'Mittagsstunde' - Seiten 244 - Ende

  • Vielleicht lag es ja doch an Sönkes Erziehung der ja auch der große Dulder war und nicht gerade ein Rebell. Er hat klaglos akzeptiert, dass seine Frau ein Kind von einem anderen bekommt, sicher der Zeit geschuldet aber trotzdem. Mehr noch, er hat still die weitere Beziehung Ellas zum Lehrer hingenommen. Ingwer hat sicher gespürt, dass was nicht stimmt, konnte es aber nie an etwas fest machen. Das verunsichert ein Kind.

    Das ist auch mein Eindruck. Dass der Großvater dem Enkel etwas vorgelebt hat.

    Hollundergrüße :wave



    :lesend


    Ninni Schulman - Den Tod belauscht man nicht

    Hanna Caspian - Im Takt der Freiheit


    (Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin,

    daß er tun kann, was er will,

    sondern daß er nicht tun muß,

    was er nicht will - Jean Rousseau)

  • Mir fällt eben so auf, dass ich hier rumpflücke und krittele, was mir alles nicht gefallen hat oder was mich stört.


    Ich möchte zusammenfassen nochmal sagen, dass ich den Roman gerne gelesen habe und Idee und Sprache sehr gut fand.:)

  • Mir fällt eben so auf, dass ich hier rumpflücke und krittele, was mir alles nicht gefallen hat oder was mich stört.


    Ich möchte zusammenfassen nochmal sagen, dass ich den Roman gerne gelesen habe und Idee und Sprache sehr gut fand.:)

    Ich staune ein wenig über eure Kritik. Ich habe scheinbar ein völlig anderes Buch gelesen. ;-)

    Für mich ging es immer um Menschen und deren Herausforderungen, die das Leben, in das sie hineingeboren wurden, versuchen zu meistern. Authentisch erzählt, dass es eben nicht so einfach ist, etwas zu ändern, sondern, dass das Zeit braucht und im Alltag oft nicht oder nur schwer gelingt.

    Ich denke, dass ich deswegen mit dem Ende und den losen Fäden so zufrieden war. Und auch mit einem Ingwer, dem Möglichkeiten offen stehen, es aber nicht sicher ist, ob und welche er ergreift.

    Mich hat das Buch sehr an "Stoner" von John Williams erinnert. Dort geht es auch im ein völlig normales Leben mit diversen Höhen und Tiefen.

  • Ich staune ein wenig über eure Kritik. Ich habe scheinbar ein völlig anderes Buch gelesen.

    Ich denke nicht, dass es ein anderes Buch war. Ich habe das vorhin deshalb geschrieben, weil ich das Gefühl hatte, dass ich mich in den ganzen Diskussionen hin etwas hineingeredet habe und mir das Buch damit selber im Nachhinein etwas madig mache. Das wäre schade.


    Ich mochte den Roman sehr. Ich mochte Ingwer mit allem Drum und Dran. Punkt.

    Ich finde, dass Dörte Hansen eine berührende Geschichte aufgeschrieben hat, bildreich und sprachlich rund, die nicht um Perfektion buhlt, sondern Scheitern und unperfekt Sein zulässt. Es ist eine Geschichte über die Päckchen und Pakete aus der Kindheit, ja dem Leben der Eltern und Großeltern, die wir mit und tragen und die uns prägen. Die Autorin schreibt mit großer Empathie und Behutsamkeit von Menschen verschiedener Generationen. Von Alten, die nach langem, oft enttäuschendem Leben Pflege und Hilfe brauchen und von deren Enkel, der an einer Kreuzung seines Weges steht und vor der Aufgabe, sich um die Großeltern zu kümmern und dabei vielleicht auf mit sich wieder ins Reine zu kommen. So wie das ursprüngliche dörfliche Leben verschwindet, sterben die Alten aus und nehmen diese Zeit und ihre Geschichten unwiederbringlich mit sich.


    Ich hätte mir ein weniger offenes Ende gewünscht, aber dieser Wunsch entspringt wahrscheinlich meinem Wunsch, zu erfahren, was Ingwer aus seinem neuen Leben macht, wie und ob er es anpackt. Aber dafür haben wir immer noch unsere Fantasie.







    Dass und wovon ich gerne mehr erfahren hätte, ist aber mein Problem und nicht das des Buches.

  • Ich wollte mit der Lektüre dieses Romans herausfinden, warum der Titel so lange auf Platz 1 der Bestsellerliste stand und von der Literaturkritik hoch gelobt wurde. Das ist mir , ebenso,wie beim Alten Land nicht gelungen. Mir fehlte in der Geschichte der rote Faden. Den Vergleich mit Stoner finde ich gut, da es mir dort auch so ging.


  • Es ist ein Buch über den Wandel, den von Menschen und ihren Lebensumständen und wie sie damit umgehen.

    Das finde ich sehr gut zusammengefasst! :anbet Der Wandel geschieht aber nicht von heute auf morgen, sondern ganz schleichend und allmählich und deshalb passt für mich auch Ingwer in seiner Zögerlichkeit da sehr gut rein.


    Mich hat der letzte Abschnitt voll und ganz überzeugt. Ich finde, er hat das ganze Buch wunderbar abegerundet. Ja, viele Enden bleiben lose, aber vieles braucht auch Zeit und ich bin sehr froh, dass die Autorin hier kein rosarotes Ende hingezauber hat, sondern ihrer Linie treu bleibt. Irgendwer - ich glaube es war Clare - hat in einem Abschnitt geschrieben, so ist die Realität. Das kann ich nur unterstreichen: es ist realistisch, dass manche Sachen im unklaren bleiben oder erstmal eine behutsame Richtungsänderung geschieht und nicht von heute auf morgen alles anders ist. Von daher past es für mich. Anfänge sind für Ingwers Weiterentwicklung gemacht, er wird sich mit Annalena treffen und dann wird er sehen, ob das passt. Oder mit deutlich offeren Augen in Zukunft durchs Leben gehen - Stichtwort: Auch einmal Jäger sein, nicht nur Bauer. :) Ich bin sehr zuversichtlich, dass er es hinkriegt.


    Als Sönke so ganz leise und unerwartet stirbt, musste ich ein paar Tränchen wegwischen. Das passiert mir selten beim Lesen und ist dann doch ein deutliches Zeichen, dass mich das Buch sehr berührt hat. Auch von daher fand ich es rund, denn die Geschichte von Ella und Sönke ist damit abgeschlossen. Und es wird im letzten Abschnitt noch einmal sehr viel aufgedeckt: die Treue, die Ella ihrem Christian hält und die große Geduld, die Sönke dafür aufbringen musste; der Konkurrenzkampf der beiden "Opas" um den jungen Ingwer und warum Sönke so extrem gegen die höhere Schule war. Das bisherige Bild wird damit vervollständigt.


    Rund fand ich außerdem die Weiterentwicklung des Dorfes. Da gibt es endlich auch einmal viel Positives zu berichten - die Bemühungen, alte Sünden auszumerzen z. B. oder den Umbau des maroden Gasthofes. Ja, es ändert sich viel - aber es geht weiter.

    Finde ich auch. Gesucht haben sie ja schon, aber intensiv genug? Ich weiß nicht...Irgendwie sträubt sich bei mir da alles. Sicher, da wir nicht wissen, wo sie abgeblieben ist, stehen alle Wege offen, aber so geht das für mich nicht. Wenn sie eine Spur hinterlassen hätte, dass sie noch lebt und fortgegangen ist, würde ich es noch einsehen, aber so?

    Merrets Verschwinden passt für mich sehr gut zum Gesamtbild - so wie das "alte" Dorf verschwindet auch sie. Von daher hat mich das gar nicht gewundert, sondern es hat sich fast so ergeben. Ich nehme mal an, dass da schon intensiver nach ihr gesucht wurde, nur ist das halt nicht Thema des Buches. Ihr Verschwinden fällt ja in eine Zeit, die nur noch sehr knapp erzählt wurde, kein Raum also für lange Suchaktionen.


    Ich kann eure ganzen Kritikpunkte nachvollziehen und teile sie auch teilweise. Ja, auch ich hätte gern erfahren, was aus Gönke geworden ist, und sei es durch ein kurzes Gespräch beim Bäcker. Aber letztlich rückt das alles in den Hintergrund und mir bleibt es wohl als ein nicht einfaches, aber auf alle Fälle lohnenswertes Buch in Erinnerung. :thumbup:

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021

  • Was für ein wundervoller Roman! Ich habe ihn aufgesogen und jedes Wort genossen. Auch ich habe am Ende Tränen vergossen, so berührt hat mich der Roman. Besonders gelungen fand ich, mit welcher Ehrlichkeit, gepaart mit Humor und Zärtlichkeit, Hansen von der Pflege erzählt.

    Zuerst war ich ein klein wenig enttäuscht, dass alles irgendwie in der Schwebe bleibt für Ingwer. Ich hätte mir eine Lösung für ihn gewünscht, vielleicht eine Frau, aber das wahre Leben ist kein Wunschkonzert und Veränderungen, Lösungen, Glück und Zufriedenheit fallen nicht einfach so vom Himmel.

    Ich finde das gerade gut. Ingwer ist diesen Schritt zurück ins Dorf gegangen, um sich wieder neu zu positionieren. Er hat Heimatgefühle aufgetankt und ist nun frei, loszugehen, wohin auch immer. Ich finde das nicht wichtig zu erfahren, was jetzt weiter mit ihm passiert. Spannend war das Innehalten und Miterleben dieses entscheidenden Wendepunktes in seinem Leben. Das hat Hansen großartig beschrieben.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Erhofft habe ich mir jedoch eine deutlichere Perspektive für Ingwer und seine Zukunft, und ich hätte

    sehr gerne erfahren, was aus Gönke geworden ist.

    Das hätte Ingwer ja auch gerne :grin, aber so spielt das Leben und es passt so gut zu Gönke, dass der Leser es eben nicht erfährt. Hansen legt diese Figur ja so an, dass sie von Geburt an alle Vorstellungen, alle Ketten, die ihr Leben in der Dorfgemeinschaft einschränken, sprengen will und das auch mit Lebeskräften tut. Sie pflügt ihr Leben lang ihre Heimaterde gründlich um, dann trennen sich Ingwers und Ihr Lebensweg. Beide halten keine Verbindung zum Dorf, Ingwer empfindet nur nicht diese Wut in sich, deshalb kann er wiederkommen. Ich habe es so empfunden, dass der Strukturwandel tiefe Wunden in das Dorfleben gerissen hat. Diese mussten sein, denn die Bauern hätten von ihrer Landwirtschaft nicht einfach so weiterleben können, taten aber unendlich weh. Gönke war die Stimme dazu, ihr Schreien stand für das ganze Dorf.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

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  • und klanglose Verschwinden von Marret hat mich auch etwas gestört, dass ein Mensch einfach so verschwindet, müsste doch höhere Wellen im Dorf geschlagen haben, als nur die Sensen wieder auszupacken ...

    Sie haben ja auch alle nach Marret gesucht. Marret verschwindet nach und nach, genauso wie das alte Dorf auch nach und nach verschwindet. Marret wird der Lebensraum genommen, die Felder, in denen sie abtauchen kann, die Bäume, hinter denen sie sich verstecken kann. Die Tiere, mit denen sie spricht und lebt, haben keinen Lebensraum mehr, Marret auch nicht. Ich finde diese Parallele genial geschrieben. Marret passt ihn kein Haus, passt nicht richtig in ihre eigene Familie, aber passt in das alte Dorf. Sie hat einen Platz in der Gemeinschaft, wird zumindest geduldet. In meinen Augen erkennt sie sehr früh als einzige, was gerade mit ihrem Dorf passiert. Sie ist viel feinfühliger als alle anderen. Die alte Dorfstraße kann man begradigen, einen Menschen nicht.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Wobei ich immer das Gefühl hatte, auf allem liege ein Gewicht, dass versucht alles nach unten zu ziehn. Alles so schwer. Nichts leicht und optimistisch.

    Das liegt daran, dass die Autorin sich entschieden hat, die Geschichte vom Untergang des Dörflichen zu erzählen. Ein Ende zu erleben, zu akzeptieren ist nun einmal per se schwer. Das Dorf musste an sein Ende kommen, damit Raum geschaffen wird für Bildung, für Fortschritt, für Gleichberechtigung, für Emanzipation. Von all dem erzählt Hansen ja auch. Ich sehe auch ganz viel positive Entwicklung in diesem Buch.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Dörte Hansen ist ganz sicher eine großartige Autorin, aber ihre Themen und ihre Schreibweise sind nichts, was ich regelmäßig lesen möchte, so weit ich das nach einem Buch beurteilen kann. Altes Land liegt noch auf meinem SuB, ich bin gespannt, ob sich dieser Eindruck bestätigt, wenn ich es lese.

    Da geht es mir ganz anders. Ich warte schon sehnsüchtig auf ein nächstes Buch. Ich finde diese Autorin großartig.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Warum zum Beispiel hat er nicht irgendwann versuch, mehr zu erfahren,

    Im Buch wird doch beschrieben, dass sich das ganze Dorf entscheiden hat, darüber zu schweigen. Intuitiv merkt Ingwer, dass er offen nichts über seine Mutter und schon gar nichts über seinen Vater erfährt. Ein Kind akzeptiert das, das finde ich sehr glaubwürdig. Nur Gönke, die Unangepasste, klärt ihn auf. Das genügt ihm. Hätte Hansen mehr über diesen Handlungsstrang geschrieben, wäre es leicht kitschig oder gefühlsduselig geworden. So lässt sie Ingwer lieber schweigen, sich in sein Schicksal fügen als in diesen Fettnapf zu treten. Eine große Stärke des Buches.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Das liegt daran, dass die Autorin sich entschieden hat, die Geschichte vom Untergang des Dörflichen zu erzählen. Ein Ende zu erleben, zu akzeptieren ist nun einmal per se schwer. Das Dorf musste an sein Ende kommen, damit Raum geschaffen wird für Bildung, für Fortschritt, für Gleichberechtigung, für Emanzipation. Von all dem erzählt Hansen ja auch. Ich sehe auch ganz viel positive Entwicklung in diesem Buch.

    Ja, die sehe ich auch. Aber erst ganz zum Ende, denn dann kommt das jetzige, durchaus positive Dorfleben endlich auch einmal zum Vorschein. Von daher kann ich auch sehr gut die Meinung von hollyhollunder nachvollziehen. Lange Zeit ist das Buch durchaus "schwer". Du hast das toll beschrieben Regenfisch , mit den tiefen, aber notwendigen Wunden - das ist für mich ein sehr passendes Bild. Mir hat das Buch auch sehr gut gefallen, trotzdem hätte ich mir gewünscht, es wäre auch schön früher etwas mehr "Lebensfreude" spürbar gewesen. Deswegen hat mir persönlich auch Altes Land besser gefallen, da gab es auch ganz tiefe Einblicke in menschliches Leid, aber immer verbunden mit einer gewissen Leichtigkeit und auch humorvollen Episoden.


    Es ist eine Gradwanderung, was die Autorin betonen möchte: die schmerzvollen Veränderungen oder vielleicht doch die Lust am (Weiter-)Leben. Ich bin schon sehr gespannt auf das nächste Buch der Autorin, hoffe aber, es wird nicht noch melancholischer.


    Intuitiv merkt Ingwer, dass er offen nichts über seine Mutter und schon gar nichts über seinen Vater erfährt. Ein Kind akzeptiert das, das finde ich sehr glaubwürdig. Nur Gönke, die Unangepasste, klärt ihn auf. Das genügt ihm. Hätte Hansen mehr über diesen Handlungsstrang geschrieben, wäre es leicht kitschig oder gefühlsduselig geworden. So lässt sie Ingwer lieber schweigen, sich in sein Schicksal fügen als in diesen Fettnapf zu treten. Eine große Stärke des Buches.

    Ja, ich finde auch, Ingwer passt das, was er weiß. Ein anderes Kind hätte vielleicht versucht, mehr über seine Herkunft herauszufinden, aber Ingwer braucht das wohl nicht. Er hatte seine Eltern in Form von Ella und Sönken Überhaupt Ella - ich finde, sie ist eine ganz eigene, sehr interessante und starke Frau. Schade, dass sie und ihre Beweggründe nur immer so am Rande auftauchen, aber für mich hat sie die ganze Konstellation überhaupt erst zusammengehalten.

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021

  • Ich finde diese Parallele genial geschrieben. Marret passt ihn kein Haus, passt nicht richtig in ihre eigene Familie, aber passt in das alte Dorf. Sie hat einen Platz in der Gemeinschaft, wird zumindest geduldet. In meinen Augen erkennt sie sehr früh als einzige, was gerade mit ihrem Dorf passiert. Sie ist viel feinfühliger als alle anderen. Die alte Dorfstraße kann man begradigen, einen Menschen nicht.

    Das hast Du ganz wunderbar beschrieben liebe Regenfisch .

  • arret verschwindet nach und nach, genauso wie das alte Dorf auch nach und nach verschwindet. Marret wird der Lebensraum genommen, die Felder, in denen sie abtauchen kann, die Bäume, hinter denen sie sich verstecken kann. Die Tiere, mit denen sie spricht und lebt, haben keinen Lebensraum mehr, Marret auch nicht. Ich finde diese Parallele genial geschrieben. Marret passt ihn kein Haus, passt nicht richtig in ihre eigene Familie, aber passt in das alte Dorf. Sie hat einen Platz in der Gemeinschaft, wird zumindest geduldet. In meinen Augen erkennt sie sehr früh als einzige, was gerade mit ihrem Dorf passiert. Sie ist viel feinfühliger als alle anderen. Die alte Dorfstraße kann man begradigen, einen Menschen nicht.


    Diese parallele Entwicklung hatte ich gar nicht gesehen und bin froh, dass du sie so schön beschrieben hast, Regenfisch.

  • Hallo ihr Lesenden, ich freue mich, dieses Forum gefunden zu haben, weil ich gerade einfach das Bedürfnis habe mich mitzuteilen darüber wie sehr mich das Buch berührt hat. Ich habe auch eure Beiträge zum Ende des Buches gerne gelesen.

    Insbesondere Marrets Füße im Asphalt, die da ewig sein werden, treiben mir einfach die Tränen in die Augen. Mit Ingwers relativ offenem Ende kann ich recht gut leben, denn das ist ja doch deutlich hoffnungsvoll, und, wie viele schon sagten, lebensnah/realistisch, dass es noch nicht 'fertig' ist. Aber Marret...puh.

    Ich kann mir nicht vorstellen wie und wo sie überlebt hat. Sie war ja nicht einfach in der Lage mal eben wo anders ein neues Leben aufzubauen, sich selbst zu versorgen, Menschen zu finden die sie lieben, so verschroben wie sie ist. Auch wenn ihr Dorf untergegangen ist, und ihr Verschwinden in dem Sinne stimmig, treibt mir dieses ungeklärte Schicksal echt die Tränen in die Augen. Hat sie sich umgebracht, ist sie verunglückt, oder lebt sie noch anderswo, und wenn ja, dann etwa freudig? Erst sammelt und konserviert sie das Dorf, was mein Herz ganz weich macht, und dann lässt sie die Sammlung wie das Dorf doch zurück? Ich wünschte ich könnte hoffnungsvoller sein, dass es ihr noch irgendwie ne Weile gut ging. *Seufz*

  • Hallo reiseelisa, herzlich Willkommen bei uns im Forum! :wave Schön, dass du zu uns gefunden hast und genau für den Austausch zu den Büchern sind wir ja da!


    Zu Marret kann ich dir leider auch nicht allzuviele Hoffnungen machen. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass sie woanders weitergelebt hat, irgendwann hätte sich doch da eine Spur ergeben. Der Typ, der ganz woanders von vorne anfängt, ist sie nicht. Allerdings sehe ich ihr Verschwinden (auch mit einigem Abstand) zwar traurig, aber nicht tragisch. Für mich hat sie genau gewusst, was sie macht und ist diesen Weg bewusst gegangen. Das weiß ich zwar nicht, aber ich hoffe es sehr für sie. Dann wäre es nämlich ihre Entscheidung und deshalb auch so zu akzeptieren. Eine Platz hätte sie im Dorf und vor allem bei ihrer Familie immer gehabt - aber sie wollte ihn durch die veränderten Lebensumstände vielleicht nicht mehr.


    Tragisch ist ihr Verschwinden für ihre Familie, vor allem für ihre Mutter, die ja auch im hohen Alter noch auf Marrets Rückkehr wartet. Da mag ich gar nicht darüber nachdenken, was sie aushalten musste. Aber für Marret wirds passen, das ist zumindest meine Leseart. :)

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021