    Ist aber die Erziehung und das Familienleben harmonisch und einigermaßen von Liebe und Fürsorge bestimmt, und das Kind entpuppt sich zum Nazi, ich kann es mir nicht vorstellen. Ist ja auch so als würden sie zum IS gehen. Zumindest sehe ich da Parallelen was die Entscheidung eines Kindes/Jugendlichen angeht, einen Weg zu gehen, den Eltern nicht nachvollziehen können.

  • Aber diese Eltern im Buch schüren doch den Hass auf Andere.

    Das ist Deine Interpreation als Leserin. Aus der Innensicht der Protagonisten mag das eventuell anders aussehen.

    Ist aber die Erziehung und das Familienleben harmonisch und einigermaßen von Liebe und Fürsorge bestimmt, und das Kind entpuppt sich zum Nazi, ich kann es mir nicht vorstellen. Ist ja auch so als würden sie zum IS gehen. Zumindest sehe ich da Parallelen was die Entscheidung eines Kindes/Jugendlichen angeht, einen Weg zu gehen, den Eltern nicht nachvollziehen können.

    IS und NS sehe ich auch parallel. Trotz Liebe und Fürsorge könnte wohl so eine Entwicklung geschehen, es gibt ja noch wesentlich mehr erziehende Faktoren. Die Täter der RAF kamen oftmals aus gutem, gebildeten Elternhaus.


    Meine hypothetische Frage war aber weniger "wie kommt es dazu", sondern eher "wie schrecklich muss das sein".

  • Die Täter der RAF kamen oftmals aus gutem, gebildeten Elternhaus.


    Meine hypothetische Frage war aber weniger "wie kommt es dazu", sondern eher "wie schrecklich muss das sein".

    Gudrun Ensslins Vater war glaube ich Pastor. Ja sie waren gebildet und gut situiert. Und ich glaube es muss für Eltern furchtbar sein, wenn Kinder so einen Weg gehen. Sicher, andere nehmen Drogen, landen auf der Straße, das ist nicht weniger schlimm. Sie gefährden da zwar nur sich selbst und nicht noch andere aber was vielleicht ein Trost ist.

    Ich glaube auch, dass es heutzutage in der digitalen Welt noch schwieriger ist Kinder so zu erziehen, dass sie ihre Meinung vertreten können, sich so geben können wie sie sind ohne sich irgendwelchen Gruppen anpassen zu müssen. Dazuzugehören ist sicher immer der Wunsch jedes Menschen, wenn er das in der Familie nicht findet sucht er es anderswo. Und da finde ich schon, dass das was Eltern ihren Kindern in die Wiege legen, eine Rolle spielt.

  • Quälende, unemotionale Schreibweise trifft es recht gut. Ich habe mich jetzt durch diesen Abschnitt gequält und frage mich bei quasi allen Figuren, warum sie so abgestumpft, so gefühlskalt und gleichgültig wirken.

    Inzwischen denke ich, dass der Autor nur so die Wirkung erreicht, die er erreichen will. Es geht hier um die Entwurzelung, das Fehlen einer Lebensgeschichte, weil die wegradiert wird mitsamt allem, was man bisher getan, gearbeitet, erreicht hat. Es sind nicht alle so und nicht alles, aber das ist nun mal sein Thema.


    Die Geschichte mit dem Hakenkreuz (und dem Wort Jude) kaufe ich dem Autor aber nicht ab. Nicht in dem Alter, nicht in Deutschland. Dabei will ich gar nicht mal auf den Osten abzielen, auch hier sieht man regelmäßig mal irgendwo von Deppen eingeritzte oder aufgesprühte Hakenkreuze. Das Wissen würde sich, wenn schon nicht durch die Schule, wo es zu dem Zeitpunkt bereits mindestens 1-2mal in irgend einem Fach Thema gewesen wäre (wenn die Lehrpläne sich nicht drastisch von denen hier in Niedersachsen unterscheiden), wie ein Lauffeuer unter den Kindern und Jugendlichen verbreiten, schon allein, weil man damit ja schockieren kann.

    Das habe ich mir auch notiert.

    Der Geschichtsunterricht in der DDR war sehr einseitig und durchgesiebt. Ich kann dir zum Beispiel mehr über die Geschichte der Sowjetunion sagen als über deutsche Geschichte, nun, jetzt wohl nicht mehr, aber damals direkt nach der Schule wäre es so gewesen. Aber die Verbrechen der Nazis waren ein Thema. Das Thema Juden wurde in der DDR allerdings wirklich stark ausgeklammert, abgesehen vom Holocaust. Aber das Wort Jude war keinem unbekannt.

  • Ich wollte aber wie gesagt mehr auf die rhetorische Frage "wie schrecklich muss es sein...?" hinaus.

    Das hab ich schon kapiert. Aber das können Dir nur wirklich Betroffene sagen. Ich mag es mir nicht vorstellen, genauso wenig wie, dass eines meiner Kinder zum Amokläufer wird.

  • Das hab ich schon kapiert. Aber das können Dir nur wirklich Betroffene sagen. Ich mag es mir nicht vorstellen, genauso wenig wie, dass eines meiner Kinder zum Amokläufer wird.

    Das zu lesen tut schon weh.

    Ich erhoffe mir auch, dass der Autor bis zum Ende den Bogen hält uns zu erzählen, wie man zu dem wird, wovon der Klappentext andeutet.

  • Der Geschichtsunterricht in der DDR war sehr einseitig und durchgesiebt.

    Obwohl hier ja gar nicht mehr der DDR-Unterricht relevant ist, sondern der Unterricht der Nachwendezeit. Vielleicht stand dann auch erstmal die Erzählung und Verarbeitung der aktuellen Ereignisse im Vordergrund, so dass die NS-Verbrechen nicht so sehr Beachtung erhielten.

  • Ich bin immer noch nicht mit dem Abschnitt fertig, möchte aber trotzdem gerne schon mal etwas dazu schreiben. Die Familie hat gerade mit den Nachbarn Silvester gefeiert.

    Ich bin immer noch sehr begeistert von der Erzählweise. Diese Trostlosigkeit, die Entwurzelung, dieses Gefühl in der Luft hängen gelassen zu werden, schafft er für mich wirklich sehr gut rüberzubringen. Er selbst lässt vieles ungesagt oder ungeschrieben, lässt uns LeserInnen so in der Luft hängen und erzielt so bei mir dieses beklemmende, distanzierte Lesegefühl. Das finde ich ganz stark.

    Interessant finde ich, dass ich immer wieder auf Szenen stoße, die - meinem Gefühl nach - sicher sehr typisch sind, für viele Menschen in diesen Gegenden in der Zeit nach der Wende. Uwe ist natürlich ein Beispiel dafür (aber auch so jemanden findet man sicherlich auch hier im Pott) oder dieser seltsame Drang nicht aufzufallen, sich beobachtet zu fühlen, der auch den Kindern übergestülpt wird.

    Dann erzählt er wieder von Vorkommnissen und Verhaltensweisen gegenüber den Kindern, wie sie in ganz vielen Familien stattfinden, die Kinder für ihr ganzes Leben lang zeichnen und die völlig orts- und zeitunabhängig sind.

    Mir tut das Verhalten der Erwachsenen den Kindern gegenüber weh. Tobi, die eigentliche Hauptperson an seiner Einschulung, wird nicht beachtet, während die Erwachsenen sich selbst feiern. Merkwürdig ist auch die Silvesterparty, an der die Kinder nur zum Feuerwerk teilnehmen dürfen. Die Kinder sind voller Fragen, die sie sich entweder nicht zu stellen wagen oder auf die sie keine Antwort erhalten. Dieses Gefühl auf keinen Fall aufzufallen oder für sich selbst einzutreten auch in der Schule. Dann die Großmutter, die den armen Tobi scheinbar jeden Tag über die Hausaufgaben psychisch traktiert. Dann der Vorfall am 11. September, bei dem recht deutlich wird, dass die Großeltern Kriegstraumata erlebt haben, wo die Jungs dann die Erwachsenenrolle übernehmen und zu Tröstern werden. Mittlerweile weiß man ja, dass solche Traumata vererbt und anerzogen werden, damals war da natürlich noch keine Rede von.
    Wie fürchterlich ist es, dass die Kinder ihren Großeltern die Hand zur Begrüßung geben. Wo ist die familiäre Wärme? Selbstgebasteltes für das die Eltern sich nicht interessieren, nie etwas davon aufhängen, zusätzlich zu der mehr als unterkühlten Beziehung der Eltern zueinander. Die Kälte in dieser Familie ist furchtbar.


    Das sind natürlich alles mögliche Erklärungen für eine Richtung, in die die Jungs sich entwickeln werden. Es ist auf jeden Fall ein schwerer Rucksack, den die beiden da aufgebürdet bekommen.

    Aber typisch für den Osten Deutschlands ist vieles davon, wie gesagt, sicher nicht. Die Umstände sind vielleicht aufgrund der Wende geballter und es kommt so viel auf einmal zusammen.


    Interessant fand ich auch, dass die Großeltern väterlicherseits nicht so kaltherzig sind, wie der Rest der Erwachsenen, allerdings sind ihre Lebensumstände umso härter.

  • Was ich viel schrecklicher finde:

    Ich habe ja keine Kinder, aber hier sind ja einige Mütter. Stellt euch vor, ihr habt eure Kinder jahrelang aufgezogen und verwöhnt und dann kommt so ein kleines NS-Monster dabei raus. So eine Entwicklung mitzuerleben muss doch grausam sein.

    Das ist ganz sicher mehr als grausam. Als Eltern hat man die ersten Jahre die Möglichkeit eine Grundlage zu legen, dem Kind Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein mitzugeben, es zu einem liebenswerten und liebevollen, empathischen Menschen zu erziehen. Irgendwann - meist in der Pubertät - muss man die Kids dann loslassen, dann werden die sog. "Peer-Groups" wichtig, der Einfluss von außen, von Gleichaltrigen ist so groß und natürlich geraten hier auch Kinder aus einem liebevollen Elternhaus an die falschen Leute und entwickeln sich in solch eine Richtung. Es sind eben nicht immer nur die Kinder von schrecklichen Eltern und gefühlskalten Familien, die so enden (auch hier gibt es positive Beispiele, in denen sich diese Kinder zu ganz empathischen Menschen entwickeln) aber die Chancen dafür sind natürlich ungleich höher.

  • Ich habe das Glück, dass die Wende für mich genau zum richtigen Zeitpunkt kam. Ich hatte eben mein Studium begonnen, stand also am Anfang oder erst vor meinem Berufsleben. Glück gehabt.

    Ich finde die Entwurzelung so schrecklich, die Perspektivlosigkeit, die nicht daraus resultiert, dass man keine Möglichkeiten hat, sondern dass man nicht weiß, wie man sie nutzen soll oder nicht mehr die Kraft, den Elan dazu.

    Stellenweise habe ich gedacht: Och, bitte, nicht noch eine Baustelle aufmachen! Aber genau das finde ich inzwischen wichtig und am Platze: auf den Tisch damit, mit allem.


    Der Roman ist bis jetzt der wohl am wenigsten ostalgische Roman, den ich bisher über den Osten gelesen habe. Schonungslos, schmerzhaft, trostlos, zumindest bis jetzt (bin mit dem 2. Abschnitt fertig).

    Abgesehen von deinen persönlichen Erfahrungen, die mir natürlich fehlen, möchte ich das gerne alles so unterschreiben.

    Und deshalb finde ich das Buch richtig, richtig gut.


    Sehr gut gefällt mir auch, wie Rietzschel dafür sorgt, dass man als interessierte Leserin immer genau weiß, in welchem Jahr man sich gerade befindet: Hoyerswerda (an diese Zeit kann ich mich noch sehr gut erinnern, sie hat meine antifaschistiche Einstellung sehr geprägt), 9.11., das Jahrhunderthochwasser, usw. Auch das trägt dazu bei, dass die Geschichte auf mich so authentisch wirkt.

  • Mein Lieblingsbuch wird es nicht werden. Es ist einfach so beklemmend. Ich möchte mir gar nicht vorstellen, wie vielen Familien es dort so ging. Man bekommt/bekam ja ohne Menschen „im Osten“ kaum was mit.


    Die Eltern scheinen sich kaum um ihre Kinder zu kümmern. Das finde ich irgendwie seltsam. Schon alleine die Silvesterfeier zu der die beiden Jungs nicht runter zu den Eltern gehen durften. Und die Feier selber war so gezwungen.


    Die Sache mit dem Hakenkreuz finde ich auch ziemlich seltsam bzw. Wie der Direktor sich verhält. Als würde er sich schämen. Natürlich ist das nicht schön, aber das Verhalten kommt mir ziemlich absurd vor.



  • Ich bin immer noch sehr begeistert von der Erzählweise. Diese Trostlosigkeit, die Entwurzelung, dieses Gefühl in der Luft hängen gelassen zu werden, schafft er für mich wirklich sehr gut rüberzubringen. Er selbst lässt vieles ungesagt oder ungeschrieben, lässt uns LeserInnen so in der Luft hängen und erzielt so bei mir dieses beklemmende, distanzierte Lesegefühl. Das finde ich ganz stark.

    Ich finde die Erzählweise für dieses Buch auch sehr passend, gerade dieses Gefühl in der Luft hängen gelassen zu werden beim Lesen, ich kann mir vorstellen, dass sich die beiden Jungs mit ihren Fragenn, Ängsten und Gefühlen von den Erwachsenen um sie herum genauso hängengelassen fühlen.

    Mein Lieblingsbuch wird es nicht werden. Es ist einfach so beklemmend. Ich möchte mir gar nicht vorstellen, wie vielen Familien es dort so ging. Man bekommt/bekam ja ohne Menschen „im Osten“ kaum was mit.

    Mein Lieblingsbuch wird es bestimmt auch nicht und ohne Leserunde hätte ich es wahrscheinlich schon lange weggelegt, es geht mir sehr nahe.

  • Obwohl hier ja gar nicht mehr der DDR-Unterricht relevant ist, sondern der Unterricht der Nachwendezeit.

    Aber die Kinder sind Kinder ihrer Eltern...


    Wie fürchterlich ist es, dass die Kinder ihren Großeltern die Hand zur Begrüßung geben. Wo ist die familiäre Wärme? Selbstgebasteltes für das die Eltern sich nicht interessieren, nie etwas davon aufhängen, zusätzlich zu der mehr als unterkühlten Beziehung der Eltern zueinander. Die Kälte in dieser Familie ist furchtbar.

    Warum Entwicklungen in eine bestimmte Richtung gehen, ist immer schwer festzumachen. Hier fehlt komplett jede Wärme. Und das liegt nicht daran, dass sie keine Zeit haben...


    Und deshalb finde ich das Buch richtig, richtig gut.

    Ich auch.

  • Ich frage mich ja, was es mit diesem Balkon, den die Kinder suchen und der Block, an dem die Großeltern immer so schnell vorbei fahren, auf sich hat. Es muss etwas Schlimmes sein. Vielleicht etwas, was diese ganze Stimmung herauf beschworen hat?

    Vielleicht spielt der Autor auf den Anschlag auf das Flüchtlingswohnhaus an. Ich habe die Bilder noch vor Augen. Das war allerdings Anfang der 90ger, meine ich. :gruebel

    Edit: Lese gerade, dass ihr das auch gedacht habt. :knuddel1

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

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  • Ich bin immer noch sehr begeistert von der Erzählweise. Diese Trostlosigkeit, die Entwurzelung, dieses Gefühl in der Luft hängen gelassen zu werden, schafft er für mich wirklich sehr gut rüberzubringen. Er selbst lässt vieles ungesagt oder ungeschrieben, lässt uns LeserInnen so in der Luft hängen und erzielt so bei mir dieses beklemmende, distanzierte Lesegefühl. Das finde ich ganz stark.

    :write

    Wie fürchterlich ist es, dass die Kinder ihren Großeltern die Hand zur Begrüßung geben. Wo ist die familiäre Wärme? Selbstgebasteltes für das die Eltern sich nicht interessieren, nie etwas davon aufhängen, zusätzlich zu der mehr als unterkühlten Beziehung der Eltern zueinander. Die Kälte in dieser Familie ist furchtbar.

    Das erlebe ich in meinem Schulalltag auch ständig. Ich bastel mit den Kindern gar keine Elterngeschenke mehr, weil viele diese gar nicht mit nach Hause bringen dürfen oder gleich weggeworfen werden. Oft bekomme ich das Gebastelte geschenkt oder die Kinder machen es kaputt (ähnlich wie Tobi) und ich finde die Einzelteile im Klassenzimmer oder auf dem Schulhof. Das ist so traurig.

    Die Kindern basteln jetzt für sich und dürfen selbst entscheiden, ob sie die Dinge selbst behalten oder wieterschenken.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Was ich viel schrecklicher finde:

    Ich habe ja keine Kinder, aber hier sind ja einige Mütter. Stellt euch vor, ihr habt eure Kinder jahrelang aufgezogen und verwöhnt und dann kommt so ein kleines NS-Monster dabei raus. So eine Entwicklung mitzuerleben muss doch grausam sein.

    Das wäre natürlich der blanke Horror und eine meiner ganz großen Ängste, dass die Kinder irgendwie "auf die schiefe Bahn" gelangen und ich nicht mehr an sie heran käme. Ich glaube, keine gemeinsame Sprache mehr zu haben, das wäre das allerschlimmste.


    In meiner Schule passieren ja immer wieder heftige Dinge, die mich sehr bewegen, die ich aber immer von mir fernhalte, weil die Schüler ja nicht meine eigenen Kinder sind und ich auch sonst nicht mehr dort arbeiten könnte. Soweit die Theorie.

    Vor einigen Tagen ist folgendes passiert: Drei Mädchen, so etwa 10 Jahre alt, haben eine elterliche Erlaubnis gefälscht und sind somit früher aus der Schule "entkommen". Die Damen haben sich dann in der Stadt vergnügt bis in den Abend, alles ohne Erlaubnis und Wissen der Eltern, die die Kinder allerdings auch nicht vermisst haben. Eines der Mädchen wurde sehr schwer in einen Unfall verwickelt und hat sehr schwer verletzt überlebt. Die anderen beiden haben keine Hilfe gerufen mit ihren Handys, sondern die Verletzte erstmal gefilmt und das Video geteilt. Alles ehemalige Schülerinnen von mir, die ich dachte, gut zu kennen. Ich habe mehrfach versucht, mit den beiden darüber zu sprechen. Ein Mädchen sagte mir, sie dachte das Blut sei nicht echt.

    Mich schockierte auch hier die Kälte der Kinder, aber auch der Eltern, die ich wahrnehme. Es ist halt passiert, aber dass ein Kind fast gestorben wäre, wird als Nebenwirkung hingenommen.


    Ich finde gerade nicht die passenden Worte. Eine fehlende Werteerziehung, ein steigender Egoismus, ich bin als Lehrerin oft einfach macht- und sprachlos.

    So ähnlich empfinde ich das im Buch auch.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Ich bin immer noch sehr begeistert von der Erzählweise. Diese Trostlosigkeit, die Entwurzelung, dieses Gefühl in der Luft hängen gelassen zu werden, schafft er für mich wirklich sehr gut rüberzubringen. Er selbst lässt vieles ungesagt oder ungeschrieben, lässt uns LeserInnen so in der Luft hängen

    Die Erzählweise könnte auch der Versuch sein, die Perspektive der Kinder zu transportieren. Uns wird immer nur soviel mitgeteilt, wie die Kinder in der Lage sind, mitzubekommen.